Wann, wenn nicht jetzt?

Frauen wollen mitreden!

Noch in jeder vergangenen Wirtschaftskrise hat es sich gezeigt: Es sind die Frauen, die die notwendigen und zusätzlichen Tätigkeiten übernehmen, seien sie unbezahlt oder unterbezahlt. Das zeigt sich mit der Corona-Krise einmal mehr: Ausgerechnet diejenigen Arbeiten, die überlebensnotwendig und besonders wichtig für die Gesellschaft sind, weil sie den sozialen Zusammenhalt stärken, werden meist schlecht oder gar nicht bezahlt und müssen oft unter prekären Bedingungen erledigt werden.

Nun scheint sich mit der aktuellen Krise das Verständnis von „systemrelevant“ zu verändern. Wurden während der Finanz- und Wirtschaftskrise vor gut zehn Jahren noch die Banken als systemrelevant bezeichnet, so sind es nun Berufsgruppen, deren geringe Löhne, mit minderer Wertschätzung und schwierigen Arbeitsbedingungen, so identifiziert werden. Oft sind dies Tätigkeiten, die bisher unsichtbar geblieben sind. Es geht um Branchen der Sorge- und Versorgungswirtschaft, Berufe unter anderen in der Pflege, in der Reinigung, im Einzelhandel, vor allem Krankenhauspflegekräfte und Beschäftigte in der Nahrungsmittelversorgung, aber auch um Jobs in der Sorge- und Versorgungsarbeit von Angehörigen wie in der engeren oder weiteren Nachbarschaft; alles Tätigkeiten, die überdurchschnittlich von Frauen geleistet werden. In der Schweiz werden gut zwei Drittel aller Arbeit in der Sorge- und Versorgungswirtschaft von Frauen geleistet, nämlich 69 Prozent (Mascha Madörin). Wir wissen auch, wo Frauen arbeiten, fehlt es an zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen.

Ausserhäusliche Kinderbetreuung und die Krise

Die Corona-Krise hat uns unmissverständlich vor Augen geführt, wie ausserhäusliche, respektive ergänzende Kinderbetreuung gefährdet ist. In der Schweiz haben bisher zu einem grossen Teil Grosseltern, vor allem Grossmütter, Kinderbetreuungsaufgaben übernommen, nämlich jährlich um die 160 Millionen Stunden (Bundesamt für Statistik, 2016). Meistens in Situationen, wo es ungenügende und/oder zu teure Plätze in Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, oder wo sich die Erwerbsarbeitszeit der Eltern nicht mit den Öffnungszeiten der Einrichtungen vereinbaren lassen. Mit dem Lockdown sind sozusagen von einem Tag auf den anderen nicht nur die Grosseltern ausgefallen, da sie zu den sogenannten Risikogruppen gehören; ebenso wurden Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen, weil das Personal zum Teil auch zu Risikogruppen zählte oder erkrankte, oder weil die Eltern die Kinder nicht mehr den Einrichtungen anvertrauen wollten. Zeitgleich wurden die Schulen geschlossen, Homeschooling war angesagt. In vielen Fällen kam auch noch Homeoffice für den einen oder anderen Elternteil dazu oder sogar für beide. Geradezu eine Herkulesaufgabe, die innerhalb von Familienstrukturen bewältigt werden musste.

Eine repräsentative Umfrage während des Lockdowns zum Thema „Homeoffice“, die die Gewerkschaft Medien und Kommunikation, syndicom, in Auftrag gegeben hat, zeigt auf, dass eine künftige Möglichkeit von Kinderbetreuung während dem Homeoffice bei Frauen wenig Zustimmung findet. Die Erklärung dafür ist einfach: Mit Homeoffice verstärkt sich die Mehrfachbelastung der Frauen weiter, da in der Regel auch ohne Homeoffice der grössere Teil der Kinderbetreuung an ihnen hängen bleibt.

Frauen wollen mitreden bei der Bewältigung der Krise

Aktuell werden nun die Einschränkungen, die mit dem Lockdown verordnet wurden, schrittweise gelockert. Es geht darum, zurückzufinden in ein ziviles Leben, denn die Krise hat uns in Ängste gestürzt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird es ein anderes Leben werden als davor. In vielen und unterschiedlichen Prognosen wird eine länger andauernde Krise vorausgesagt. Bereits heute werden die Arbeitslosenämter und Sozialhilfebehörden überrannt – trotz der Milliardenhilfen. Ausserdem müssen weiterhin Hunderttausende in schlecht bezahlten Berufen täglich Ansteckungsrisiken in Kauf nehmen, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Ein Viertel der Haushalte in der reichen Schweiz verfügt über keine Ersparnisse, auf die zurückgegriffen werden könnte. Hingegen konnten seit der Jahrtausendwende grosse Vermögen angehäuft werden. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sieht eine gewaltige Konkurswelle im Anrollen. In seinem Programm zur Krisenbewältigung sieht er beispielsweise unter anderem vor, dass die Sozialsysteme in erster Linie „gesichert“ werden sollen statt sie auszubauen, was das immer heissen mag. Andere Stimmen aus Wirtschaftskreisen sehen nun den Zeitpunkt gekommen, das Rentenalter „nach oben anzupassen“. Diskutiert werden auch Steuererhöhungen und anderes mehr.

„So nicht!“ – erklärt ein breites Bündnis von zahlreichen Frauenorganisationen, das sich in der Schweiz gebildet hat. Mit dabei sind Frauenstreikkollektive, feministische Arbeits- und Denkgruppen, Gewerkschaftsfrauen, verschiedene Gewerkschaften, NGO-Frauen-Netzwerke, Frauen aus dem links-grünen Parteienspektrum und ihre Parteien, bürgerliche Frauenrechtsorganisationen wie auch Frauenorganisationen aus dem kirchlichen Bereich. Es ist nicht einfach naturgegeben, dass die Lasten derart ungleich verteilt sind; dass die einen reicher und reicher werden und andere sich um ihre Existenz sorgen müssen. Darunter ausgerechnet auch jene, die unsere Gesellschaft mit ihrer systemrelevanten Schwerarbeit durch die Krise getragen haben und weiter tragen werden.

Vor diesem Hintergrund richtet das Frauenbündnis einen dringenden Appell an den Bundesrat und das Parlament: „Die Frauen* reden mit ihren Forderungen bei der Bewältigung der Krise mit“. Das Bündnis verlangt unter anderem, dass Frauen am Verhandlungstisch mitentscheiden, wie das Geld verteilt wird. Vor allem darf die Finanzierung der Krise nicht auf dem Rücken der Frauen erfolgen, so der Appell. Das heisst beispielsweise eine strikte Ablehnung von Abbaurunden im Sorge- und Versorgungsbereich, also im Gesundheitswesen, in der Pflege, in der Bildung und in der Kinder- wie in der Betreuung betagter Menschen. Gefordert werden auch verbesserte Arbeitsbedingungen für systemrelevante Berufe wie Pflegefachleute, Kinderbetreuende, Beschäftigte im Einzelhandel.

Ausserdem wird von gewerkschaftlicher Seite verlangt, dass Kinderbetreuung zu einer Aufgabe des Public Service werden muss. Gerade in Krisenzeiten braucht es verlässliche Kinderbetreuungsangebote. Einerseits um die Eltern, insbesondere die Frauen, zu entlasten, und andererseits, um Kinder vor Gewalt in der Familie zu schützen. Zudem sollten Grosseltern nur in Ausnahmesituationen Kinder betreuen, und nicht als fest eingeplanter Teil des gesamtschweizerischen Betreuungssystems in Betracht gezogen werden.

Ein Budget für die Sorge- und Versorgungswirtschaft

Um die Krise zu bewältigen, verlangt das Frauenbündnis in seinem Appell, die reale Lebenssituation aller Frauen in der Schweiz sei zu berücksichtigen. Frauen seien eine treibende Kraft in der Wirtschaft. Ihren bezahlten und unbezahlten Einsatz für Familie und Gesellschaft müsse berücksichtigt werden. Es braucht jetzt ein Gender-Budgeting. Die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit muss in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt werden. Damit geht Gender-Budgeting über den Begriff der Wirtschaftspolitik deutlich hinaus.

Nicht nur in unseren Breitengraden werden Stimmen für ein solches Gender Budgeting laut. So war am 27. Mai 2020 in der Online-Zeitung Infosperber zu lesen, dass die Vorsitzende der Frauenrechtskommission von Hawaii, Khara Jabola-Carolus, bereits Mitte April einen „feministischen Recovery-Plan“ aufgestellt habe. Ihre Begründung: Wer eine nachhaltige Erholung nach der Krise wolle, müsse Frauen ins Zentrum setzen. Anstatt die Wirtschaft zum alten Normalzustand zurückzuführen, sei es angezeigt, eine Struktur aufzubauen, die „Geschlechtergerechtigkeit auch liefern kann“. In Chile wurde ein feministischer Notfallplan vorgelegt.

Schliesslich hat Neuseeland, als erstes Land weltweit, ein „Wellbeing-Budget“ beschlossen. Der Finanzminister sagt dazu, ein solches Budget signalisiere einen neuen Ansatz für die Regierungsarbeit. Demnach werde das Wohlbefinden der Menschen in Neuseeland in den Mittelpunkt gestellt (https://treasury.govt.nz/sites/default/files/2019-05/b19-wellbeing-budget.pdf).

Auch für uns muss gelten: Für eine nachhaltige Krisenbewältigung, ist das Wohlbefinden der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Therese Wüthrich ist Gewerkschafterin, journalistisch und publizistisch tätig, und arbeitet in verschiedenen frauen- und sozialpolitischen Projekten. Sie lebt in Bern.