Unkonventionelle Geldpolitik und Geschlechterungleichheiten

Das schwierige Verhältnis zwischen Finanzökonomik und Genderstudies

Der Einfluss der europäischen Geldpolitik auf die Geschlechtergerechtigkeit ist weiterhin ein Stiefkind in der traditionellen Ökonomie sowie auch in der Genderforschung. Dies ist einerseits zurückzuführen auf fehlende Genderdaten, andererseits ist es exemplarisch für die getrennten Welten der Genderforschung und der Makroökonomie, die sich bis heute in noch verstärkter Form etabliert haben. Die Mainstreamökonomie geht nämlich davon aus, dass ökonomische Theorien auf der Basis von Differenzialgleichungen mit mathematisch formulierten Definitionen, Annahmen und Beweisen konzipiert und dargestellt werden. Sogenannte qualitative Theorien, die dieser abstrakten Logik nicht folgen, wird der Theoriestatus nicht zuerkannt. Andererseits und umgekehrt ist die qualitative Genderforschung nur begrenzt geeignet, die disziplinierende Rolle der Finanzmärkte mit der Explosion der Finanzinnovationen – wie z.B. im Fall des Handels mit Derivaten, mit Versicherungsprämien (CDS), mit hypothekenbesicherten Wertpapieren (CDO), mit neuen Exchange Traded Funds (ETF) und angesichts des Einflusses der großen institutionellen Fonds auf die Finanzmärkte (Private Equities, Hedge Fonds, Pensionsfonds) – aus einer Genderperspektive angemessen zu analysieren und zu kritisieren.

Die Defizite in der Genderforschung gehen darauf zurück, dass sie die kapitalistische Ökonomie vorwiegend in ihrer Funktionsweise als Produktionskapitalismus – also als reale Ökonomie mit Fokussierung auf Arbeitsmärkte und Sozialpolitik – konzipiert. Ausgeblendet wird dabei die zunehmende Dominanz des grenzüberschreitenden globalen Finanzkapitalismus, der sogenannten Finanzialisierung, die die finanziellen Rahmenbedingungen und Spielräume des Sozialstaates durch eine angebotsorientierte Wirtschaft stark einschränken. Diese finanzgesteuerten Ungleichheiten sind zu einem erheblichen Teil auf die außergewöhnlichen Maßnahmen der Zentralbanken – der sogenannten unkonventionellen Geldpolitik –zurückzuführen.

Unkonventionelle Geldpolitik als New Normal

Die unkonventionelle Geldpolitik wurde von El-Erian als „new normal“ nach der Finanzkrise 2007-2008 charakterisiert. Damit warnte er vor der gängigen Annahme in Policy-Kreisen, dass die Industriestaaten nach der Finanzkrise sich wieder in Richtung des Vorkrisenzustands normalisieren würden. Ein Zustand der zuvor als abnormal eingestuft wurde, wird nun zur Normalität. Aber auch dieser Zustand von new normal hat (meist männliche) Gewinner und auch viele Verliererinnen, zu denen nicht nur Frauen, sondern auch Niedrigverdiener mit kleinen Sparguthaben zählen. Denn die unkonventionelle Geldpolitik hat das primäre Ziel, durch den Kauf von Staats- und kommerziellen Anleihen genügend Liquidität für Banken bereitzustellen, um einen finanziellen Kollaps wie in den 1930er Jahren zu verhindern, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft zu fördern und zugleich ein Inflationsziel von ungefähr 2 Prozent zu erreichen. Tatsächlich sind durch den Kauf von Staatsanleihen die Renditen auf den Kapitalmärkten stark gefallen und die Realzinsen fast auf Null gesunken; zugleich verlor der Euro gegenüber dem Dollar stark an Wert (von €1.32 in 2014 auf €1.15 in 2018). Das Ziel einer höheren, rund zweiprozentigen Inflation, das vor allem von der Angst eines allgemeinen Preisverfalls verfolgt wurde, wurde nicht erreicht.

Ungeachtet der teilweise intendierten Auswirkungen (fallende Rendite von Staatspapieren, nahe Null Zinsen, und einen reduzierten Euro-Währungskurs) hat die unkonventionelle Geldpolitik auch unbeabsichtigte Nebeneffekte von Vermögensverzerrungen. Aktienpreise auf den Finanzmärkten sind durch die unkonventionelle Geldpolitik stark angestiegen. Nur kurze Zeit nachdem der EZB-Banknotenchef, Mario Draghi, im September 2015 in Reaktion auf die Turbulenzen der vorhergegangenen Wochen verkündigte, dass die EZB den Umfang, die Zusammensetzung und die Laufzeit des Quantitative Easing (QE) für den Kauf von Regierungs- und kommerziellen Anleihen in Höhe von 1,1 Billionen Euro durch ein zweites QE-Programm ersetzen würde, rasten die Börsenwerte der europäischen Aktien nach oben. Ähnlich waren die Auswirkungen des QE durch die US-Notenbank und die Bank of England. Kommentare in der Financial Times reagierten zunehmend kritisch auf die QE-Programme und deren Vermögensverzerrungen – u.a. mit Kommentaren wie „Central banks have made the rich richer“ und „QE acted like an ‚opaque tax‘ on pension funds“.

Der ehemalige Chef der US-Notenbank, Bern Bernanke, erklärte 2015 diese Verzerrungen folgendermaßen: So wie die Wohlhabenden mehr Vermögenswerte besäßen als die Armen und die Mittelklasse, so führt die Politik der US-Notenbank dazu, die bereits großen Disparitäten von Reichtum in den Vereinigten Staaten zu erhöhen.

Neu an dieser Diskussion ist, dass sich wissenschaftliche Arbeiten mit der Frage der zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheit und deren Auswirkungen auf ökonomisches Wachstum, politische Instabilität, soziale Spannungen und Anstieg des Rechtsradikalismus beschäftigen. Ökonomen haben zunehmend das auseinanderklaffende Verhältnis zwischen Einkünften von (meist männlich) Kapitalvermögensbesitzern und Lohneinkommen beklagt, es fehlt aber eine Genderperspektive. Somit werden KapitalvermögensbesitzerInnen und Lohnabhängige als geschlechtsneutral konzipiert. Dies hat auch damit zu tun, dass es in der Genderforschung bereits vor der Finanzkrise wenige empirisch fundierte Studien gab, die sich mit den unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Geldpolitik der Zentralbanken auf Frauen und Männer beschäftigten. Die Ausnahmen sind Alyssa Schneebaum, Wirtschaftsuniversität Wien, die durch ihre quantitative Methodik und innovative Analyse in der Studie zu Gender Wealth Gap in Europe wissenschaftliches Neuland betreten hat, sowie die amerikanische Ökonomin, Elissa Braunstein, die in ihrem Artikel zum Thema Central bank policy and gender, gleich zu Beginn darauf hinweist, dass es nur wenige Studien zur geschlechtsspezifischen Auswirkung der Geldpolitik gibt.

Makroökonomische Biases und deren geschlechtsspezifische Auswirkungen

Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass alle ökonomischen Prozesse eine Vielzahl von intendierten und unintendierten Biases beinhalten und diese offen gelegt werden müssen, dann sind die marktwirtschaftlichen Kriterien nicht die einzige Basis, die in die Bewertung von Volkswirtschaften und Firmen einfließen sollten. Dass diese Forderungen in der gegenwärtigen neoliberalen Politik des finanzdominierten globalen Kapitalismus unberücksichtigt bleiben, hat vor allem mit den geschlechtsspezifischen Biases zu tun, die von der traditionellen Ökonomie unreflektiert bleiben. Die Geldpolitik, ob neoklassischer oder keynesianischer Couleur, beinhaltet normative Annahmen und eine Verteilungsrationalität, die zu unterschiedlichen Verteilungsresultaten führen. Ausgeblendet wird in der traditionellen Argumentation der Geldpolitik, dass alle gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen gewisse Genderannahmen und Genderverzerrungen verkörpern und übermitteln. Biases sind somit eingeschrieben in Policy Rules, die sowohl geschlechtsspezifischer wie auch Klassen-Schichten-Rasse sein können. Geldpolitik als geschlechtsneutral zu deuten, heißt, dass einerseits die Finanzökonomie und die Bankenwelt die Normen und Praktiken ihrer Geldpolitik nicht hinterfragen müssen, andererseits, dass die Genderverzerrungen zu einer sozialen Frage reduziert werden. Denn die Auswirkungen der Genderbiases werden in den Statistiken der Arbeitsmärkte und in den öffentlichen Ausgaben sichtbar, nicht jedoch in der Geldpolitik. Dieser Tatbestand verschleiert die Tatsache, dass Finanzmärkte und deren Akteure mit existierenden Geschlechterverhältnissen interagieren, diese stabilisieren und auch verstärken.

Asset Bias durch unkonventionelle Geldpolitik der EZB

Die EZB hat 2011 eine Befragung von 62.000 Haushalten in 15 Eurostaaten durchgeführt und die Ergebnisse in dem Bericht The Eurosystem Household Finance and Consumption (HFCS) veröffentlicht. Dafür wurden detaillierte sozio-ökonomische Indikatoren erhoben wie z.B. die Haushaltzusammensetzung (ledig mit/ohne Kind; verheiratet mit/ohne Kind; Gender; Alter; Bildungsgrad; Vermögen durch Erbschaft; Beschäftigungsstatus; Netto Vermögen; Einkommensverteilung nach Quantilen u.a.) In Bezug auf Vermögenswerte wurden Immobilienwerte (Wohnhaus; andere Immobilien); risikoreiches Finanzvermögen (Investmentfonds, Anlagen und Aktien); sicheres Finanzvermögen (Einlagen, Lebensversicherungen, Private Altersversorgung) und Firmenvermögen (Selbstständigkeit) untersucht. Die Deutsche Bundesbank hat 2014 anhand dieses EZB-Surveys die unterschiedliche Aufteilung der Vermögenswerte in Haushalten untersucht (Titel der Studie: How do households allocate their assets?). Anhand der oben genannten sozio-ökonomischen Indikatoren kann man die Wahrscheinlichkeitsrate feststellen, welche Faktoren tendenziell wichtig sind, die zu Investitionen in risikoreiche Finanzvermögen führen. Die genderspezifischen Auswirkungen können derzeit nur von den Wahrscheinlichkeitsmodellen (Probit Models) der Studie abgeleitet werden, da Gender nur als männliche Referenzgruppe in der Deutschen Bundesbank-Studie ausgewiesen wird. Man kann aber annehmen, dass tendenziell in Haushalten mit einer Person als Haushaltsvorstand mit Kindern vor allem Frauen zu finden sind. Des Weiteren sind Frauen im unteren Quantil von Vermögen und Einkommen anzutreffen, einen niedrigeren Grad an Bildung haben und kaum von Vermögen durch Erbschaften profitieren. Die Gruppe, die sich am untersten Vermögensquantil befindet, besitzt demnach 3 Prozent von risikoreichen Finanzvermögenswerten. Im Vergleich dazu, besitzen die sich im höchsten 5 Prozent des Vermögensquantil befindenden Gruppe 55 Prozent risikoreichen Vermögenswerten. Wenn man Haushalte von Ledigen mit Kindern in den 15 Staaten der Eurozone vergleicht und man gleichzeitig annimmt, dass sich in dieser Kategorie mehr Frauen befinden, dann investieren Frauen in 12 von den 15 Eurostaaten kaum in risikoreiche Anlagen. Gleichzeitig gibt es eine positive Korrelation zwischen ledigen Männern ohne Kinder und deren Investment in risikoreiche Anlagen in 12 von 15 Euroländern. Wenn man weiter annimmt, dass Männer ein höheres Ausbildungsniveau als Frauen haben, dann zeigen Haushaltsdaten, dass Personen in Haushalten mit einem hohen Ausbildungsniveau zehn Mal mehr in risikoreiche Investments investieren (in Ländern wie Österreich, Deutschland, Spanien, Griechenland, Luxemburg, Portugal, Slowenien) als Personen in Haushalten mit einem niedrigen Bildungsgrad.

Generell zeigt die Studie, dass der Anteil der Beteiligung an risikoreichen Investitionen mit der Höhe von Vermögen steigt und dass der Besitz von risikoreichen Vermögenswerten mit dem Bildungsniveau und Besitz von Erbschaften korreliert. Der Besitz von Erbschaften ist ein wichtiger Faktor in der Vermögensbildung und erklärt gleichzeitig die zunehmende gesellschaftliche Vermögensungleichheit. Zwar sind die Ergebnisse der Studie der Deutschen Bank tentativ, es kann aber daraus abstrahiert werden, dass mehr (vermögende) Männer in risikoreiches Kapitalvermögen investieren als Frauen. Ein Grund dafür ist, dass die Aktienpreise auf den Finanzmärkten durch die unkonventionelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank stark angestiegen sind und Wohlhabende (meist Männer) in diese Vermögenswerte investieren. Dieses Resultat bestätigt die Aussage von Thomas Piketty in seinem viel zitierten Buch, Kapitalismus im 21. Jahrhundert, dass die Kluft zwischen Einkünften von (meist männlich) Kapitalvermögensbesitzern und derer, die auf Lohneinkommen angewiesen sind, stark angestiegen ist.

Brigitte Young ist (em.) Professorin für Internationale Politische Ökonomie, WWU Münster) und Gastprofessorin an vielen internationalen Universitäten. Sie wurde 2016 mit dem Käthe-Leichter-Staatspreis (Österreich) für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt ausgezeichnet. Ihre Arbeitsgebiete umfassen Finanzmärkte, Finanzmarktregulierung; Eurokrise; Globalisierung, und feministische Makroökonomie.