Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum versucht angesichts der Trump-Regierung einen Balanceakt
Es sah alles nach einem entspannten Start für Claudia Sheinbaum aus. Die erste Frau im mexikanischen Präsidentenamt begann ihre Regierungszeit Anfang Oktober 2024 unter fast optimalen Vorzeichen.
Beliebtheitswerte der 62-jährigen Präsidentin zwischen 70 und 80 Prozent, eine für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit ihrer progressiv-reformistischen Morena-Partei1 und Bündnispartner in Senat und Abgeordnetenhaus, makro-ökonomische Stabilität, zunehmender Handel sowohl mit den USA als auch mit China, steigende Steuereinnahmen, um die Sozialpolitik ihres Vorgängers Andrés Manuel López Obrador weiter auszubauen. Im Eiltempo brachte die neue Regierung mehr als ein Dutzend kleinere und größere Gesetzesreformen durch, an denen López Obrador wegen der fehlenden qualifizierten Mehrheiten noch gescheitert war. Zu den nun in der Verfassung festgeschriebenen Änderungen gehören eine umfassende Justizreform, die Anerkennung der indigenen Völker Mexikos als Rechtssubjekte, aber auch die formale Eingliederung der Nationalgarde in die Militärstrukturen, eine Alterssicherung für die Bevölkerung ab 65 und das Recht auf koste nlose medizinische Grundversorgung. Doch dann kam Donald Trump. Seit dem 20. Januar bereitet sein erratisches und auch gegenüber Mexiko von ständigen Drohungen geprägtes Verhalten der Sheinbaum-Regierung erhebliches Kopfzerbrechen. Die drei beherrschenden Themen in der bilateralen Beziehung sind Strafzölle, Migration und das Vorgehen gegen die Drogenmafia. Mal schmeißt Trump diese Themen alle in einen Topf, mal konzentriert er sich auf eine dieser Problematiken. Nach dem Motto »Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an«, sind seine Aussagen von Widersprüchen geprägt. Die Reaktion von Sheinbaum ist bisher kohärent. Sie vermeidet konsequent, Provokationen wie Trumps Umbenennung des Golf von Mexiko in Golf von Amerika mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Fast schon gebetsmühlenartig plädiert sie für einen »kühlen Kopf«, für Dialog und Zusammenarbeit. »Aber niemals eine Unterordnung«, schiebt sie nach.
Tatsächlich sind ihre Regierungsmitglieder mit Teilen der Trump-Administration in ständigem und intensivem Austausch. Das Problem ist das asymmetrische Machtverhältnis zwischen den USA und Mexiko. Beispiel Wirtschaft: Beide Nationen sind über den Freihandelsvertrag T-MEC,2 zu dem noch Kanada gehört, verflochten. Mexiko war in den vergangenen zwei Jahren der wichtigste Handelspartner der USA. Doch während die USA gut 15 Prozent ihres Außenhandels mit Mexiko abwickeln, sind es umgekehrt fast 85 Prozent. So sehr sich die USA mit ihrer Zollpolitik ins eigene Fleisch schneiden könnten, für Mexiko wären die Auswirkungen heftiger.
Strafzölle als Mehrzweckwaffe
Trump kündigte noch im Januar Strafzölle von 25 Prozent auf alle mexikanischen Ausfuhren in die USA an. Nach einem Gespräch mit Sheinbaum setzte er sie aus, ordnete dafür aber wenige Tage später 25 Prozent Zoll auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren in die USA an. Eine weitere Drohung: Mindestens 25 Prozent Strafzölle auf aus Mexiko eingeführte Autos, auch 100 Prozent waren schon im Gespräch. Damit will Trump die billig in Mexiko produzierenden US-amerikanischen und internationalen Autokonzerne zwingen, ihre Standorte in die USA zu verlagern.
Ein abrupter Ausstieg aus dem T-MEC vonseiten der USA ist ein weiteres Trump-Szenarium. Über viele Jahre hinweg haben linke zivilgesellschaftliche Kräfte diesen Freihandelsvertrag zu Recht kritisiert, weil er eine eigenständige nationale industrielle Entwicklung erschwerte und große Teile der mexikanischen Landwirtschaft zerstörte. Nun wäre ein plötzlicher Ausstieg der USA für Mexiko jedoch kurzfristig verheerend.
Für einen möglichen Verzicht, die Zölle einzuführen, verlangt der US-Präsident von Mexiko eine Versiegelung der gemeinsamen Grenze, um die Migration aus Mexiko und vor allem aus den zentralamerikanischen Ländern zu stoppen. Zudem soll Mexiko nicht nur deportierte Mexikaner:innen aufnehmen, sondern auch abgeschobene Migrant:innen aus anderen Ländern. Bisher scheitern die angekündigten Massendeportationen der USA an fehlenden logistischen Kapazitäten. Joe Biden ließ 2021 in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft deutlich mehr Menschen abschieben als Trump jetzt. Sollte sich das ändern, wäre Mexiko mit der Aufnahme der Migrant:innen völlig überfordert.
Trump knüpft einen Verzicht auf Zölle ebenfalls an ein verstärktes Vorgehen der mexikanischen Regierung gegen die Drogenmafia. Mitte Februar stufte er sechs mexikanische Drogenkartelle als terroristische Organisationen ein. Das gäbe den USA nach ihrer eigenen Gesetzgebung die Rechtfertigung für militärische Interventionen in Mexiko, eine von in der Vergangenheit mehrfach ausgesprochene Drohung. Sogar die Bombardierung von Einrichtungen der Kartelle auf mexikanischem Territorium brachte er ins Gespräch.
Der mexikanischen Regierung bleibt nichts übrig, als teilweise gute Miene zum bösen Spiel zu machen. So gibt Sheinbaum das Versprechen, den wirtschaftlichen Einfluss Chinas im Land zu begrenzen. Dazu gehört Symbolpolitik: die öffentlichkeitswirksame Beschlagnahme von nachgeahmter Markenware aus China sowie Importzölle von 20 Prozent auf Textilien der chinesischen Unternehmen Shein und Temu. Doch im vergangenen Jahr wuchs der mexikanische Handel mit China um 9,2 Prozent. Chinesische Unternehmen investieren zudem seit einigen Jahren zunehmend in Mexiko. Es würde dem Land schwerfallen, darauf zu verzichten.
Abschreckung der Migrant:innen
Öffentlich bestreitet Mexiko, die Rolle eines »sicheren Drittlandes« für die USA zu spielen. Doch faktisch kann die Regierung kaum anders, als Erfüllungsgehilfin der US-amerikanischen Migrationspolitik zu sein. Um Trump von seinen Zollplänen abzubringen, schickte die mexikanische Präsidentin 10.000 Mitglieder der Nationalgarde an die mehr als 3000 Kilometer lange Nordgrenze, um den Migrant:innen den Übergang in die USA zu erschweren. Gleichzeitig richtete sie mehrere Auffanglager ein, um halbwegs auf massive Deportationen vorbereitet zu sein. Bisher sind diese ausgeblieben. Doch wenn Trump das unter Barack Obama initiierte DACA-Programm für minderjährige Migrant:innen zerstört, sind allein dadurch mehrere Hunderttausend Mexikaner:innen von der Abschiebung bedroht.
Schon seit Jahren riegeln Militär, Nationalgarde und Polizeikräfte in Mexikos Süden die Grenze zu Guatemala ab. Hier haben die Versuche, die Grenze abseits der offiziellen Übergänge zu passieren, in den vergangenen Wochen von täglich etwa 2000 auf 100 bis 200 abgenommen.
Offensichtlich warten die Menschen die weitere Trump-Politik ab. Ein nicht unerheblicher Teil der Migrant:innen aus Zentralamerika und anderen Ländern, die es bis nach Mexiko geschafft haben, überlegt, dort zu bleiben.
Sheinbaums Regierung weiß, dass sie das Problem der Drogenmafia und deren Kollusion mit staatlichen Funktionsträger:innen angehen muss. Doch sie muss auch immer eine Gewalteskalation befürchten. Der Druck durch die USA erhöht diese Gefahr. Zuletzt hoben die mexikanischen Sicherheitskräfte verstärkt Drogenlabore aus. Sie beschlagnahmten große Mengen synthetischer und traditioneller Drogen und verhafteten mehrere Köpfe der Kartelle und Kommunalpolitiker:innen, die offensichtlich mit der organisierten Kriminalität zusammenarbeiteten. Trump wird dennoch nicht müde zu erklären, Mexiko werde von den »Narcos«, den Drogenbossen, regiert. Der mexikanischen Regierung gelang es zumindest, den illegalen Waffenverkauf aus den USA an Kartelle und organisiertes Verbrechen auf die politische Agenda zu setzen. Ohne diese Waffen hätte die Drogenmafia bei weitem nicht die Schlagkraft, die sie heute auszeichnet.
Wirtschaft unter Druck
Bislang zeigt sich die mexikanische Wirtschaft noch stabil. Der mexikanische Peso hat sich nach einer vorübergehenden Schwäche erholt. Die Inflation ist mit derzeit unter vier Prozent weitgehend unter Kontrolle. Die erwarteten Auslandsinvestitionen weisen mit etwa 40 Milliarden Dollar in diesem Jahr einen Rekordwert auf. Die Devisenreserven der mexikanischen Zentralbank sind mit 230 Milliarden Dollar so hoch wie nie zuvor. Die remesas, die Überweisungen der in den USA lebenden Mexikaner:innen an ihre Familien, erreichten 2024 mit etwa 66 Milliarden Dollar ebenso einen Höchststand. Trotz dieser hohen Summe ist ihr Anteil mit 3,5 Prozent des Bruttosozialproduktes wesentlich geringer als es beispielsweise bei den remesas der kleinen mittelamerikanischen Ökonomien der Fall ist. Das macht Mexiko ein bisschen weniger verwundbar, sollten diese Überweisungen aufgrund von Trumps Migrationspolitik einbrechen. Die öffentlichen Schulden sind im vergangenen Jahr a uf knapp über 50 Prozent des Bruttosozialprodukts gestiegen. Das ist im internationalen Vergleich nicht übermäßig hoch.
Doch Wirtschaftsdaten können sich schnell ändern. Die mexikanische Zentralbank halbierte angesichts der US-Politik die ohnehin niedrige Wachstumsprognose von 1,2 auf 0,6 Prozent für dieses Jahr. Wenn Trump Strafzölle und Massendeportationen umsetzen sollte, droht eine Rezession in Mexiko. Das würde die ehrgeizigen sozialpolitischen Ziele der Regierung gefährden. Dazu gehören die jährliche Erhöhung des Mindestlohnes um zwölf Prozent, die Grundrente für Frauen ab 60 Jahren, Stipendienprogramme für 20 Millionen Kinder und Jugendliche, aber auch die Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus, sowie ein erweitertes öffentliches Fortbildungs- und Sorgeangebot in den Städten. Dort leben inzwischen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung. Die 25-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt ist Vorreiter und Experimentierfeld, beispielsweise beim Ausbau der Programme für Hausbesuche durch Ärzt:innen und medizinisch geschultes Personal für Menschen mit eingeschränkter Mobilität.
Die staatlich gelenkten Ausbaupläne für Häfen und Schienenverkehr sowie die Stärkung des staatlichen Stromkonzerns CFE und des Erdölunternehmens Pemex sind ebenfalls nur finanzierbar, wenn die Steuereinnahmen zumindest nicht schrumpfen. Und dann ist da noch Sheinbaums Vision für eine eigene staatliche Produktion kleiner Elektroautos. Ihr Traum: Eines dieser Modelle fährt zur Eröffnung der ausgerechnet gemeinsam mit den USA und Kanada veranstalteten Fußballweltmeisterschaft am 11. Juni 2026 in das 100.000 Zuschauer:innen fassende Azteken-Stadion ein.
Die derzeit in Mexiko gegen den weltweiten Trend bedeutungslose radikale Rechte verbindet dagegen die aggressive Trump-Politik mit der Hoffnung auf ein Scheitern von Claudia Sheinbaum. Sie wartet darauf, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Regierung bröckelt. Das wäre für Mexiko fatal. Auf der jährlichen Conservative Political Action Conference in Washington grüßte nicht nur Steve Bannon das Publikum mit ausgestrecktem rechten Arm. Der mexikanische Politiker Eduardo Verástegui tat es ihm nach.
Gerold Schmidt ist als Ökonom und Journalist seit über 30 Jahren Wanderer zwischen Deutschland und Mexiko. Er leitet seit März 2024 das Regionalbüro Mexiko der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Anmerkungen:
1 Movimiento Regeneración Nacional (Bewegung der Nationalen Erneuerung).
2 Tratado entre México, Estados Unidos y Canadá (T-MEC), 2018. Jedes der beteiligten Länder setzt sich in der Bezeichnung des Vertrags an die erste Stelle, deshalb sind auch USMCA und CUSMA als Abkürzung gebräuchlich. Nicht nur America first; Mexico first, Canada first.