Warum Reedereien Häfen, Seetransport und Eisenbahnen kaufen
Als die Hamburgische Bürgerschaft im vorigen Jahr mit den Stimmen von SPD und Grünen die Entscheidungsmacht über Hamburgs Hafen für Jahrzehnte mit dem Teilverkauf an die Schweizer Reederei MSC aufgab, war das einer der seltenen Momente, in denen privatwirtschaftliche Dominanz über die Transportinfrastruktur klar zu Tage trat.
Doch schon vor einem Vierteljahrhundert startete die Europäische Kommission Verkehrsprojekte, die mit Begehrlichkeiten der weltgrößten Reedereien und Hafenbetreiber zusammenspielen.
»Motorways of the Sea«
Um die Jahrtausendwende behaupteten Verkehrsprognosen, im gesamten Gebiet der Europäischen Union werde es bis etwa 2015 eine mindestens 60-prozentige Zunahme des Güterverkehrs auf der Straße geben – Tendenz steigend. Es sei dahingestellt, ob diese Prognosen mit ihrer Verlängerung eines zurückliegenden Verkehrswachstums in die Zukunft methodisch saubere Ergebnisse lieferten. Richtig an ihnen war die Aussage, dass das Straßennetz nicht mehr ausreichend erweiterbar sei. Vor allem die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie durch störanfällige Logistikketten und wachsende Transportkosten wurde betont.
Mit dem Marco-Polo-Programm, einem Konzept für den europaweiten Kombiverkehr mit Schiff, Eisenbahn und LKW, sollte dem begegnet werden. Mit möglichst starker Beteiligung des Kurzstreckenseeverkehrs war die Benutzung verschiedener Verkehrsträger mit nur wenigen Schnittstellen zwischen den europäischen Regionen beabsichtigt. Als Voraussetzung für den Erfolg wurde eine bessere Verknüpfung von Seehäfen mit dem Programm Transeuropäische Netze (TEN-T)der Landverkehrsträger, besonders der Eisenbahn, genannt.
Die vorgeschlagene Verlagerung von Gütertransporten auf den Seeweg lieferte überdies ein stimmiges Argument, das zur Erhöhung der öffentlichen Akzeptanz eingesetzt wurde: Die unausbleibliche Zunahme der Umweltzerstörung durch noch mehr LKW-Verkehr kann durch Schiffstransporte vermieden werden. Für keine andere Transportart muss so wenig Energie aufgewandt werden.
Im Rahmen des Marco-Polo-Programms entstand das Projekt Motorways of the Sea. In seinem Zentrum stand die Einrichtung von vier Hauptseewegen bis 2010 und an ihnen der Ausbau ausgewählter Häfen als Verteiler für das Hinterland sowie für die Anbindung an den weltweiten Seeverkehr. Zwei dieser Motorways durchziehen das Mittelmeer. Der eine verbindet Spanien, Frankreich, Italien und Malta; der andere die Adria mit Zypern und dem östlichen Mittelmeer. Entlang der europäischen Atlantikküsten wurde der Ausbau des Verteilerverkehrs gefördert, wie auch die Verbilligung des Güteraustauschs mit der iberischen Halbinsel, da der Landweg über die Pyrenäen entfällt.
In der Ostsee werden schließlich mehrere Tiefwasserhäfen neu gebaut, eine Voraussetzung für den Verkehr größerer Schiffe. Ihr Einsatz macht direkte Verbindungen nach Zentral- und Westeuropa profitabler. Im Verlauf der Motorways sind die Schifffahrtsstraßen technisch und rechtlich so ausgelegt, dass Großschifffahrt mit hoher Geschwindigkeit bei starker Verkehrsdichte stattfinden kann. Diesen Seewegen wird inzwischen nicht nur wirtschaftliche Bedeutung zugemessen, sondern ihre militärische Sicherung gilt als wichtige sicherheitspolitische Aufgabe.
Hafenentwicklung und Transportinfrastruktur
Während die Optimierung der Schifffahrtsstraßen die Zustimmung der International Maritime Organization zu rechtlichen Neuregelungen erforderte, spielten beim Ausbau der Häfen Kriterien für die Vergabe von Fördermitteln im oberen dreistelligen Millionenbereich eine wichtige Rolle. Zählt man die Seehäfen in der EU, so kommt man auf mehr als 1200. Die Mehrzahl von ihnen erfüllt lokale, allenfalls regionale Anforderungen. Ihr Potential für gute kleinräumige Versorgungsstrukturen bleibt bis auf wenige Ausnahmen außer Betracht. Die Förderung konzentriert sich auf Häfen des Seaport Core Net. Zu diesen »Kernnetzhäfen« zählen in Deutschland Bremerhaven, Hamburg und Rostock, in Schweden Göteborg, Luleå, Stockholm und Trelleborg, in Polen Gda ´ nsk und Szczecin- ´ Swinouj ´ scie, schließlich auch die ganz großen, Antwerpen in Belgien und Rotterdam in den Niederlanden.
Die Aufzählung zeigt, dass Umschlagorte gemeint sind, auf die das ökonomische Interesse der Global Player des Seetransports gerichtet ist, wenn von der nachhaltigen, umweltschonenden Verbindung der europäischen Regionen gesprochen wird. So wurde vor wenigen Monaten die Vertiefung des Rostocker Seekanals abgeschlossen. Über eine Länge von 16 Kilometern entstand eine Baggerrinne mit 16,5 Metern Tiefe. Wenn entsprechende Liegeplätze gebaut sein werden, kann Rostock von sogenannten Baltimax-Frachtern mit 15 Meter Tiefgang angelaufen werden. Zu der Größenklasse zählen Containerfrachter mit etwa 260 Meter Länge und einer Höhe von maximal 65 Metern. Sie können die Ostsee nur rund um Skagen und durch den Großen Belt erreichen, Schiffe mit mehr Tiefgang oder Höhe gar nicht. Der Nord-Ostsee-Kanal ist für Baltimax-Frachter zu klein. Neben seinem maroden Zustand dürften die Tage als meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt auch deshalb gezählt sein.
Es sind gerade die oft mit öffentlichen Geldern ausgebauten Häfen mit weit entwickelten Umschlageinrichtungen und guter Hinterlandanbindung, die von privatwirtschaftlichen Unternehmen übernommen und betrieben werden. Logistikkonzerne wie PSA International oder HPH sichern sich auf allen Kontinenten große Tortenstücke des globalen Güterumschlags. Mit ihnen konkurrieren Reedereien wie MSC oder Mærsk. Das sind Reedereien, die in ihren Flotten die größten heute vorhandenen Containerfrachter einsetzen. Die Schiffe, die um 20.000 Container von 20 Fuß Länge befördern können, sind nur in engen Grenzen profitabel. Ihre Auslastung ist ein Faktor, verzögerungsfreie Transporte in allen Phasen ein anderer.
Zur Risikominimierung müssen Schiff und Terminal sowie die landseitige Zu- und Abfuhr mit anderen Verkehrsmitteln eine aufeinander abgestimmte Kapazität aufweisen. Je größer die in einem kurzen Zeitraum umzuschlagende Frachtmenge ist, umso leichter treten Störungen auf, derentwegen Lagerkapazitäten überschritten oder Belastungsspitzen im intermodalen Verkehr erzeugt werden. Ist der gleichmäßige Güterfluss landseitig gestört, gibt es kaum Möglichkeiten, dem auf See auszuweichen, da die Zahl geeigneter Häfen gering ist.
Unter diesen Umständen wuchs das als Sachzwang ausgegebene ökonomische Interesse, ganze Logistikketten – heute eigentlich Logistiknetze – in die eigene Hand zu bekommen. Der eingangs erwähnte Verkauf geht denn auch weit über die Terminals des Hamburger Hafens hinaus. Mit dem eingeschlossenen Erwerb der Eisenbahngesellschaft Metrans erwarb MSC den Zugriff auf Bahnverkehr und Umschlagzentren in zwölf Staaten, darunter weitere Seehafenterminals. Bernhard Gierds beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit Entwicklungen in der Seeschiffahrt, dem Ausbau der maritimen Infrastruktur und dem Meeresschutz