Ist die Digitalisierung der Arbeitswelt für Frauen eine Chance?

In gewerkschaftlichen Kreisen, vornehmlich in den Frauenstrukturen der Gewerkschaftsorganisationen wird derzeit viel über die Digitalisierung der Arbeitswelt kontrovers diskutiert. Die zentrale Frage: Kann eine digitalisierte Arbeitswelt den beschäftigten Frauen der gleichberechtigten Berufs- und Erwerbstätigkeit zum Durchbruch verhelfen – was übrigens seit vielen Jahrzehnten immer wieder reklamiert wird; oder bringt sie letztlich eine weitere Verschärfung der Geschlechterdifferenz?

Befürchtungen und offene Fragen sind nicht unberechtigt. Selbst das World Economic Forum sagt, dass mit der zunehmenden Digitalisierung weltweit mehr als fünf Millionen Jobs verloren gehen, vornehmlich in Bereichen der Administration, Verwaltung und dem Handel. Wie wir wissen, gibt es in diesen Bereichen eine hohe Konzentration von weiblichen Arbeitskräften. Demgegenüber werden mit der Digitalisierung aber auch neue Jobs geschaffen, nach dem World Economic Forum in der Grössenordnung von zwei Millionen; vor allem in den Technologiebereichen Computer, Mathematik, Architektur und Planung. Es handelt sich in erster Linie um Fachgebiete, in denen Frauen stark untervertreten sind.

Immer noch ist die Berufswahl bei jungen Frauen und Männern vergleichbar mit derjenigen seit Generationen. Die Rollen(vor)bilder sitzen tief. Nach einer OECD-Studie wählen weniger als fünf Prozent der 15-jährigen Mädchen ein berufliches Betätigungsfeld im technologischen Bereich, bei den gleichaltrigen jungen Männern sind es 18 Prozent. Im Bereich der Technologieentwicklung ist in Europa der Frauenanteil in Führungspositionen gerade mal neun Prozent. In den Bereichen ICT und in der Kommunikation liegt ihr Anteil in Führungspositionen bei 19 Prozent. Im Vergleich zu anderen Dienstleitungssektoren sind Frauen in Führungspositionen sehr viel besser vertreten, nämlich 54 Prozent (European Parliament Report on gender equality and empowering women in the digital age; und Opinion oft he Advisory Committee on Equal Opportunities für Women an Men).

Mit anderen Worten, Frauen sind mit der Digitalisierung der Arbeitswelt mit mehr als einer Herausforderung konfrontiert. Nicht zuletzt kommt die ungleiche Verteilung und Verantwortung der Sorge- und Hausarbeit für die Familie dazu. Die Folgen davon sind bekannt: Soziale und kulturelle Stereotypen setzen sich fort, Zeitgestaltung, Planung einer beruflichen Karriere und sogenanntes lebenslanges Lernen werden behindert.

Demgegenüber kommt eine 2015 veröffentlichte Studie eines österreichischen Beratungsunternehmens zum Schluss, dass Frauen sozusagen die beruflichen Karrieregewinnerinnen der Digitalisierung seien. Der Studie zufolge seien Frauen den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt besser gewachsen als Männer. Unternehmen würden bereits reagieren und würden Mitarbeiterinnen zusehends für Führungsfunktionen vorbereiten. Oder in Diskussionen wird immer wieder festgestellt, dass Tätigkeiten, die soziale Kompetenz und Kreativität oder hochwertige persönliche Dienstleistungen (Pflegebereich) verlangen, auch in einer digitalen Arbeitswelt zukunftsfähig seien. Es lasse sich eben nicht alles digitalisieren.…

Dennoch gilt es, sich mit den Herausforderungen auseinander zu setzen und nach Lösungen zu suchen und sie zu verteidigen. Ein zentraler Punkt ist die Arbeitszeitgestaltung. Mit dieser Diskussion müssen wir die Chance packen und Modelle entwickeln, die es neben der Berufs- und Erwerbstätigkeit für beide Geschlechter in gleichem Masse eine partnerschaftliche Familien- und Hausarbeit möglich macht. Ausserdem muss eine Arbeitszeitgestaltung auch die Möglichkeit schaffen, neben der Berufs- und Erwerbsarbeit einer gesellschaftlichen und/oder politischen Arbeit nachzugehen.

Ein wichtiger Punkt in der Geschlechterdifferenz in unserer Arbeitswelt ist die lohnrelevante Bewertung der beruflichen Tätigkeiten. Wie wir wissen, werden berufliche Tätigkeiten, die vor allem Frauenberufe sind, insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales im Vergleich zu den männlich dominierten Arbeitsbereichen schlechter eingestuft und bewertet. Die Folge davon ist Diskriminierung beim Gehalt und bei Sozialversicherungen. Mit dem Entstehen von neuen Berufsfeldern und Tätigkeiten muss eine lohnrelevante Bewertung so realisiert werden, dass die noch existierende Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern überwunden wird.

Bei aller Diskussion um Digitalisieren muss die Wertschätzung des Menschen als arbeitendes Wesen verteidigt werden. Das sagt eine Kreativ-Freiberuflerin in einem Statement anlässlich einer gewerkschaftlichen Diskussionsveranstaltung: «Die Grundrechte des Menschen sind unantastbar. Als Kreativ-Freiberuflerin wirke ich darauf hin, die geistigen Berufe und die Konzeptkultur zu verteidigen. Unsere Zeit ist geprägt von Geschwindigkeit sowie digitaler und technologischer Vielfalt. Unter diesen Umständen gilt es, den Menschen intellektuell zu verteidigen und seinen Wert anzuerkennen. Nur so kann das Digitale auf eine gute Weise in die Arbeitswelt integriert werden, ohne dass schädliche Trends Überhand nehmen, die Quantität bevorzugt, die Qualität verdrängt, alles immer billiger wird. Ideen sind zu bezahlen.»

Und zum Schluss eine US-amerikanische Anekdote, die zum Nachdenken anregt: Ein Firmenchef und eine Gewerkschaftspräsidentin besuchen eine durch Roboter hochautomatisierte Automobilfabrik, in der nur noch wenige Menschen arbeiten. Der Firmenchef fragt die Gewerkschafterin mit einem hochmütigen Lächeln: «Wie willst du meine Roboter dazu bringen, für deine Gewerkschaft zu streiken?» Die Gewerkschafterin lächelt zurück: «Und wie willst du deine Roboter dazu bringen, deine Autos zu kaufen?»

 

Therese Wüthrich ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21