Chinesischer Kapitalismus

Aufholen, übertreffen oder überwinden?
Andrea Komlosy. Lunapark21 – Heft 29

Der Aufstieg Chinas ist ein geflügeltes Wort. Die einen fürchten, die anderen bewundern ihn, und noch andere setzen all ihre Hoffnung auf eine postkapitalistische Zukunft auf das „Reich der Mitte“. Tatsächlich zeugen die hohen Wachstumsraten des Nationalprodukts, der Exporte und der Handelsbilanz, die explodierenden Städte mit ihren hochschießenden Türmen, Industriezonen und Hochgeschwindigkeitsverbindungen von einem enormen Aufholen des Landes, jedenfalls wenn man die vom Westen vorgegebenen Standards und Entwicklungsziele zugrunde legt.

Noch vor 40 Jahren war China vom Weltmarkt abgeschottet, kannte weder Kapitalakkumulation noch Arbeitsmarkt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebte auf dem Land in einer Art von Dorfkollektiven (Volkskommunen), die sowohl agrarische wie gewerbliche Produkte herstellten. Lediglich für Investitions- und Massenkonsumgüter gab es große Fabrikindustrie; Wohnraum, Arbeitsstellen, Studienplätze und Konsumgüter waren staatlich zugeteilt. Die Autarkiepolitik der Mao-Zeit wurde durch die radikale Kehrtwende in Richtung „Öffnung und Reform“, die Parteichef Deng Xiao Ping 1978 erklärte, obsolet. Die in Exportindustriezonen gegründeten privaten Verarbeitungsunternehmen spezialisierten sich in der Folge auf genau jene Zulieferaufgaben, die westliche Multinationale Konzerne im Gefolge von Weltwirtschaftskrise und neoliberaler Wende von einem Billiglohnland erwarteten.

In den kommenden Jahrzehnten stieg der Anteil der Privatbetriebe massiv an; strategische Unternehmen im Infrastruktur-, Schwerindustrie- und Investitionssektor blieben jedoch in Staatshand und wiesen erheblich bessere Arbeitsbedingungen auf als in den verlängerten Werkbänken, wo so gut wie keine arbeits- und sozialrechtlichen Auflagen existierten. Damit die Exportzulieferindustrie der Küstenzonen boomen konnte, wurden die kollektiven Bindungen der Dorfwirtschaft gelockert und die Mobilitätsbeschränkungen aufgehoben: So konnten Menschen, die bisher auf dem Land lebten, als Arbeitskräfte in die Küstengebiete und Städte des Ostens ziehen und sich in der Industrie verdingen. Eine dauernde Niederlassungserlaubnis (hukou, entspricht am ehesten dem Heimatrecht, das soziale Leistungen an eine rechtliche Zuordnung zum Aufenthaltsort bindet) war damit nicht verbunden. Die Zuwandernden werden dementsprechend als Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter (dagongmei, dagongzai) oder als BauernarbeiterInnen (mingong) bezeichnet: sie leben in Wohnheimen und Containern auf dem Firmengelände; wenn sie genug angespart haben, die Beschäftigung verlieren oder Pflege brauchen, kehren sie in die Dörfer zurück, wo die Zurückgebliebenen freilich von deren Versorgung überfordert sind. Die zweite Generation von Wanderarbeitskräften lässt sich diese Bedingungen nicht mehr gefallen: Sie verlangen soziale Rechte am Arbeitsort und gibt ihrem Unmut über die extreme Ausbeutung in einer Unzahl von Protesten und Streiks lautstarken Ausdruck.

Unterdessen hat die chinesische Führung, die das Mischungsverhältnis von Liberalisierung und Regulierung minutiös steuert, eine „zweite Runde von Übergang und Reform“ verkündet. Anstatt wie bisher Zuliefereraufgaben im Billiglohnbereich zu übernehmen, sei nun – so ein Strategiepapier des „China Institute for Reform and Development“ (2011) mit dem Titel „Vorrang für den Wohlstandszuwachs der Bevölkerung“ der Übergang zum Hochlohnland angesagt. Voraussetzung dafür sei, wie auch im Fünfjahresplan 2011-2015 bekräftigt, die Stärkung der high-end Positionen in der Verarbeitungsindustrie und der Ausbau technologie- und wissensbasierter Sektoren. Gesetzliche Weichenstellung wurden durch das „Arbeitskontraktgesetz“ (2008), das „Sozialversicherungsgesetz“ (2010), Mindestlohnverordnungen auf Bezirks- und Provinzebene sowie Schlichtungsstellen für Arbeitskonflikte vorgenommen. Auch wenn diese nur unvollständig umgesetzt werden, gehören die „gesetzlosen“ Zeiten der Vergangenheit an: nicht nur stiegen Lohn- und Sozialkosten für Unternehmer seitdem sprunghaft an, auch Bankkredite und staatliche Unterstützung sind für Kontraktfertigung nicht mehr zu bekommen. Wer als Unternehmer überleben will, muss sich auf höherwertige Produkte bzw. wertschöpfungsintensivere Aufgaben in der Güterkette konzentrieren. Oberstes wirtschaftspolitisches Ziel ist überhaupt die Überwindung von verlängerter Werkbank zugunsten eigener Markenprodukte und Kontrolle über den Gesamtprozess von der Forschung & Entwicklung über die Verarbeitung bis zur Vermarktung.

Ob und wie China den anpeilten Sprung zum Hochtechnologie- und Hochlohnland bewerkstelligt, wird sehr kontrovers diskutiert. Ohne auf wirtschaftlichem Gebiet eine Zentrumsposition einzunehmen, ist an die Übernahme einer globalen Führungsrolle nicht zu denken; eine solche ergibt sich gleichwohl nicht automatisch aus dem Erfolg nachholender Entwicklung. Ob der chinesische Weg überhaupt zu globaler Hegemonie, wie sie im 20. Jahrhundert von den USA ausgeübt wurde, führt oder ob vielmehr ein dritter Weg zwischen Kapitalismus und Planwirtschaft angestrebt wird, ist ein wichtiger Aspekt beim Thema: „Gehört das 21. Jahrhundert China?“ Als diese Frage im Juni 2011 auf einer Konferenz mit prominenter Besetzung (Niall Ferguson, Henry Kissinger, David Daokui Li, Fareed Zakaria) in Toronto zur Debatte kam, sprach sich das Publikum mit 62 kontra: 38 pro Stimmen dagegen aus.

Zentrum oder Entwicklungsland?
Peter Nolan, China-Spezialist am Zentrum für Entwicklungsstudien an der Universität Cambridge in Großbritannien äußert sich in seinem Buch „Is China Buying the World“ (2012) dezidiert: Nach zwei Jahrzehnten rapiden Wachstums, bestehe nach wie vor eine große Kluft. Nolan würdigt die enormen Erfolge chinesischer Staatsunternehmen, sich in modernen Sektoren wie Nuklear- und Solartechnologie, Flugzeuge, Hochgeschwindigkeitszüge, Telekommunikation und Biotechnologie zu verankern. Wenn er die Ergebnisse mit US-amerikanischen, britischen, deutschen und französischen vergleicht, kommt er jedoch zu einer beunruhigenden Bilanz. Die Konzerne dieser Staaten reagierten auf die Krise der 1970er Jahre mit einer enormen Konzentration (Übernahmen und Fusionen), einer Technologieoffensive und dem Abstoßen und Auslagern weniger profitabler Bereiche. China, wenn es auch das am besten dafür gerüstete Land unter den Schwellenländern war, konnte mit dieser Offensive nicht mithalten: Dies zeigt sich an der fast völligen Abwesenheit chinesischer Unternehmen unter den Listenführern von Forbes und Financial Times. Auch das Ungleichgewicht der ausländischen Direktinvestitionen (ADI) macht dies deutlich: Während sich der Westen („wir“) über Joint Ventures und Beteiligungen in die chinesische Wirtschaftslandschaft einkauft, fallen Chinas Auslandsinvestitionen nicht ins Gewicht. Dem ADI-Bestand in China von 473 Milliarden US-Dollar standen chinesische ADI in Höhe von 229 Milliarden US-Dollar gegenüber (2009). Zwei Drittel davon erfolgten zudem in Hongkong und Macao. Der Handelsbilanzüberschuss mit westlichen Staaten kann dieses Ungleichgewicht nicht ausgleichen, spiegelt er doch gerade die Exporte wider, die auf den niedrigen Gestehungskosten basieren. Aus chinesischer Sicht heißt dies: „I have you within me, but you do not have me within you“, folgert Nolan in Anspielung an eine Formulierung des damaligen US-Arbeitsministers Robert Reich in der Harvard Business Review 1990/ 91: „Who are we? Who is them?“

Ausländische Unternehmen in China konzentrieren überproportionale Anteile von Wertzuwachs, Gewinn und Export auf sich. Chinesische ADI liegen hingegen häufig in Sektoren, die für westliche Unternehmer nicht mehr profitabel sind; eine Reihe von Übernahmen in Bereichen, die im Westen als strategisch wichtig gelten, wurden dort überhaupt verhindert. Ein prominentes Beispiel dafür ist der US-amerikanische Ölkonzerns Unocal, dessen Erwerb 2005 durch CNOON vom US-Kongress zu Fall gebracht wurde.

Ohne Chinas Leistungen zu schmälern, relativiert Nolan den Aufholerfolg vor dem Hintergrund der zeitgleich in der westlichen Wirtschaft stattfindenden Konzentrations- und Internationalisierungsprozesse, denen China – bisher – nichts Dementsprechendes entgegenzusetzen hat. Vielleicht unterschätzt er dabei das Potenzial, das diese Kräfteverhältnisse auf längere Sicht umkehren könnte. Die chinesischen Investitionen im Ausland etwa stiegen von nicht einmal einer Milliarde (2002) auf 60 Mrd. US-$ im Jahr 2010. Vergleiche mit anderen Fällen nachholender Entwicklung, wie die Sowjetunion oder die asiatischen Tiger, legen allerdings nahe, auch die aus dem Erfolg resultierenden Fallen finanzieller, ökologischer und sozialer Art ernst zu nehmen, bevor der chinesische Höhenflug zum Wirtschaftswunder umdefiniert wird.

ReOrient: Rückkehr der globalen Hegemonie nach Ostasien?
Lassen wir die Zweifel beiseite, und gehen von den beeindruckenden Wachstumszahlen aus. Akzeptieren wir die offensichtliche Bereitschaft der chinesischen Regierung, den Umbau in eine hochwertige, hochqualifizierte, nicht nur im Export, sondern auch in der Binnennachfrage begründete, diversifizierte Wirtschaft voranzutreiben. Solche Beobachtungen veranlassen eine Reihe von westlichen Beobachtern, China als zukünftige Hegemonialmacht anzusehen, die dereinst in die Fußstapfen des kriselnden Hegemons USA treten könnte; manche sehen die Nachfolge schon im vollen Gange. Andre Gunder Frank hat mit seinem Buchtitel „ReOrient“ (1998) die Antwort bereits vorweggenommen. Er setzt sich darin zwar mit dem 14. bis 18. Jahrhundert auseinander, als China noch ein Zentrum der Weltwirtschaft war; in „ReOrienting the 19th Century“ (2014) warnt er davor, das (ostasiatische) Kind unter britischer Hegemonie mit dem Bade auszuschütten und sieht Ostasien auch im 19. Jahrhundert als zentrale Wirtschaftsregion, wenngleich die Westmächte an Einfluss gewannen und die Führung von China auf Japan überging. Der Bedeutungsgewinn Chinas in der Weltwirtschaft nach 1980 ist für ihn dementsprechend weder neu noch überraschend, sondern eine Rückkehr zu alter Stärke. Chinesische und japanische Forscher wie Kaoro Sugihara oder Bin Wong, die die traditionelle Verbindung von Landwirtschaft und arbeitsintensiver Industrialisierung hervorheben, an die die chinesische Führung mit „Öffnung und Reform“ anknüpfen konnte, vertreten diese Ansicht schon länger.

Die Hypothese einer geopolitischen Schwergewichtsverlagerung nach Ostasien kann sich nicht rein auf innere chinesische Voraussetzungen stützen. Gäbe es im Westen – sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union, deren Vertiefung ja darauf hinausläuft, selbst von den Schwächen der USA zu profitieren – keine Krisen- und Niedergangsphänomene, könnte sich die Frage nicht stellen. Einige renommierte, den US-Diskurs bestimmende Meinungsmacher beklagen in letzter Zeit gerne „Stillstand und Degeneration“ (Niall Ferguson 2013) des amerikanischen Systems und hoffen, wie zum Beispiel Francis Fukuyama (2014), auf „externe Schocks“, um die Weltmacht wieder ins Lot zu bringen. Man braucht indes nicht die US-Innenwahrnehmung zu bemühen, um Argumente für einen bevorstehenden hegemonialen Wandel zu finden. Eine langfristige Beobachtung der hegemonialen Zyklen zeigt einen ersten, vom Mittelmeer und oberitalienischer Kompetenz ausgehenden Zyklus im 16. Jahrhundert, einen mit niederländischer Hegemonie über die Welthandelsströme verbundenen Zyklus im 17. Jahrhundert. Die Nachfolge trat, nach kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Niederlanden und Frankreich Großbritannien an.

Unter britischer Hegemonie erlebte das kapitalistische Weltsystem im 19. Jahrhundert seine weltweite Ausdehnung. Nach einer Übergangsphase, in der Deutschland und die USA um die Nachfolge buhlten, setzte 1945 die Reifephase des – durch die Existenz des Sowjetblocks allerdings eingeschränkten – „amerikanischen Jahrhunderts“ ein, das nach dem Ende des Wiederaufbaus ab den 1970er Jahren in eine Niedergangsphase überging. Seit damals stellt sich die Frage, wer in die Fußstapfen der US-Hegemonie treten könnte.

Eine postkapitalistische Marktwirtschaft in einer polyzentrischen Welt?
Die chinesische Führung weist in ihren offiziellen Äußerungen jedes Streben nach Hegemonie strikt von sich; sie betont vielmehr den Wunsch nach Harmonie und Polyzentralität. Im übrigen betrachtet sie die derzeitige Phase als Übergang, der 2049, 100 Jahre nach Gründung der Volksrepublik, den Durchbruch des Sozialismus bringen werde. Das klingt für kritische Geister nicht gerade überzeugend. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Prognosen auch von prominenten Weltsystem-Forschern geteilt werden. Immanuel Wallerstein geht seit der Veröffentlichung von Utopistik (2002) davon aus, dass die Welt vor einer großen Weichenstellung steht. Er sieht keinen Spielraum mehr für die Regeneration des kapitalistischen Weltsystems durch hegemonialen Wandel. Das Ende des Systems macht sich im derzeitigen Machtvakuum und den überall aufflackernden Konflikten bemerkbar. Dies sei eine Chance, eine gerechtere postkapitalistische Gesellschaft zu erreichen. Die Alternative wäre das Überhandnehmen von Fragmentierung und Machtkampf. Im Gegensatz zu Wallerstein misst Giovanni Arrighi (1937– 2009) China in der Frage der postkapitalistischen Zukunft eine zentrale Rolle bei. Dabei trifft sich seine Analyse sowohl mit den offiziellen Parteibekundungen als auch mit den Asienforschern, die die historische Bedeutung, die Zentralität und die Besonderheit des chinesischen Entwicklungsweges schon seit langem betonen. In seinem Buch „Adam Smith in Beijing“ (2007) zeichnet auch Arrighi die historischen Grundlagen nach, die China stark gemacht haben. Im Unterschied zum Europäischen System waren sie nicht auf Expansion, Krieg und Unterwerfung begründet, sondern erreichten ein regionales Gleichgewicht, das durch das chinesische Zentrum gewährleistet wurde. Innenpolitisch herrschte, grob zusammengefasst, eine Staatsbürokratie, die der lokalen Selbstversorgung, der unternehmerischen Eigeninitiative und dem überregionalen Austausch großen Spielraum ließ. So entwickelten sich „Kapitalisten“, ohne dass sich ein kapitalistisches System herausbildete. Ein solches liegt nach Arrighis Verständnis – in Anlehnung an Fernand Braudel – dann vor, wenn die Kapitalisten den Staat in ihren Dienst nehmen. In China war es umgekehrt. Diese Tradition brach sich, so Arrighi, unter Deng Xiao Ping mit dessen Losung „Öffnung und Reform“ erneut Bahn. Was wir in China beobachten können, sei kein Kapitalismus, sondern eine staatlich gesteuerte Marktwirtschaft. Auf deren Ausstrahlungskraft hofft er, wenn es darum geht, auch das internationale System vom Diktat der Kapitalakkumulation in ein friedliches Miteinander umzubauen.

Arrighi setzt sich mit den Chancen, nicht mit der aktuellen Realität von Weltmarktfabriken, Schlafsaalregime und Wanderarbeit auseinander. Oder er sieht all das, wie die KP Chinas, als Übergangsphänomene. Auch in der Geschichte interessieren ihn die Errungenschaften, nicht die Verwerfungen des chinesischen Systems. Warum er unbedingt Adam Smith als Anwalt und Vordenker seiner Vision bemühen muss, irritiert. Umgekehrt legt er eine Interpretation von Smith vor, die diesen zwar als Marktapologeten, jedoch als dezidierten Feind von Kapitalkonzentration und Monopolisierungstendenzen herausstellt, von daher der ideale Mentor für die angestrebte Symbiose von Marktwirtschaft und politischer Regulierung.

Nicht auszuschließen ist freilich, dass China, sollte es den Aufstieg zu einer wirtschaftlichen Führungsmacht ausbauen, seine nichtkapitalistischen Traditionen über Bord werfen muss; dass die Mechanismen der Kapitalakkumulation Platz greifen und die Profitinteressen der politischen Sphäre vorgeschaltet werden und diese in ihrem Interesse bestimmen. Schon jetzt kann beobachtet werden, wie der Übergang zur wissens- und technologie-basierten Phase der Transformation mit erheblicher regionaler und sozialer Polarisierung einhergeht. Um die Wertschöpfung in den Küstenzonen zu erhöhen, werden arbeitsintensive Fertigungen ins Landesinnere („Go West“) oder in Entwicklungsländer („Go South“) ausgelagert und damit die ungleiche Arbeitsteilung reproduziert, die das kapitalistische Weltsystem kennzeichnet. Um technologischen Anschluss zu finden und Rohstoffe für seine wachsende Wirtschaft zu sichern, muss sich China um entsprechende Lieferquellen bemühen. Die Absicherung seiner internationalen Position wird damit zunehmend wichtiger. Die wechselseitige Stützung, die es zwischen den USA und der VR China gibt (den US-Importen chinesischer Waren steht der Aufkauf US-amerikanischer Staatsanleihen gegenüber) könnte vor diesem Hintergrund leicht in ein feindliches Verhältnis übergehen, in dem China in einen Rüstungswettlauf hineingezogen wird. Eine sichere Prognose gibt es freilich keine.

Zum Weiterdenken sei daher auf einen fiktionalen Text verwiesen, den Naomi Oreskes und Erik M. Conway, zwei Harvard-Wissenschaftshistoriker, vorgelegt haben. „The Collaps of Western Civilization. A View from the Future“ (2014) ist kein literarisches Dokument, sondern eine auf natur- und sozialwissenschaftlichen Modellannahmen beruhende Dystopie. 200 Jahre nachdem der „Große Zusammenbruch und die Massenwanderung“ (angenommen 2073-2093) eine ökologische Katastrophe bewirkt haben, erklärt ein chinesischer Historiker der Nachwelt, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Die Autoren wollen in erster Linie wachrütteln, um dem Klimawandel mit effektiven Maßnahmen zu begegnen. Sie äußern sich jedoch auch zur geopolitischen Machtverschiebung. Denn dass sich die Menschheit nach dem großen Chaos wieder stabilisiert, ist dem fiktiven Chronisten zufolge der starken Hand der Kommunistischen Partei Chinas zu verdanken, die China als „Zweite Volksrepublik“ zur Gestaltungsmacht nach der großen Katastrophe macht.

Andrea Komlosy ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Sie verbringt derzeit ein Forschungsjahr an der Universität Harvard. Sie beschäftigt sich mit globalen Arbeitsbeziehungen. Zuletzt Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive, 13. bis 21. Jahrhundert (Wien 2014) sowie Von der verlängerten Werkbank zum Global Player, China auf dem Weg zu einem Zentrum der Weltwirtschaft, in: Egger Georg/Fuchs Daniel u.a. (Hg.): Arbeitskämpfe in China. Berichte von der Werkbank der Welt (Wien 2013).

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