Die Sozialdemokratie und das Recht der Frauen auf Erwerb

Gisela Notz. Lunapark21 – Heft 23

Die SPD feiert in diesem Jahr ihr 150 jähriges Jubiläum. Sie bezieht sich damit auf den 23. Mai 1863, der als Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie als Partei in Deutschland gilt. An diesem Tag wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) mit seinem Präsidenten Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) gegründet. Es ist aber ebenso wenig richtig, Lassalle als Gründer der deutschen Arbeiterbewegung zu bezeichnen, wie das Jahr 1863 als Beginn der Arbeiterbewegung zu sehen. Den Verdienst teilen sich viele, zum Teil namenlose Personen. Der Prozess der Herausbildung der Arbeiterbewegung und ihr Aufstieg zur Massenbewegung war lang und beschwerlich und von Richtungskämpfen gekennzeichnet.

Es gehörte zu den Grundsätzen der „Lassalleaner“ anzunehmen, dass die Situation der Frau nur durch eine Verbesserung der Situation des Mannes positiv verändert werden könne. Sie forderten daher immer wieder das Verbot der Frauenarbeit in den Fabriken und stattdessen deren Tätigkeit im Haus (des eigenen Mannes) sowie einen Familienlohn, der es den arbeitenden Männern erlaubte, so viel zu verdienen, dass sie ihre Familien „ehrlich und ordentlich“ ernähren können und die Frauen das Haus nicht vernachlässigen müssten. Löhne unter dem familiären Existenzminimum würden Frauen und Kinder unter widrigsten Bedingungen zur Erwerbsarbeit zwingen. Dies wiederum würde in einem Überangebot an Arbeitskräften münden, die Löhne der Männer drücken und sich negativ auf das Familienleben auswirken bzw. die Familie zerstören.

Frauen aus Fabriken vertreiben
Als „Kampfmaßnahmen“ gegen sich widersetzende Arbeiterinnen schlugen sie gar Abwehrstreiks der Männer vor. Durch das Herausdrängen der Frauen aus den Fabriken erhofften sie sich eine Verminderung der Erwerbslosigkeit (der Männer) und eine Erhöhung der Männerlöhne. Den Kampf für die Emanzipation der Frau lehnten sie strikt ab. Damit forderten sie die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Manne und das bürgerliche Familienbild mit „Familienvorstand“, der außerhalb des Hauses erwerbstätig ist, während die Frau als Hausfrau für die Betreuung der Kinder und für pflegebedürftige Personen sowie für den Haushalt zuständig ist.

Tatsächlich wurden, wie Louise Otto (1819-1895) in ihrer Schrift „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ von 1866 berichtete, Frauen an manchen Orten von den Arbeitern aus den Fabriken vertrieben. Louise Otto warf den „Lassalleanern“ vor, dass sie mit diesem Anliegen bewiesen, dass sie ihr Recht auf Freiheit auf der Sklaverei der Frauen begründen wollten, „denn wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave.“ Hellsichtig wies sie schon damals darauf hin, dass „es jetzt nicht mehr möglich ist, dass zwei Hände allein genug arbeiten und verdienen können, um ein ganzes Leben lang eine ganze Familie zu ernähren.“

Dass die Geschichte der SPD des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts aus frauenpolitischer Sicht eine Erfolgsgeschichte wurde, war ganz wesentlich August Bebel (1840-1913) und seiner Unterstützerin Julie Bebel, geb. Otto (1843-1910) zu verdanken. Nicht nur, weil er 1879 das heute noch gelesene Buch „Die Frau und der Sozialismus“ schrieb. Bebel und seine Weggefährten hatten eine ganz andere Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Frauen.

Bebels Prägung
Er war als Sohn einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die für sich und ihre Kinder sorgen musste. Nach einer Drechslerlehre ging er auf Wanderschaft. Dabei lernte er, dass es notwendig ist, sich zu organisieren und fand nach einigen Umwegen zur Sozialdemokratie. Als er 1869 die Putzmacherin Julie Otto kennen lernte, war sie eine berufstätige Frau, die sich bereits mit den miserablen Arbeitsbedingungen in einem „typischen Frauenberuf“ auseinander setzte. 1867 wurde er in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt und Präsident des in Konkurrenz zum 1863 gegründeten ADAV entstandenen Verbandes Deutscher Arbeitervereine (VDAV). 1869 wurde der ADAV zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), diese verband sich 1875 mit dem VDAV zur sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) und nannte sich 1890 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) um. Bebel wurde einer der beiden Vorsitzenden. Während der Sitzungsperioden und immer dann, wenn August Bebel wegen „Verbreitung staatsgefährlicher Lehren”, „Majestätsbeleidigung“, „Hochverrat” oder ähnlichen Delikten hinter Gittern verschwand, führte Julie die Drechslerei, den Haushalt, kümmerte sich um die Erziehung der Tochter, um die Parteigeschäfte und half notleidenden Parteigenossen. In Polizeivermerken wurde sie als eine „resolute und kluge Frau mit der nötigen Geschäftskenntnis“ bezeichnet.

Sicher hat Julie August Bebel inspiriert, während einer Festungshaft das Buch „Die Frau und der Sozialismus“ zu schreiben. Es wurde der Bestseller in der Frauenliteratur. Bebel beschäftigte sich darin mit der Stellung der Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und legte ein flammendes Bekenntnis zur ökonomischen und politischen Gleichberechtigung der Geschlechter ab. Seine Schilderungen verband er mit der Kritik an der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und zog daraus den Schluss, dass erst eine sozialistische Gesellschaft das Ende der Frauendiskriminierung bringe. Die Vision einer solchen Zukunftsgesellschaft skizzierte er am Ende des Buches. Nach dieser Realutopie sollte nicht nur die Arbeit in der Industrie, sondern auch die Haus- und Sorgearbeit, Kunst und Literatur neu gestaltet und verteilt werden. An die Stelle von Privatküchen sollten kollektive, mit den neuen technischen Errungenschaften ausgestattete Großküchen treten. Alle Arbeitsmittel sollten in Gemeineigentum überführt werden. Männer und Frauen teilten sich die gleichen Rechte und Pflichten und das gleiche Vergnügen.

Bebels Ziele bis heute nicht verwirklicht
Die sich formierende proletarische Frauenbewegung, zu deren Leitfigur Clara Zetkin (1857-1933) wurde, konnte sich auf die Unterstützung durch August Bebel bei ihrem Kampf um das Recht der Frauen auf existenzsichernde Erwerbsarbeit und damit auf ökonomische Unabhängigkeit verlassen. Clara Zetkins Engagement war es zu verdanken, dass sich die II. Sozialistische Internationale 1889 in Paris für die Erwerbsarbeit von Frauen aussprach und damit Zeichen setzte. Gemeinsam mit Bebel sorgte sie dafür, dass die Forderung nach dem Frauenwahlrecht 1891 ins Erfurter Programm der SPD geschrieben und 1895 als Gesetzentwurf in den Reichstag eingebracht wurde. Dafür nahm Bebel das Gelächter der Männer aller anderen Fraktionen auf sich.

In der in Leipzig durch ihn mitgegründeten „Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts” setzte er sich 1870 erfolgreich für die gleichberechtigte Mitgliedschaft von Frauen ein. Lokale Arbeiterinnenvereine schossen bald aus dem Boden. Auch Julie Bebel baute in dieser Zeit einen Bildungsverein für Frauen mit auf, dessen Vorstand sie zeitweise angehörte. Unter dem Sozialistengesetz (1878-1890) mussten die proletarischen Frauenvereine – wie andere sozialistische Zusammenschlüsse – illegal arbeiten und waren ständig von Auflösung bedroht.

Wie Bebel dachten freilich noch lange nicht alle Sozialdemokraten. Viele fürchteten die Selbständigkeit der Frau und lehnten die Berufstätigkeit der (verheirateten) Frauen ab. „Es gibt Sozialisten, die der Frauenemanzipation nicht weniger abgeneigt gegenüberstehen, wie der Kapitalist dem Sozialismus“, schrieb August Bebel über seine Zeitgenossen. Letztlich fand das Leitbild des männlichen Familienernährers in der arbeitenden Bevölkerung große Unterstützung, befördert auch durch die christlichen Kirchen und die christliche Arbeiterbewegung, die den ‚antichristlichen Liberalismus‘ des Marktes kritisierte, weil er gegenüber den Bedürfnissen von Familien blind sei.

Die „Revolution im häuslichen Leben“, wie sie Bebel sich erträumt hatte, hat bis heute nicht stattgefunden. Die (meisten) Frauen kochen immer noch oder immer wieder in der eigenen Küche. Und „Zuckererbsen für jedermann“, ein Traum Bebels, den er mit Heinrich Heine teilte, sind noch in weiter Ferne.

Gisela Notz lebt und arbeitet als Sozialwissenschaftlerin, Historikerin und Autorin freiberuflich in Berlin. Soeben erschien der von ihr herausgegebene Kalender Wegbereiterinnen 2014 im AG SPAK-Verlag Neu-Ulm zum 12. Mal. Julie Bebel und Clara Zetkin waren bereits Thema im ersten Kalender 2003.