„Wohnen müsste Menschenrecht sein!“

BLOCK 5: WIDERSTAND

Lucy Redler in der Sendung „Hart aber Fair“ vom 11. März 2019 – Auszüge

Frank Plasberg [FP]: Frau Redler: Was unterscheidet für Sie eine Wohnung von einem normalen Konsumartikel, von einem normalen Teil des Wirtschaftskreislaufs, wo Angebot und Nachfrage sich regeln und der Preis entweder hoch oder runter geht?

Lucy Redler [LR]: Naja, man kann auf die Wohnung nicht verzichten. Wohnen müsste ein Menschenrecht sein. Wir erleben aber, dass Wohnen immer mehr zur Klassenfrage wird. Also dass es davon abhängig ist, ob man ausreichend Einkommen hat, ob man im Innenstadtring leben kann, beispielsweise in Berlin, oder ausziehen, nach Brandenburg ziehen muss. Und in Berlin sind beispielsweise die Neuvertragsmieten um 75 Prozent gestiegen in den letzten zehn Jahren und ich frag mich mal, wer von den normalen Kolleginnen und Kollegen hat denn eigentlich eine Lohnerhöhung bekommen von 75 Prozent? Und das betrifft ja nicht nur die einfachen Kollegen oder Erwerbslose, es geht rein bis in die Mittelschichten. In Berlin ist es mittlerweile so, dass über die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen Angst hat, sich die Wohnung nicht mehr leisten zu können. Und ich bin froh, dass nicht nur die Angst da die Runde macht, sondern sich mittlerweile auch zum Glück Widerstand regt. Wir haben diese großen mietenpolitischen Demonstrationen gesehen, letzten April mit bis zu 30.000 Menschen. Und am 6. April werden wir sicherlich auch viel politischen Druck ausüben, von der Straße, in Berlin, in anderen Städten, um deutlich zu machen: Mit diesem Mietenwahnsinn kann es so nicht weitergehen!

FP: Ich habe eben schon mal persönlich gefragt: […] Wer wohnt zur Miete, wer wohnt im Eigentum? Sie wohnen zur Miete? Sind gerade zu dritt, wenn ich das richtig sehe, ein Baby ist angekommen. Wie viel Quadratmeter haben Sie?

LR: 94 Quadratmeter. […] Wir haben einen älteren Mietvertrag, Genossenschaftswohnung. Das ist eine Wohnung, wie ich das jedem wünschen würde. Günstig, schöner Garten, wo das Kind spielen kann, mit anderen Kindern. Es gibt über die Genossenschaft einen Einkaufservice für die älteren Menschen, es gibt Bingoabende und Filmabende. So stelle ich mir tatsächlich Wohnen vor, aber das wird natürlich immer schwieriger.

FP: Wie ist die Adresse? Paradies 1?

LR: Nein… Aber das zu erschwinglichen Mieten. Und ich denke, dass das tatsächlich möglich ist, auch für die breite Masse der Bevölkerung: günstig Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wenn erstens nicht mehr mit Grund und Boden spekuliert wird und die Preise hochgetrieben werden, und wenn zweitens tatsächlich Genossenschaften und vor allem die öffentliche Hand, also die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bauen und nicht die Immobilienkonzerne das in Auftrag geben. Wir sehen ja, dass die vor allem ein Interesse daran haben, Wohnungen aufzukaufen und die Mieten hochzutreiben.

„Enteignung der Immobilienkonzerne ist hart aber fair“

FP: Das gucken wir uns gleich nochmal genauer an, und auch reden wir über den Vorschlag, den Sie unterstützen, nämlich Enteignung von großen Konzernen. […] Frau Redler, Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Das ist eine Forderung, die auch von Ihrer Linkspartei unterstützt wird, in Berlin. Enteignung, das ist so eine Art Atombombe in der Marktwirtschaft. Warum wollen Sie die zünden?

LR: Erst mal ist ja interessant, dass über die Hälfte der Berliner und Berlinerinnen das richtig finden. Weil Enteignung offenbar so radikal ist, wie die Wirklichkeit, die diese Mieter erleben. Also ich würde sagen, das ist hart aber fair, Herr Plasberg, diese Forderung an der Stelle. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil diese Immobilienkonzerne sich nicht verhalten, wie normale Wohnungsverwalter, sondern wie Finanzkonzerne. Die kommen da hin, kaufen Wohnungen auf, mit dem einzigen Ziel, die Rendite zu erhöhen, um die Gewinnerwartungen der Aktionäre und Aktionärinnen zufrieden zu stellen und Kredite bedienen zu können. Jetzt ist z.B. gerade der Geschäftsbericht der Vonovia rausgekommen. Da ist es so: Von einem Euro Mieteinnahmen gehen 38 Cent an die Aktionäre. Und jetzt kann man sich ja mal vorstellen, wenn diese Konzerne, wenn jetzt Vonovia in öffentlichem Eigentum wäre, da hätte man 38 Cent [je Euro Mieteinnahme], um beispielsweise in Instandhalt ung zu investieren oder in Neubau. Sagen wir mal: 10 Cent nehmen wir davon und die restlichen knapp 30 Cent könnte man nutzen, um die Miete zu senken. Und dann hätte man natürlich auch Wohnungen, die tatsächlich besser instand gehalten wären und man müsste nicht immer modernisieren, was natürlich dann bedeutet, dass das der Mieter am Ende über die Modernisierungsumlage, die übrigens FDP und SPD 1974 eingeführt haben, zahlen muss. In dem Sinne unterstützen wir diese Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Aber die LINKE kämpft auch beispielsweise für die komplette Abschaffung der Modernisierungsumlage, weil es ja nicht sein kann, dass die Mieter am Ende immer weiter zahlen.

FP: […] Es ist sehr komplex, deshalb mach ich es in kleinen Teilen. Enteignung ist tatsächlich ein hartes Instrument. Zwei Dinge zu Zahlen: diese 38 Cent auf den Euro Mieteinnahmen können wir morgen im Faktencheck nochmal nachlesen, weil ich habe jetzt den Geschäftsbericht im Moment nicht da. Was Sie zu den Umfragen gesagt haben, da gibt es verschiedene. Mal haben die Befürworter dieses Begehrens die Mehrheit gehabt – das sind ja erst mal nur Meinungsumfragen, ist ja noch nicht richtig losgegangen – mal war es ein bisschen andersrum. Zeigen wir auch im Faktencheck. Aber es gibt eine breite Unterstützung dafür. Das geht bis hin in die SPD. Ich habe nur eine Verständnisfrage. Enteignung bedeutet ja auch, dass man dann z.B. der Deutschen Wohnen Milliarden geben müsste – da kann man sich ja drüber unterhalten, Marktwert oder ein bisschen weniger – um diese Enteignung zu kompensieren. Wird dadurch eine Wohnung mehr gebaut? Oder was wäre, wenn m an mit diesen Milliarden Wohnungen bauen würde?

„Mein Vorschlag für das Unwort 2018: herausmodernisieren“

LR: Also erst mal ist es eine politische Frage, wie viel man der Deutsche Wohnen, Vonovia und den anderen Unternehmen – zehn Unternehmen wären in Berlin betroffen, es geht ja um Unternehmen, die 3.000 oder mehr Wohneinheiten haben, die wären betroffen – […] bezahlt. Ob man symbolisch entschädigt – sagt man 1 Euro pro Wohneinheit – [Katarina Barley, Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerin, macht hier große Augen, Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP, lacht] oder ob man sagt, was die Initiative sagt: 7 bis 13 Milliarden Euro sollte man dafür bezahlen. Das ist erst mal eine politische Frage und auch eine Frage davon, wie es uns gelingt, Druck zu erzeugen. Trotzdem ist die Annahme, dass dadurch nicht eine einzige Wohnung geschaffen werden würde, falsch, Herr Plasberg. Weil: Wenn die Deutsche Wohnen oder Vonovia beispielsweise in öffentlichem Besitz wären, dann könnten diese Unternehmen natürlich auch ihren Beitrag dazu leisten, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Was sie ja jetzt offenbar nicht tun. […] Was sie tun, ist, die Preise hochzutreiben, um fett abkassieren zu können. Außerdem ist es natürlich so, dass man auch den Bestand schützen muss. Wenn man jetzt nur sagt, man muss neu bauen, günstige Wohnungen neu bauen, dann kommt man natürlich gar nicht hinterher, wenn man nicht auch den Bestand schützt. Weil, wie wir ja auch gesehen haben am Beispiel der Eisenbahnsiedlung, die Mieter herausmodernisiert werden. Die Deutsche Wohnen setzt darauf, 5 Prozent jedes Jahr aus den Wohnungen herauszumodernisieren. Das ist übrigens mein Vorschlag für das Unwort 2018: herausmodernisieren. [Katarina Barley zückt hier den Stift] Das führt aber dazu, dass diese Menschen natürlich auch wieder Wohnungen suchen. Das heißt, sie kommen mit dem Neubau nicht hinterher. Und deshalb braucht man beides: einerseits neue bezahlbare Wohnungen zu Mieten, die sich tatsächlich an den realen K osten orientieren, und auf der anderen Seite muss man den Bestand schützen, beispielsweise durch die Vergesellschaftung. Und das ist ja möglich laut Artikel 15 im Grundgesetz.

FP: Ja, Artikel 15, ganz genau. Falls Sie denken: „Stammt das irgendwie aus dem Kommunismus noch, ist das ein Überbleibsel aus der DDR? Geht das überhaupt in Deutschland?“ Natürlich geht das, Sie haben es gesagt: Artikel 15, Grundgesetz […] [siehe Kasten]

Katarina Barley [nach einem längerem Beitrag u. a. zur Geschichte und Anwendung von Artikel 15, Grundgesetz]: Enteignungen zu diesem Zweck sind durchaus möglich. Aber dann muss man sich klar darüber sein, dass man tatsächlich auch ein Haufen Geld dafür… […]

„Es fand eine Enteignung der Mieter statt!“

LR: Es gibt jetzt aus dem Hause von Andreas Geisel, dem Innensenator von Berlin, ein Gutachten, das besagt, dass unter dem Verkehrswert entschädigt werden darf.

Katarina Barley: Ja, unter dem Verkehrswert, aber nicht für 1 Euro. Das können Sie nicht einfach so, wie Sie gerade lustig sind, politisch bestimmen.

LR: Ich habe ja gerade gesagt, das ist meine politische Auffassung. Die Initiative ist der Meinung, dass, wenn man nach den leistbaren Mieten geht, dass man bei 7 bis 13 Milliarden Euro landet. Aber man muss doch auch mal sagen, dass in Wirklichkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Enteignung der Mieter stattgefunden hat. [Zum Beispiel dann] wenn […] man 300 Euro im Monat mehr für die Miete zahlt, weil eine Modernisierung stattgefunden hat, die man selber nicht wollte. Weil die Deutsche Wohnen die Wohnungen vergammeln lässt, mit dem Ziel, die Instandhaltung nicht zu bezahlen, weil sie dann die Modernisierungskosten auf den Mieter und die Mieterinnen umlegen kann. Dann hat eine Enteignung der Mieter und Mieterinnen in den letzten Jahren stattgefunden. Und die Position der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist auch, zu sagen: Das waren früher städtische Wohnungen, die privatisiert wurden, einmal die GSW und dann die GEHAG in Berlin. […] Und die Haltung ist: Wir holen uns unsere Häuser zurück. Ich kann das nachvollziehen! […]

FP: Frau Redler, […] Sie hätten jetzt noch zwanzig Sekunden.

LR: Ok, […] Was ich sagen möchte, ist, dass Sie [gewandt an Jürgen Michael Schick, Immobilienmakler und Präsident des Immobilienverbands , und an Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP] ich meine, Sie sind ja beide Vertreter der Immobilienwirtschaft …

Nicola Beer [lacht]: Wir sind Vertreter der Bürgerinnen und Bürger.

LR: … und deshalb wundert mich das gar nicht, dass Sie versuchen, die Kosten zu drücken, um die Profite rauszuholen. Aber was die tatsächlichen Preistreiber sind beim Bauen, das ist die Bodenspekulation. In Berlin sind die Bodenpreise in den letzten fünf Jahren […] um das Fünffache gestiegen. Und es gibt 30.000 Baugenehmigungen in Berlin und die werden nicht umgesetzt, weil es lukrativer ist für die Anleger, darauf zu warten, dass die Bodenpreise weiter steigen. Und deshalb sagt die LINKE: Bodenspekulation verbieten! Und das würde das Bauen deutlich billiger machen. Und dann können Sie auch nach Wien gucken, wo die Leute nur 4 bis 6 Euro netto pro qm …

[Hier gibt es engagierte Zwischenrufe von Frau Barley und Herrn Schick]

FP: Ja, das sind alles neue Themen, die man in einer Sendung nicht unterbringt … […] Ich wage noch eine Schlussrunde, aber dann müssen Sie wirklich ganz schnell machen. Für Sie ist das die größte Fantasieleistung: Sie haben eine Wohnung zu vermieten, Sie sind Eigentümer. Hier sind drei Bewerber, die sitzen. Wen nehmen Sie und warum?

LR: Wohne ich auch in der Wohnung?

FP: Nee, Sie haben die zu vermieten, Sie sind einer dieser Vermieter. Und Sie haben drei Bewerber, die sitzen hier. Wen nehmen Sie von den dreien?

LR: Oh, ich würde die glaube ich an Herrn Schick vermieten und dann mal schauen, ob sich … Marx sagt ja: Sein schafft Bewusstsein. Und dann schauen wir mal, ob sich sein Bewusstsein verändert. […]

FP: Frau Beer?

Nicola Beer: Ach, ich würde durchaus an Frau Barley vermieten, weil´s mir auch wichtig ist, dass ich einen anständigen Mieter habe, der entsprechendes Einkommen hat. Und da muss ich die Mieten nicht erhöhen. Das wäre mir wichtiger, jemanden zu haben, der sich um die Wohnung auch entsprechend kümmert. Das ist mir wichtiger, als die Miete zu erhöhen.

Die Sendung Hart aber Fair fand statt am 11. März 2019, Thema: „Menschenrecht Wohnen – In Deutschland leider unbezahlbar?“ Sie ist aufrufbar unter: https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/sendungen/menschenrechtwohnen-100.html

Die Transkription besorgte: David Zimmermann

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dieser TV-Sendung waren: Frank Plasberg (Moderator) [im Text später als FP], Jürgen Michael Schick (Immobilienmakler, Präsident des Immobilienverbands IVD), Katarina Barley (Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerin, SPD), Nicola Beer (Generalsekretärin der FDP) und Lucy Redler.

Lucy Redler lebt in Berlin, ist Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE und unterstützt die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen. Sie ist aktiv in der Sozialistischen Alternative (SAV) und Mitglied im Bundessprecher*innenrat der Strömung Antikapitalistische Linke (AKL) in DIE LINKE.

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