Scheuer et al.

Ein Politiker neuen Typs

Die CSU war einst die Kaderpartei, die Partei neuen Typs, die Lenin sich gewünscht hätte: Autoritär geführt – von Franz Josef Strauß – und von den Massen gewählt.

Lenins Halt in den Massen bröckelte schon 1918, vor allem unter den Bauern. Bei der CSU dauerte es länger. Mit einer Zustimmung von 28 Prozent pfeift auch für sie inzwischen ein anderer Wind. Was konnten sich diese christlich-sozialen Männer – allen voran Strauß – einst nicht alles erlauben. Besoffen Auto zu fahren gehörte schon fast zum guten Ton.

Rausch

Der Journalist des Satire-Magazins Titanic, Jörg Metes bilanzierte 1994: Hermann Höcherl, Vorsitzender der Hauff-Kommission zur Erforschung der Verkehrstoten (sie empfahl ein Tempolimit) wurde einst betrunken von der Polizei gestoppt. CSU-Gründungsmitglied und Bayerischer Staatsminister Franz Heubl war 1976, nachdem er mit 2,3 Promille einen gegnerischen Pkw karamboliert und auch noch eine Gartenmauer mitgenommen hatte, sehr unwirsch gegenüber den Polizeibeamten, die ihn aus dem Bett klingelten, als er seinen Rausch ausschlafen wollte. Oder Wolf Feller, damals Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks und ebenfalls strammes CSU-Mitglied, der mit 2,36 Promille seinen Porsche 911 Schlangenlinien fahrend mit einem entgegenkommenden BMW zusammenführte und für doppelten Totalschaden sorgte. Höhepunkt: Leutnant der Reserve Otto Wiesheu, der mit 1,75 Promille den polnischen Rentner und Auschwitz-Überlebenden Josef Rubinfeld tot fuhr, dessen Beifahrer schwer verletz te und es später zum bayerischen Verkehrsminister brachte. Wie Gerhard Polt bemerkte: „Nicht nur wegen dem allein.“ *

Von Andreas Franz „Andi“ Scheuer ist ein solches Verhalten bislang nicht bekannt. Er gibt sich als einer, der in der sogenannten Zivilgesellschaft ohne Rausch angekommen ist. Dazu gehört auch ein intellektueller Touch, den er sich mit einer Promotion in Prag zuzulegen suchte. Nach Plagiatsvorwürfen verzichtete Scheuer 2014 darauf, den Doktortiel zu führen.

Chuzpe

Es blieb bei einer Delle im Lack. Motorschaden mit ihrer Dissertation hatten dagegen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU), Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes Silvia Koch-Mehrin (FDP) und zumindest vorübergehend Familienministerin Franziska Giffey (SPD), gleichwohl eine ähnliche Autofreundin wie Scheuer. Die grüne Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock jedoch, musste, obwohl sie sich nur eins der üblichen 08/15- Politikerlaberbücher zusammengeschlaucht hatte, den Thronverzicht auf den Kanzlerinnenstuhl hinnehmen.

Scheuer wirkte mehrfach zum Wohl des Deutschen Volkes. Er finanzierte von 2014 bis 2018 mit 551 Millionen von 1,6 Milliarden zur Verfügung stehenden Euro den Straßenbau zugunsten Bayerns, er setzte sich sofort auf die fehlerhaften Feinstaub- und Stickoxidberechnungen des Mediziners Dieter Köhler drauf und versprach eine Prüfung der Grenzwerte, was heißt, er wollte sie verwässern. Er ist gegen ein Tempolimit auf der Autobahn, was er als „gegen jeden Menschenverstand“ bezeichnete, was heißt, dass sämtliche Nachbarstaaten Deutschlands, inklusive des großen Bruders USA und praktisch alle Industriestaaten der Erde gegen jeden Menschenverstand handelten. Vom Tempolimit 80 auf Landstraßen oder 30 in geschlossenen Ortschaften will Scheuer gar nicht reden. Dass mit der „freien Fahrt für freie Bürger“, – dem einstigen ADAC-Slogan, hinter dem der inzwischen nicht mehr steht –, nicht nur der Klimaschutz verwässert, sondern unmittelbar Hun derte Menschenleben jährlich geopfert werden, interessiert ihn nicht. Aber das hat auch keinen CSU-Verkehrsminister vor ihm, keinen Armin Laschet (CDU) und nur wenige Sozialdemokraten interessiert, von der FDP und der AfD ganz zu schweigen. Beim Tempolimit versagt auch das Verfassungsgericht, das dies mühelos unter Verweis auf die grundrechtsgarantierte Unversehrtheit des Körpers und das Recht auf Leben, durchsetzen könnte.

Gefälligkeit

Scheuer erwies sich zudem als Freund der Konzerne Uber und Moia und wollte so den Taxi-Markt „liberalisieren“. Er verprellte so die Klientel, von der er hofft, dass sie ihn wählt: die Taxifahrer. Grandios auch sein Auftritt zusammen mit der Bundesbeauftragten für Digitalisierung Dorothee Bär 2019 in Front eines Flugtaxi-Dummies. Das sei die mobile Zukunft, verkündeten sie, konnten aber weder einsteigen noch die Propeller des CityAirbus anwerfen und schon gar nicht durchstarten. Denn das Gefährt hatte nicht einmal Türen, noch irgendwelche Flugtauglichkeit. So blieb das Paar auf dem Boden – allerdings nicht der Tatsachen. Der Moderne und Hanswurstiaden gegenüber aufgeschlossen, agierten beide auch schon mal auf der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises mit Lichtschwertern und Star-Wars-Waffen, wobei sich Bär in ein rotes „Wonder-Woman-Bustier“ samt hellblauem „Walküren-Metallrock“ zwängte, nach ihren Aussagen das Berliner Penda nt zum Dirndl. Man fragt sich, was Scheuer auf dieser Preisverleihung verloren hatte.

Natürlich tat Scheuer auch was für die Fahrradfahrer, ließ sexy junge Leute in allen Lebenslagen – nur nicht beim Fahrradfahren – mit Radhelm ablichten und versprach mehr Radverkehr. Eine Verordnung vom Juli 2020, die Bußgelder für Autofahrer bei überhöhter Geschwindigkeit ein wenig erhöhen sollte, scheiterte an einem Formfehler aus seinem Ministerium. Vielleicht war der Fehler gar unbewusst gemacht worden, denn Scheuers wahre Liebe gehört nicht nur Oldtimern, sondern dem Auto und der Autoindustrie. Sein jüngster Coup: Er will den Spritpreis – ganz Planwirtschaftler – ab zwei Euro pro Liter deckeln. Was man fürs Kfz und den gasgebenden CSU-Wähler nicht alles macht.

Höhepunkt seines Schaffens ist die Maut-Nummer, in der er als Erfüllungsgehilfe seiner CSU-Verkehrsministervorgänger und seines einstigen Chefs Horst Seehofer, gegen anfänglichen Widerstand der Kanzlerin („Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“), eine Verlustgeschichte im dreistelligen Millionenbereich servierte, den Vorwurf, das Parlament belogen zu haben und eine Aufklärung erfolgreich abwehrte. Der Grüne Hartmut Bäumer sprach gar von Korruption und Kostenverschleierung.

Erhabenheit

Was ist aber neu an Minister Scheuer. Neu ist, dass er im Unterschied zu Franz Josef Strauß trotz zahlreicher „Hunde“ die er „neigehaut“ hat, nicht zurücktreten musste. Wohl auch, weil Angela Merkel die schützende Hand über ihn hielt, um nicht erneut in Streit mit der CSU zu geraten, der im Fall der Flüchtlingskrise beinahe zum Auseinanderbrechen der Fraktionsgemeinschaft geführt hätte.

Insofern kann man auch Heiko Maas (SPD) als Politiker neuen Typs bezeichnen, denn auch das Afghanistan-Desaster brachte ihn, als Außenminister nicht einmal ins Wanken. Hier wollte es sich die Kanzlerin mit dem Koalitionspartner SPD nicht verderben.

Eine Politikerin neuen Typs ist auch – und diesmal ganz ohne Merkel-Einfluss – Franziska Giffey, eine Ost-Sozialdemokratin die wie eine Reinkarnation aus den 70er Jahren wirkt. U-Bahn- und Autofreundin, statt Straßenbahn- und Radverkehrsanhängerin, Gegnerin der Wohnen-Enteignungskampagne, kandidiert sie trotz Aberkennung ihres Doktortitels für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin und wird nach dem SPD-Sieg bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus wohl auch den Posten des Stadtoberhauptes einnehmen. Ob Andi Scheuer und Heiko Maas 2022 noch in der neuen Bundesregierung sitzen werden, ist fraglich. Da gibt es grüne, teils langhaarige Ambitionen. Undenkbar ist es nicht. Schließlich ist Minister Scheuer extrem schlagfertig. Das musste auch der Autor 2011 erleben als Scheuer, damals noch Staatssekretär, gegen ihn in der RBB-Talkshow „Klipp und Klar“ antrat und folgendes losließ: „Ich habe Sie eben mit einem iPhone gesehen, wie können S ie dann ein Autogegner sein.“ Das machte natürlich sprachlos.

Klaus Gietinger arbeitet als Filmregisseur, Sach- und Drehbuchautor. Sein jüngster Film „Eine S-Bahn für alle“ ist eben fertig geworden und unter dem Link youtu.be/A-cpaDsHAQw zu finden.

* Sechs-Minuten-Video: https://www.youtube.com/watch?v=0oy7ZbPbwjI&t=3s

Filmtipp:

„Eine S-Bahn für alle“ ist ein 25-Minutenfilm gegen die Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn unter – man möchte es nicht glauben – dem rot-rot-grünen Senat. Der Film entstand durch Crowdfunding und mit Unterstützung von Bahn für Alle. Autor: Klaus Gietinger. Link: https://klimabahn-film.de/

Der Film ist Teil eines größeren Dok-Films gegen die Zerschlagung der Bahn und gegen unsinnige Tunnel- und Bolzstreckenplanungen. Ein Film für Reaktivierungen und die vertaktete Flächenbahn.