DGB-Tarifvertrag zementiert Lohndumping in der Leiharbeit
David Matrai. Lunapark21 – Heft 23
Was tun gegen Lohndumping durch Leiharbeit? Die innergewerkschaftliche Diskussion über diese Frage hat sich in den vergangenen Monaten zugespitzt. Anlass waren die Tarifverhandlungen zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und den Zeitarbeitsverbänden über die Verlängerung des Branchentarifvertrages. Viele halten diesen für einen Fehler. Sie haben stattdessen gefordert, den Vertrag ersatzlos auslaufen zu lassen – um so dem gesetzlichen Grundsatz gleicher Bezahlung von Leih- und Stammbeschäftigten zur Geltung zu verhelfen.
Zum Hintergrund: Grundsätzlich sieht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vor, dass für Leihbeschäftigte die wesentlichen Arbeits- und Entgeltbedingungen der Stammbelegschaft des Entleihbetriebs gelten. Bei Lohn, Urlaub und Arbeitszeit dürften sie demnach nicht schlechter gestellt werden. Nun hat jedoch der rot-grüne Gesetzgeber vor zehn Jahren nicht nur der Leiharbeit insgesamt Tür und Tor geöffnet, sondern auch gleich die Ausnahme zur Gleichstellung eingeführt: Per Tarifvertrag nämlich kann vom Grundsatz gleicher Bezahlung abgewichen werden.
Christlicher Büttel, verzagter DGB
Bevor das Prinzip „Equal Pay“ (gleiche Bezahlung) und „Equal Treatment“ (gleiche Behandlung) für Leiharbeitsbeschäftigte ab Januar 2004 hätte greifen können, fand sich ein williger Büttel des Kapitals in Gestalt der „christlichen Gewerkschaften“. Diese vereinbarten rasch den ersten Flächentarifvertrag für die Branche – mit Lohnabsenkungen und nicht mit -zuschlägen gegenüber der Stammbelegschaft, versteht sich. Erst im Jahre 2010 war der „christliche“ Spuk vorbei: Das Bundesarbeitsgericht stellte die Tarifunfähigkeit der „christlichen Gewerkschaften“ fest und erklärte deren Tarifverträge für nichtig. Anfang 2013 kündigte die „Christliche Metall Gewerkschaft“ an, sich komplett aus der Tarifarbeit in der Branche zurückzuziehen.
Dass die Leiharbeitsbeschäftigten der Stammbelegschaft immer noch nicht gleichgestellt sind, liegt nunmehr am DGB. Der hatte als Reaktion auf die Vereinbarungen der „christlichen Gewerkschaften“ im Jahre 2003 ebenfalls Tarifverträge mit den Zeitarbeitsverbänden abgeschlossen. Diese waren zwar nicht ganz so schlecht wie die der Christen, unterliefen bzw. unterlaufen jedoch ebenfalls den Gleichstellungsgrundsatz. Und mit Lohnuntergrenzen von derzeit 8,19 Euro pro Stunde im Westen und 7,50 Euro im Osten verhindern sie Lohndumping nicht etwa, sondern schreiben Niedriglöhne fest.
Die Christen sind raus – und der DGB? Der ist offenbar gekommen, um zu bleiben. Zwar kündigte der DGB die Tarifverträge mit den Zeitarbeitsverbänden zum 31. Oktober 2013. Gleichzeitig verhandelte der Gewerkschaftsbund jedoch über eine Neuauflage. Obwohl die ursprüngliche Begründung für die DGB-Tarife mit dem Wegfall der christlichen Tarifverträge überholt ist, hielt der Gewerkschaftsbund an seiner Linie fest. Die Argumente des DGB für eine Verlängerung der Tarifverträge sind eine Sammlung tatsächlicher und vermeintlicher Risiken im Falle einer ersatzlosen Kündigung. So wird etwa behauptet, der zusätzlich zu den Entgeltgruppen gültige und für allgemeinverbindlich erklärte Mindestlohn der Zeitarbeitsbranche könne nur bei einer Verlängerung des gesamten Tarifvertrages weitergelten. Diese Behauptung wird nicht weiter begründet und es bleibt somit unbeantwortet, warum der DGB nicht ausschließlich eine reine Lohnuntergrenze (Mindestlohntarifvertrag) ohne Entgelttabelle verhandelte.
Desweiteren wird vom DGB auf die Risiken der verleihfreien Zeit verwiesen. Viele Arbeitsverträge sind jedoch auf die jeweilige Einsatzzeit befristet, womit das Problem in diesen Fällen nicht zum Tragen kommt. Zudem könnte neben der Absicherung eines weiterhin geltenden Branchenmindestlohns auch eine tarifvertragliche Regelung ausschließlich für die verleihfreie Zeit verhandelt werden. Schließlich stellen renommierte Arbeitsrechtler wie Professor Wolfgang Däubler von der Uni Bremen in Frage, dass Zeitarbeitsfirmen das Arbeitgeberrisiko in der verleihfreien Zeit auf den Arbeitnehmer verlagern dürfen, indem sie den vorhergehenden Lohn kürzen. Als weiteres Argument für einen Tarifvertrag führt der DGB an, dass Firmen mit Sitz im Ausland den Gleichstellungsgrundsatz unterlaufen könnten. Hier lässt sich unter anderem entgegenhalten, dass in diesem Fall erneut auf den allgemeinverbindlich erklärten Branchenmindestlohn Bezug genommen wird, der ja weiterhin gelten könnte.
Innergewerkschaftlicher Protest
Gegen die Haltung der Gewerkschaftsvorstände regt sich Widerspruch. Ein Offener Brief gegen den DGB-Tarifvertrag wurde von über 400 Gremien und Einzelpersonen unterzeichnet. Unter der Überschrift „Equal Pay durchsetzen statt Lohndumping tarifieren!“ wurde in dem Brief die ersatzlose Kündigung des Tarifvertrags gefordert und das Fehlen von innergewerkschaftlicher Transparenz und Meinungsbildung kritisiert. Darüber hinaus forderten die Unterzeichner/innen eine Offensive für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbehandlung und eine weitergehende Debatte über nächste Schritte im Kampf gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Der Offene Brief und die Vielzahl an Diskussionen, die der Brief in gewerkschaftlichen Gremien und Zusammenhängen anstieß, sowie weitere Initiativen zwangen die DGB-Spitze, einen Abschluss der Tarifverhandlungen um mehrere Monate hinauszuzögern und holte das Thema aus den Hinterzimmern ans Licht der gewerkschaftsinternen Öffentlichkeit. Auffällig ist dabei, dass die Debatte vor allem in ver.di stattfindet. Nicht nur dies erinnert an die Kontroverse über die Gesetzesinitiative von DGB und BDA zur sogenannten Tarifeinheit vor zwei Jahren. Wie seinerzeit ruft ein unzureichend legitimiertes und wenig transparentes Vorgehen der DGB-Führung breite Kritik innerhalb der Dienstleistungsgewerkschaft hervor. Und wie damals bleibt der ver.di-Bundesvorstand zunächst bei seiner Haltung.
Mindestens zwei Unterschiede zwischen den Debatten bestehen jedoch: ver.di und DGB-Vorstand haben im aktuellen Fall auf die Kritik reagiert und ausführlich ihre Gründe für die Tarifverhandlungen geschildert. Manchen Skeptischen mag dies überzeugt und manchen Kritiker verunsichert haben (die ver.di-Unterzeichner des Offenen Briefes wurden gar persönlich vom Bundesvorstand angeschrieben). Zweitens wurde die Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit über Beschlüsse auf den seinerzeit stattfindenden ver.di-Konferenzen im Rahmen der Organisationswahlen gestoppt. Derlei Konferenzen können eine Eigendynamik entwickeln und bieten oft mehr Raum für kritische und ergebnisoffene Diskussionen als solche in den ständigen Gremien. Allerdings stehen solche Konferenzen erst im kommenden Jahr an.
Thema nicht vom Tisch
Trotz der Kritik unterschrieben die Verhandlungsführer des DGB Mitte September – offenbar bewusst noch vor der Bundestagswahl – einen Tarifvertrag mit den Zeitarbeitsverbänden. Demnach steigen die Mindestentgelte in Westdeutschland bis 2016 schrittweise auf neun Euro pro Stunde. Im Osten wachsen sie bis dahin auf 8,50 Euro – und liegen damit auch ein Vierteljahrhundert nach der Deutschen Einheit unter dem West-Niveau.
Auch wenn es also zunächst nicht gelungen ist, einen Neuabschluss des DGB-Tarifvertrages in der Zeitarbeit zu verhindern, haben die Proteste eine gute Grundlage für weitere Diskussionen geliefert. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob die Gewerkschaften kurzfristig den Gleichstellungsgrundsatz und langfristig die Abschaffung der Leiharbeit durchsetzen wollen – oder ob sie sich mit schlechter gestellten Leiharbeitnehmern (und zunehmend Werkverträglern) als vermeintlichem Schutzpuffer der Stammbelegschaften abfinden. Zu Letzterem passt, tarifvertraglich Branchenzuschläge zu vereinbaren, die ver.di bei anderen Gewerkschaften zunächst öffentlich verurteilte – um sie dann doch selbst abzuschließen.
Das Thema ist nicht vom Tisch und dürfte – zumindest in ver.di – die ab dem kommenden Jahr stattfindenden Gewerkschaftskonferenzen der Organisationswahlen beschäftigten. Sollte es hier auf Landes- und Bundesebene zu Beschlüssen gegen eine erneute Verlängerung nach Auslaufen des neu abgeschlossenen Tarifvertrages in zweieinhalb Jahren kommen, wird dem DGB-Vorstand ein Weiter so spätestens dann kaum möglich sein.
David Matrai ist Gewerkschaftssekretär in Hannover und aktiv im Netzwerk linker Hauptamtlicher in ver.di www.labournet.de/liv