Geht die Automobilindustrie den Weg der Druckmaschinenhersteller?
Der VW-Konzern hat einen drastischen Abbau der Belegschaft und Lohnkürzungen angekündigt, um den Verlusten an Marktanteilen und Absatz zu begegnen. Mit dem Plan, die Produktion auf den Bau von E-Autos zu konzentrieren, setzt die Konzernleitung die hochentwickelten speziellen Fähigkeiten der Belegschaft und der Zulieferindustrie aufs Spiel und folgt damit einem Rezept, das schon zum Niedergang der deutschen Druckmaschinenindustrie führte.
Elektrisch angetriebene Automobile enthalten viel weniger Teile als die mit Explosionsmotoren angetriebenen, die mechanisch aufwändig hergestellt werden müssen. Getriebe, Gangschaltung und Explosionsmotoren stellen hohe Anforderungen an die Fertigungstechnik. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Automobilindustrie beruhte auf einer historisch entstandenen besonderen Fertigungsweise an Fließbändern, bei dem jeder Einbauschritt vorgeplant und jedes Teil mit der erforderlichen Präzision gefertigt wird.
Automobile sind in Deutschland anders als in Japan oder den USA hergestellt worden, vorgefertigt und zusammengebaut vor dem Hintergrund einer ausgedehnten und spezialisierten Werkzeugmaschinenindustrie, die sich auf hochkomplex hergestellte Metallteile konzentriert. Dreiviertel dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten werden beim Bau eines Elektroautos nicht benötigt, weil kein Getriebe, keine Gangschaltung und kein Explosionsmotor mehr notwendig ist.
Kenntnis und Könnerschaft…
Wie man an Elon Musk sieht, lässt sich die Produktion von Elektroautos relativ problemlos starten, aber wenige Unternehmen können hochkomplexe Getriebe herstellen, die weiterhin überall dort notwendig sind, wo große Kräfte übertragen werden wie etwa bei Windrädern.
Durch Auslagerung finden sich viele dieser Fertigkeiten und die Anlagentechnik in der Zulieferindustrie, die Teile zur Endmontage in time anliefert. Bei Konzentration auf einfachere E-Autos wird nicht nur die qualifizierte Arbeit in den Montagewerken drastisch abnehmen, sondern dazu noch eine viel größere Reduktion des Arbeitsvolumens in der Zulieferindustrie stattfinden. Und diese Reduktion des Arbeitsvolumens durch Entlassungen, Leistungssteigerungen, Lohnkürzungen und Umschulungen wird auch in der Zerstörung von Produktionsfähigkeiten bestehen, die für andere Produkte noch dringend gebraucht werden.
Die VW-Konzernleitung hat unter Zustimmung der staatlichen Anteilseigener den Weg eingeschlagen, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten der Belegschaft im Montagewerk und bei den Zulieferern nicht zu erhalten und für andere sinnvolle Produkte zu nutzen, die nur mit diesen Fähigkeiten hergestellt werden können. Sie will die dazu qualifizierten Beschäftigten entlassen, die Anlagen zerstören und sich auf Elektroautos konzentrieren, deren Fertigung die Stärken beispielsweise des VW-Werks gar nicht erfordern.
Betriebsrat und Belegschaftsvertreter haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass die Werke auch für den Bau von Eisenbahnwagen, Straßenbahnen und elektrischen Kleinfahrzeugen eingesetzt werden sollten. Die Konzentration auf die Branche der Mobilität greift aber genauso kurz wie die Ausrichtung der Betriebsleitung auf Elektroautos.
Die Automobilindustrie in Deutschland droht, denselben Fehler zu begehen wie die Druckmaschinenhersteller, die angesichts ihrer Geldmacht »vergaßen«, worauf ihre Konkurrenzstärke beruhte. Als die Digitalisierung der Druckindustrie einsetzte und gleichzeitig weniger Produkte bedruckt wurden, weil Kommunikation vermehrt auf andere Weise, über Telefon, Bildschirm und Internet stattfand, konzentrierten sich die Hersteller von Druckmaschinen, die Weltmarktführer waren, in Produktion und Verkauf weiter auf die Kommunikationsbranche und verloren gegen die Konkurrenz von Büromaschinenherstellern und Telefonproduzenten, die in der Herstellung von Geräten auf diesem Feld besser waren.
…und deren Preisgabe
Als die IG Medien vor zehn Jahren über neue Fachrichtungen von Druckern und deren Ausbildung diskutierte, fand ein Einwand kein Gehör: Die Druckereien sollten sich nicht als Kommunikationsvermittler verstehen, sondern als Spezialisten, die in feinster Form Beschichtungen aufbringen können und dafür exzellente Maschinen hatten, die auch Schaltkreise, Schutzschichten und weiteres herstellen könnten. Die deutschen Druckmaschinenhersteller sind diesem Weg ihrer Produktionsfähigkeiten nicht gefolgt und stürzten von Weltmarktführern zu unbedeutenden Nischenproduzenten ab.
Die Tiefdruckereien sind den Weg der nachhaltigen Zerstörung während der vergangenen zehn Jahre noch schneller gegangen. Weil Kataloge mit Bildern in Fotoqualität viel weniger gedruckt worden sind und der Offsetdruck und Digitaldruck gleiche Qualitäten bei geringeren Auflagen billiger erreichten, sind beispielsweise alle drei bedeutenden Tiefdruckereien rund um Hamburg geschleift worden. Damit die Druckkapazitäten der Tiefdruckereien nicht mehr auf den Markt kamen, sind die Druckmaschinen und Anlagen von Broschek, Gruner und Jahr in Itzehoe und von Springer in Ahrensburg zerstört und in Schrott verwandelt worden – wo vorher fußballfeldgroße Maschinen standen, blieben nur Lagerhallen oder eine grüne Wiese übrig.
Eine ähnliche Zerstörung könnte der Automobilindustrie blühen, wenn sie sich nur auf die Erhaltung des Kapitals und die bisherige Branche konzentriert, anstatt die Produktivkraft, die in den vorhandenen Anlagen, den technischen Kenntnissen und den Fähigkeiten der Beschäftigten steckt, zu erhalten, um sie auch künftig nutzen zu können.
Es würde die absurde Situation entstehen, dass ein staatlich beeinflusster Konzern die CO2-Neutralität des Verkehrssektors dadurch zu fördern versucht, dass ein Großteil der bisher genutzten Anlagen, Maschinen und Fähigkeiten der menschlichen Arbeitskräfte weggeworfen und zerstört wird, um dann mit anderen neuen Anlagen, deren Herstellung Unmengen von CO2 in die Erd-Atmosphäre bringt, E-Automobile zu bauen, die im Betrieb weniger CO2 ausstoßen sollen, wenn sie denn mit Strom aus nachhaltiger Erzeugung betrieben werden.
Bei dieser privat organisierten, auf Gewinnerzielung ausgerichteten Produktion von falschen, viel zu schweren und zu schnellen Automobilen wird nur der damit erzielbare Gewinn und Geldwert der Produkte und Anlagen einbezogen und der Gebrauchswert der bereits vorhandenen Produktionsmöglichkeiten und deren Wirkung auf unsere Welt vernachlässigt. Bei einem Konzern wie VW, an dem der Staat mitbeteiligt ist, dürfte die Gewinnerzielung der Produktion nicht der Maßstab der Umgestaltung sein.
Weil es die Aufgabe dieses Staates ist, im Interesse der Gesellschaft zu handeln, Zukunftsentwicklungen vorauszusehen und zu steuern, könnte der Gebrauchswert der Anlagen, Werke und Fähigkeiten genutzt werden, um nachhaltige Produkte herzustellen, die die komplexe Produktionstechnik der bisherigen Benzinautomobile erfordern. Die Aufgabe des Staates in diesem Konzern bestünde gerade darin, den Nutzen der bisherigen Produktionsfähigkeiten zu ernten und auf andere Arbeitsfelder zu lenken, statt sie durch subventionierten Personalabbau zu zerstören zugunsten privater Gewinne.
Jürgen Bönig konnte als Mitarbeiter im Museum der Arbeit für die Abteilung grafisches Gewerbe die Beschränktheit der Druckmaschinenhersteller 28 Jahre lang hautnah beobachten.