Die Verhaftung von Carlos Ghosn, dem führenden Kopf des französisch-japanischen Autokonzerns Renault-Nissan-Mitsubishi, am 19. November 2018 in Tokio markiert einen neuen Höhepunkt in der Zuspitzung der internationalen Konkurrenz.
Der Anlass ist im Grunde lächerlich. Ghosn [gesprochen: Go:hn] wird vorgeworfen, sein Einkommen in den Nissan-Jahresabschlüssen zu niedrig angesetzt, gegen (nicht klar definierte) Finanzmarktregeln verstoßen und Privatwohnungen in anderen Ländern mit Firmengeldern finanziert zu haben. Es geht dabei maximal um zwei Dutzend Millionen Euro oder um einen Betrag in der Höhe eines Jahreseinkommens des Automanagers. Wobei der Herr in den letzten 25 Jahren Vermögen im Wert von einigen hundert Millionen Euro angehäuft haben dürfte. Ghosn ist seit 1996 Top-Manager bei Renault, seit Anfang der Nuller Jahre Top-Mann bei dem japanischen Autobauer Nissan, den er vor dem Bankrott rettete. Er dirigierte 2016 den Verbund Renault-Nissan in ein ergänzendes Bündnis mit Mitsubishi, ein japanischer Autohersteller, der zu diesem Zeitpunkt, ähnlich wie Nissan 1999, Kandidat für eine Insolvenz war. Bis zum 19. November hatte Ghosn bei Renault, bei Nissan und bei Mitsubishi unterschiedliche Führungsfunktionen, in jedem Fall war er der starke Mann der französisch dominierten Autoallianz. Ghosn strebte eine Verschmelzung der drei Konzerne, die bisher nur durch Überkreuzbeteiligungen verbunden sind, an – wobei Renault darüber hinaus Eigentümer der Billigmarke Dacia ist. Bereits 2017 war der Verbund Renault-Nissan rein rechnerisch das größte Autounternehmen der Welt. Mit der angestrebten Verschmelzung hätteder Konzern definitiv an der Weltspitze gelegen – mit jährlich rund 12 Millionen hergestellten Pkw.
Der Plan des Monsieur Ghosn zu einer solchen Verschmelzung dürfte der Grund dafür sein, dass er am Jahresende 2018 seit mehr als fünf Wochen in einer japanischen Gefängniszelle (angeblich nur 5 Quadratmeter groß) sitzt – ohne präzise Anklage. Es dürfte zugleich der Grund dafür sein, weshalb die Nissan- und Mitsubishi-Führungsgremien nur wenige Stunden nach seiner Festnahme beschlossen, ihn aus allen seinen Top-Positionen herauszukegeln – ohne auf eine juristische Entscheidung zu warten, bei völliger Missachtung des strafprozessualen Rechts, des sonst in bürgerlichen Kreisen so viel zitierten „in dubio pro reo“, wonach niemand als verurteilt gelten darf, der kein ordentliches gerichtliches Verfahren durchlaufen hat.
Es geht hier in erster Linie nicht darum, Tränen wegen der Verletzung der individuellen Freiheit eines Multimillionärs zu vergießen. Es geht darum, den Vorgang – übrigens mit Parallelen zur Verhaftung der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou in Kanada am 6. Dezember 2018 – zu verstehen. Im Kern geht es um die Verschärfung der internationalen Konkurrenz im Allgemeinen und um die Blockkonkurrenz im Besonderen.
Internationale Konkurrenz: Der Machtkampf in der Weltautobranche hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. Auch „Dieselgate“ spielt hier eine Rolle: Dieser Skandal wäre nie ins Rollen gekommen, wenn nicht US-Behörden aktiv geworden wären. Mit dem Skandal wurde ein Verbrechen, begangen von VW & Co, publik. Doch seine Aufdeckung nutzt natürlich auch der US-Konkurrenz.
Blockkonkurrenz: Die Weltkonzerne sind weiterhin eingebettet in vier große Blöcke: Nordamerika, Europa, Japan und China. Diese Blöcke sind bislang kaum von einem übergreifenden Finanzkapital, z.B. von Blackrock (siehe Seiten 14ff), durchsetzt und nicht miteinander verbunden. Und so wie Weltmarktkonkurrenz in Kriege umschlagen kann – siehe der Erste Weltkrieg – so werden auf individueller Ebene auch in den Rängen der Top-Kapitalisten die Auseinandersetzungen gelegentlich mit Verhaftung und Knast ausgetragen.
Als Daimler 1998 Chrysler (und später auch Mitsubishi) übernahm, waren Daimler und das deutsche Kapital Deutschland relativ stark und das US-Kapital und Japan relativ schwach. Sieben Jahre später, als die USA und Japan wieder erstarkt waren, flog die Allianz, die laut damaligem Daimler-Chef Schrempp „im Himmel besiegelt wurde“, auseinander. Als Renault 1999 Nissan übernahm, waren Nissan und Japan schwach und Renault und Frankreich, vor dem Hintergrund der Euro-Einführung, relativ stark. Heute ist es umgekehrt. Nissan ist kraftstrotzend; Renault und Frankreich kriseln.
Fast alles spricht dafür, dass die französisch-japanische Allianz zerfällt. Womit der französische Kapitalismus – nach Alstom – eine weitere, fast mag man sagen: die letzte industrielle Perle verliert.