Reichtum – mehr als genug

Eine Ausstellung im Dresdner Hygienemuseum will undogmatisch die Faszination am Reichtum thematisieren
Simone Holzwarth. Lunapark21 – Heft 23

„The World“ ist ein Luxus-Schiff, auf dem 160 Superreiche dauerhaft wohnend durch die Welt schippern. Seit 2003 lassen sie sich hier rundumversorgen mit allen Annehmlichkeiten eines exklusiven Kreuzfahrtschiffes, mit dem Unterschied, dass ihre Kreuzfahrt nicht endet, sondern ihre Art zu leben ist. Ein abgeschotteter Luxus-Kosmos für sich, Reichtum um des Reichtums willen. Ist das einfach nur absurd? Oder irgendwie doch faszinierend?

Das Dresdner Hygienemuseum präsentiert noch bis zum 10. November 2013 die Sonderausstellung „Reichtum – mehr als genug“. 1912 als „Volksbildungsstätte für Gesundheitspflege“ vom Odol-Fabrikanten August Lingner gegründet, versteht sich das Museum heute als „Forum für Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft“. Der Kurator und Philosoph Daniel Tyradellis möchte mit der Austellung Reichtum als Triebfeder menschlichen Handelns, als Faszinosum und Skandal thematisieren. In einer „bitterernsten Satire“ soll „…gezeigt werden, welches Bild wir uns vom Reichtum und von den Reichen machen.“ Laut Aussage der Initiatoren soll damit verhindert werden, dass die Ausstellung ein wirtschaftswissenschaftliches Seminar, eine politische Protestveranstaltung oder gar ein moralisches Tribunal wird: „Die Ausstellung wartet nicht dogmatisch mit endgültigen Wahrheiten auf, sondern fragt nach den Gründen und Abgründen unseres Strebens nach Reichtum.“

Auf 600 Quadratmetern wird das Innenleben des pompösen Kreuzfahrtschiffs „MS Reichtum“ inszeniert, die, so Tyradelis, auch MS Deutschland heißen könnte – und bedient sich damit der alten Metapher des Schiffes für die Gesellschaft. Es gibt nur wenige Exponate und das sinnliche Erleben der MS Reichtum mit ihrem luxuriösen Flair wird zum Kern der Ausstellung. Die Wände sind in gold gehalten und der Innenausstattung der Titanic nachempfunden. Beim Betreten der Ausstellung wird man mit Walzerklängen aus dem Ballsaal begrüßt. Man durchschreitet Luxuskabine, Galasaal, Maschinenraum und Kommandobrücke, eine Shopping-Mall, Kombüse, Sonnendeck und sogar eine Kapelle und hat manchmal wirklich für einen Moment das Gefühl, an Bord eines Schiffes zu sein, wenn sich beim Blick aus den Bullaugen der Horizont bewegt. Von Ferne hört man die stampfenden Motorengeräusche aus dem Maschinenraum.

Die Faszination an der Kreuzfahrt und an luxuriösen Schiffen ist ein Thema, das sich als roter Faden durch die Ausstellung zieht. Die gesunkene Costa Concordia hängt als riesiges Fotoportrait am Eingang zur Ausstellung, es gibt historisches Porzellan und Speisekarten zu sehen, riesige Champagnerflaschen, Rettungsringe, den Plastikliegestuhl einer Discounter-Kreuzfahrt, Fotos der „volkseigenen“ DDR-Kreuzfahrtschiffe „Völkerfreundschaft“ und „Fritz Heckert“ und des KdF-Schiffs „Wilhelm Gustloff“ mit gleichen Kabinen für alle an Bord – außer einer Luxuskabine für Hitler.

Die Ausstellung dieses luxuriösen Innenlebens der MS Reichtum entwickelt sich dann doch ein bisschen zum wirtschaftswissenschaftlichen Seminar, aber auf eine sehr anschauliche und anregende Weise: Diverse Objekte an Bord werden zur Darstellung von Statistiken zum Reichtum in Deutschland und stellenweise auch im internationalen Vergleich verwendet. Verschieden große Koffer zeigen beispielsweise, welches Land die meisten Millionäre pro Einwohner hat (die USA gewinnen…). Die wachsenden Steuereinnahmen der beiden Kirchen in Deutschland wird anhand immer größeren Altarkerzen dargestellt und verschieden lange Schlipse zeigen auf einprägsame Weise die Statisktik zum Wachstum des deutschen Erbschaftsvolumens.

Je weiter man in das Schiff hineinläuft, desto mehr schleichen sich Bilder der Perversion des Reichtums und der damit verbundenen Gegensätze in die Ausstellung ein. Der Blick aus einem Bullauge zeigt ein überladenes Boot mit afrikanischen Flüchtlingen vor Lampedusa. Die Super-Luxusyacht „Eclipse“ des russischen Milliardärs Abramowitsch mit seinen absurden Selbstverteidigungsvorrichtungen steht als Sinnbild für Abschottung und Verfolgungswahn. Im Pool auf dem Sonnendeck werfen die großen und kleinen Fische Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland auf: 73 Cent kostet es jeden Bundesbürger pro Jahr, dass Hartz IV-Leistungen missbraucht werden, während es 1250 Euro kostet, dass massiv Steuern hinterzogen werden. Ein Kavaliersdelikt?

Bei all den Zahlen und Fakten zum rasant ansteigenden Wachstum von Vermögen, dem kaum begreifbaren Überfluss in den Händen weniger, den Ungerechtigkeiten des Steuersystems usw. fragt man sich unweigerlich: Wo hört das auf? Was ist gerecht? Wie viel müssten Reiche abgeben von ihrem „mehr als genug“? Antworten auf diese Fragen gibt die Ausstellung nicht. Stattdessen schießt sie sich ganz auf die Weltsicht „der Reichen“ ein – allerdings ohne, dass diese selbst in O-Tönen zu Wort kommen würden. Dabei wäre es durchaus interessant, ihre Position zu den drängenden Fragen, die sich aus den Statistiken ergeben, zu hören. Was sagt eigentlich die reichste Frau der Welt, Liliane Bettencourt, zur ungleichen Verteilung des Reichtums? Und welche Perspektive hat der mehrfache Milliardär Roman Abramowitsch auf die Finanzkrise? Leider Fehlanzeige. Verkörpert werden verschiedene Typen, die sich an Bord der „MS Reichtum“ befinden, stattdessen von Schauspieler Martin Wuttke in kurzen Videofilmen, die an verschiedenen Stellen in der Ausstellung zu sehen sind. In Monologen über ihre Sicht der Dinge kommt ein reicher Rentner zu Wort, der sich endlich etwas gönnen möchte, ein neureicher Schlagersänger, eine Charity-Lady, die glaubt, mit ihren Spendengalas zur Weltrevolution beitragen zu können, ein Mäzen, der sich selbst als Exzentriker im Dienste des zivilisatorischen Fortschritts sieht, ein von Reichtumssorgen geplagter Unternehmer und schließlich eine Servicekraft, der beim Putzen der Luxuskabine Benjamin Franklins „Der Weg zum Reichtum“ in die Hände fällt. Diese Charaktere sind derart überzeichnet, dass es zwar ganz lustig ist, sich die Videos anzuschauen, diese aber kaum Erkenntniswert bieten. Hier hat sich Tyradelis mit seinen eigenen Vorstellungen über „die Reichen“ ausgelebt.

Was ist also der pädagogische Anspruch dieser Ausstellung, wenn sie doch keine absoluten Wahrheiten präsentieren will, keinen moralischen Zeigefinger erheben möchte und kein politisches Statement abgeben will? Es soll um Reichtum als Triebfeder menschlichen Handelns gehen, als Sinnstiftung, und um die Perversionen, die Reichtum mit sich bringt. Im „Krankenzimmer“ geht es um die Frage: „Wieviel Reichtum ist gesund?“ Hier werden beispielsweise satirisch benannte Medikamente gegen Krankheitsphänomene wohlhabender Menschen ausgestellt wie zum Beispiel „Multidrogan“. Dieses Wundermittel wird mit dem Slogan beworben: „Für alle, die schon alles haben und noch mehr wollen… Für alle, die hinter die Fassade geschaut haben.“ Reichtum macht also nicht glücklich? Das dürfte kein besonders neuer Erkenntnisgewinn für die Besucher sein.

In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur sagt Tyradelis: „…wenn man die Zahlen genau liest, es stimmt, dass die Reichen immer reicher werden, aber die Armen werden auch immer reicher. Und das Bild, das dadurch, dass die Reichen reicher würden, die Armen automatisch ärmer würden, stimmt so einfach nicht.“ Steigender Reichtum heißt also nicht steigende Armut, so die These. In der Ausstellung bildlich umgesetzt wird dies in der „Kombüse“, wo es um die Situation der Welternährung geht und um die globale Entwicklung der absoluten Armut. Mit Hilfe von unterschiedlich langen Schöpfkellen, die an der Wand hängen, wird die Statistik sichtbar: Die Zahl der absoluten Armut, also der Menschen die von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben, ist rückläufig. Na, dann ist doch alles ok, kann man da meinen. Warum zeigt Tyradelis nicht die Entwicklung in Deutschland in den letzten Jahren? Hier zeichnet sich ein ganz anderer Trend ab: Zunehmende Prekarisierung der Arbeit, steigende Kinderarmut und Obdachlosigkeit. Alles Leiden auf hohem Niveau?

„Reichtum macht also nicht glücklich“ und „steigender Reichtum heißt nicht gleichtzeitig steigende Armut“ – das sind die beiden Thesen, die am Ende hängen bleiben. Zur politischen Mobilisierung möchte die Ausstellung damit nicht beitragen. Das tut sie mit diesem Konzept definitiv nicht. Mit einer Mischung aus Satire und größtenteils gut aufbereitetem statistischen Material bringt die Ausstellung aber ein brandaktuelles, hochpolitisches Thema in ein Museum, in dem man es erst mal nicht vermutet. Der Besuch ist ein unterhaltsames Erlebnis.

Simone Holzwarth lebt in Berlin und promoviert über das sozialreformerische Bildungsmodell von M. K. Gandhi im Indien der 1930er Jahre. Als Trainerin der politischen Bildung beschäftigt sie sich viel mit Reichtum und Armut im globalen Kontext und mit seinen historischen Wurzeln im europäischen Kolonialismus.
Website von „The World“, abstrus, sich das anzuschauen: http://aboardtheworld.com/our_story und: http://aboardtheworld.com/video.htm

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