Die Klimakrise aus zentralamerikanischer und Indigena-Sicht.

Gerold Schmidt interviewt Jeffery López, Costa Rica

Der Sozialanthropologe und Videoproduzent Jeffery López gehörte vor 18 Jahren zu den Gründungsmitgliedern der costarikanischen Organisation Ditsö und ist heute ihr Vorsitzender. Ditsö arbeitet eng mit indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinden im Land zusammen. Gerold Schmidt sprach Anfang Oktober in Costa Ricas Hauptstadt San Jóse mit Jeffery über Klimakrise und den Mythos der „Schweiz Mittelamerikas“. Anlass war das X. Forum Verwundbares Zentralamerika (Centroamérica Vulnerable ), bei dem die Auswirkungen der Klimakrise in der Region eine zentrale Rolle einnahmen.

Auf welche Themen konzentriert sich Ditsö?

Unsere Arbeit hat sich im Lauf der Jahre an einem Ziel orientiert: die Organisationsfähigkeit der Landgemeinden zu stärken. Diese sind historisch immer vom costarikanischen Wirtschaftsmodell ausgeschlossen wurden. Das betrifft vor allem die indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinden im Landesnorden und ganz im Süden, also in den Extremen des Landes. Zusammen mit einer dritten Zone, der Atlantikküste, sind dies die ärmsten Regionen Costa Ricas. Wir wollen die Landgemeinden darin unterstützen, die Entscheidung und Kontrolle über die Gemeingüter, ihre Territorien ausüben zu können. Es gibt extreme Fälle wie den des indigenen Territoriums Térraba, wo die Indigenen nur 15 bis 20 Prozent des offiziell anerkannten Territoriums wirklich besitzen. Die anderen 80 Prozent befinden sich in den Händen von Großgrundbesitzern.

Wir engagieren uns gegen die Rohstoffkonzerne (extraktiven Industrien) und die Megaprojekte. Wir begleiten die Anstrengungen der Gemeinden, Widerstand zu leisten und Alternativen zu extraktiver Wirtschaft wie den Monokulturen zu entwickeln. Es geht um den Schutz des Wassers, den Schutz des kleinbäuerlichen Bodens, die Notwendigkeit ökonomischer Optionen. Dabei meine ich nicht unbedingt nur höhere Einkommen. Es geht um landwirtschaftliche Alternativen. Die Beziehung zwischen Klimawandel und Risiken können wir in den Territorien nicht leugnen. Die Auswirkungen sind präsent.

Oft beschränkt sich das Konzept des Extraktivismus auf den Bergbau. Wie definiert ihr Extraktivismus?

Wir verstehen unter Extraktivismus alle Aktivitäten, die die Gemeingüter der Territorien plündern. Das mag ein Wasserkraftwerk sein, eine Monokultur oder ein Bergbauvorhaben. Die Wasserkraft wird oft als Alternative zu den fossilen Brennstoffen bei der Stromproduktion dargestellt. Als angeblich saubere und erneuerbare Ressource. Aber wenn wir in Costa Rica die Entwicklung der Wasserkraft sehen, ist sie mit starker Umweltzerstörung und heftiger Korruption verknüpft. Diese sehen wir bei der Genehmigung der Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Im Norden des Landes gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Wasserkraftwerken und Überschwemmungen. 2016 hatte Costa Rica mit dem ersten Hurrikan zu kämpfen. Es war das erste Mal, dass das Auge eines Hurrikans über dem Festland stand. Er überschritt die historische Grenzlinie im Karibikbecken und kam bis Costa Rica „herunter“. Der Hurrikan traf auf eine Zone, in der der Wald abgeholzt war. Dort sind der Anbau von Ananas und andere Monokulturen ausgeweitet worden. Zusätzlich handelte es sich um eine Zone mit Großprojekten für Wasserkraftwerke. Es gab eine große Flutwelle, die ein ganzes Dorf überschwemmte und neun Tote zur Folge hatte. Ineffizienz der lokalen Regierung tat ihren Teil dazu. Das Gebiet hat sich bis heute wirtschaftlich nicht erholt. Wir interpretieren dies als Folge eines extraktiven Modells, das auf Akkumulation ausgerichtet ist.

Weitet Ihr diese Interpretation ebenso auf erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie aus?

Wegen der verwendeten Materialien bedeutet die globale Produktion von Solarenergie die Plünderung von Minen, vor allem in Afrika. Das ist ein bisschen wie vom Regen in die Traufe kommen. Um an einem Ort ein Problem zu lösen, gibt es woanders Auswirkungen. Wenn wir auf Alternativen in Costa Rica schauen, ist die Entwicklung solcher Vorhaben immer an den Sektor der Großunternehmen gebunden. Es gibt keine kleinteilige Entwicklung. Es wird eine Rechnung über den landesweiten Strombedarf präsentiert. „Den müssen wir befriedigen“, heißt es dann, „und dafür haben wir ein Megaprojekt entwickelt“. Wir kontern: Warum gibt es keine lokale Skala? Welchen tatsächlichen Bedarf hat eine Dorfgemeinde? Wie könnte sie an Lösungen beteiligt werden?

Bei der Windenergie sehen wir zwei Probleme. Das erste hat mit der Landvertreibung zu tun. Egal, von welcher Art der Stromproduktion wir sprechen, immer ist das Thema des Landraubs präsent. Dann das Problem der Windräder selbst: Die Windparks werden unter anderem in Naturschutzgebieten gebaut. Meistens wird das Thema der Bodenverseuchung durch austretendes Motorenöl unterschlagen. In Costa Rica ist der Staat per Gesetz verpflichtet, den Privaten deren gesamten produzierten Strom abzukaufen. Der Staat kauft den Strom teurer als er ihn selbst produziert. Derzeit werden 22 bis 24 Prozent des Strom-Mixes im Land von Privaten produziert. Somit kommen wir wieder auf das Modell und die Prioritäten des Staates Costa Rica zurück. Der Druck, den privaten Anteil auf dem Strommarkt zu erhöhen, wird immer größer. Das vom Staat unterstützte Modell ist auf den Stromexport auf den zentralamerikanischen Markt ausgerichtet.

Ein kleiner Exkurs: In Deutschland hat Costa Rica immer noch den Ruf, die Schweiz Zentralamerikas zu sein. Uneingeschränkte Demokratie, keine Armee, ein relativ hoch entwickeltes Land…

Du sprichst da etwas ganz Wichtiges an. Die vorausgegangenen Regierungen in der Zeit des Neoliberalismus – wir sprechen von inzwischen fast 40 Jahren neoliberaler Politik in Costa Rica – haben das Bild einer grünen Wirtschaft verkauft und positioniert. Wir sehen dagegen ein schwerwiegendes gesellschaftliches Konfliktpotential, das sich angestaut hat. Eine Zersetzung der demokratischen Institutionen, enorme Probleme beim Zugang zur Justiz. Der schlimmste Fall in jüngster Vergangenheit ist der Mord an unserem Mitstreiter Sergio Rojas im März dieses Jahres. Er war eine indigene Führungspersönlichkeit, gehörte zu den Bribri. Das Verbrechen ist bis heute straffrei geblieben. Organisationen wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) hatten Schutzmaßnahmen für Sergio Rojas angeordnet, aber der Staat setzte sie nicht um.

Allein im Kontext der Schutzgebiete, seien es Nationalparks oder Naturschutzgebiete, gibt es mehr als 100 offene Konflikte mit Gemeinden. Involviert sind der Staat, Unternehmen und die Landgemeinden. Der Staat hat kaum etwas für die unter Naturschutz gestellten Landstücke bezahlt. Die ursprünglichen Besitzer, die Gemeinden, haben praktisch nichts dafür bekommen, als ihr Land den Nationalparks zugerechnet wurde. Das Land wurde einfach enteignet und in Schutzgebiete umgewandelt.

Auf dem Forum hat Ditsö im Unterschied zu anderen Organisationen, denen dies schwerer fällt, eine sehr direkte Kapitalismuskritik geübt. Auf der abschließenden Pressekonferenz wurde von einem baldigen point of no return gesprochen. Glaubt Ihr, dass dieser Punkt, bei dem eine Rückkehr verunmöglicht ist, im kapitalistischen System überhaupt vermieden werden kann? Die Implosion des Kapitalismus steht ja nicht unbedingt direkt vor der Tür.

Diese Frage geht ans Eingemachte. Die aktuelle Krise zeigt uns: Wir müssen zu einem anderen Lebensmodell übergehen. Dazu gehört, erst einmal das kapitalistische Modell in seiner Version des absolut orthodoxen Neoliberalismus zu überwinden. Das heißt allerdings nicht, dass automatisch der Sozialismus im abstrakten Sinn die Antwort ist. Der Realsozialismus setzte das Wirtschaftswachstum ins Zentrum seiner Ökonomie. Er setzte auf die Agroindustrialisierung, er setzte ebenfalls auf den Extraktivismus. Heutige Beispiele sind Venezuela und Bolivien und deren Erdölindustrie. Wir glauben, die Grundlage für Alternativen liegt bei den Dorfgemeinden. Das betrifft gemeindebasierte Organisationsformen. Eine Transition geschieht nicht von heute auf morgen, aber wir müssen uns auf einen Übergang des Kapitalismus zu anderen Systemen vorbereiten. Ich will dem neuen keinen spezifischen Namen geben, aber es muss etwas Anderes sein.

Was ist für Euch Klimagerechtigkeit?

Klimagerechtigkeit hat aus unserer Sicht damit zu tun, dass die historische Rolle der Bevölkerungen Lateinamerikas im weltweiten System anerkannt werden muss. Klimagerechtigkeit muss anerkennen, dass diejenigen, die den Preis der aktuellen globalen Klimakrise zahlen, diejenigen Länder sind, die historisch gesehen vom weltweiten Wirtschaftssystem ausgeplündert worden sind. Nennen wir es nun Kapitalismus oder wie auch immer: Es handelt sich schlicht und einfach um die verschlungenen ökonomischen Beziehungen, die sich auf das Modell der Kapitalakkumulation stützen.

Klimagerechtigkeit ist ein Wunschziel. Ein weiteres Thema sind die Schadensersatzzahlungen: Wie gehen wir mit dem ökologischen Fußabdruck um? Letztendlich muss es einen Bruch bzw. mehrere Brüche geben: Brüche im Denken, soziale Brüche, Brüche von Paradigmen, politische Brüche.

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