Troika und Treuhand als Kronzeugen. Deutsche Bank fordert europaweite Privatisierungen

Aus: LunaPark21 – Heft 17

Am 20. Oktober 2011 ist in der Schriftenreihe der Deutschen Bank „EU-Monitor“ eine interessante Publikation erschienen. Der Titel lautet: „Erlöse, Wettbewerb, Wachstum – Möglichkeiten der Privatisierung im Eurogebiet“. [1]

Deutsche-Bank-Bashing ist derzeit kein Kunststück. Das Geldinstitut ist unter anderem weltgrößter Devisenhändler und spielt sowohl im Bereich Investmentbanking als auch bei den Privatbanken bei den ganz Großen der Welt mit. Das verleiht ihr zweifellos jene „systemrelevante Größe“, aufgrund derer Narrenfreiheit und Bail-Out-Garantie gewährt werden und die auf diejenigen, die jetzt und zukünftig für die Bankenrettungen aufkommen müssen, so aufreizend wirkt.

Auch die Geschichte der Deutschen Bank ist düster: Sie wirkte an der Finanzierung von Auschwitz mit und verdiente an „Arisierungen“ und an den Goldtransaktionen der Nationalsozialisten. Zuletzt machte man mit einer Neuauflage der „Toten Seelen“ von Gogol Schlagzeilen: Unter den hochkomplex strukturierten Finanzanlagen der Deutschen Bank fand sich auch ein Produkt, das den Anlegern erlaubte, darauf zu wetten, wann Menschen sterben. [2]

Vor allem aber macht sich die Deutsche Bank als aggressiver Akteur im politischen Diskurs unbeliebt: Wenn alle gerade unter dem „Diktat der Finanzmärkte“ ächzen, spricht die Deutsche Bank unverhohlen aus, was sie sich als einer der Hauptakteure dieser Finanzmärkte von den Regierungen an Maßnahmen wünscht. In diese Kategorie passt auch der Text, der nachfolgend besprochen werden soll.

Autoren und Umfang

Hauptverantwortlich für den Beitrag zeichnet Dieter Bräuninger, seit 1987 Ökonom bei der Deutschen Bank; derzeit Senior Economist bei Deutsche Bank Research. Es gibt eine Co-Autorin namens Henrike Steimer, über die nicht mehr bekannt ist, als dass sie 2008 in Münster ihr Abitur gemacht hat. Weiter genannt werden Editorin Barbara Böttcher, Publikationsassistentin Sabine Kaiser sowie der Verantwortliche für das db-research-Managment, Thomas Mayer. Die Schrift fordert in klaren Worten eine Neuauflage der Privatisierungen in Europa, deren zeitweiligen Rückgang man offen bedauert. Neue Autorität dieser Gegenreformation ist die sogenannte Troika.

Im Detail werden für die Länder Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Irland die Privatisierungspotentiale untersucht. Die Studie enthält 19 Diagramme und in kleinen Kästen in der Marginalspalte sechs Begriffsbestimmungen.

Der 16-seitige Text hat mit Fußnoten, Unterzeilen und Kästen ca. 7500 Wörter. Das Wort „Privatisierung“ und seine Derivate nehmen auch rein zahlenmäßig einen völlig überragenden Stellenwert ein. [3]

Privatisierungsagenturen

Die Autoren empfehlen Privatisierungsagenturen nach dem Vorbild der deutschen Treuhand. Dieser Vorschlag war im Sommer 2011 bereits vom Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, ins Gespräch gebracht worden; nun kann man die Spur zur Deutschen Bank zurück verfolgen. Im Text ist zu lesen: „Letztendlich beendete die Treuhandanstalt ihre Arbeit jedoch mit hohen Verlusten, …“

Dafür fand man aber eine überraschende Begründung: „…da die allermeisten Betriebe wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit für Investoren kaum attraktiv waren.”

Zur Erinnerung: Der damalige Treuhandpräsident Detlev Karsten Rohwedder (1991 bei einem Anschlag ums Leben gekommen) schätzte das von der Anstalt verwaltete Vermögen zu Beginn der Tätigkeit 1990 auf 600 Milliarden D-Mark, ca. 307 Milliarden Euro (auf eine Eröffnungsbilanz verzichtete man bedauerlicherweise). Vier Jahre später beendete die Treuhand ihre Tätigkeit mit 256 Milliarden D-Mark Schulden. Hoffentlich gilt „fehlende Wettbewerbsfähigkeit“ nicht für griechische Betriebe oder Staatseinrichtungen.

Die Privatisierungsagenturen sollen in der neu angestrebten Privatisierungswelle eine zentrale Rolle spielen. Sie werden wie folgt begründet:

„Auch die schwierige Lage an den Finanzmärkten ist kein generelles Hindernis. Als ein Ausweg bietet sich hier die Übertragung der Vermögenswerte auf eine Agentur mit eindeutiger Aufgabenstellung der Privatisierung an. Die Agentur kann Verkäufe dann nach Marktlage zeitlich gestaffelt durchführen. Auf diese Weise können die Staaten Vertrauen erwerben, ohne Vermögen übereilt veräußern zu müssen.”

Nicht überhastet verkaufen, aber festlegen, dass verkauft wird, ist das vorgebliche Anliegen. Vor allem werden Privatisierungsagenturen Reste verbliebener Transparenz und demokratischer Kontrolle unterbinden. Gleichzeitig wird eventuell aufkommendem Widerstand gegen einzelne Privatisierungen der Atem genommen: Alles kommt in einen Topf, man weiß aber nicht, was wann daraus verkauft wird. Wenn die sicherlich jenseits der Öffentlichkeit ablaufenden Verkaufsverhandlungen abgeschlossen sind, kann es schnell gehen. Gegenwehr findet dann kaum Zeit, sich zu formieren; außerdem findet eine Entsolidarisierung statt. Szenarien wie das folgende sind so oder in anderer Richtung denkbar: Verteidiger des Wassersektors sind froh, wenn sie vorerst davonkommen und stellen sich einer eingeleiteten Bahnprivatisierung daher kaum in den Weg.

Daseinsvorsorge

Im Text wird der Daseinsvorsorge viel Raum gewidmet. Von drei genannten „Ansätzen für Privatisierung“ betreffen die beiden längeren Absätze die Daseinsvorsorge. Dieser Begriff kommt immerhin 15-mal im Text vor. Inhaltlich wird bezüglich der Infrastruktur der Daseinsvorsorge mit der europaweiten und angeblich erfolgreichen Privatisierung der Telekommunikation argumentiert: „Im Gegensatz zur Telekommunikation steht in anderen Bereichen wie Teilen des Energiesektors und des Verkehrswesens (v.a. Bahnverkehr) eine durchgreifende EU-weite Privatisierung und Deregulierung noch aus.“

Herzstück des Texts ist jedoch der gezielte Tabubruch, dass Daseinsvorsorge prinzipiell privatisierbar ist: „Vorteilhaft ist prinzipiell auch die Privatisierung staatlicher Leistungen der Daseinsvorsorge, also etwa der Wasserversorgung und -entsorgung, von Einrichtungen des Gesundheitswesens und von nicht hoheitlichen staatlichen Verwaltungsaufgaben. Hierbei handelt es sich prinzipiell um private Güter.“

„Privatisierungsoffensiven sollten auch auf Einrichtungen der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge zielen.“

Es wird auch angeführt, dass diese These nicht unumstritten ist: „Zweifelsohne gibt es gerade gegen die Privatisierung in diesen Bereichen Vorbehalte. So ist etwa die Versorgungssicherheit hinsichtlich Angebotsmengen und Qualität ein Thema.“

Klar ist, es geht um unsere Daseinsvorsorge. Bereits 2007, also vor dem Ausbruch der Finanz- und Weltwirtschaftskrise, umriss die OECD den zugehörigen Markt: „Bis 2030 werden laut OECD (Organization for Economic Co-operation and Development) weltweit 71 Billionen US-Dollar für die Modernisierung der Basis-Infrastruktur benötigt. Infrastrukturprojekte sind ziemlich langweilig. Aber sie sind langlebig und normalerweise so strukturiert, dass sie Cash produzieren“ [4]

Um wieviel interessanter muss dieser langweilige Cash in Zeiten erscheinen, in denen jede andere Anlageform, selbst Staatsanleihen, von Tag zu Tag unsicherer erscheinen.

Verkaufen – oder verschenken

Die Deutschen Bank bereitet uns darauf vor, dass die Daseinsvorsorge, bei einem Verkauf nicht viel Geld in die Kasse bringen wird – weil sie (per Definition?) nicht kostendeckend ist: „Besonders im Bereich der Daseinsvorsorge sollten die (kurzfristigen) fiskalischen Effekte von Privatisierungen gleichwohl nicht überschätzt werden. So dürfte z.B. die Veräußerung nicht kostendeckend wirtschaftender und/oder verschuldeter Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser) nur mit entsprechenden Preisabschlägen gelingen. Trotzdem ist auch hier eine Privatisierung i.d.R. sinnvoll.“

In einem Kasten werden „Öffentliche Güter“ erläutert. Die dort angegebene Definition weicht vom Standard ab, worauf hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Interessanter scheint ohnehin die Definition, die im Fließtext gegeben wird: „Der Staat sollte sich nicht in das Spiel an den Märkten einmischen. Er muss aber dafür sorgen, dass geeignete Regeln und Rahmenbedingungen bestehen, die das Spiel ermöglichen. Dazu gehören neben dem Erlass und der Durchsetzung einer freiheitlichen Rechts- und Wettbewerbsordnung andere hoheitliche Aufgaben wie innere und äußere Sicherheit und die auswärtigen Beziehungen. Bei diesen Gütern handelt es sich um so genannte öffentliche Güter. Hier kommt kein (hinreichendes) privates Angebot zustande, weil Preissignale und somit Produktionsanreize fehlen.“

Öffentliche Güter sind demnach das, was partout nicht ins Schema des alles regelnden Marktes passen will. Das sollte all die ermutigen, die sich von demokratisch kontrollierten Gemeingütern erhoffen, den entfesselten Märkten etwas entgegensetzen zu können.

Wissenschaftlichkeit als Behauptung

Insbesondere die Privatisierungsvolumen der behandelten Länder müssen auf einer Analyse einer größeren Datenbasis basieren. Immerhin geht es dabei um Dienste und Infrastrukturen mit einem Gegenwert von mehreren Billionen Euro. Leider findet sich zu den Angaben keine Quelle. Natürlich ist man nicht verpflichtet, den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs jedes Mal umfangreich zu rezipieren. Bei einer derartig schmalen Rezeptionsbasis kann man hier aber wohl nicht mehr von einer wissenschaftlichen Arbeit sprechen, ja nicht einmal von einem aussagekräftigen Bericht zu einer wissenschaftlichen Arbeit.

Auch methodisch finden sich keine Hinweise auf all die Merkmale, die wissenschaftliche Arbeit ausmachen. Um ein Beispiel zu nennen: Mit den Privatisierungen soll jenseits kurzfristiger Erlöse vor allem das Vertrauen der Finanzmärkte erkauft werden – heute. Wie sieht die Perspektive in einem Jahr, fünf oder zehn Jahren aus? Auch wenn man innerhalb der Logik der zentralen Aussage des Textes bleibt, dass das Vertrauen der Finanzmärkte käuflich ist …

„Privatisierungen können wesentlich zu der im Eurogebiet weithin gebotenen Konsolidierung öffentlicher Haushalte beitragen. Dabei geht es nicht allein um kurzfristige neue Einnahmen, die steigender Verschuldung entgegenwirken. Vielmehr setzen entschlossene Länder ein Vertrauenssignal für Investoren, das positiv auf staatliche Finanzierungskosten wirken sollte.“

… so muss doch davon ausgegangen werden, dass Vertrauen eine Flussgröße ist, dass sie also nicht einmal für alle Zeiten erstanden werden kann, sondern bestenfalls für einen Zeitraum gepachtet wird. Was vor diesem Hintergrund völlig fehlt, ist die Angabe, wieviel Einnahmen privatisierte Unternehmen denn durchschnittlich erbracht haben, wieviel zu privatisierende etwa erbringen werden und auf welche Summe sich die Einnahmenausfälle seit der Privatisierung summierten und summieren werden. Kurzum: Es fehlt die Betrachtung, für wie lange das Vertrauen der Finanzmärkte erkauft wird, und ob der Preis im rechten Verhältnis zum Gegenwert steht, in diesem Fall zu dann niedrigeren Zinsen an den Finanzmärkten für Staatsanleihen. Mit dem Fehlen dieser Aussage fehlt also jede Möglichkeit, die zahlreichen aufgeführten Behauptungen zu positiven Effekten von Privatisierungen zu belegen.

Verschuldung? Privatisierung!

Als Fazit könnte man die neue neoliberale Argumentationskette etwa so darstellen:

1. Bestehender Teufelskreis: Staaten sind überschuldet – dadurch Vertrauensverlust der Finanzmärkte – dadurch hohe Zinsen für weitere Schulden, Verschuldung wächst.

2. Ausweg: Privatisierungen, insbesondere auch der Daseinsvorsorge – dadurch Vertrauen der Finanzmärkte und (zweitrangig) Einmaleinnahmen – dadurch niedrigere Zinsen, Schuldenabbau möglich. Hinsichtlich der Umsetzung der „Privatisierungsoffensive“ wünscht man sich Institutionen mit maximaler Distanz zu parlamentarischer Repräsentanz: die Troika sowie Privatisierungsagenturen.

Für die globalisierungskritische Bewegung ist es vermutlich wichtig, nachzuvollziehen, dass nicht mehr „die Globalisierung“ als pauschale Begründung für neoliberales Handeln herangezogen wird, sondern „die Bekämpfung der Verschuldung“.

Im kleingedruckten Disclaimer am Ende des Textes wird übrigens darauf hingewiesen, dass keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen werden kann. Es folgen sogar noch Angaben, wie entsprechend länderspezifischer Gesetze gegebenenfalls Zusatzinformationen hinzuzuziehen sind, bevor der Bericht als Grundlage einer Anlageentscheidung gewählt wird. So sollen in Australien Privatkunden eine Kopie der betreffenden Produktinformation (Product Disclosure Statement oder PDS) zu jeglichem in diesem Bericht erwähnten Finanzinstrument beziehen und dieses PDS berücksichtigen, bevor sie eine Anlageentscheidung treffen.

Der Autor dieses Textes empfiehlt, den Bericht von db-research zum Anlass zu nehmen, vor den Schäden, die die Privatisierungen ganzer Volkswirtschaften anrichten, groß gedruckt zu warnen.

Anmerkungen:

[1] Erlöse, Wettbewerb, Wachstum – Möglichkeiten der Privatisierung im Eurogebiet EU-Monitor 87, abrufbar unter http://tinyurl.com/db-research-Privatisierung

a name=”anm_3″>[2] Kölner Stadtanzeiger, 06.02.12: „Die Totenwette der Deutschen Bank. Anspruch und Wirklichkeit: Während der scheidende Deutsche-Bank-Chef Ackermann von Verantwortung und Moral fabuliert, bringt das Geldhaus den Fonds Kompass Life 3 in Umlauf. Damit können Anleger auf die Lebenserwartung von Menschen spekulieren.“ Abrufbar unter http://tinyurl.com/Totenwette

a name=”anm_4″>[3] Nennung einzelner Wörter: „der“ (303), „die“ (223), „und“ (155), „in“ (146), „privatisier*“ (128), „von“ (95), „im“ (78), „zu“ (72), „das“ (52), „sich“ (43), „Schulden“ und verwandte Begriffe (47), „mit“ (38), „Wettbewerb“ (33), „Markt“ (31), „Daseinsvorsorge“ (15), „sozialpolitisch“ (3), „Arbeitslosigkeit“ (2), „öffentliche Güter“ (2), „vorsorgender Staat“ (1), „Niedergang des Sozialismus“ (1), „Demokratie“ und verwandte Begriffe (0), „Gemeinwohl“, „Gemeingut“, „Gemeingüter“ (0).

[4] Aus: Bauen für die Zukunft: Infrastruktur als Investition, abrufbar unter www.oecd.org/dataoecd/7/52/38939784.pdf

Carl Waßmuth arbeitet als beratender Ingenieur in Berlin und ist Mitbegründer von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB, www.gemeingut.org). Die Langfassung des Beitrags ist zu finden unter: www.gemeingut.org/2012/01/deutsche-bank

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