Haben Automobil-Hersteller in Deutschland etwas falsch gemacht?
Die Automobilindustrie befindet sich weltweit in einer Überproduktionskrise inmitten der Umstellung auf Elektroautos. Haben die Autokonzerne in Deutschland eine Strategie, mit der sie der Absatzkrise und der Arbeitsplatzverluste Herr werden könnten?
Die Automobilindustrie, deren Produktion und Absatz sich in den vergangenen Jahrzehnten zu erheblichen Teilen nach China verlagert haben, ist wegen des Nachfragerückgangs weltweit nur gering ausgelastet. Die Zahl der weltweit produzierten Automobile stieg 2023/24 um rund zehn Prozent auf 80 Millionen PKW und lag damit weit unter der Produktionskapazität – um fünf Millionen Einheiten im Vergleich zu 2017. Die Automobilwerke in Deutschland waren im vergangenen Sommer nur zu zwei Drittel ausgelastet.
US-Präsident Donald Trump versucht mit politischen und militärischen Mitteln zurückzugewinnen, was die amerikanische Industrie durch mangelnde Produktivität an Absatz eingebüßt hat. Er setzt dabei auf Automobile mit Verbrennungsmotoren, deren Fertigung in den USA mit Hilfe von Zöllen und politischem Druck auf chinesische und europäische Hersteller wieder angekurbelt werden soll. Diese Strategie wird zu Preissteigerungen für die US-Konsumenten führen, zugleich aber, politisch erwünscht, zu mehr Beschäftigten und Lohneinkommen in den USA und Mexiko. Die Produktionskapazität für Automobile wird dadurch nochmals anwachsen und mehr Privat-Autos mit wachsendem CO2-Ausstoß auf die Straßen bringen.
Mit vollem Tempo in die Krise
Hätte sich der Absatzrückgang der deutschen Automobilindustrie voraussehen und vermeiden lassen?
Bereits bei Antritt der Ampel-Koalition und erst recht nach Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine war absehbar, dass die deutsche Automobilindustrie keinen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen leisten würde und wollte. Ein Tempolimit auf höchstens 130 Kilometer pro Stunde wurde nicht einmal erwogen.
Dabei haben ökonomische Interessen über physikalische Gesetzmäßigkeiten gesiegt: Der Energieverbrauch von Fahrzeugen wächst mit dem Quadrat der Geschwindigkeit und hängt von Gewicht und wirksamer Luftwiderstandsfläche ab. Ein Auto verbraucht aus physikalischen Gründen bei doppelter Geschwindigkeit viermal so viel Energie. Eine Begrenzung des Tempos auf den bundesdeutschen Autobahnen durch ein paar Schilder an den Grenzen hätte sofort den Energieverbrauch für den Verkehr und den CO2-Ausstoß erheblich gesenkt.
Die Entscheidung, Elektrofahrzeuge für Tempo über 130 mit einer akzeptablen Reichweite zu bauen, lädt den Fahrzeugen ein erhebliches Batteriegewicht auf, das aber immer mitgeschleppt werden muss, auch wenn sie nicht schneller als 130 Stundenkilometer fahren. Das Fahrzeuggewicht kann leicht zwei Tonnen oder mehr erreichen. Jede übergroße Batterie eines schweren Elektro-SUV reicht für vier bis fünf leichtere Elektrofahrzeuge, die bei Tempo 130 eine ähnliche Reichsweite erreichen wie die Straßenkampfpanzer.
Bei der Umstellung auf Elektro-fahrzeuge setzt die deutsche Automobilindustrie weiterhin auf schwere, spurtstarke und mit allen Spielzeugen ausgerüstete SUVs, die nun eben zu ihrem Gewichtsnachteil elektrisch betrieben werden. Auch Elon Musk verfolgt mit seinem Tesla die Strategie, die Reichen der Welt mit Elektrofahrzeugen zu bedienen. Insofern ist er – nicht nur in dieser Hinsicht – kein Innovator, sondern fährt mit Edelkarossen, von denen der Rest der Welt nichts hat als den Dreck und den Klimawandel, in eine Sackgasse des Verkehrswesens.
Ein Tempolimit hätte die Automobilindustrie auf einen zukunftssicheren Kurs gebracht, weil es ihr ermöglicht hätte, Automobile für die Welt insgesamt zu bauen oder wenigstens Anlagen zu deren Herstellung zu verkaufen.
Wenig Arbeit mit E-Autos
Welche Folgen haben schwere Elektroautos für Arbeitsplätze und Arbeitsvolumen?
Der Tarifvertrag bei VW und das Programm des kommenden Kanzlers Friedrich Merz setzen auf Kostenreduktion, Abbau von Produktionskapazitäten und geringere Einkommen für weniger Beschäftigte in der Automobilindustrie.
Ein E-Auto braucht im Gegensatz zu den mit Explosionsmotoren betriebenen Fahrzeugen keinen hochkomplexen Motor und das dafür notwendige Getriebe. Aufgrund ihrer Einfachheit können Elektrofahrzeuge viel leichter als Verbrennerfahrzeuge und weitgehend automatisch zusammengebaut werden. Ungefähr zwei Drittel des Arbeitsvolumens zum Bau eines Verbrennerautos fallen weg – und das sind gerade die anspruchsvollen, genaue Materialkenntnis und differenzierte Werkstoffbehandlung erfordernden Arbeiten.
Wollte man also den Produktionswert von Automobilen weitgehend durch den Bau von Elektroautos erreichen, müsste man mindestens drei- bis viermal so viele Automobile bauen wie gegenwärtig. Zurzeit verdeckt noch der überhöhte Preis den Umstand, dass sehr viel weniger Arbeit in einem mit Elektromotor betriebenen Fahrzeug und dessen Batterien steckt. Aber mit zunehmender Konkurrenz werden die bisherigen Preise nicht zu halten sein.
Fast 50 Prozent SUVs
War die Konzentration auf Sports Utility Vehicles eine gute Idee? Die deutschen Automobilhersteller haben ungeachtet des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 nicht auf Abgasreduktion und geeignete leichte und wenig PS-starke-Fahrzeuge gesetzt, sondern auf SUVs, die trotz hohem Gewicht und großem Luftwiderstand hohe Geschwindigkeiten erreichen. Gab es im Jahr 2000 noch kaum SUVs, machten sie 2023 mehr als die Hälfte der 14 Millionen von deutschen Herstellern produzierten PKW aus. So werden alle Abgasreduktionen ausgebremst, die durch Verbesserung der Wirkungsgrade erzielt wurden, und der CO2-Ausstoß für den Privatverkehr weiter gesteigert.
Deutschlands Autobauer halten daran fest, statt sparsamer moderner Autos für die ganze Welt teure Gefährte der Luxusklasse für die herrschenden Schichten in der ganzen Welt anzubieten. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft feststellte, machten Fahrzeuge der mittleren und oberen Mittelklasse und der Oberklasse 2023 etwa 22 Prozent der Gesamtproduktion in Deutschland aus, ein extrem hoher Wert im Vergleich zu anderen Produktionsländern.
Abgesehen von den ökologischen Folgen dieser Schwerstfahrzeuge ist das Segment äußerst gefährdet: durch den Aufbau ähnlicher Produktion in China, die angesichts nachlassender Kaufkraft der dortigen Mittelklasse auf den internationalen Markt drängen wird, und durch Zölle, mit denen die USA die Produktion zurück ins Land holen wollen.
Elektronische statt mechanischer Steuerung
Hat sich die Automobilindustrie durch sinnvolle Innovationskraft hervorgetan, auf die Merz, Wirtschaftsinstitute und auch Gewerkschaften setzen?
Der Dieselskandal 2015 brachte nicht nur den Betrug fast aller deutscher Hersteller ans Licht. Zugleich wurde klar, dass sich im Fahrzeugbetrieb und im Fahrzeugbau etwas grundlegend geändert hat. Die Behörden, die Auto-Typen genehmigen sollten, wurden durch eine Software getäuscht, die nur und spezifisch auf den Fahrzyklus des Abgastests reagierte. Das bedeutet, dass Automotoren heute nicht mehr so gesteuert werden wie vor Einführung elektronischer Schaltungen. Statt wie früher mechanisch geregelt, werden nun von Sensoren im Motor Werte ermittelt, die über elektronische Schaltkreise Zündung, Benzineinspritzung und weitere Funktionen auslösen.
Was für das Produkt gilt, gilt auch für Maschinen und Maschinenanlagen zu deren Herstellung. Letztere machen einen bedeutenden Anteil des Exports der deutschen Industrie aus. Wir befinden uns nicht in einer Industrie 4.0 der Vernetzung elektronischer Regelungssysteme, sondern immer noch in der dritten industriellen Revolution, in der mechanische Steuerungen für Maschinen und Anlagen durch elektronische Regelungen ersetzt werden. Schrittmotoren machen Maschinen dazu fähig, präzise Bewegungen auszuführen und jederzeit und schnell Produkte in einer bestimten Stückzahl herzustellen.
Kern der ersten industriellen Revolution waren nicht die Dampfmaschinen, sondern Werkzeugmaschinen, die Teile fertigten, aus denen dann Verarbeitungsmaschinen gebaut werden konnten, die Handgriffe von Menschen maschinell erledigten.
Durch elektrischen Antrieb und Schaltungen konnten in der Industrie 2.0 die mechanischen Steuerungen und deren Antrieb qualitativ verändert werden. Aber erst Computer und elektronische Signalverarbeitung ermöglichen es, Informationen und Steuerimpulse zu konfigurieren, so dass sie über Schrittmotoren und andere Steuergeräte den Herstellungsprozess automatisch vollziehen können – und das an beinahe jedem Ort der Welt, denn die Daten zur Konfiguration lassen sich einfach übermitteln.
Unter Einsatz elektronisch gesteuerter Werkzeugmaschinen und Montageanlagen erfordert die umfangreiche mechanische Fertigung von Fahrzeugen und deren Teilen, auch von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, ein deutlich geringeres Arbeitsvolumen.
In einem Automobil steckt heute trotz größerer Komplexität viel weniger an menschlicher Arbeitskraft. Sollte im Fahrzeugbau die gleiche Anzahl an Menschen beschäftigt werden wie bisher, müsste ein Vielfaches der gegenwärtigen Produktionsmenge gebaut und verkauft werden.
Durch die Digitalisierung in Kommunikation und Produktion sind die Produktivkräfte erneut an die Grenze der Produktionsverhältnisse gestoßen. Nur, weil Kapital sich verwerten muss, sollen mehr Automobile produziert und die Welt kaputtgefahren werden, statt die Möglichkeiten einer größeren Produktivität als sinnvolle freie Zeit zu genießen.
Freizeit oder Jobverlust
Helfen Innovationen gegen den Absatzrückgang? Industrie und Politik behaupten angesichts des Absatzrückganges, Innovationen könnten und müssten zu einer Steigerung der Produktion und des Produktionswertes führen. Für den Wert eines Produktes in Geld ist das Gegenteil der Fall: Innovationen, die zur Einsparung von Arbeiten und Arbeitsvolumen führen, bewirken langfristig einen Fall des Wertes des Produktes – dem nach anfänglichem Widerstand der Produzenten zur Erhaltung von Extraprofiten die Preise folgen. Technisch anders hergestellte Produkte sollen ja gerade nicht teurer sein, sondern billiger als die der Konkurrenten.
Innovationen können nur auf einem Umweg zur Steigerung des Wertes der Gesamtproduktion führen – indem das innovative Unternehmen dank eines geringeren Preises mehr von dem Produkt absetzt als die Konkurrenten – auf deren Kosten. Innovationen bedeuten immer auch, dass, infolge der Konkurrenz unter den Herstellern, Produktionsanlagen entwertet und zerstört werden – nämlich die der unterliegenden Konkurrenten. Auf Innovationen gegen die Konkurrenz zu setzen, bedeutet, die Zerstörung der Welt zu beschleunigen.
Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir der Welt zumuten wollen, die Produktivität des Elektrofahrzeugbaues und der elektronisch gesteuerten Maschinen durch ein Vielfaches an Produkten auszugleichen, um die gleiche Menge an Beschäftigten in Arbeit zu halten oder weniger zu arbeiten und andere sinnvolle Produkte mit den überflüssig werdenden Produktionsanlagen herzustellen.
Jürgen Bönig arbeitet für Lunapark21 mit an der Aktionszeitung – für eine Verkehrsindustrie mit Zukunft, deren zweite Ausgabe zum 1. Mai 2025 verteilt werden soll.
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