Kriminalgeschichte des Kapitals

Rezension zu Hannes Hofbauer „Diktatur des Kapitals“
Sebastian Gerhardt. Lunapark21 – Heft 27

Es gibt sehr unterschiedliche Kulturen der schriftlichen Kritik am Kapitalismus. Es gibt die empörten Autoren, die in jeder Zeile mit voller Stimmkraft vortreten. Es gibt die impressionistischen Beobachter, die philosophierenden Interpreten, die empirischen Forscher und die politischen Taktiker. Dieses Buch ist anderer Art. Denn der Autor ist vor allem Detektiv, der dem Gegenstand seiner Untersuchung ohne Zuneigung, aber mit lebhaftem Interesse verbunden ist.

Das schließt Empörung so wenig aus wie philosophische Bezüge oder die Erinnerung an Marx und marxistische Theoretiker. Doch sind all diese Elemente einem pragmatischen Zugang zur Aufklärung des Falles untergeordnet. Der hier behandelte Fall ist die Veränderung des Kapitalismus seit 1989. Denn anders als viele Linke im Westen geht unser Kollege aus Wien davon aus, dass das Ende des Ostblocks ein tatsächlicher Epochenwechsel war, dessen Folgen noch lange nicht ausgestanden sind, der vielmehr zu einem nachhaltigen Verlust von individuellen wie kollektiven Möglichkeiten der Selbstbestimmung geführt hat.

Wie jeder echte Ermittler begibt sich auch Hannes Hofbauer an die Tatorte. Er hat nicht nur gelesen, sondern selbst in Augenschein genommen. Souverän kombiniert er Eindrücke und Analysen, vergleicht wirtschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen in verschiedenen Ländern. Nationale Scheuklappen sind ihm fremd. Auch wenn die Länder Osteuropas wie in seinen journalistischen Beiträgen immer wieder im Zentrum stehen, so greifen seine Überlegungen doch weit darüber hinaus. Für ihn ist der Kapitalismus ein Weltsystem.

Ein schönes Ergebnis solchen Nachdenkens ist seine Schilderung, wie die Investitionsschutzabkommen sich seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts aus der Entkolonialisierung für das Kapital als Sachzwang ergeben haben: Nach dem Abzug der eigenen Truppen und Beamten musste ein funktionales Äquivalent zum Schutz von Kapital und Interessen gefunden werden, das der Unabhängigkeit anderer Länder zumindest formal Rechnung trug. Auf solche Einzelstudien aber beschränkt sich der Autor nicht. Ihm geht es um große Themen: Kapitalkonzentration und veränderte Spielregeln der weltweiten Konkurrenz, der Einfluss der USA und die Rückkehr Chinas in die erste Reihe von Weltmächten, Ökonomie, Politik und Alltagsleben. Den Fortschrittsglauben mancher Linker teilt er nicht. Im Gegenteil. Nach 200 Jahren postrevolutionärer Bürgerlichkeit und einer Öffnung in Richtung parlamentarisch-demokratischer Strukturen sieht er für die Gegenwart, dass sich „dieses demokratische Fenster“ wieder schließt. Reaktionäre und totalitäre Tendenzen bescheinigt er der schönen neuen Welt des Neoliberalismus, die mit der Finanzkrise 2008 keineswegs an ihr Ende kam.

Hannes Hofbauer schreibt eine Kriminalgeschichte des Kapitals, aber keinen Krimi. Er opfert die vielen interessanten Beobachtungen nicht einem einheitlichen Plot. Die Sache, nicht der Detektiv steht im Zentrum der Darstellung. Die Subjektivität des Autors steckt in den prägnant formulierten Einschätzungen, über die er gerne diskutiert. An einer Stelle allerdings schießt er sicher über das Ziel hinaus. Am Ende des Buches beschreibt er die Folgen der „Kommodifizierung aller Lebensbereiche“ als einen Verlust von „Souveränität oder Autonomie – beides von von unterschiedlichen politischen Szenen verwendete Begriffe für Selbstbestimmung“, und führt dann aus: „… der Mensch – insbesondere der junge Mensch – passt sich an die gegebenen Verhältnisse an.“ Sicher ist die Verherrlichung der Jugend auch nur eine Form des Konformismus. Aber sicher werden Menschen, insbesondere junge Menschen, auch in Zukunft sehr verschieden denken, fühlen und handeln. Und genau darauf setzt auch dieses Buch mit seinen Hinweisen, Anregungen und Provokationen.

Hannes Hofbauer. Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter. Wien 2014, 224 S., 17,90 Euro