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Präsidentschaftswahl und US-Haushaltsstreit

Zwei Tage nach dem Sieg Donald Trumps trat in Washington D.C. der Offenmarktausschuss der US Zentralbank, der Federal Reserve (Fed), zusammen und beschloss eine weitere Senkung der Leitzinsen um ein Viertel Prozent. Sieben Wochen zuvor, auf der Zielgeraden des US-Wahlkampfs, hatte Trump eine erste Zinssenkung der Fed scharf kritisiert: Das sei eine rein politische Entscheidung zugunsten seiner Gegner! Nach seinem Sieg hat er keinen Grund mehr, sich über eine Lockerung der Geldpolitik zu beschweren. Tatsächlich folgt die Fed der Bewegung auf den Finanzmärkten. Trump übertrieb ihren Handlungsspielraum, weil er die reale wirtschaftliche Lage ebenso verschweigen muss wie die harte Arbeit der Republikaner im letzten Kongress für hohe Zinsen.

Der US-Leitzins ist eine Zielgröße: Mit eigenen Interventionen auf den Finanzmärkten versucht die Fed, die Zinsen für Tagesgeld auf den Zentralbankkonten in dem Rahmen zu halten, den sie für geldpolitisch geboten hält. In Anbetracht der enormen Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, gelingt ihr das in der Regel recht gut. Was aber geldpolitisch geboten ist, darüber haben die Finanzmärkte das letzte Wort. Der Tagesgeldsatz richtet sich nach den Preisen für kurzfristige US-Staatsschuldpapiere, die für eine Geldbeschaffung bei der Zentralbank als Sicherheit hinterlegt werden müssen. Die Orientierungsgröße (Benchmark) ist die Rendite auf Drei-Monats-Schatzwechsel des US-Finanzministeriums. Die Fed folgt, wenn auch nicht automatisch, den Entwicklungen dieser Preise. Und indem die Fed den Finanzmärkten folgt, übernimmt sie die kapitalistische Urangst vor zu geringer Arbeitslosigkeit. Im Laufe dieses Jahres stieg die Arbeitslosigkeit in den USA  bei allgemein guter Konjunkturlage leicht an und erreichte im Juli 4,3 Prozent – aus Sicht der Investoren eine rundheraus positive Entwicklung.

Neben der Entwicklung der Finanzmärkte hat die US-Zentralbank die Zinssenkung im September mit der Aussicht auf weiteres Wachstum begründet. Wie aber steht es aktuell um die größte Nationalökonomie? Einen groben Überblick ermöglicht die Entwicklung des »nonfarm employment«, der Beschäftigung außerhalb von Landwirtschaft, privaten Haushalten und des Militärs. Ein Blick zurück: Im Herbst 2007 lag diese Größe bei 138 Millionen Beschäftigten. In der Weltwirtschaftskrise ging sie bis November 2009 auf 131 Millionen zurück, um im folgenden langen Aufschwung bis auf 153 Millionen im November 2019 zu steigen. Dann kam Corona, im April 2020 waren es noch 130 Millionen, im Juni 2022 wieder 153, im September 2024 dann 159 Millionen Beschäftigte. Das langfristige Beschäftigungswachstum stützte sich auf den Rückgang der offiziellen Arbeitslosenzahlen um etwa 9 Millionen, die Mobilisierung der stillen Reserve, das natürliche Bevö lkerungswachstum und nicht zuletzt die Migration. Der Anteil der »foreign born employees«, der im Ausland geborenen an allen Beschäftigten nahm während des langen Aufschwungs von 15,5 Prozent 2009 auf 18 Prozent 2022 zu. Gleichzeitig sank die Arbeitslosenrate von 10 auf 3,6 Prozent, sie war 2022 wieder so niedrig wie vor Corona.

Der erfolgreiche Arbeitskampf der Automobilarbeitergewerkschaft UAW im Herbst 2023 und jüngst der Beschäftigten bei Boeing ist vor diesem Hintergrund eines engen Arbeitsmarktes zu sehen. Ein Selbstläufer war der Erfolg jedoch nicht: Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad lag 2023 im privaten Sektor insgesamt bei nur 6 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe bei knapp 8 Prozent. 14,4 Millionen Beschäftigte sind gewerkschaftlich organisiert. Fast die Hälfte entfällt auf die öffentliche Hand, hier beträgt der Organisierungsgrad 32,5 Prozent. Die Feindseligkeit gegenüber Gewerkschaften in den USA nimmt ab, ist aber weit über das große und kleine Unternehmertum fest verankert. Joe Biden war der erste US-Präsident, der jemals Streikposten besucht hat. Die Konjunkturlage ist immer noch gut – nur heißt das sehr verschiedenes für verschiedene Menschen.

Soziale und politische Konfliktlagen

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit je Beschäftigten blieb seit 2009 in Auf- und Abschwung stabil bei gut 34 Stunden. Die realen Wochenlöhne erreichten nach starken Schwankungen inzwischen wieder das Niveau von Anfang 2020. Dagegen stieg das reale Bruttoinlandsprodukt gegenüber 2019 um zehn Prozent. Der langfristige Trend ist ungebrochen: Produktivität und die realen Durchschnittseinkommen haben sich in den USA schon seit 1980 weit auseinanderentwickelt.1 Gerade Biden-Wähler:innen des Jahres 2020 sind von der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung enttäuscht. Der Anteil der Haushalte mit einem Notgroschen für drei Monate stieg von 2015 bis 2020 von 47 auf 55 Prozent, in der Kombination von Staatsintervention und gesunkenen Konsumausgaben in der Corona-Krise erreichte er 2021 sogar 59 Prozent. Seither ist er auf unter 54 Prozent zurückgegangen. Die Preissteigerungen der Jahre 2021 bis 2023 und die anhaltend hohen Zinsen werden vielfach den Demokraten ange lastet – und nicht etwa den Unternehmen, die ihre Profitmarge erhöht haben.2

Andere Konflikte sind mit diesen Daten gar nicht erfasst: Mit der Corona-Pandemie ging die Lebenserwartung in den USA um etwa 18 Monate zurück. Ein Ende der Klimakrise ist nicht abzusehen. Die letzten zehn Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Und der alte und neue Reichtum der Wenigen soll sich ganz offiziell in politischen Einfluss umsetzen dürfen. Anfang 2010 entschied der Oberste Gerichtshof der USA in einem Verfahren zur Wahlwerbung im Präsidentschaftswahlkampf 2008 zugunsten der konservativen Organisation Citizens United: Auch Wahlwerbung durch Firmen falle unter das Recht auf freie Meinungsäußerung – Firmen sind sozusagen auch bloß Menschen. Damit war einem neuen finanziellen Rüstungswettlauf und der Transformation der Republikanischen Partei Tür und Tor geöffnet.

Schon das Wahlsystem in den USA gibt den Republikanern Vorteile: Ihrer Wählerschaft jenseits der Großstädte kommt größeres Gewicht zu. Der Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Hilary Clinton half es nicht, dass sie 2016 mehr Stimmen als  Trump erhielt. Vier Jahre später konnte sich Joseph Biden durchsetzen. Seine Politik konnte er nur in Teilen realisieren, obwohl die Demokraten nach der Wahl 2020 zwei Jahre lang eine knappe Mehrheit im Kongress hatten. Industriepolitik? Ja. Finanzierung durch Steuererhöhungen für Gutverdiener und Unternehmen? Nein. Wenige konservative Demokraten reichten aus, um das zu verhindern.

2024 erklärten dieselben Leute, die 2020 die Niederlage Trumps gewaltsam in einen Machterhalt ummünzen wollten, dass sie die Wahlergebnisse gern akzeptieren – wenn ihr Kandidat gewinnt.  Ihr Kandidat hat gewonnen. Aber in der Vorbereitung des Verfassungsbruchs zeigen die Republikaner die Unfähigkeit der US-Eliten, Lösungen für zentrale Konflikte zu finden.

Kampffeld Haushaltspolitik

Der Staatshaushalt ist der mit Abstand größte Einzelposten der US-Ökonomie und deshalb heftig umkämpft. Im Jahr 2022 beliefen sich die Einnahmen der US-Regierung auf 4,9 Billionen Dollar, die Ausgaben auf knapp 6,3 Billionen, das Defizit betrug also fast 1,4 Billionen. In dieser Größenordnung musste sich die US-Regierung neu verschulden. Für einen Einzelmenschen sind das astronomische Summen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes sieht das anders aus: Die Einnahmen entsprachen 19,6 Prozent des BIP, die Ausgaben 25,1 Prozent, das Defizit 5,5 Prozent.

Kreditbeziehungen haben immer zwei Seiten: Auf der einen Seite die Gläubiger, die Geld verleihen, auf der anderen Seite die Kreditnehmer, die sich Geld borgen. Eine detaillierte Darstellung über die Finanzbeziehungen in der US-Wirtschaft liefert die sogenannte Flow-of-Funds-Rechnung der Zentralbank. Einen Überblick geben schon die darin enthaltenen Informationen über die Finanzierungssalden der drei großen Sektoren, der Haushalte und der privaten Wirtschaft, des Staates und des Auslands: Wenn ein Sektor mehr Kredite vergibt als aufnimmt, dann ist der Saldo positiv. Umgekehrt umgekehrt. Die Summe über alle drei Sektoren muss bei korrekter Erfassung Null ergeben – denn jede Kreditbeziehung hat zwei Seiten. Aus welchen Geschäften sich diese Kredite ergeben, ist aus den Salden nicht zu erkennen: Eine Beschreibung ist keine Erklärung.

Doch eine widerspruchsfreie Beschreibung ist mehr als nichts. Für die USA ist schon seit langem der Finanzierungssaldo des Auslands positiv, das ist das Spiegelbild des mehr oder weniger großen Leistungsbilanzdefizits der USA. Das Saldo des Staatshaushaltes war seit 2001 immer negativ, besonders deutlich in den Krisenphasen von 2009 bis 2011 und 2020/21. Vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 war auch der Saldo des privaten Sektors negativ, vor allem aufgrund einer massiven Kreditaufnahme der privaten Haushalte. Seit 2008 war die Ersparnis der privaten Haushalte immer höher als die Kreditaufnahme: Es wurden mehr Schulden zurückgezahlt als aufgenommen. Aufgrund der Konsumeinschränkungen während der Corona-Krise war der Positivsaldo der Privathaushalte 2020 in einer Höhe von fast elf Prozent des BIP besonders hoch. 2021 lag er noch bei über sieben Prozent – fiel aber 2022 auf nur noch knapp ein Prozent des BIP: Der Eindruck der US-Bürger:innen, dass nach  der Bezahlung ihrer Rechnungen 2022 nicht viel übrig geblieben ist, ist begründet. Der private Konsum ist real, also preisveränderungsbereinigt, gegenüber 2019 um elf Prozent gestiegen. Das ging aber nur, weil weniger gespart wird, denn die Realeinkommen nahmen nicht gleichermaßen zu.

Zur Stärkung der US-Wirtschaft setzt die Regierung Biden auf Wachstum, technologischen und ökologischen Umbau. Doch der Inflation Reduction Act vom August 2022 war ohne die geplanten Steuererhöhungen ein schiefer Kompromiss. Nach dem Sieg der Republikaner in den Wahlen zum Repräsentantenhaus wenige Wochen später nutzten diese die erste Gelegenheit, um die Regierung Biden patt zu setzen. Am 19. Januar 2023 erreichte die US-Regierung die Schuldenobergrenze von 31,4 Billionen Dollar, die vom demokratisch kontrollierten Kongress im Dezember 2021 beschlossen worden war. Während der Trump-Regierung waren Erhöhungen der Schuldenobergrenze nie ein Problem gewesen. Die Republikaner interessierten sich nur für Steuergeschenke an die Reichen, die Demokraten folgten ihrem Verständnis von Staatsräson und stimmten den Erhöhungen der Schuldengrenze zu. Nun aber war alles anders. Bis Anfang Juni 2023 folgte ein Tauziehen, das die US-Regierung fast an den Rand der Zah lungsfähigkeit führte. Wie sich das bei einem schlechten Schuldner gehört, sanken die Kurse der US-Staatsschuldpapiere und die Zinsen stiegen.

Drohung mit Staatsbankrott

Selbstverständlich hatten nicht alle unter den Republikanern vor, das Staatsschiff zu versenken, auf dem auch sie segeln. Aber sie sahen ihre Chance zur Schädigung des Präsidenten mit Blick auf die Wahlen 2024. Anders als im Herbst 2013 konnten sie weitreichende Zugeständnisse erzwingen.3 Der Financial Responsibility Act vom Juni 2023 legte der Regierung Biden finanzielle Handschellen an, bei den Ausgaben wie bei der Steuererhebung. Trotzdem kostete der Kompromiss den republikanischen Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus seinen Job. Und die Fortsetzung des Konfliktes ist schon beschlossen: Nur bis zum 1. Januar 2025 ist die Schuldenobergrenze ausgesetzt. Zum selben Termin laufen einige der Steuergeschenke aus, die Trump 2017 eingeführt hat. Viele reiche Leute wissen genau, warum sie diesen Kandidaten bevorzugten.

Die immer noch hohen Leitzinsen werden in den US-Medien mit der Notwendigkeit einer Bekämpfung der Inflation begründet. Dabei ist mit bloßem Auge erkennbar, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes und den Leitzinsen nicht besteht (siehe Grafik). Der Höhepunkt der Preissteigerungen war mit neun Prozent im Juni 2022 erreicht – zu dem Zeitpunkt lag der Leitzins nach ersten Erhöhungen bei 2,5 Prozent. Als die Zentralbank im Dezember 2022 von 4 auf 4,5 Prozent anhob, lag die Inflation noch bei 6,4 Prozent. Im März 2023 war der Leitzins bei 5, die Inflationsrate schon unter 5 Prozent. Seither ist der Leitzins höher als die Preissteigerung. Während die Inflation immer weiter zurückging, zeigte die Rendite der US-Schatzwechsel die Fieberkurve der politischen Krise um die Schuldenobergrenze. In der Hoffnung auf eine Lösung der Haushaltskrise gingen die Zinsen erst stark zurück – doch im Mai 2023 sti egen die Renditen der Schatzwechsel auf 6 Prozent. Auch nach der Vertagung des Konfliktes gingen die Renditen nur auf 5,5 Prozent zurück, so dass die Fed im Juli folgte und die Leitzinsen entsprechend erhöhte. Anders als 2013 gingen die massiv erhöhten Renditen für US-Staatspapiere nach Beilegung der Krise kaum zurück: weil der Haushaltsstreit nur vertagt, nicht gelöst war.

Es ging weiter im Streit um das jährliche Budget. Erst am 23. März 2024 wurde der Bundeshaushalt in Washington D.C. beschlossen – fast sechs Monate nach dem Beginn des Haushaltsjahres am 1. Oktober 2023, solange wurde mit der Fortschreibung des alten Haushalts regiert. Am 20. April folgte die Zustimmung für die Militärhilfe für die Ukraine (61 Milliarden Dollar), das Paket aus Militärhilfe für Israel (15 Milliarden), den Lieferungen für Gaza (9 Milliarden) und Extrakosten für US-Einsätze im Mittleren Osten (2 Milliarden) sowie die Unterstützung für die US-Verbündeten in Südostasien, vor allem Taiwan (8 Milliarden). Neben der Gefahr eines Staatsbankrotts gibt es nur ein Thema, dass auch Teile der Republikaner diszipliniert: die Erhaltung einer weltpolitischen Rolle für die USA – auch wenn in Washington keine Einigkeit darüber besteht, wie diese Rolle aussehen soll. Selbst nach den Zinssenkung vom 18. September und 7. November  sind die Leitzinsen der US-Zentralbank immer noch weit höher als die Inflationsrate. Ohne die Republikaner im Kongress wären die Zinsen in den USA schon lange deutlich niedriger.

Politische Alternativen

Im griechischen Mythos wird der schlaue Sisyphos von den Göttern bestraft, einen Stein den Berg hinaufzurollen, der immer wieder zurückrollt, ein ewiger mühsamer Kreislauf. Die Vorstellung von Arbeit als nie endende Strafe hat in Ausbeutungsgesellschaften ihre Berechtigung, auch wenn die Ergebnisse menschlicher Arbeit selbstverständlich nicht so einfach wieder rückgängig zu machen sind, wie ein Stein herabrollt, im Guten wie im Bösen. Und selbstverständlich sind es nicht vor allem Männer, die arbeiten.

Für die Menschen, die kein Vermögen anhäufen können, gilt auch politisch, dass sie oft wieder von Null anfangen müssen. Der demokratische Sisyphos versucht, der kapitalistischen Gravitation entgegenzuwirken. Trotz aller Kritik an Biden und Kamala Harris rief Bernie Sanders zu ihrer Wahl auf, obwohl damit nicht alle Probleme gelöst wären. Über Biden schrieb er, an seinen schlechtesten Tagen sei er tausendmal besser als Trump. Was das heißt, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Was tun? In Fragen der politischen wie jeder anderen Arbeit kann ein Hinweis hilfreich sein, den der schreibende Hafenarbeiter Reg Theriault einst für Sisyphos formuliert hat: Eine raue Stelle suchen, wo der Stein sich besser greifen lässt. Einen guten Halt finden, um sich hinter den Stein zu klemmen und ihn vorwärts zu wuchten. Und immer ein Stück Holz dabei haben, das man als Keil unter den Stein legen kann, um sich ein wenig auszuruhen. (How to tell when You’re  tired. A brief examination of work, 1995)

Anmerkungen:

1 https://www.epi.org/productivity-pay-gap/

2 Isabelle Weber/Evan Wasner: Sellers’ Inflation, Profits and Conflict: Why can Large Firms Hike Prices in an Emergency? https://scholarworks.umass.edu/econ_workingpaper/343/ ; Dean Baker: Is »Greedflation« over? https://cepr.net/is-greedflation-over/

3 Sebastian Gerhardt: https://planwirtschaft.works/2013/10/18/besen-besen-seis-gewesen/