Wehrpflicht?
»I ain›t got no quarrel with them Vietcong.« erklärte Muhammad Ali 1966, als er zum Wehrdienst eingezogen werden sollte.
Er hätte seine Gegnerschaft zum Vietnamkrieg der USA nicht erklären können, wenn die USA den Kampf nicht durch Entsendung von immer mehr Wehrpflichtigen hätten bestreiten wollen. Und die USA hätten diesen Krieg vermutlich nicht verloren, wenn der Tod von Wehrpflichtigen nicht den Widerstand im Heimatland angefeuert hätte.
Wehrpflicht ist immer ein zweischneidiges Schwert für den Staat, der sie einführt oder einführen muss, um einen Krieg zu führen. Als die Bundesrepublik nach der Niederlage des Nationalsozialismus wieder eine Armee aufzustellen begann, baute sie zwei Elemente ein, die eine Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden und mit den Zielen möglicher Kriege erzwingen: Neben der allgemeinen Wehrpflicht für Männer gab es den Zivil-Dienst, zu dem man erst durch Prüfung einer Spruchkammer zugelassen war. Der Soldat der Bundeswehr sollte zudem Bürger in Uniform und damit als normaler Bürger den Werten des Grundgesetzes verpflichtet sein – eine Schlussfolgerung aus der Geschichte des Deutschen Reiches und seiner Armee.
In der 1968er Bewegung verfolgten linke Gruppen hinsichtlich der Wehrpflicht und der Gefahren der Vereinnahmung von Wehrpflichtigen zu nationalistischen Abenteuern unterschiedliche Konzepte antimilitaristischer Arbeit innerhalb der Armee. Sie nahmen dabei Diskussionen um Volksbewaffnung oder Berufsarmee auf, die die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert während der Entstehung eines größeren deutschen Staates diskutiert hatte.
Im Streit um Dauer und Umfang des Wehrdienstes in der preußischen Armee hatte Bismarck das preußische Parlament draußen vor halten wollen. In einer langdauernden Wehrpflicht, die nur einen geringen Teil der Wehrpflichtigen betraf, sahen viele liberale Kritiker mit Friedrich Engels die Gefahr einer Absonderung der Armee von der Bevölkerung, die das Heer zum Einsatz im Inneren gegen die eigene Bevölkerung gefügig machte. Weil diese Armee zudem noch unter der Befehlsgewalt adliger Offiziere stand, war zu erwarten, dass sie Kriege auf riskante, eskalierende und jede Rücksicht vergessende Weise führen würden, wie es in parlamentarischen Staaten mit einer Armee mit breiter Wehrpflichtigen-Basis nur in Extremsituationen möglich war. Eine kürzere Dienstzeit, die alle Wehrpflichtigen einbezöge, würde zwar nicht den Einsatz im Inneren unmöglich machen, es aber erschweren, die Soldaten zu veranlassen, auf Landsleute oder gar Verwandte zu schießen. Un d im Krieg gegen einen anderen Staat würden die Toten auch nicht wie Söldner beklagt werden, sondern als Verwandte.
Die Idee der Volksbewaffnung wurde im Deutschen Reich nicht umgesetzt – die Kriege führten Bauernsöhne unter dem Kommando von adligen Offizieren, die im Inneren gegen die städtische Arbeiterbewegung und im Äußeren auf riskante karrierefördernde Manöver orientiert waren.
Dass ausgerechnet der adlige Waldbesitzer und CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg 2010 als Verteidigungsminister die Aussetzung der Wehrpflicht veranlasste und 2011 über den unsachgemäßen Erwerb eines Doktortitels stolperte, gehört zur feinen Ironie der Sozialgeschichte. Den Adelstitel hatte er schließlich geerbt und damit auch den modernisierten rücksichtslosen Umgang mit professionellem Soldatenvolk, dem Wehrpflichtige bei Ausübung ihres Handwerks nicht dazwischenkommen sollten.
Wie Merz eine Berufsarmee zu handhaben gedenkt, hat er mit seinem Wahlkampf gegen Migration bewiesen. Ausdrücklich nannte er Menschen aus Afghanistan, die nicht ins Land gelassen oder abgeschoben werden sollten. Verbündete aus Afghanistan, Ortskräfte und andere zivil arbeitende Personen, die der Zusage der Bundesrepublik vertraut hatten, werden sich merken, dass sie nach der Niederlage nicht mehr willkommen sind.
