„Eine ganz neue Welt“ „Erkunden“ meint ausbeuten

Der Tiefseebergbau als neue Bedrohung

Anfang März hat das Projekt fair oceans des Bremer Vereins für Internationalismus und Kommunikation (IntKom) einen Aufruf verbreitet, der für eine zivilgesellschaftliche Initiative gegen den geplanten Tiefseebergbau wirbt.1 Hauptforderung: ein definitiver Stopp derartiger Pläne statt nicht endender Debatten über absehbar ins Leere laufende Moratorien. Zugleich kritisiert der Aufruf entschieden jeden Versuch, den Abbau unterseeischer Bodenschätze als notwendigen Beitrag zum Klimaschutz (!) zu rechtfertigen. – Tiefseebergbau: Wer will das, wer braucht das?

Ein kurzer Rückblick: Begonnen hat der Wettlauf um die Ressourcen der Meere schon 1973, als die UNO ihren dritten Versuch startete, ein internationales Regelwerk zur Meerespolitik zu schaffen. Erst 1982 konnte die UN-Seerechtskonvention (United Nations Convention on the Law of the Sea – UNCLOS) endlich verabschiedet werden2, brauchte aber weitere zwölf Jahre bis zum Inkrafttreten 1994. UNCLOS regelt in Grundzügen nicht nur den Seeverkehr, die Fischereirechte, den Meeresumweltschutz oder die Hoheitsgrenzen auf See: Die Meeresbodenschätze der Hohen See wurden zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt und auf Jamaika die International Seabed Authority (ISA) als UN-Behörde zur Verwaltung dieses Gemeinguts etabliert.

Seit den 1970er Jahren gieren westliche Industriestaaten einschließlich der BRD und ihre führenden Industriekonzerne nach Rohstoffen vom und aus dem Meeresboden. In Westdeutschland waren etwa die staatliche Preussag AG aus Hannover und die Frankfurter Metallgesellschaft AG engagiert, kamen aber praktisch nicht zum Zuge: Weder gab es maritime Technik für einen wirtschaftlichen Abbau unterseeischer Bodenschätze noch ökonomischen Bedarf angesichts der Erschließung neuer Rohstoff-Landlagerstätten. Trotzdem beantragte die Bundesrepublik 1984 bei der ISA erste Lizenzen, 1989 wurde im Ostpazifik in einer Wassertiefe von rund 4000 Metern ein mehr als 3,5 Kilometer durchmessendes Areal umgepflügt, um einen Abbau von Manganknollen zu simulieren: Die dabei angerichteten Schäden sind bis heute sichtbar, wie sich 2020 zeigte.3

Anfang dieses Jahrtausends erlebte die Gier nach Tiefseeressourcen neuen Aufschwung – durch drastischen Anstieg der Rohstoffpreise sowie durch Entwicklung potenzieller Fördertechniken. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) plädierte für deutsches Engagement im Tiefseebergbau – den obligatorischen Ruf nach Subventionen umschreibt der BDI verschämt als „Flankierung der Industrie“.4 In Hamburg wurde 2014 die Deep Sea Mining Alliance (DSMA) gegründet, aus dem Lobbyverein mittelständischer Technologiefirmen wurde inzwischen durch Mitglieder aus Europa und Asien eine Pressure group von internationalem Gewicht. 2019 etwa vereinbarte die DSMA eine Kooperation mit dem Norwegian Forum for Marine Minerals (NMM) zur gemeinsamen Exploration und Gewinnung von Metallen in Norwegens 200-Meilen-Wirtschaftszone im Atlantik und im Nordmeer.5

Aber das Hauptaugenmerk aller bislang mit Tiefseebergbau-Planung befassten Nationen und Firmen richtet sich auf den Pazifik: Dort sind nicht nur Manganknollen zu holen, darüber hinaus gibt es Kobaltkrusten von den Hängen unterseeischer Bergketten abzumeißeln; Knollen wie Krusten enthalten neben den namensgebenden Metallen auch Kupfer, Nickel oder Titan; ferner locken Sulfidschichten rund um so genannte Hydrothermalquellen („Rauchern“) am Meeresboden mit hohem Gehalt an Kupfer, Gold und Silber. Hinzu kommen viele weitere Metalle in jeweils kleineren Mengenanteilen.

Nicht nur rohstoffarme Industrieländer wie Japan, Südkorea oder Deutschland sehen im Tiefseebergbau strategische Perspektiven, auch andere Staaten wie China, Russland, Frankreich oder Indien scharren in den Startlöchern – und infolge der Aushöhlung ursprünglicher UNCLOS-Regeln können längst nicht nur Staaten, sondern auch Konzerne bei der ISA Lizenzen zur Exploration der Meeresressourcen erwerben. Ein bekanntes Beispiel dürfte der anfangs von kanadischen, südafrikanischen und russischen Investoren gehaltene Konzern Nautilus Minerals sein, der nahezu zehn Jahre lang versucht hatte, die Lagerstätte „Solwara 1“ in der Umgebung Schwarzer Raucher in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Papua-Neuguineas auszubeuten. Zwar unterstützte die Regierung des Pazifikstaates das Projekt mit vielen Millionen Euro, aber es gab auch massiven Widerstand zivilgesellschaftlicher Kräfte der pazifischen Inselwelt. Letztlich scheiterte Nautilus jedoch am schnöden Mammon – 2018 ging ein teures Spezialschiff verloren, im Folgejahr musste Nautilus Insolvenz anmelden. Weitere Konzerne allerdings treiben ihre Bemühungen heftig voran.

Staatlicherseits scheint derzeit China führend in den Bemühungen, aktiv Tiefseebergbau zu betreiben: Im Oktober 2019 meldete die Nachrichtenagentur Reuters, China werde „wahrscheinlich“ das erste Land der Welt sein, das mit dem Abbau beginnen könne; die ISA habe bereits 30 Verträge mit Regierungen und Firmen zur Exploration unterzeichnet, wobei China mit fünf Verträgen die meisten halte.[6] Anlässlich eines Tieftauchversuchs im Marianengraben Ende 2020 mahnte laut einem CNN-Bericht die chinesische KP zu weiteren Anstrengungen zum baldigen Tiefseebergbau: „Der Meeresboden ist eine ganz neue Welt. Wenn wir diese Welt nicht erkunden, werden es andere tun“.7

Dummerweise ist mit „erkunden“ – und nicht nur bei den Chinesen! – „ausbeuten“ gemeint: Ende Januar dieses Jahres erhielt der Staatskonzern China Merchants Industry (CMI) von der Klassifikationsgesellschaft ABS die branchenweit erste Zulassung für das technische Design eines Tiefsee-Bergbausystems. Der Prototyp sei im September 2020 erfolgreich in 1300 Metern Tiefe im Südchinesischen Meer getestet worden, meldete HANSA.8

Tiefseebergbau, schreibt fair oceans, stelle eine „qualitativ neue Nutzung der Tiefsee dar, die nicht nachhaltig und vorsorgend umgesetzt werden kann“. Politisch bedeute seine Freigabe, das gemeinsame Erbe der Menschheit zu verschachern, ökologisch eine der größten Bedrohungen des Meereslebens. Aber die Gier berge auch entwicklungspolitische Gefahren: „Ein weiteres Mal werden die Ressourcen für die Konsumansprüche der Industrienationen und Schwellenländer aus dem globalen Süden geholt und die Gesellschaften dort müssen den Preis für ihre Abhängigkeit vom Rohstoffmarkt, auftretende Umweltfolgen und soziale Ungleichheit tragen.“ Scharf wendet sich fair oceans gegen den Versuch der Industrie, den Tiefseebergbau zum Garanten der Klimawende zu stilisieren: Ohne ihn drohe eine Verknappung strategisch wichtiger mineralischer Rohstoffe für die Produktion alternativer Energieträger, Batterien oder E-Autos! Statt auf Kreislaufwirtschaft, Recyclin g, Sparsamkeit und Langlebigkeit zu setzen, werde so die Klimabewegung missbraucht: Tiefseebergbau gefährde, was Klimaschutz bewahren wolle – die Funktion der Ozeane als wichtigste Kohlenstoffspeicher des Planeten.

Der Aufruf von fair oceans richtet sich explizit gegen die Forderung nach einem Moratorium9 – denn dieser Ruf beinhalte immer die Option einer alsbaldigen Aufhebung und suggeriere so, dass Tiefseebergbau mittelfristig akzeptabel, sinnvoll und notwendig sein könne. „Einzig die Forderung nach einem Stopp des Tiefseebergbaus gibt dem Meeresschutz Priorität und eröffnet hinreichend Raum für einen nachhaltigen Umbau der Rohstoffnutzung als auch der Durchsetzung von Klima- und Rohstoffgerechtigkeit“10.

Burkhard Ilschner ist verantwortlicher Redakteur des Projekts WATERKANT: 1986 als maritime Zeitschrift gegründet, musste das Erscheinen Ende 2019 eingestellt werden; seither entwickelt sich daraus ein kostenloses digitales Informationsprojekt zur Meerespolitik: https://waterkant.info