No Other Land

Palästinensisches Leben in der Westbank

Am 4. Februar 2025 erklärte US-Präsident Donald Trump  seine Absicht, den Gazastreifen zu übernehmen und alle palästinensischen Menschen zu vertreiben. Von der folgenden öffentlichen Empörung und diplomatischen Kritik lässt er sich nicht beeindrucken. Vor einem Jahr hatte auf der Berlinale 2024 der israelisch-palästinensische Film »No Other Land« den Preis für den besten Dokumentarfilm und 2025 den Oscar. Er beschreibt den seit über 20 Jahren währenden Kampf der in den südlich von Hebron gelegenen Hügeln von Masafer Yatta lebenden Palästinenser mit den israelischen Behörden um ihre Heimat.

Zwei der Filmemacher stammen aus der Region, die anderen beiden sind Israelis. Basel Adra aus Masafer Yatta und Yuval Abraham aus Israel sind selbst in dem Film zu sehen.

Die Palästinenser lebten schon lange vor der Staatsgründung Israels dort zunächst in Höhlen, später in armseligen Häusern. Die Existenz ihrer Dörfer wurde von Israel nie anerkannt. 1980 erklärte die israelische Regierung die Region zum militärischen Manövergebiet. Schon zuvor hatte der spätere Premierminister Ariel Sharon klargestellt, dass diese Zonen ausschließlich dazu dienen würden, dort israelische Siedlungen zu bauen – also die Palästinenser von dort zu vertreiben; der zwischen 2019 und 2023 gedrehte Film zeigt die Konsequenzen.

Nachdem schon Ende der 1990er Jahre über tausend Bewohner durch Israels Armee gewaltsam fortgeschafft worden waren, jedoch einen vorläufigen Schutz erstreiten und zunächst zurückkehren konnten, ist der Rechtsweg seit zwei Jahren erschöpft, und die Armee macht in unmittelbarer Nähe der Dörfer regelmäßig Übungen mit scharfer Munition und schickt Soldaten, die die Häuser der Dörfler zerstören.

Die Bagger der Armee sind in dem Film das wiederkehrende Ereignis; alle Häuser sind von Zerstörung bedroht. Szene: Welches Haus wird es heute treffen? Hektisch versuchen die Menschen aus dem betroffenen Haus zu retten, was zu retten geht. Manchmal gelingt das nicht rechtzeitig, dann geht alles verloren, was drinnen geblieben war. Diese Situation betrifft nicht nur einzelne Familien, sondern die ganze Dorfgemeinschaft – alle sind betroffen und alle versuchen, sich zu wehren. Szene: Sie protestieren, schreien die Soldaten an, »was würdest Du tun, wenn man Dein Haus zerstört?«, stellen sich ihnen in den Weg. Aber sie haben keine Chance.

Da es für Palästinenser keine Baugenehmigungen gibt, bauten sie die Schule für ihre Kinder eben »illegal« – am Tage die Frauen, nachts die Männer, damit es nicht gleich bemerkt wird. Szene: Endlich ist sie fertig! Die Kinder freuen sich auf die Schule, drängen den Vater, sie hinzufahren und singen froh auf dem Weg – um wieviel schrecklicher ist es für sie, es mitzuerleben, dass ihre Schule wieder zerstört wird. Die Soldaten, die die Abrissbagger begleiten, erscheinen als Unpersonen, nichts Menschliches geht von ihnen aus, wie Maschinen verrichten sie ihr Zerstörungswerk – alles, was sich ihnen entgegenstellt, wird beiseite geräumt. Die Soldaten sagen nicht viel, außer »Zurück!« oder »Dies ist israelisches Land!« oder »Wir setzen nur einen Gerichtsbeschluss um«.

Wenn die Dörfler gegen die Zerstörung demonstrieren, setzt die Armee Tränengas ein, wenn jemand sich den Soldaten protestierend nähert, wird er verhaftet und wenn einer sein Hab und Gut verteidigen will, wird geschossen. Und wenn die Siedler kommen und gewalttätig werden, schauen die Soldaten tatenlos zu.

Szene: Einmal kommt der frühere britische Premierminister Tony Blair zu Besuch, begleitet von vielen Kameras, und prompt stellt das Militär die Zerstörungen ein, natürlich nur vorübergehend. Internationale Aufmerksamkeit ist nicht erwünscht, und ständig kommen Soldaten auf die Kamera zu, halten die Hand davor, schubsen die Filmenden weg.

Wir sehen, wie ein israelischer Journalist, Yuval Abraham, in das Dorf kommt, um über die Ereignisse zu berichten. Von den Einheimischen wird er ironisch »human-rights-Israeli« genannt, denn was soll seine Aktivität schon bewirken? Er kommt in Kontakt mit Basel Adra, einem Dorfbewohner, der Jura studiert hat, aber in der aktuellen Situation keine Arbeit findet. Wie sie sich einander nähern, einen Dialog beginnen und ihn aufrechterhalten, obwohl ihre Lebenswirklichkeit so verschieden ist, ist bewegend. Immer wieder bilden die Gespräche der beiden einen Ruhepunkt zwischen den Bildern der Gewalt. Basel fragt Yuval, wer dessen Berichte denn lesen wird, und Yuval muss zugeben: Nicht viele. Und dann kann er abends wieder nach Hause in Israel fahren, was für Palästinenser völlig ausgeschlossen ist. Allein die Farbe des Ausweises oder des Nummernschilds am Auto zeigt jedem, wo sein Platz in diesem System der Ungleichbehandlung ist; und das betrifft die Bewegungsm_ f6glichkeit ebenso wie die Arbeitsbedingungen oder das Rechtssystem.

 Zunehmend gerät Adra ins Visier des Militärs. Nachts tauchen Soldaten auf, die das Haus seiner Familie nach ihm durchsuchen, sein Vater wird verhaftet. Der Film fängt die Zermürbung ein, den psychologischen Preis für die, die noch ein Dach über dem Kopf haben. Und dennoch: Alle Menschen, auch und besonders die Frauen, beweisen täglich ihre Standhaftigkeit, die auch ich während meiner Besuche in der Westbank immer wieder erlebt habe.

Szene: Und wieder kommen die Soldaten mit den Baggern ins Dorf, ein nächstes Haus ist an der Reihe. Diesmal zerstören sie auch die Schafställe und sogar die Außentoilette, es soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Als die Soldaten auch einen Generator konfiszieren, der die einzige Stromquelle für die Familie ist, wehrt sich der Besitzer vehement, wird von den Soldaten angeschossen und bleibt querschnittsgelähmt zurück. Zwei Jahre später stirbt er an den Folgen der Verletzung.

Die Wasserleitung des Dorfes wird zerschnitten, der Brunnen zubetoniert – es soll kein Leben mehr möglich sein in Masafer Yatta. Die Menschen ziehen sich in die Höhlen zurück, in denen ihre Großeltern gelebt hatten. Und doch weigern sie sich, wegzugehen. Wo sollen sie auch hin? Sie haben kein anderes Land. Sie sind hier verwurzelt. Basel sehnt sich nach einem Leben in Sicherheit und Frieden, einem eigenen Staat, aber er weiß, dass man einen langen Atem brauchen wird. Man merkt ihm an, wie die Situation an ihm zerrt, wieviel Kraft sie kostet, und immer wieder sagt er, wie leer seine »Batterie« sei.

Szene: Und dann kommen die Siedler ins Dorf, werfen mit Steinen auf die Menschen, zerstören Fensterscheiben. Schließlich wird der Cousin von Basel von einem Siedler auf offener Straße erschossen. Das ist das Zeichen für einige aus dem Dorf, ihre Habe und die Schafe auf Lastwagen zu packen und wegzugehen. Die meisten aber wollen immer noch bleiben. Wie lange?

Die israelische Association for Civil Rights in Israel (ACRI) schrieb zu der Entwicklung: »Die Umsiedlung von Zivilbevölkerung widerspricht dem Völkerrecht, das die erzwungene Umsiedlung einer geschützten Zivilbevölkerung durch eine Besatzungsmacht verbietet, und stellt ein Kriegsverbrechen dar.«

Yuval Abraham sagt: »Wir Israelis müssen dieser Situation ins Auge sehen, um sie zu verändern. Der Film ist dafür ein hilfreiches Medium.«

Andreas Grüneisen war nach seiner Tätigkeit als Arzt 2009/10 Teilnehmer des Ökumenischen Begleitprogramms des Weltrats der Kirchen (EAPPI) in Palästina.