Der Begriff ´Care-Migrantin´ hat viele Facetten

Die Präsidentin eines regionalen Spitexverbandes (Organisation für häusliche Kranken- und Altenpflege in der Schweiz) stellt fest, dass Angehörige erst in einer Notsituation Hilfe holen. Bei kritischen Situation würden oft Care-Migrantinnen eingesetzt. Die Angehörigen seien dann immer wieder der Meinung, dass die angespannte Situation unmittelbar erledigt werden könne. Das sei nicht immer der Fall. Häufig fehle den Care-Migrantinnen die fachliche Kompetenz, was in der Regel zu Überforderung führt. Hinzu komme die sprachliche Barriere, was zu schwerwiegenden Fehlern führen könne.

Allerdings meint die Spitexpräsidentin, die Situation mit Care-Migrantinnen sei nicht nur negativ. In einfachen und vorübergehenden Situationen können Care-Migrantinnen für Angehörige durchaus entlastend wirken. Oft seien Care-Migrantinnen allerdings eher «Gesellschafterinnen» oder «Haushälterinnen». Zudem können Care-Migrantinnen einer drohenden Vereinsamung entgegenwirken, was ebenso positiv zu werten sei. So könne ein Eintritt ins Pflege- oder Altersheim vermieden oder hinausgeschoben werden. Nicht zuletzt hätte der Einsatz von Care- Migrantinnen auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen.

In der Tat, greifen immer mehr Familien auf Frauen aber auch Männer vornehmlich aus Osteuropa zurück, die ihre Angehörigen zuhause pflegen; da Plätze in Pflege- und Alterseinrichtungen teuer sind. Aber Familienmitglieder und Angehörige sind sich oft nicht bewusst, dass sie einer Care-Migrantin genügend Erholungsraum gewähren müssen. So wird nicht nur die Gesundheit der Care-Migrantinnen auf das Spiel gesetzt, sondern auch arbeitsrechtliche Bestimmungen missachtet.

In den letzten Jahren hat sich demzufolge ein prekärer Arbeitsmarkt für Betreuungsdienstleistungen in Privathaushalten herausgebildet. Care-Migrantin ist der Inbegriff für Frauen, die in ihrem Herkunftsland oft kaum auf ein Auskommen zurückgreifen können, demnach zu uns nach Westeuropa kommen und in den Haushalten älterer Menschen Betreuungs- und zum Teil auch Pflegeaufgaben übernehmen, die in der Regel schlecht bezahlt ist: Sinngemäss eine Betreuung rund um die Uhr, aber für etwa sechs Stunden bezahlt. Kurz, die Arbeitsbedingungen von Care-Migrantinnen sind meist schlecht und prekär, arbeitsrechtlich kaum geschützt, mit mangelnder Sicherheit und kurzer Kündigungsfrist. Oft ist nicht klar, was zur Arbeits- und was zur Freizeit zählt. Care-Migrantinnen haben oft kein Privatleben und sind sozial isoliert. Erschwerend hinzu kommen oftmals der illegale Aufenthaltsstatus und eine unzureichende Ausbildung in der häuslichen Pflege.

Der Problembereich ist öffentlich erkannt und verschiedene AkteurInnen wie der Bundesrat, kantonale Arbeitsämter, Nichtregierungsorganisationen, Gleichstellungsbüros, Gewerkschaften suchen nach Verbesserung und Lösungsansätzen, was auch Gegenstand von verschiedenen wissenschaftlichen und politische Diskursen ist. Zudem hat die Schweiz die ILO-Konvention 189 «Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte» unterzeichnet. Aber nach wie vor ist allerdings unklar, wie sie umgesetzt werden soll. Immerhin hat der Bundesrat per 1. Januar 2017 die Stundenlöhne für Hausangestellte erhöht. Für Regulierungen von Arbeitsbedingungen sind die Gewerkschaften gefragt. Tatsächlich konnten Normalarbeitsverträge in verschiedenen Kantonen in Kraft gesetzt werden. Sie gelten hauptsächlich für den Gesundheits- und Sozialsektor und haben drei Hauptmerkmale: begrenzte Geltungsdauer, gilt subsidiär, wenn es in der betreffenden Branche keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt und die Mindestlöhne sind nach Regionen und gegebenenfalls nach Orten innerhalb des Geltungsbereichs des Normalarbeitsvertrages festzusetzen.

Bei vertraglichen Regulierungen, die gewerkschaftlich ausgehandelt wurden, lassen die Umsetzungen aber erkennen, dass Gewerkschaften ihr Verständnis von Arbeit weiter fassen müssen. Die Motivation der vornehmlich weiblichen Arbeitskräfte im Care-Sektor arbeiten zu wollen, geht über das Kriterium Lohn hinaus. Eine der grössten Herausforderungen ist die Doppelbelastung der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit; das heisst, unbezahlte Care-Arbeit beinhaltet auch Privatleben, Freizeit und Erholung für Care-Migrantinnen selber. Um das Problem in seiner ganzen Tragweite erfassen zu können wären Bündnisse für den Bereich der Care-Arbeit für Gewerkschaften ganz grundsätzlich wichtig. Gemeint sind Bündnisse nicht nur untereinander, sondern im weiteren Sinne mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Frauenrechts- und Migrationsgruppen, Angehörigenvereinigungen und Betroffenenorganisationen. Den bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit sind eng miteinander verknüpft. Beide Betätigungsfelder werden mehrheitlich von Frauen geleistet und sollten zusammen gedacht und bearbeitet werden.

An der Tagung von Mitte Mai 2017 an der Uni Zürich zum Thema Bezahlte Arbeit in Schweizer Privathaushalten wurde auch zur Begrifflichkeit «Care-Migrantin» gearbeitet. Es wurde festgestellt, dass der Begriff die Mobilität der Betreuenden hervorhebt und sie mit dem Status Migrantin etikettiert. Die Folge davon ist Festschreibung der persönlich schwierigen Situation der Betreuenden: Das heisst, sie wird isoliert von ihrem Arbeitsort in der Schweiz. Daraus kann ein nicht landesüblicher Lohn gerechtfertigt werden, was den Kampf für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen erschwert. Zudem werden mit Hilfe der spezifischen medialen Diskussion mit dem Begriff «Care-Migrantin» Ungleichheiten gerechtfertigt und zementiert. Während die Verantwortung der Familien, die eine Care-Migrantin beschäftigen, ausgeblendet wird. Was ist daraus zu lernen? Die Macht der Sprache in Bezug auf Rechtfertigung und Aufrechterhaltung von Ungleichheiten muss weiterverfolgt und hinterfragt werden. Zum Beispiel wo und wie wird der Begriff «Care-Migrantin» verwendet wird. Fazit: Es müssen andere Begriffe gefunden und angewendet werden.

Die Autorin ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21. Die nächste Print-Ausgabe von Lunapark21 (Heft 38) erscheint am 20.6. und ist zwei Tage später auch am Kiosk erhältlich.