Grafik: Cristiana Couceiro, entnommen der Web-Seite https://frauenstreik2019.ch/

Nach dem Frauenstreik ist vor dem Frauenstreik

Frauen empören sich – im Süden wie im Norden

«Si paramos todas, paramos todo», so der Aufruf zum Frauenstreik vom vergangenen 8. März 2018 in ganz Spanien. Der Streikaufruf lässt sich sinngemäss in „Wenn Frau will, steht alles still!“ übersetzen. Mit den zentralen Forderungen – Schluss mit der Gewalt gegen Frauen! – Schluss mit der Diskriminierung und Prekarisierung in der Erwerbsarbeit! – Schluss mit der alleinigen Verantwortung für die Haus- und Betreuungsarbeit! – haben sich sechs Millionen Frauen und solidarische Männer am Frauenstreik beteiligt. Etwas Vergleichbares hat Spanien bisher nie gesehen.

Der überwältigende Erfolg geht auf die Arbeit von vielen feministischen «Colectivos» zurück; viele von ihnen sind aus der Protestbewegung junger Leute der «Indignadas» und «Indignados» (die Empörten) hervor gegangen, die in Spanien seit 2011 gegen Sparprogramme, Erwerbslosigkeit, Bildungsabbau und für Gleichstellung zwischen den Geschlechtern auf die Strasse gingen. Zwar wird in Spanien von Wirtschaftsaufschwung geredet, dennoch gibt es für die Mehrheit der jungen Leute nur prekäre Jobs oder saisonale Beschäftigungen in der Tourismusbranche. Es waren auch diese feministischen «Colectivos» und viele Frauengruppen, die sich im Januar 2017 für die Anti-Donald-Trump-Märsche mobilisierten.

Aber den Ausschlag für den Riesenerfolg am 8. Märt 2018 war ein internationaler Aufruf, der von feministischen Gruppen aus Lateinamerika, namentlich aus Argentinien, für eine grosse Aktion im Jahr 2017 ausgegangen ist. Der Hintergrund des Aufrufs sind nicht zuletzt die unzähligen Frauenmorde im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Auch die spanische Öffentlichkeit wurde 2017 von fast fünfzig Morden an Frauen erschüttert, die in der Mehrzahl von ihren Ehemännern oder Partnern umgebracht wurden. Vor diesem Hintergrund riefen verschiedene feministische «Colectivos» für den 8. März 2018 zum Frauenstreik auf. Sie wollten Teil sein der internationalen Aktion. Alle sollten sich beteiligen, Frauen in Betrieben, im Haushalt, in Schulen und Universitäten.

Auf den Aufruf folgte die Mobilisierung: Ausgehend von Madrid wurden jeweils am 8. des Monats Versammlungen durchgeführt, die sich in kurzer Zeit in die spanischen Städte im ganzen Land ausweiteten. Es bildeten sich lokale Streikbündnisse, die Kundgebungen vorbereiteten, Schülerinnen und Studentinnen planten die Stilllegung des Unterrichts. Für die Betriebe organisierten Gewerkschaften systematisch zweistündige Streiks. Obschon die rechte, damalige Regierungspartei von Mariano Rajoy gegen den Frauenstreik trommelte – es handle sich um eine Aktion „feministischer Eliten“, nicht aber um Engagements der „realen Frauen“ –, fanden bei einer repräsentativen Umfrage 82 Prozent aller Spanierinnen und Spanier, dass es gute Gründe zum Streiken gebe.

So dominierte am 8. März 2018 die Farbe lila ganz Spanien. Tausende von Betrieben wie Schulen und Universitäten wurden bestreikt. Es beteiligten sich rund vierzig Prozent der Erwerbstätigen. Mehrere Millionen Frauen und solidarische Männer demonstrierten in 300 spanischen Städten. Es wurde auch der ermordeten Frauen mit den Worten: «Wir sind sehr viele heute, aber einige sind nicht mehr hier!», gedacht, was mit Slogans wie «Schluss mit diesem Machismo, wir haben genug!» beantwortet wurde.

Was ist ein Frauenstreik?

Bekanntlich ist ein Streik das wichtigste gewerkschaftliche Kampfmittel. In der Regel wird damit ein Betrieb oder eine Produktionskette lahmgelegt. Gestreikt wird für eine Forderung mit dem Ziel, ein Ergebnis zu erlangen – keinesfalls wird um des Streikes Willen gestreikt. Ein Frauenstreik hat eine noch umfassendere Dimension. Frauen haben in der Regel nicht nur Verbindlichkeiten an ihrem Erwerbsarbeitsplatz, sie haben auch Verpflichtungen in ihrem persönlichen Umfeld, seien es Kinder oder Angehörige, die versorgt werden müssen, oder ein Haushalt, der zu organisieren ist. Wenn ein gewerkschaftlicher Streik den Betrieb lahmlegt, legt ein Frauenstreik darüber hinaus das familiäre und soziale Umfeld oder die Privatsphäre lahm. Ein Frauenstreik schliesst die in keiner Gewerkschaft organisierten Arbeiterinnen des informellen Sektors ebenso ein wie die Sorgearbeiterinnen in den privaten Haushalten und prangert die in diesem Bereich vorherrschenden Arbeitsverhältnisse, die durch Ausbeutung und Gewalt geprägt sind, an.

Im Zentrum eines Frauenstreikes steht also eine Sichtweise, die nicht ausgeht von einer vermeintlich universellen Forderung, wie zum Bespiel Verkürzung von Arbeitszeiten, mehr Lohn oder gegen Stellenabbau. Die Dynamik ist eine andere, sie ist gerade umgekehrt: Sie geht vom Spezifischen aus, von den materiellen und symbolischen Bedingungen des Lebens der Frauen mit dem Ziel, das Gemeinsame aufzubauen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Es werden Forderungen aufgestellt, die in der Lage sind, alle einzubeziehen und darüber hinaus das patriarchale, rassistische und kapitalistische Fundament der Gesellschaft zu hinterfragen und anzuprangern.

«Wenn Frau will, steht alles still!»

Vor einem guten Vierteljahrhundert, am 14. Juni 1991, vermochte dieser Leitgedanke in der Schweiz eine halbe Million Frauen für einen Frauenstreik zu mobilisieren. Die damalige Ausgangslage war eine etwas andere als in Spanien oder in Lateinamerika der vergangenen Jahre. 1991 feierte die offizielle Schweiz ihr 700-jähriges Bestehen. Viele engagierte Frauen und Feministinnen boten diese Feiern einer männlich dominierten Schweiz, in der Frauen eine untergeordnete und rechtlose Rolle spielen, einen Anstoss für Debatten. Den Stein für einen Frauenstreik ins Rollen brachten aber Uhrenarbeiterinnen im schweizerischen Jura. Sie mussten nach zehn Jahren Existenz eines Verfassungsartikels, der gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit festschreibt, realisieren, dass sie immer noch weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Der damalige Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes beschrieb folglich den Frauenstreik als einen politischen Streik, der die Männerwelt in der Schweiz gehörig durchlüftet habe. Unter anderem konnte 1996 – also bereits nach fünf Jahren – das Gleichstellungsgesetz in Kraft gesetzt werden, was für schweizerische Verhältnisse beinahe sensationell ist. Das war ein Gesetz, das Regulierung vorschreibt in einer Zeit, in der dereguliert wurde.

Für einen feministischen Streik am 14. Juni 2019!

Und wieder wird es Zeit für einen Frauenstreik in der Schweiz. Da gibt es die Streikaktionen in anderen Ländern. Vor allem aber haben die Frauen hierzulande ganz einfach genug von den langsamen politischen Mühlen, insbesondere bezüglich der Frauenrechte. Vor bald 40 Jahren, am 14. Juni 1981, hat die Stimmbevölkerung einem Verfassungsartikel zur Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zugestimmt. Vor mehr als 20 Jahren trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft. Dennoch sind Löhne und Renten von Frauen immer noch niedriger als die von Männern. In der Schweiz arbeiten Frauen und Männer im Erwerbsalter bezahlt und unbezahlt ungefähr gleich viele Stunden, Frauen verfügen aber nach einer spezifischen Berechnung von Mascha Madörin pro Jahr über 108 Milliarden Franken weniger Lohneinkommen (inkl. aller Sozialleistungen) als die Männer. Ein besonders großer Prozentsatz von Frauen arbeitet Teilzeit, weil sie zwei Drittel der Arbeit im Haushalt, in der Küche, beim Waschen sowie bei der Betreuung und Pflege für Kinder, Enkel, kranke und pflegebedürftige Angehörige zu bewerkstelligen haben. Ohne diese unbezahlte Arbeit, die zum Wohlbefinden der Gesellschaft bedeutend beiträgt, würde die Schweiz ganz einfach nicht funktionieren.

Wie in vielen anderen Ländern wollen Frauen in der Schweiz mit einem Streik für Gleichstellung zwischen den Geschlechtern, gegen Sexismus und gegen Diskriminierung eintreten. Sie fordern ein Leben ohne Angst vor Angriffen, eine Erwerbstätigkeit ohne Angst vor Belästigung, zu Hause ein Leben ohne Angst vor Schlägen und Misshandlung: Wir fordern Respekt für unseren Körper und unser Leben! Allen Formen von Gewalt gegen Frauen muss ein Ende gesetzt werden. Das Recht auf Selbstbestimmung muss anerkannt werden, wie es im Streikaufruf heißt. Und weiter: Wir wollen eine Gesellschaft, die auf Gleichstellung und Solidarität beruht, ohne Diskriminierung, ohne Sexismus und ohne Gewalt gegen Frauen. Dies soll für alle, unabhängig von der Hautfarbe, Kultur, Herkunft, Religion, Nationalität, der sexuellen Orientierung, Geschlechteridentität, Alter oder sozialen Stellung gelten!

Am 14. Juni 2019 soll überall gestreikt werden: nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch zu Hause; es soll gestört, statt aufgeräumt werden, Strassen und öffentliche Plätze sollen besetzt werden. Wie 1991 sind solidarische Männer eingeladen, Unterstützung zu leisten. Zudem werden die Streikaktionen wie 1991 von den Gewerkschaften, ideell, materiell und logistisch, unterstützt.

Therese Wüthrich beteiligte sich am Frauenstreik 1991 und wird sich auch 2019 beteiligen. Sie ist Gewerkschafterin, journalistisch und publizistisch tätig und gehört der Redaktion von Lunapark 21 an. Therese Wüthrich lebt in Bern.