Winfried Wolf hat bei der Vorbereitung zu diesem Heft die Frage aufgeworfen, warum Sportsendungen, vor allem im TV, nicht strikt quotiert werden. Sein Vorschlag: „Auf den Mattscheiben 50 Prozent Frauenfußball / 50 Prozent Männerfußball“.
Seine Frage: „Würde man damit nicht einen weit größeren Beitrag zur Zurückdrängung des Patriarchats leisten als mit Forderungen nach 50 Prozent Aufsichtsrätinnen?“ Seine Begründung: „Es gibt keine Berichterstattung über Personen in Aufsichtsräten, aber wöchentlich Dutzende Stunden TV-Sendezeit über Männersportarten und so gut wie Null zu Frauensport.“ Die Idee fanden wir spannend.
Tatsächlich hatte der Deutsche Olympische Sportbund anlässlich der olympischen Spiele 2021 in Tokio einen ähnlichen Einfall: Er kritisierte, dass ganze zehn Prozent der sportmedialen Aufmerksamkeit – außerhalb von Großereignissen wie Olympia – an Sportlerinnen gingen. Mit seiner Medienkritik ging der Sportbund sogar über die Quotendiskussion hinaus. Mit der Kampagne #ShowUsEqual forderte er „eine ausgewogene und gleichwertige Sportberichterstattung – ohne stereotype und diskriminierende Darstellungen von Sportlerinnen in Wort und Bild.“
Die Deutsche Sporthochschule in Köln forscht seit mehr als 20 Jahren zum sogenannten „Gender Bias“ in der Sportberichterstattung. Auch sie konstatiert, dass im Sportteil von Tageszeitungen Bilder von Männern dominieren.
In diesem Artikel blicken wir beispielhaft auf den Fußball. Schließlich ist Fußball der weltweit populärste Sport. Auch wenn in Sportbüchern vom Fußball als einer globalen Angelegenheit berichtet wird, der irgendwann auch zu den Arbeitern kam, ist darin vom Frauenfußball meist keine Rede. Fußball erscheint als demonstrierte Männlichkeit. Das gipfelt in Argumenten wie: „das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getreten werden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich“, so der holländische Psychologe Frederik Buytendijk 1953.
Aus der Beschäftigung mit Frauenemanzipationsbewegungen wissen wir, dass Frauenfußball auch eine emanzipatorische Geschichte hat.1 Kickende Frauen gab es zuerst in England. Dort suchte Netty Honeyball 1894 per Zeitungsannoncen Fußballspielerinnen und überraschte bereits ein Jahr später mit dem Gründungsspiel des British Ladies‘ Football Club (BLFC). Vor 10.000 Menschen spielte das North Team gegen das South Team. „Ich gründete den BLFC mit dem festen Entschluss, der Welt zu beweisen, dass Frauen nicht die dekorativen und nutzlosen Kreaturen sind, die sich Männer vorgestellt haben“, erklärte Honeyball dem Daily Sketch, einer landesweiten Zeitung, die später in der Daily Mail aufging. Sie war davon überzeugt, dass die Geschlechtertrennung nicht emanzipatorisch ist, und bezog das nicht nur auf den Fußball, wenn sie ergänzte: „Ich freue mich auf die Zeit, wenn Frauen im Parlament sitzen und eine Stimme für ihre Angelegenheiten haben. “
Mediale Förderin und Präsidentin des Ladies‘ Football Club wurde Lady Florence Dixie, Suffragette und Feministin, die sich wünschte, dass die Frauen „mit Herz und Seele“ beim Spiel sein sollten. Selbst ihre Prominenz hielt die Presse nicht davon ab, nach dem Gründungsspiel hauptsächlich über die Garderobe der Ladies zu lästern. Der Reporter des Manchester Guardian berichtete: „Ihre Kleidung erregte ziemliche Aufmerksamkeit. Eine oder zwei trugen kurze Röcke über ihren Knicker-Bocker. Wenn der Reiz des Neuen vorbei ist, denke ich nicht, dass Frauenfußball die Massen begeistern wird“. Der Daily Sketch-Reporter betrachtete die „Mannschaft“ mit Häme: „Ein Fußballer benötigt Schnelligkeit, Urteilsvermögen, Geschicklichkeit und Courage. Keine dieser vier Qualifikationen war an diesem Samstag vorhanden. Die meiste Zeit trabten die Ladies ziellos über das Feld wie ungraziöse Joggerinnen“. Immerhin folgte auf das Erð 6ffnungsspiel noch im selben Jahr eine Tournee mit 20 weiteren Spielen. Von den Einnahmen erhielten die Spielerinnen nichts, denn die Erlöse wurden für gemeinnützige Zwecke gespendet. Die Presse hob nun, nachdem das Interesse am Frauenfußball nicht mehr zu übersehen war und auch die Stadien überfüllt waren, herausragende Spielerinnen hervor. Die Bury Times beschrieb Daisy Allen, die Links-außen-Spielerin als „einen kleinen vier-fuß großen Kobold“, der die Spielregeln beherrschte, was man nicht von allen sagen konnte. Beim letzten Spiel waren nur noch 400 Zuschauer im Stadion von Newcastle. Nun berichtete die Presse, dass der Reiz des Neuen für die Zuschauer vorbei sei und der Ladies‘ Football Club fuhr zurück nach London.
1902 verbot die Football Association (FA) Spiele zwischen Frauen und Männern. Seit 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs kämpften die Arbeiter an der Front, während Frauen die Munition zusammenbauten. Betriebliche Männer-Fußballgruppen hatten kriegsbedingt Spielpause, und nun gründeten Arbeiterinnen Frauenfußballclubs, wie in Preston 1917 die Dick Kerr’s Ladies. Auch sie gehörten zu den Pionierinnen des Frauenfußball. Das Geld, das die Benefizspiele der Munitionettes genannten Kickerinnen einbrachten, ging an die verletzten Soldaten ihres ‚Vaterlandes‘. Das Team hatte große Erfolge, zudem wurden weitere Frauenfußballmannschaften in Großbritannien gegründet.
1921 verbot die Football Association kickende Frauen unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass es zu finanziellen Unregelmäßigkeiten bei Frauenspielen gekommen sei. Der wahre Grund war, dass die FA die Konkurrenz für den professionellen Männerfußball fürchtete. Inoffiziell spielten Frauen weiter in örtlichen Parks und anderswo. Erst 1970 hob die FA das Verbot auf.
Im selben Jahr hob auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Verbot auf. 1930 hatte Lotte Specht in Frankfurt/Main, ebenfalls über ein Zeitungsinserat, fußballbegeisterte Frauen zusammengerufen und mit der Gründung eines eigenen Frauenfußballvereins, dem Ersten Deutschen Damen-Fußballclub (1. DDFC) am Ego der Männergesellschaft gekratzt und eine schlechte Presse in Kauf genommen, in der die Frauen veräppelt wurden, und man sie als Mannweiber und Suffragetten diffamierte. Dabei wollten sie gar keine Revoluzzerinnen sein, sondern einfach Spaß am Fußball haben, wie Lotte Specht in einem Presse-Interview erklärte. Der DFB verweigerte den Frauen jegliche Unterstützung und bekräftigte 1936 die Ächtung des Frauenfußballs, weil er mit der Würde und dem Wesen der Frau unvereinbar sei. Der 1. DDFC löste sich auf und Lotte zog als Kabarettistin in die weite Welt.
Dass 1955 der DFB seinen Vereinen den Frauenfußball erneut verbot, weil er die Damen vor kommerziellen Schaukämpfen schützen wollte, traf schon die nächste Generation. Soweit sie in der DDR wohnte, konnte sie unbehelligt Fußball spielen. Dort gab es kein Verbot. Die generöse Freigabe in Westdeutschland am 31. Oktober 1970 folgte, als die Frauen sich ohnehin dem DFB-Diktat nicht mehr beugten und kurz davor waren, einen eigenen Verband zu gründen. Noch im März 1970 wurden sie vom Moderator des „Aktuellen Sportstudios“ Wilm Thoelke wie Exotinnen angekündigt: „Nun fragt man sich natürlich: Was sind denn das für Mädchen, die das betreiben, und aus welchen Gründen tun sie das?“ Sätze die sich ein männlicher Fußballer niemals anhören musste.
Seit etlichen Jahren ist der Frauenfußball international auf dem Vormarsch. Als die deutschen Fußballerinnen 1989 den EM-Titel gewannen, gab es zwar keine Liveübertragung, aber der DFB schenkte den Frauen ein Kaffeeservice mit blauen, gelben und roten Blümchen. Darüber berichtete die Presse ausführlich. Das Service wurde berühmter als die Kickerinnen. Heute wird die Frauenbundesliga von ihren Medienpartnern offensichtlich noch immer stiefmütterlich behandelt.2 Quoten allein werden nicht reichen, von einer ausgewogenen Berichterstattung sind wir noch weit entfernt. „Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an, sondern gegen Vorurteile“, heißt es in einem Video der Frauen-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 2019.
Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin und Redakteurin des Lunapark21. Soeben ist der von ihr herausgegebene Wandkalender „Wegbereiterinnen 2022“ erschienen.
Björn Toelstede ist Restaurator im Zimmerhandwerk und Autor im Projekt Wegbereiterinnen.
Anmerkungen:
1 Gisela Notz (Hg): „Kalender Wegbereiterinnen“. Darin die Beiträge von Björn Toelstede zu Lotte Specht in Kalender 2014 und zu Netty Honeyball in Kalender 2021.
2 Deutschlandfunk vom 24.10.1920: „Es liegt auch in der Verantwortung der Medien“. https://www.deutschlandfunk.de/mehr-aufmerksamkeit-fuer-den-frauenfussball-es-liegt-auch.1346.de.html?dram:article_id=486372