Die Roadshow des Herrn Schäuble

Fernverkehrsgesellschaft. Ausverkaufs-Paket. Privatisierungsgefahren

Das Bundeskabinett in Berlin hat am 14. Dezember 2016 den Entwurf zu einer umfangreichen Grundgesetzänderung samt Begleitgesetz vorgestellt – ein Reformvorhaben in der Größenordnung der Föderalismusreformen von 2006 und 2009. SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider bezeichnet es als „eine der einschneidendsten Veränderungen im föderalen Gefüge Deutschlands für die nächsten Jahrzehnte”. Zuvor hatte die Bundesregierung drei Jahre lang mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten verhandelt. Nun aber soll alles sehr schnell gehen: Bis Juni muss das Paket verabschiedet werden – sonst fällt der Gesetzentwurf dem Ende der Legislaturperiode zum Opfer. Oder es entwickelt sich gar, durch den Wahlkampf befeuert, Widerstand gegen die Grundgesetzänderung. Was die Regierungsspitzen in Bund und Ländern natürlich nicht wollen, was aber dringend erforderlich wäre.

Das Paket und der Widerstand
Ergebnis der Föderalismusreform II 2009 war die Verankerung der sogenannten Schuldenbremse im Grundgesetz. 2017 geht es nun darum, an einer anderen Stelle des Grundgesetzes eine Umgehungen der Schuldenbremse zu ermöglichen: Damit können zusätzliche Investitionen ermöglicht, aber auch Bereiche der Daseinsvorsorge privatisiert werden. Konkret sollen Bau und Betrieb von Autobahnen zentralisiert und ins Privatrecht überführt werden, wodurch sich zahlreiche Privatisierungsmöglichkeiten ergeben[1]. Das Vorhaben würde den größten Privatisierungsschub in Deutschland seit den 90er Jahren auslösen. Es ist zu vermuten, dass es insbesondere den großen Versicherungskonzernen gelungen ist, ihr Interesse an der Schaffung neuer Anlageformen im Bereich der Daseinsvorsorge im Gesetzentwurf unterzubringen.

Bundestag und Bundesrat müssen dem Vorhaben jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Nun hat die Große Koalition 80 Prozent der Sitze im Bundestag. In den Bundesländern werden 14 von 16 Ministerpräsidenten von der SPD, der CDU oder der CSU gestellt. Man könnte es also als ausgemacht ansehen, dass die Große Koalition dieses Vorhaben durchsetzen kann.

Aber ganz so sicher ist das doch nicht. Die Gewerkschaften sind gegen das Vorhaben, insbesondere der DGB, ver.di, die IG BAU und die Vereinigung der Straßenwärter (VdStra). Ver.di und die VdStra haben sich mit den Naturfreunden, Attac, Robin Wood, Bürgerbahn statt Börsenbahn, Gemeingut in BürgerInnenhand und dem Berliner Wassertisch im Bündnis Keine Fernstraßengesellschaft zusammengeschlossen. Inzwischen gibt es sowohl im Bundestag als auch in den Ländern Signale, die auf eine deutliche Unzufriedenheit hindeuten. So haben sieben Landtage Beschlüsse gegen eine Zentralisierung der Autobahnen gefasst. Die Verkehrsminister der Länder haben sich sogar einstimmig gegen das Zentralisierungsmodell ausgesprochen. Der Bundesrat hat in einer ersten Stellungnahme 70 Änderungen an dem Gesetzentwurf angemahnt. Selbst in den Reden von Abgeordneten der SPD und CDU im Bundestag spiegelt sich erstaunlich viel Widerspruchsgeist.

Um die Privatisierung zu verhindern, benötigt es allerdings viel mehr. Das Vorhaben wurde auf eine Art und Weise aufs Gleis gesetzt, die viele Widerstände übergehen oder brechen kann.

Zwei Schwächen des Pakets
Bei der Verfassungsänderung geht es oberflächlich nur um eine dröge Verwaltungsreform. Wobei bekanntlich eine Zentralisierung nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führt. Oft trifft das Gegenteil zu. Obendrein wäre für eine Zentralisierung noch nicht mal eine Grundgesetzänderung nötig. Das Grundgesetz erlaubt den Ländern schon heute in Artikel 90, die Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen an den Bund abzugeben. Sind die Länder sich einig, dass künftig der Bund die Autobahnen verwalten soll, ist dazu nicht mehr als ein (gemeinsamer) Antrag nötig. Die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen dienen offensichtlich anderen Zielen.

Bis weit ins Regierungslager hinein besteht Einigkeit, dass Privatisierung eines der zentralen Risiken des Pakets ist. Dies markiert einen Wendepunkt im Diskurs. Privatisierung im Bereich der Autobahnen wird in SPD, CDU und CSU mindestens als unnötig, wenn nicht als schädlich angesehen. Man sieht sich zudem bestätigt durch Umfrage-Ergebnisse, wie sie etwa im Spiegel oder im ARD-Politbarometer veröffentlicht wurden. Hinzu kommt eine spezielle Befürchtung: Künftige private Anleger oder Konzessionäre könnten die (Pkw-)Maut so in die Höhe treiben, dass Streckenkosten wie heute in Frankreich entstehen. Dann müsste für eine Strecke wie Hannover-Berlin pro Weg 30 Euro bezahlt werden – faktisch eine neue Verbrauchersteuer, die aber nicht für ein ökologischeres Verkehrssystem eingesetzt würde, sondern allein die Taschen der Kapitalanleger füllt. Die heutige Ausländermaut wird dann abgelöst durch eine stetig steigende „Versicherungsabgabe“ – für die Abgeordneten im Wahlkampf ein Horrorthema. Der SPD-MdB Johannes Kahrs verdeutlichte dies in der Bundestagsdebatte am 16. Februar 2017: „Da müssen wir […] alle gemeinsam darauf achten, dass nachher nicht über die Hintertür eine Privatisierung dieser Bundesautobah­nen stattfindet mit dem Ergebnis, dass die beteiligten Fir­men dann wie in Frankreich Renditen von 22 bis 27 Pro­zent haben.“ Zu ergänzen wäre, dass die Bürgerinnen und Bürger ja den Betrieb der Autobahnen neben der Maut auch weiterhin über ihre Steuer bezahlen, nur dass alles dann durch die höheren Kreditzinsen noch teuer wird. Und wenn die Privaten die Autobahnen herunterwirtschaften und der Staat zur Verkehrssicherung oder für eine Totalsanierung einspringen muss, bezahlen die BürgerInnen sogar ein drittes Mal (siehe auch den Beitrag zu Spanien).

Der Handel mit dem Paket
Wie kann eine Gesetzesvorlage eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen, die kaum erkennbaren Vorteile hat, aber erhebliche Risiken birgt? Das ist allein möglich durch einen gewaltigen Deal, den die Spitzen der großen Parteien, die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer miteinander ausgehandelt haben. Die Länder erhalten künftig fast 10 Milliarden Euro jährlich zusätzlich vom Bund. Mit diesem Geld konnte die Zustimmung der Bundesländer erreicht werden, und zwar bis hin zu Thüringen und Baden-Württemberg, wo die Linke bzw. die Grünen den Ministerpräsidenten stellen. Es werden aber auch die Abgeordneten im Bundestag vor die Entscheidung gestellt: Entweder es gibt kein zusätzliches Geld für ihren Wahlkreis oder sie stimmen dem Privatisierungspaket zu. Der Deal nutzt eine eklatante Schwäche unseres demokratischen Systems aus. Allein für sich hätte die Autobahnprivatisierung keine Chance.

Architekt des Ganzen ist jemand, der in Verfahrensfragen vermutlich der Erfahrenste in der ganzen Republik ist: Wolfgang Schäuble. Ihm ist es gelungen, den Abschluss der von ihm geführten Verhandlungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich zeitlich so zu platzieren, dass sie kurz vor dem Ende der Legislaturperiode maximalen Zeitdruck auslösen. Gleichzeitig kann – ebenfalls aus Zeitgründen – kein Parteitag mehr über die Frage befinden.

Der Teufel steckt im Paket. Würde die Opposition durchsetzen, dass über alle geplanten Grundgesetzänderungen einzeln und nicht im Paket abgestimmt wird – es wären für die Autobahnprivatisierung wohl keine Mehrheiten zu erzielen.

Wie viel Privatisierung steckt im Paket?
Nimmt man die Aussagen der Vertreter von SPD und CDU im Bundestag ernst, müsste das heißen: Ist im Paket Privatisierung drin, fällt es durch. Ist sie draußen, geht es durch. Und tatsächlich war die Presseberichterstattung im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses höchst widersprüchlich. Sie reichte von „die Autobahnen werden privatisiert“ bis hin zu „jede Privatisierung ist ausgeschlossen“. Mit etwas Abstand kann man sagen: Die vorgelegten Gesetzentwürfe erlauben weiterhin Privatisierungen. Mit der Formulierung „privates Kapital kann in [öffentliche] Infrastrukturmaßnahmen fließen“ wird auch explizit eingestanden, dass sich Private beteiligen dürfen. In der Begründung zum Begleitgesetz wird diese konkretisiert: „Sofern zusätzlich privates Kapital in Infrastrukturmaßnahmen fließen soll, wäre dies […] für Projekte der [neuen Autobahn-] Gesellschaft möglich. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Private am Netzausbau und –erhalt beteiligen können.“

Darauf verweisen auch der Bundesrechnungshof (BRH)[2] und ein aktuelles Gutachten im Auftrag des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB)[3]. Künftige Privatisierungsmöglichkeiten wären erstens der Verkauf von Tochterfirmen, zweitens stille Beteiligungen und andere eigenkapitalähnliche Anlageformen („Mezzanine-Kapital“), drittens die Erlaubnis, grundsätzlich und in großem Umfang Fremdkapital aufzunehmen und vor allem viertens das Eingehen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs).

Darüberhinaus gibt es ein perfides Manöver: Einzelne Privatisierungsmöglichkeiten werden zunächst mit der (geänderten) Verfassung erlaubt und gleichzeitig einfachgesetzlich wieder ausgeschlossen. Dadurch kann der Verkauf der neuen Autobahn-Gesellschaft später mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Übrigens wird heute bei der Deutschen Bahn AG in vergleichbarer Weise argumentiert: Da man 1994 mit der Bahnreform und der damit verbundenen Grundgesetzänderung eine Teilprivatisierung der Bahn ermöglicht und da man im Mai 2008 beschlossen habe, Teile des Eisenbahnbetriebs zu privatisieren, können nach den Aussagen der Bundesregierung und dem Selbstverständnis der Deutschen Bahn AG weitreichende Privatisierungen (Verkauf großer Tochtergesellschaften der DB AG) vom Aufsichtsrat der DB AG – ohne jede Bundestagsdebatte oder gar Beschluss – umgesetzt werden.

Der Bundesrechnungshof ergänzt, dass die neue Autobahngesellschaft „Mautgläubigerin“ werden kann. Das bedeutet: Private können bestimmen, wie schnell und bis auf welche Höhe die Maut steigt. Eventuelle Hoffnungen auf eine öffentliche Preisregulierung werden auch gleich stark gedämpft: Alle bestehenden Ansätze der Mautregulierung wären mit erheblichen Problemen verbunden, bei der Lkw-Maut könnte ein privates Monopol sogar überhaupt nicht reguliert werden. Um zu zeigen, wohin das führt, verweist der Bundesrechnungshof auf Frankreich: Dort liegen die Umsatzrenditen der privaten Konzessionäre zwischen 20 und 24 Prozent.

ÖPP ist Privatisierung
Öffentlich-private Partnerschaften, ÖPP, würden unter den mit der Grundgesetzänderung neu geschaffenen Privatisierungsmöglichkeiten die Hauptrolle spielen. Dass ÖPP eine Form von Privatisierung ist, ist schon länger Stand der wissenschaftlichen Literatur. Nichtsdestotrotz wird dies im Fall der Autobahnprivatisierung geleugnet. Folgende Merkmale machen den Privatisierungscharakter von ÖPP deutlich: Bei ÖPP planen, finanzieren, bauen, betreiben und verwerten private Firmen Schulen, Krankenhäuser, Wasserbetriebe und andere Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Dabei werden entscheidende Rechte am öffentlichen Eigentum an die privaten Partner übertragen. Die Privaten bauen und betreiben mit öffentlichem Geld. Dafür nehmen sie Kapitalmarktkredite auf, die dann zuzüglich der Zinsen und einer Rendite für die Privaten vom öffentlichen Auftraggeber in Raten zurückgezahlt werden. ÖPPs haben stets die Form lang laufender, kreditähnlicher Rechtsverträge. „Lang“ bedeutet im Falle von ÖPP bis zu 30 Jahre. Insgesamt wird bei ÖPP auch von „funktionaler Privatisierung“ gesprochen.[4] Die Infrastruktur der Daseinsvorsorge wird mit ÖPP-Verträgen Teil von Finanzprodukten: Das Eigenkapital der ÖPP-Projektgesellschaften kann weiterverkauft werden. In Großbritannien wurden bereits für 20 Milliarden Euro Anteile an den ÖPP-Projekten weiterverkauft, viele davon an Firmen mit dem Sitz in den Steueroasen.[5]

ÖPP ist aber nicht nur einfach eine Privatisierungsform unter vielen. Bezogen auf den Anteil am öffentlichen Vermögen ist es das Hauptinstrument. Für Privatisierungen müssen Staatsunternehmen und öffentliche Verwaltungen nicht mehr verkauft werden. Der Einstieg in Privatisierungen durch Teilverkäufe wie bei Telekom, Post und den Energieunternehmen ist passé. Seit wenigstens zehn Jahren ist ÖPP das zentrale Privatisierungsmittel weltweit. Dabei muss ÖPP muss nicht zwingend ÖPP heißen. In Großbritannien, dem Mutterland von ÖPP, wurde der Name für die betreffenden Konstrukte bereits zweimal geändert.
ÖPP gibt es in Deutschland schon heute auf 3,6 Prozent der Autobahnstrecken.[6] Finanzminister Schäuble am 17. Februar 2017 im Bundestag: „Die Gesellschaft [gemeint: die neue Autobahngesellschaft; W./V.] wird offen sein für Finanzierungen durch öffentlich-private Partnerschaften, wie wir sie bereits jetzt haben.“

Die geplante Grundgesetzänderung ermöglicht dann eine deutliche Ausweitung von ÖPP, denn alle bisherigen parlamentarischen Schranken in Bund und Ländern werden aufgehoben. Das Management der neuen Gesellschaft könnte künftig alleine die Entscheidungen darüber treffen, ob und in welchem Umfang ÖPP-Verträge abgeschlossen werden. Zu Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen wäre sie nicht verpflichtet. Das Management könnte innerhalb weniger Jahre das Auftragsvolumen der Gesellschaft von geschätzten 210 Milliarden Euro für 30 Jahre privatisieren. Die Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs könnten künftig eingeschränkt werden. Der BRH war in der Frage der Wirtschaftlichkeit von ÖPP bisher eine wichtige Kontrollinstanz (siehe dazu auch die Beiträge zum Bundesrechnungshof und zur Reformkommission Großprojekte).

Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) kein Schutz vor Privatisierung
Im Bundestag glaubt man, Privatisierung aus dem aktuellen Gesetzespaket herausoperieren zu können. In der SPD-Bundestagsfraktion hält man eine Änderung der Rechtsform für geeignet, drohende Privatisierungen auszuschließen. So sagte Johannes Kahrs (SPD) in der 1. Lesung des Gesetzentwurfes, er glaube nicht, dass für die Autobahngesellschaft „eine GmbH die richtige Lösung wäre.“ Und: „Ich persönlich halte eine Anstalt des öffentlichen Rechts für die richtige Rechtsform.“ Bettina Hagedorn (SPD) bekräftigte dies.

Allerdings können alle oben genannten Privatisierungsformen ohne Einschränkungen auch vorgenommen werden, wenn statt einer privatrechtlichen GmbH eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) eingesetzt wird. Denn auch bei einer AöR bleiben ÖPPs, stille Beteiligungen und Verkäufe von Tochtergesellschaften unter Umständen weiter erlaubt. Die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) wurde nach der Umwandlung in eine AöR eingeleitet.[7] Die Frage, was mit einer AöR alles möglich ist, ist auf Bundesebene abhängig vom jeweiligen Errichtungsgesetz. Es könnte also passieren, dass die SPD durchdringt mit ihrer Forderung nach einer AöR – und von Schäuble doch ausgetrickst wird, indem er ihnen ein Ausführungsgesetz unterjubelt, dessen Auswirkungen sie in der Kürze der Zeit bis zur Abstimmung nicht mehr durchschauen: Vermutlich werden zwischen Änderungsbeschluss und endgültiger Abstimmung nur wenige Tage liegen.

„Keine Kreditfähigkeit“ für mehr ÖPP
Ein zweites Feld, auf dem sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen im Bundestag betätigen wollen, ist die Kreditfähigkeit der vorgeschlagenen Autobahngesellschaft. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf darf sich diese Gesellschaft verschulden, es gibt noch nicht einmal eine Verschuldungsobergrenze. Wolfgang Schäuble sah dann in der ersten Lesung im Bundestag überraschenderweise nicht, „dass die Gesell­schaft eine Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten erhalten“ werde.

Das wurde in der SPD deutlich begrüßt.[8] Allerdings erfolgt die Errichtung der Gesellschaft in drei Stufen. Es ist denkbar, dass sich Schäuble nur auf die erste Stufe bezieht und somit später doch eine Kreditermächtigung gegeben wird. Darüber würde nach bisherigem Stand das Parlament nicht mehr befinden. Tatsächlich hat die ASFINAG, das österreichische Pendant zur vorgeschlagenen Autobahngesellschaft, bereits etwa 11,5 Milliarden Euro Schulden (siehe gesonderten Artikel) Dabei verwaltet die ASFINAG ein wesentlich kleineres Streckennetz: Den 2200 österreichischen Autobahn-Kilometern stehen 13.000 in Deutschland gegenüber. Würde man also Schulden machen wie in Österreich, wären das im Verhältnis zur Streckenlänge 68 Milliarden Euro. So ein Schuldenberg wäre nicht schön, aber gar keine Kreditfähigkeit? Wie soll so ein Unternehmen dann handlungsfähig werden? Immerhin will man auf diesem Wege in den kommenden 30 Jahren 210 Milliarden Euro ausgeben. Die Antwort lautet: Das geht, wenn statt offizieller Kredite ÖPP zur Finanzierung (und damit auch zum Bau und Betrieb) eingesetzt werden. ÖPP sind nur „kreditähnliche Rechtsverträge“, wenngleich die daraus entstehenden Verbindlichkeiten fraglos ebenfalls zurückgezahlt werden müssen – zuzüglich der Zinsen. Diese ÖPP-Zinsen sind aber nun noch einmal erheblich teurer als klassische Staatsanleihen. Dazu kommen die zusätzlichen Risiken für Infrastruktur und Demokratie, die durch ÖPP entstehen. Solange ÖPP also nicht ausgeschlossen werden, dient ein Verbot der Kreditfähigkeit eher der Verschleierung. Für ein effektives, rechtssicheres Verbot von ÖPP in einer Verfassung gibt es bislang weltweit kein Vorbild. Die einzig wirksame Unterbindung von ÖPP besteht bisher darin, dass Parlamente eine Vertragsunterzeichnung ablehnten. Aber genau das entfällt, wenn die neue Autobahngesellschaft ein eigenständiges Unternehmen wird.

Stoppen, was sich nicht verbessern lässt
Parlamentarisch kann der Vorschlag zur Autobahnprivatisierung nicht durch Verbesserungen geheilt werden. Der Bundesrechnungshof schätzt, dass 11.000 Beschäftigte benötigt werden, um den übertragenen Aufgaben gerecht zu werden. Die Bundesregierung selbst geht nur von 1.300 Beschäftigten aus. Man könne ja laut Gesetzentwurf „Aufgaben an Dritte übertragen“. Mit anderen Worten: Bei einer personell derart unterbesetzten Infrastrukturgesellschaft würde das blanke Chaos ausbrechen, wenn sie nicht privatisieren und ihre Aufgaben per ÖPP auslagern würde. Gleiches gilt für eine fehlende Kreditfähigkeit: Die neue Gesellschaft könnte entweder gar keine langfristigen Projekte planen. Oder sie muss das Kreditfähigkeitsverbot umgehen – per ÖPP. Das Projekt ist von A bis Z darauf ausgelegt, privatem Kapital den Zugang zum Autobahnbau zu ermöglichen. Das lässt sich nicht mit einer AöR verhindern, nicht mit dem Verbot, Kredite aufzunehmen, und auch nicht mit weiteren Veräußerungsverboten. Finanzprodukte und insbesondere ÖPP-Verträge sind mittlerweile so vielfältig, dass der Büchse der Privatisierungs-Pandora sicher genügend gefährlicher Geist entweichen würde. Und so bleibt nur zu wünschen, dass der zivilgesellschaftliche Aufschrei im Bundestag und in den Bundesländern gehört wird und zurückschrecken lässt. Und das Projekt zumindest in die nächste Legislaturperiode verschoben, aber am besten komplett aufgegeben wird.

Carl Waßmuth ist beratender Ingenieur und aktiv im Bündnis Keine Fernstraßengesellschaft. Als Infrastrukturexperte von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) kämpft er seit Jahren gegen ÖPP, zuletzt insbesondere im Bereich von Schulen.

Laura Valentukeviciute ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet seit 10 Jahren zum Thema Privatisierung. In einer Bundestagsanhörung zur Grundgesetzänderung am 27. März.2017 vertritt sie Gemeingut in BürgerInnenhand – GiB als Sachverständige.

Anmerkungen

[1] Zusätzlich werden Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im Bereich von Schulen förderfähig erklärt und erhalten 3,5 Mrd. Euro aus Bundesmitteln. Siehe dazu den gesonderten Beitrag.

[2] BRH-Gutachten zu Organisationsformen und Finanzierungs-Varianten für die Bundesfernstraßen Gz.V 3-2015-1068, Bonn, den 30. November2016 https://www.gemeingut.org/bundesrechnungshof-warnt-in-neuem-gutachten-vor-autobahnprivatisierung-per-oepp/

[3] Hermes / Weiß / Beckers (6.12.16): Kurzgutachten im Auftrag des ZDB, „Verhindert der Vorschlag der Bundesregierung vom 24.11.2016 zur Neufassung des Art. 90 GG eine Privatisierung der Bundesautobahnen?“

[4] Thiele, Waßmuth (2016): Aktuelle Entwicklungen bei der Privatisierung der Daseinsvorsorge in Deutschland mit besonderem Fokus auf Bundesfernstraßen, Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, www.gemeingut.org/privatisierungsstudie

[5] Eine Studie der European Services Strategy Unit (ESSU) zeigt, dass Infrastrukturfonds mit dem Sitz in Steueroasen mittlerweile an 74% der 735 aktuellen ÖPP-Projekte Großbritanniens beteiligt sind. Allein die fünf größten dieser Fonds machten 2011-2015 rund 2,1 Milliarden Euro Gewinne, die laut ESSU nicht in Großbritannien besteuert wurden. Siehe dazu auch Henn (2016): Netzwerk Steuergerechtigkeit, Blog Steuergerechtigkeit, „Sitzen unsere Autobahnen auch bald in Steueroasen?“, http://steuergerechtigkeit.blogspot.de/2016/11/sitzen-unsere-autobahnen-auch-bald-in.html

[6] Allerdings werden 8,8 Prozent der für die Autobahnen zur Verfügung stehenden Mittel für diese ÖPP-Projekte aufgewendet – ein weiteres starkes Indiz, dass ÖPP deutlich teurer ist als konventioneller Autobahnbau und –betrieb. Zahlen aus: Lehrstuhl für Infrastruktur-und Immobilienmanagement der TU Braunschweig(2.3.2016): Bericht zum Forschungsvorhaben „ÖPP- Infrastrukturprojekte und Mittelstand“, http://www.zdb.de/zdb-cms.nsf/res/TUBS_Forschungsbericht_ZDB.pdf/$file/TUBS_Forschungsbericht_ZDB.pdf

[7] Siehe auch Berliner Wassertisch, Klärwerk-Info Nr. 3, http://blog.klaerwerk-berlin.net/wp-content/uploads/2012/01/KlaerwerkNr3.pdf

[8] Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): „Diese [Infrastruktur]Gesellschaft soll keine Kreditermächtigung erhalten. – Das ist bisher anders vorgesehen, aber ich begrüße diese Feststellung.“ Johannes Kahrs (SPD) spricht sogar von Dank (und Ängsten): „Ich bin dem Bundesminister der Finanzen sehr dankbar, dass er eben gesagt hat, dass diese neue Gesellschaft nicht kreditfähig sein wird. Wir Haushälter hatten große Angst, dass hier das Problem von Schattenhaushalten entsteht. Das kann und darf so nicht sein.“ Bettina Hagedorn (SPD) leitet daraus ab, dass der Gesetzentwurf noch geändert werden muss: „Herr Schäuble, ich habe mit Freude gehört, dass Sie vorhin gesagt haben, diese Gesellschaft solle nicht kreditfähig sein. Allerdings sagt der Bundesrechnungshof – auch das ist zu betonen –: Im Gesetzentwurf steht das leider nicht so drin. – Das heißt, wir müssten den Gesetzentwurf an dieser Stelle verändern. Das Gutachten des Bundesrechnungshofs besagt ganz eindeutig, dass in dem Gesetzentwurf drei Phasen vorgesehen sind und nur in der ersten Phase eine Kreditfähigkeit nicht vorgesehen ist. In der zweiten und dritten Phase werde sie aber hergestellt, und die dritte Phase soll schon 2020 erreicht sein, sodass die Gesellschaft dann die Kreditfähigkeit hätte.“ (Alle am 17.2.2017 im Bundestag)

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