Treue Hände? Treuhandgesellschaften einst und heute

Aus: LunaPark21 – Heft 31

„Treuhand 2.0 für Griechenland“ lautete eine Schlagzeile beim Nachrichtensender n-tv. Das Kürzel 2.0 sollte wohl an das Wirken der Treuhandanstalt erinnern, die die einst im „Register der volkseigenen Wirtschaft“ erfassten DDR-Betriebe zu zwei Dritteln privatisiert bzw. reprivatisiert und zu einem knappen Drittel liquidiert hat (einige wenige wurden kommunalisiert). Der kürzlich verstorbene Siegfried Wenzel, zu DDR-Zeiten zeitweilig einer der Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, hat diese Vorgänge instruktiv beschrieben. [1]

Aber das Rechtsinstitut der „treuen Hand“ (lateinisch: manus fidelis) ist sehr viel älteren Datums, und ursprünglich bezeichnete es einfach die Sicherung eines Vertrages durch Handschlag. Auch in Martin Rinckarts erstem Luther-Drama „Der Eißlebische Christliche Ritter“ von 1613 ist noch zu lesen: „Hat er alsobald seinen Brüdern Land und Leut’ gelassen und zu treuen Händen befohlen.“ Zu treuen Händen befohlen – das heißt, dass der deshalb so genannte Treuhänder zwar über Eigenrechte verfügt, sie aber nicht im Eigeninteresse gebrauchen darf, dass er zwar im Verhältnis zu Dritten, im Außenverhältnis, als Eigentümer auftreten darf, aber im Innenverhältnis seinem Partner gegenüber, dem Treugeber, verpflichtet bleibt. Der Treugeber schenkt also dem Treuhänder ein hohes Maß an Vertrauen (weshalb dieser im Englischen auch “trustee” genannt wird).

An die Stelle des persönlichen Treuhänders ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr die Treuhandgesellschaft getreten, auch in Deutschland, wo nach dem Modell des US-amerikanischen Trusts 1890 die „Deutsch-Amerikanische Treuhandgesellschaft“ (1892 in „Deutsche Treuhandgesellschaft“ umbenannt) gegründet worden war, die noch heute, als Teil der 1986 durch Megafusion entstandenen KPMG International, unter dem Namen KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft agiert. [2] Die Obergesellschaft war unter den ersten, die den renommierten Negativpreis des „Public Eye on Davos“ erhielten (2005), denn sie hatte (gemeinsam mit den von ihnen „geprüften“ Firmen) vielen Staaten Steuergelder in Höhe von insgesamt mehreren Hundertmilliarden US-Dollar entzogen, erwies sich mithin ihren Auftraggebern als wahrlich treue Hand.

Es gibt aber auch ganz andere Konstellationen zwischen Treuhändern und Treugebern, in denen Interessengegensätze aufeinander stoßen, und bei denen stets die dann gar nicht mehr so treue Hand gewinnt.

Eine solche „treue Hand“ kreierten die Nazis mit den „Treuhändern der Arbeit“. Sie waren in ihrem jeweiligen Wirtschaftsbezirk insbesondere für die Festlegung der Lohn- und Gehaltstarifordnungen zuständig und zugleich für die Aufrechterhaltung des sogenannten Arbeitsfriedens. Mit derart diktatorischen Vollmachten ausgestattet, entfiel für sie faktisch die Notwendigkeit sowohl der Führung von Tarifverhandlungen als auch des Schlichtungswesens. Als Beamte des Reichsarbeitsministeriums eingesetzt, hatten sie zuvor fast ausschließlich als juristische Berater der Arbeitgeberverbände gearbeitet, wogegen die nach der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933 als faschistische Pseudo-Gewerkschaft gebildete Deutsche Arbeitsfront außen vor blieb. In eventuellen Auseinandersetzungen zwischen „Betriebsführer und Gefolgschaft“ nahmen sie stets den von jeher gewohnten Platz ein. Von Treue konnte daher nur insofern die Rede sein, als die Beamten den Unternehmern wie auch dem faschistischen Staat treue Dienste leisteten.

Standen schon den „Treuhändern der Arbeit“ keine Treugeber im eigentlichen Sinne des Wortes gegenüber, so schon gar nicht der Haupttreuhandstelle Ost (HTO), einer nach der Okkupation Polens durch Hermann Göring im Oktober 1939 eingerichteten Dienststelle, die nicht nur das Vermögen des polnischen Staates, sondern auch die Privatvermögen seiner Bewohner erfassen und vor allem zugunsten des faschistischen Staates verwerten sollte. Laut „Verzeichnis der 1941 im Generalgouvernement tätigen Wirtschaftsbetriebe“ gab es von den 16 zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Großbetrieben (mit jeweils über 2000 Beschäftigten) noch einen einzigen, der von einem Polen geleitet wurde. Die Selbstbereicherung der deutschen „Treuhänder“ durch Veruntreuung und Korruption nahm solche Ausmaße an, dass selbst der Leiter der HTO, Max Winkler, vorschlug, den Terminus durch den eines „kommissarischen Verwalters“ zu ersetzen. Und so erstaunt es auch nicht, dass im faschistischen Deutschland die Wirtschaftslenkung im okkupierten Polen als wahres „Wirtschaftswunder“ galt [3], ein Terminus, der zumeist auf die westdeutsche Nachkriegsentwicklung und Ludwig Erhard bezogen wird. Letzterer hatte übrigens im Herbst 1941 für die HTO ein Gutachten zum „Aufbau der ostdeutschen (!) Wirtschaft“ verfasst. Kaum verwunderlich auch, dass Winkler selbst 1949 als „Nichtbelasteter“ eingestuft wurde und sein ehemaliger Chefjurist, Hermann Höpker-Aschoff, als erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts agierte.

Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass dem Kirchenhistoriker Wolfgang Ullmann dieses schwärzeste Kapital deutscher Wirtschaftsgeschichte nicht bekannt war, als er am 12. Februar 1990 dem Zentralen Runden Tisch in Berlin „die umgehende Bildung einer Treuhandanstalt zur Wahrung des Anteilrechts der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR“ vorschlug. Der Vorschlag wurde von der Regierung Modrow aufgegriffen, die am 1. März die Gründung der „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ beschloss. Das wenig später, am 17. Juni, von der Regierung de Maiziere beschlossene Treuhandgesetz stellte mit dem Blick auf den bevorstehenden „Anschluss“ schon die Privatisierung in den Vordergrund. Nach vollzogenem Anschluss aber gab es keinen Treugeber mehr, der auf seine Rechte hätte pochen können, und 95 Prozent der privatisierten Betriebe hatten nun westdeutsche Eigentümer. Wie es der ehemalige Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau, schon 1996 formulierte: „In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutsche, das es je gegeben hat.“

Ob allerdings die von Ullmann vorgeschlagene Alternative, den DDR-Bürgern Anteilsscheine am Volkseigentum zu geben, mithin eine sogenannte Coupon-Privatisierung durchzuführen, zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, darf bezweifelt werden – angesichts der Bereicherungsorgien, wie sie bei der Realisierung dieser Privatisierungsart in Osteuropa, insbesondere in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, stattfanden. Die heutigen Oligarchen waren nämlich zu sozialistischen Zeiten zumeist junge clevere Funktionäre, die nach dem Zusammenbruch dieses Systems ihren „Mitbürgern“ sehr schnell die Anteilsscheine abluchsten und auf diese Weise zu ihren Milliardenvermögen kamen. Der einzige Unterschied zum Osten Deutschlands war, dass hier keine „Westrussen“, „Westpolen“ usw. das Regiment übernahmen. Wenn Marx in seinem Vortrag über „Lohn, Preis und Profit“ meinte, die ursprüngliche Akkumulation sollte viel treffender ursprüngliche Expropriation (Enteignung) genannt werden [4] – nichts anderes fand in den ehemals realsozialistischen Ländern Osteuropas statt.

Es ist zwar geradezu eine Binsenweisheit, die aber offenbar immer wieder ausgesprochen werden muss: Unter den heutigen Bedingungen zieht im Streitfall der Treugeber gegenüber dem Treuhänder stets den Kürzeren, und Privatisierung bedeutet stets Kapitalisierung, also Enteignung. Wenn die von den „Institutionen“, der Troika, geforderte Privatisierung griechischen Staatseigentums durchgesetzt wird, kann nur das Kapital gewinnen, mit und ohne „Treuhand 2.0“. Ob es das griechische oder das ausländische Kapital sein wird, ist dabei nahezu gleichgültig, verlieren wird in jedem Fall die Masse der griechischen Bevölkerung. So ist das im Kapitalismus.

Anmerkungen:

[1] Vgl. sein seit 2000 immer wieder neuaufgelegtes Buch Was war die DDR wert? Und wo ist ihr Wert geblieben? Versuch einer Abschlussbilanz.

[2] KPMG steht für die Anfangsbuchstaben der Gründer Klynfeld (Niederlande), Peat (Großbritannien), Marwick (USA) sowie Goerdeler (damals Vorsitzender der Deutschen Treuhand-Gesellschaft).

[3] Vgl. Czeslaw Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945. Berlin 1987, S. 585/86.

[4] Vgl. Marx-Engels-Werke, Band 16, S. 131 (in der Neuausgabe S. 82/83).

Thomas Kuczynski lebt und arbeitet in Berlin. Im Laika-Verlag Hamburg ist seine mit Anmerkungen und Erläuterungen versehene Neuausgabe von Marx’ „Lohn, Preis und Profit“ erschienen.

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