Der Kampf ums Impfen

Vom Kapital getrieben, von der EU kontrolliert

Noch immer gibt es selbst in linken Kreisen Leichtgläubige, die der deutschen oder österreichischen Corona-Politik ihr Narrativ vorbehaltlos glauben, wonach es sich dabei um unumgängliche, alternativlose Maßnahmen zum Wohle der Volksgesundheit handeln würde. So selbstverständlich man es als kritischer Mensch durchschaut, dass Militäreinsätze der Nato oder der Bundeswehr nicht, wie von diesen argumentiert, für Demokratie, Frauenrechte und nationale Selbstbestimmung geführt werden, so schwer tun sich viele mit der Erkenntnis, dass Pharmariesen nicht die Gesundheit, sondern die Aktiendividende und den Börsenkurs im Auge haben. Politik im Klassenstaat folgt in beiden Fällen dem ökonomischen Primat.

Im anfänglichen Auf und Ab von Lockdowns konnte man die herrschende Verwirrung noch verstehen, immerhin handelt es sich um eine neue, gefährliche Krankheit. Beim nun dominierenden Kampf um die Impfung lichten sich nach und nach die Nebel. Die Interessen hinter der Corona-Politik werden sichtbar. Als der damals reichste Mann der Welt, Bill Gates, am Ostersonntag des Jahres 2020, dem Tag der Auferstehung Christi, in den ARD-Tagesthemen seine Vision von der Auferstehung der Menschheit nach dem viralen Fall zum Besten gab, nämlich, dass diese erst stattgefunden haben wird, wenn alle sieben Milliarden Menschen auf der Welt geimpft sein werden, schüttelten viele noch den Kopf. Doch der Mann meinte es ernst. Der aus einem evangelikalen Haushalt stammende Gates, mit Welterlösungsphantasien bestens vertraut, warf seine gesamte Expertise in Sachen Gesundheit und Medizin – also seine schiere Kapitalmacht – ins Feld, um Big Pharma, Biotech- und Kontrollindustrien den Weg aus der kapitalistischen Verwertungskrise zu weisen.

Heute ist allerorten von Impfzwang die Rede. Wer einen solchen vor sechs Monaten kommen gesehen und davor gewarnt hatte, wurde damals als Verschwörungstheoretiker abgetan. Die dritte Spritze liegt bereits im Tiefkühlfach, die vierte und fünfte ist bestellt. Die Produktion läuft auf Hochtouren. Und was ein paar Linke anfangs gefordert hatten, nämlich die Patentfreigabe der Corona-Impfstoffe, darüber lachen heute die Politiker und die Konzerne … sich ins Fäustchen.

Der Kampf um den immunisierenden Stich – wobei hier die Antwort auf die Frage ausgespart bleibt, wieweit dieser überhaupt zur Immunisierung beiträgt – zeigt in wirtschaftlicher Hinsicht wieder einmal, wie Kapitalismus funktioniert, und in geopolitischer Hinsicht, wen der transatlantische Raum als Feind seiner Interessen betrachtet. Die Gesundheitsfrage spielt, wenn überhaupt, eine Nebenrolle.

Über die Megagewinne der Pharmariesen in der tiefsten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist schon viel geschrieben worden, auch wird sich fallweise darüber empört. Hier soll nur eine Zahl des deutschen Pharmaunternehmens Biontech – es ist erst seit 2019 ein börsennotiertes Unternehmen – nachgereicht werden. Sein Umsatz, den es in der Hauptsache dem gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer vertriebenen Covid-19-Impfstoff verdankt, betrug im zweiten Quartal 2021 5,3 Milliarden Euro. Zur Orientierung die Zahl des Vergleichszeitraums von 2020: 41 Millionen. Das ist 130 Mal so viel innerhalb eines Jahres, eigentlich unvorstellbar. Der Gewinn belief sich im zweiten Quartal 2021 auf 2,8 Milliarden Euro, woraus eine märchenhafte Umsatzrendite von über 50 Prozent resultiert.

Mehr noch als solch obszöne Zahlen interessieren uns hier die Strukturen. Sie sind Kritikern kapitalistischer Akkumulation seit langem bekannt: Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Nichts Neues also, sollte man meinen. Neu daran ist allerdings die Dimension … und die fehlende Debatte darüber in weiten Teilen der Linken, die sich nach wie vor im Schockzustand befindet und auch nicht davor zurückschreckt, aus angeblicher volksgesundheitlicher Notwendigkeit der Impflobby die politische Mauer zu machen. „Wir impfen euch alle“ schrien gar sogenannte „Antifas“ den Maßnahmenkritikern auf der Straße entgegen.

Die Kosten ins Staatsbudget

Die Forschung im Zusammenhang mit Covid-19-Impfstoffen ist zum guten Teil von der öffentlichen Hand, also aus Budgetgeldern, finanziert worden. Impfstoffe waren bis dato kein besonders lukrativer Zweig der Pharma-Industrie. Weniger als fünf Prozent der Umsätze gingen vor der Corona-Pandemie auf Impf-Produkte zurück. Die Sozialmedizinerin Claudia Wild vom „Austrian Institute for Health Technology Assessment“ spricht es in einem Interview mit dem ORF am 9. April 2021 aus: „Es ist ein Mythos, dass die Pharmaindustrie sowohl das finanzielle Risiko als auch die gesamte Forschungs- und Entwicklungskosten trägt.“ Die teure präklinische Forschungsarbeit wird von der öffentlichen Hand getragen.

Laut BBC hat das Biotech-Unternehmen Moderna auf diese Weise 2,2 Milliarden Euro an Zuschüssen erhalten, bei AstraZeneca waren es 1,7 Milliarden Euro, Pfizer, Biontech und Johnson & Johnson konnten je 400 Millionen an Steuergeldern abgreifen. Auch die ganze Grundlagenforschung für die mRNA-Impfstoffe wird finanziell keinesfalls von den Pharma-Konzernen getragen. So war beispielsweise die Biochemikerin Katalin Kariko jahrelang an der Universität von Pennsylvania im Einsatz, um die Basis für genmanipulierte Bauanleitungen für Zellproduktionen im menschlichen Körper zu schaffen. Über eine Milliarde Dollar flossen dafür an öffentlichen Geldern an die Universität, wie der ORF berichtete. Die Uni gab nach erfolgreicher Forschung die Rechte an den neuen Entwicklungen an das Unternehmen CellScript weiter, das sie für je 75 Millionen Dollar an Biontech und Moderna verkaufte. Dass Katalin Kariko schließlich bei Biontech landete, ist in diesem Zusammenhang nu r mehr als Fußnote erwähnenswert. So funktioniert Kapitalakkumulation in privaten Händen: der Steuerzahler kommt erstens für die Forschung auf und muss dann zweitens noch den teuren Impfstoff berappen; und ein halbes Dutzend Konzerne streichen die Gewinne ein.

Apropos „teurer Impfstoff“: Moderna und Pfizer/Biontech haben für die zweite Tranche der Covid-19-Impfdosen ihre Preise kräftig erhöht. Mitte August 2021 gaben die Unternehmensleitungen bekannt, dass ein Stich künftig 25,50 Euro statt 22,50 (bei Moderna) und 19,50 Euro statt 15,50 (bei Pfizer) kosten wird. Brüssel, Berlin und die anderen EU-Hauptstädte nahmen dies stillschweigend zu Kenntnis. Das macht für den Haushalt der Europäischen Union bei 900 Millionen bestellten Dosen der zweiten Generation überschlagsmäßig 20 Milliarden Euro. Auf das deutsche Budget kommen 3,9 Milliarden Euro zu, auf das österreichische Budget weitere 900 Millionen Euro. Eine halbjährliche Impfpflicht, wie sie letztlich in Aussicht steht, entpuppt sich für Big Pharma als nie versiegendes Füllhorn.

Sputnik V verhindern

Dass auch außerhalb der Welt, die Medien und Politik als die „unsere“ wahrnehmen, mehr oder weniger erfolgreich an Mitteln gegen die Virusverbreitung geforscht wird, konnten hiesige KonsumentInnen im Februar 2021 erfahren. Damals erschien in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ ein Beitrag, der dem russischen Impfstoff Sputnik V eine hohe Effektivität und Sicherheit bescheinigte. Sputnik V wird als erster Covid-19-Impfstoff bereits seit August 2020 in russische Oberarme gespritzt. Wie bei seinen amerikanischen und britischen Gegenstücken sind Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, werden aber jeweils klein geredet. Doch darum soll es hier nicht gehen.

Frappierend war zu sehen, wie am Höhepunkt der Corona-Hysterie, als der Impfengpass in EU-Europa überall die Alarmglocken schrillen ließ, die Brüsseler Kommissare in Eintracht mit Berlin und den meisten anderen EU-Hauptstädten von russischen Angeboten nichts wissen wollten. Die EMA (European Medicines Agency) ließ die Prüfung schleifen, erklärte fehlende Nachweise für die Sicherheit zum Grund für die Nichtzulassung von Sputnik V und setzte immer wieder neue Fristen, die das Gamaleja-Institut in Moskau – der Entwickler des russischen Vakzins – angeblich nicht einhalten konnte. Klarer äußerte sich da schon der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, der sich auch um die Impfstoffe kümmert, Thierry Breton. „Absolut kein Bedarf“, meinte er Mitte März 2021 im französischen Fernsehsender TF1, angesprochen auf das russische Angebot. Ursula von der Leyen attestierte ihm pflichtbewusst.

Dass es Sputnik V vor Herbst 2021 dennoch auf den europäischen Impfmarkt geschafft hat, ist zum einen Ungarn zu verdanken. Ministerpräsident Viktor Orbán gab sich – wie in anderen Fragen auch – nicht Brüssel-hörig und bestellte wild drauf los: Bereits Mitte Februar 2021 stand Sputnik V impfbereit in Budapester Spitälern, auch der chinesische Stoff Sinopharm, den Orbán selbst zu sich nahm, war bald verfügbar. Dass Sputnik V gegenüber den US-amerikanischen Spritzen leichter handhabbar ist, hat ihm die Märkte in vielen Ländern geöffnet. Denn anders als die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna kann er auch bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden, was vor allem im Globalen Süden von Vorteil ist; in mehr als 70 Ländern, darunter in europäischen wie Serbien, Montenegro und Belarus, findet er Verwendung. Preislich wird er rund um die 10-Euro-Marke gehandelt.

Indirekt hat Sputnik V auch über den Kleinstaat San Marino in die Europäische Union Eingang gefunden. Die westlich von Rimini gelegene Republik ist kein Mitglied der EU, hat ihre Bevölkerung großteils mit dem russischen Impfstoff versorgt und im Nachgang dazu erwirkt, dass Brüssel in San Marino gespritzte Menschen auch dann zum Beispiel nach Italien einreisen lässt, wenn sie sich das russische Vakzin ins Fleisch stechen haben lassen. Der Abgeordnete der Linken, Diether Dehm, war übrigens eigens für die Anerkennung von Sputnik V durch Brüssel vor Ort in San Marino und hat die russische Spitze erhalten.

Bereits Ende Januar 2021 hatte der russische Staatsfonds für Direktinvestitionen für das Vakzin Sputnik V bei der EU-europäischen Arzneimittelagentur EMA um eine Zulassung angesucht. Seither harzt der Vorgang. Die Ausreden der Brüsseler Kommissare klingen seit Monaten gleich, erst am 4. August 2021 ließ sich von der Leyen wieder einmal mit dem Stehsatz vernehmen: „Bislang ist es dem Hersteller nicht gelungen, genügend valide Daten zu liefern, um die Sicherheit nachzuweisen“. In anderen Worten: Wir als Kommission stehen zu unseren westlichen Konzernen und sorgen dafür, dass der Rubel nicht in Russland rollt.

Hannes Hofbauer hat zuletzt zusammen mit Stefan Kraft den Band „Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“ herausgebracht.