Editorial

Betrifft: Tod Kostas Papanastasiou

Liebe Leserin, lieber Leser,

An einem Frühlingstag im Jahr 1972 – ich war 23 Jahre alt – standen zwei junge Griechen vor der Tür meiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Der eine wies sich als Kostas Papanastasiou aus. Er sei auf mich aufmerksam geworden, weil ich 1969 das Theater-Stück „Hellas Report“ verfasst hatte und mit diesem und einer kleinen Laienschauspielschar 1970/71 in verschiedenen westdeutschen Städten vor griechischen „Gastarbeitern“ aufgetreten war. Es war die Zeit der faschistischen Diktatur in Griechenland. Kostas und sein Freund baten nun mich und meine Frau, getarnt als Touristen, Material für den Widerstand nach Griechenland zu schmuggeln. Zuerst sollten es Waffen sein (das lehnten wir ab), dann war es Propagandamaterial in griechischer Sprache. Wir stimmten zu. Über die Hindernisse, die bei der Erledigung dieses Jobs für die „gute Sache“ auftauchten (bereits die Volkspolizisten an der Grenze Westberlin/DDR wurden auf unsere Koffer mit dem Propagandamaterial, das einigermaßen unprofessionell in die doppelten Böden eingelagert war, aufmerksam), ist an anderer Stelle zu berichten.

Festzuhalten bleibt: Griechenland war für mein politisches Engagement seit vielen Jahrzehnten ein entscheidendes Thema. Und als es im Frühjahr 2015, nach dem Wahlsieg von Syriza, die breite Solidarität mit der griechischen Bevölkerung gab, da gelang es einigen Freunden und mir, binnen weniger Wochen FaktenCheck:HELLAS zu gründen, bis Ende 2015 sechs Ausgaben dieser Zeitung mit insgesamt mehr als 500.000 Exemplaren zu drucken, eine Sonderspende in Höhe von 10.000 Euro in Athen den Freundinnen und Freunden der griechischen, linken Tageszeitung EFSYN-Zeitung der Redakteure in bar zu überreichen (es existierte eine Bank-Blockade!) und in mehreren Ausgaben von Lunapark21 das Thema Griechenland breit abzubilden. 2016 erschien das von dem LP21-Autor Nikos Chilas und mir verfasste Buch Die griechische Tragödie. Rebellion, Kapitulation. Ausverkauf. Es erschien im Frühjahr 2021 in Athen in griechischer Sprache.

Seit 1972 hatte ich mehrere Begegnungen mit Kostas. So in der Zeit, als er den Wirt Panaiotis in der TV-Serie „Lindenstraße“ verkörperte. Als es 1986 in der „Lindenstraße“ das erste Coming out eines Schwulen im Fernsehen gab, führte ich mit Kostas ein Interview für die Sozialistische Zeitung-SoZ. Kostas und seine Familie waren auch aktiv bei der Verbreitung von Fakten-Check:HELLAS. Die Gegnerinnen und Gegner von „Stuttgart21“ trafen sich oft nach unseren Aktionen vor dem Bahn-Tower in Kostas´ Berliner Kneipe Terzo Mondo, wo er spät am Abend nicht selten zur Gitarre griff und dabei meist Lieder von Mikis Theodorakis vortrug (siehe Nikos Chilas in Lunapark21, Heft 55).

Am 21. November 2021 starb Kostas Papanastasiou. Er war ein Freund und ein Kämpfer für eine gemeinsame große Sache, der wir weiter verpflichtet sind.

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2021 war in mancherlei Hinsicht ein Jahr mit harten Anforderungen an Geist und Physis, bedingt durch das Andauern der Covid-19-Pandemie. Wir versuchen der damit verbundenen Herausforderung in diesem Heft mit vier Beiträgen gerecht zu werden. Ans Herz legen möchte ich Euch respektive Ihnen unseren, dieser LP21-Ausgabe beiliegenden Bettelbrief: Ich kann versichern, dass bei uns jeder gespendete Silberling Gold wert ist.

Mit herzlichen Wünschen für erholsame Tage über Weihnachten und für einen guten Start ins Jahr 2022! Für das Lunapark21-Team, Winfried Wolf