Und doch: Etwas Neues zum Paragraphen 218

[erscheint im Heft 63, vorab online]

Im April hat eine Kommission zu Schwangerschaftsabbruch und Leihmutterschaft ihre Ergebnisse vorgelegt

„Die Strafbarkeit der Abtreibung ist zumindest in den ersten zwölf Wochen auch verfassungsmäßig nicht haltbar“ – so lautet das einstimmige Votum der von der Ampelkoalition Ende 2022 eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und zur Fortpflanzungsmedizin. Der Kommissionsbericht fiel also ganz zugunsten einer Liberalisierung aus, wie sie die Ampel in ihren Koalitionsvereinbarungen angeregt hatte. Doch Jubel blieb bei SPD, Grünen und FDP aus.

80 Prozent der Bevölkerung befürworten eine Liberalisierung oder Abschaffung des § 218. Doch Marco Buschmann (FDP) und Karl Lauterbach (SPD), die Minister für Justiz und Gesundheit, gaben sich zurückhaltend. Man werde lesen, prüfen und nachdenken.

Genau das hat die Kommission ja nun über ein Jahr gemacht, dazu Fachleute aus der ärztlichen Praxis und der Beratung angehört, NGOs konsultiert und um die Sache gestritten, und ist am Ende einstimmig zu dem vorliegenden Ergebnis gekommen.

Das Gremium arbeitete in zwei Gruppen. Die erste sollte klären, ob und gegebenenfalls wie eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs erfolgen kann. Eine zweite Arbeitsgruppe hatte sich mit der Frage der Liberalisierung von Eizellspende und Leihmutterschaft zu befassen. Mitgearbeitet haben Juristinnen, Sozialwissenschaftlerinnen, Ethikerinnen und Medizinerinnen – 15 Damen und 3 Herren, der eine Psychologe die beiden anderen Juristen.

Nach einjähriger intensiver Arbeit kam die in ihrer gesellschaftspolitischen Einstellung keinesfalls homogene Gruppe zu einem klaren Ergebnis. Der gut 400 Seiten starke Kommissionsbericht argumentiert auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis und medizinischer Untersuchungen. Dennoch scheint man in den politischen Parteien von CDU und Ampel über das Resultat nicht recht glücklich zu sein. Selbst die Grünen mussten erst einmal Einkehr halten und baten „relevante Stakeholder“, so das Einladungsschreiben, zur gemeinsamen Sondierung der neuen Lage.

Die Legislaturperiode ist bereits fortgeschritten. Die Koalition sollte die verbleibende Zeit nutzen und zügig ein Gesetzgebungsverfahren anstoßen. Plötzlich befindet aber die FDP, es gäbe keinen Handlungsbedarf. Der Deutsche Ärztetag verschiebt die ganze Debatte auf das nächste Jahr.

Der Befund

Im Unterschied zum in der DDR geltenden Recht entschied das westdeutsche Verfassungsgericht 1975, der Fötus sei nicht Teil des weiblichen Organismus, sondern menschliches Wesen, dem die Würde nach Artikel 1 des Grundgesetzes zustehe, woraus sich eine Pflicht zum Austragen ableite. Nach der Wiedervereinigung vereinheitlichte das Bundesverfassungsgericht 1993 das Recht und erklärte den Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche zum rechtswidrigen Akt, der aber strafrechtlich nicht verfolgt werden müsse. Für die Bürgerinnen der ehemaligen DDR bedeutete das eine erhebliche Verschlechterung. „Mach nur, ist aber verboten“, ruft der Gesetzgeber den Frauen quasi zu. Als „überschaubar“ bewertete die Kommission die Konsistenz dieses Entscheids und stellte dem gegenüber fest: „Das Verlangen der Schwangeren nach einem Schwangerschaftsabbruch ist durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz. 1 GG) geschützt“ – Der Gesetzgeber habe einen begründbaren weiten Spielraum bei der Umsetzung von Straffreiheit sowohl was Fristen als auch vorgeschaltete Beratung oder Wartefristen angeht.

An der gegenwärtigen Rechtslage bemängelt die Kommission die Unklarheit mancher Regelungen, Praktiken und Indikationsstellungen bei Abbrüchen in der späteren Phase. Fast immer geht es dabei um pränataldiagnostische Befunde1.

Im Übrigen sei die Vereinbarkeit der deutschen Regeln mit internationalen Standards für Menschenrechte und Gesundheitsversorgung zu bezweifeln, denn „die Gewährleistung einer umfassenden und qualitativ ausgezeichneten medizinischen Betreuung im Rahmen eines Schwangerschaftsabbruchs ist laut WHO-Leitlinie zur Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch essenziell für das Wohl von Frauen.“ Und „aus der Perspektive einiger Vertragsausschüsse (CCPR, CEDAW, CERD)2 und der WHO als internationaler Organisation sowie des Kommissars für Menschenrechte des Europarates besteht ein menschenrechtliches Gebot einer vollständigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs“.

Ein Argument für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen begründe sich auf „der fehlenden systematischen Überzeugungskraft und Widerspruchsfreiheit des bisherigen Rechts. Es sei inkonsistent, wenn Schwangerschaftsabbrüche einerseits im Rahmen staatlicher Gesundheitssysteme erfolgen, andererseits aber angesichts grundsätzlicher Kriminalisierung stets im Zwielicht einer potentiellen Strafbarkeit stehen. Das Strafrecht sei immer nur das letzte Mittel zum Erreichen eines Zieles (Ultima-ratio-Charakter des Strafrechts) und in diesem Falle zu vermeiden. Die Rechtswidrigkeit ist auch der Grund dafür, dass die Krankenkassen den Eingriff nicht nur nicht bezahlen, sie dürfen ihn nicht bezahlten.

Die unzweideutige Bewertung der Kommission hat allgemein überrascht. Die Frauen- und die Pro-Choice Bewegung sind weitgehend begeistert, hatten sie doch jahrelang Angst, an dem 1993er Urteil des Verfassungsgerichts, das die Fristenregelung durch eine Beratungsregelung ersetzte, zu rütteln, weil alles nur schlechter werden könnte.

Dazu stellte die Kommission klar: Gegenüber dem Gesetzgeber komme den Urteilen keine formale Bindungswirkung zu. – Eine Klatsche für alle, die meinten, eine Liberalisierung des 150 Jahre alten Abtreibungsparagraphen wäre mit der Verfassung nicht zu vereinen.

Konservative und Lebensschützer vermuteten die Verfassung auf ihrer Seite, und beschwören jetzt eine Gefährdung eines angeblichen gesellschaftlichen Friedens in Folge der Infragestellung der bestehenden Regelung, sofern sie nicht sogar für deren Verschärfung eintreten, und drohen mit einer Verfassungsklage.

Leihmutterschaft aus Altruismus

Der andere Auftrag an die Kommission lautete, eine Stellungnahme zur Liberalisierung von Eiszellspende und sogenannter altruistischer Leihmutterschaft zu entwickeln. Die Themen haben eigentlich nichts miteinander zu tun, außer dass es um Schwangerschaft geht: beim § 218 um ungewollte, im andern Falle um ersehnte. Eizellspende und Leihmutterschaft sind in Deutschland verboten, so dass die Fokussierung auf altruistische Leihmutterschaft vermuten lässt, dass die Regierungskoalition eine Liberalisierung für möglich hält, sofern die Leihmutter ihren Dienst aus altruistischer Motivation, heißt ohne finanzielle Vergütung, anbietet. Im Ringen um Koalitionsvereinbarungen im Zuge der Regierungsbildung war wohl ein Kuhhandel beabsichtigt: Liberalisierung des § 218 gegen Liberalisierung der Repromedizin. Besonders die FDP fordert zusammen mit Lobbyverbänden bis hin zu Vereinen „zur Förderung der kommerziellen Leihmutterschaft“ die Eröffnung dieses Geschäftsfeldes.

Menschen, die sich ihren Wunsch nach einem Kind – aufgrund medizinischen Handicaps, queerer Lebensform oder sexueller Orientierung – selbst mit Hilfe der üblichen repromedizinischen Methoden nicht erfüllen können, steht, wenn nicht die Welt, so doch manches andere Land offen, um eine gespendete Eizelle zu erwerben oder die Dienste einer Leihmutter in Anspruch zu nehmen. Die Bereitschaft dortiger Frauen zu solchem Dienst resultiert nicht selten aus materieller Not, die die behandelnden Kliniken und vermittelnden Organisationen ausbeuten. Auch genügen die Behandlungen häufig nicht den deutschen medizinischen Standards und den Regelungen in Bezug auf das Recht der geborenen Kinder, ihre genetische Herkunft zu erfahren – weil die Spendenden anonym bleiben.

Um solch fragwürdigen Tourismus zu verhindern, fordern seit Jahren Institutionen, die das Geschäft vermitteln und organisieren wollen, Leihmutterschaft in Deutschland mit guten Regelungen zu erlauben. Argumentiert wird dabei aus der Warte sogenannter Wunscheltern, deren Wünsche andernfalls unerfüllt blieben. Die Rechte und Ansprüche derjenigen, die das Kind austragen kommen nicht in Betracht.

Doch auch bezüglich Leihmutterschaft sorgte die Kommission für Überraschung. Bei der Beschreibung möglicher Regelungen stellte sie die Absicherung und den Schutz der dienstleistenden Frauen in den Vordergrund, forderte eine schonende Behandlung und Versicherungsschutz der Spenderinnen und Leihmütter und konstatierte „eine Schieflage in Bezug auf den Altruismus“: Wieso sollten ausgerechnet denjenigen, die ihren Körper für die Wünsche anderer hergeben, das ohne Entschädigung tun, während die Vermittlungsagenturen und natürlich die Repropraxen teuer bezahlt werden? Die Kommission empfahl angemessene Entschädigungszahlungen und ausschließlich gemeinwohlorientierte Vermittlungsagenturen entsprechend den hiesigen Adoptionsvermittlungen.

Die Kommission sieht in der Leihmutterschaft nicht ein normales Geschäft, sondern eine Beziehung zwischen vier oder fünf Personen, die gepflegt und geschützt werden müsste. Das schließe ein Recht für alle Beteiligten ein, auch nach der Behandlung in Verbindung zu bleiben, besonders für die Dienstleisterinnen die Möglichkeit, etwas über die weitere Entwicklung der mit ihrer Hilfe geborenen Kinder zu erfahren. Vor allem müsse das in Deutschland geltende Recht auf Wissen über die eigene genetische Abstammung garantiert sein.

Sofern diese Voraussetzungen gewährleistet sind, Leihmutter und Wunschelter einander nahe stehen, und unter Beachtung der Selbstbestimmung der Leihmütter auch während der Behandlung und der Schwangerschaft, sei eine Legalisierung möglich.

Die Kommission hat sich ihrem Auftrag gemäß geäußert. Grundsätzlich ist an der Debatte die Fokussierung auf biologische und genetische Elternschaft zu kritisieren, die eine Unterstützung sozialer Elternschaft und neuartiger Familienmodelle nicht in Betracht zieht und stattdessen einem Mythos verhaftet bleibt, der Elternschaft als Weitergabe persönlichen Erbguts huldigt. Die Dienstleisterinnen in diesem Geschäft werden auf die Funktion ihrer biologischen Weiblichkeit reduziert. Solche Beschränkung liegt durchaus im Interesse der Reproduktionsmedizin.

Die Enttäuschung und Zurückhaltung der drei Ampel-Parteien hängt wahrscheinlich mit ihrem jeweiligen taktischen Kalkül hinsichtlich einer Koalition mit der CDU zusammen. Sicherlich haben die Liberalen, vielleicht sogar die Grünen, mit der Verknüpfung der Fragestellungen von Schwangerschaftsabbruch und Liberalisierung der Reproduktionsmedizin in Bezug auf Eizellspende und Leihmutterschaft ein anderes Ergebnis erhofft.

Nicht thematisiert hat die Kommission die Folgen einer Ausweitung der Reproduktionsmedizin auf unser Gesundheitswesen: Müssten Behandlungen selber bezahlt werden, bliebe das ein Privileg für Wohlhabende, würde sie Kassenleistungen, würde es das Budget sprengen. Schon jetzt hat sich das Angebot in unserem Gesundheitswesen in selbst zu zahlende Wunschleistungen und Spezialisierungen verschoben auf Kosten der in Teilen nur noch schlecht funktionierenden Grundversorgung.

Das erfreuliche Ergebnis der Arbeit der Kommission: Das erhoffte politische Geschäft der Koalition – tausche Abtreibung gegen Eizellspende und Leihmutterschaft – wird nicht zustande kommen, weil die Kommission den Anspruch auf Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen rechtlich gut begründet hat und auf der anderen Seite hohe Ansprüche zum Schutze der Dienstleisterinnen in der Repromedizin formuliert hat – die das Geschäft verderben könnten.

Die beiden Arbeitsgruppen der Kommission haben großartige Arbeit geleistet.


Silke Koppermann war bis vor zwei Jahren praktizierende Frauenärztin und Psychotherapeutin in Hamburg und ist im Arbeitskreis Frauengesundheit aktiv.

Es lohnt sich, zumindest die Zusammenfassung des Berichtes der Kommission zu lesen oder dessen Präsentation auf der Bundespressekonferenz anzuschauen:

Abschlussbericht der Kommission 15.4.2023 

1Der Schwangeren wird in der Regel eine medizinische Indikation ausgestellt, d.h. eine Bescheinigung darüber, dass ihr Leben und ihre Gesundheit durch das Austragen des behinderten Kindes bedroht seien und nur durch einen Abbruch abzuwenden sei. Um das Überleben des Föten zu verhindern, wird ein sogenannter Fetozid durchgeführt, d.h. der Föt wird intrauterin (im Bauch der Schwangeren) abgetötet. Für andere schwere Erkrankungen oder Notlagen der Schwangeren wird diese Indikation selten erteilt.

2 UN-Menschenrechtsausschuss, Human Rights Committee (CCPR); UN-Frauenrechtskonvention, Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (CEDAW); UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung, Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD).

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