Über Risiken und Nebenwirkungen…

… ist niemand so wirklich informiert
Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 28

In den heutigen Zeiten können die Perspektiven der Weltwirtschaft nur einigermaßen ausreichend beschrieben werden, wenn auch die Situation auf dem Finanzsektor in Augenschein genommen wird. Die vorangegangene Krise begann schließlich bereits 2007 mit einer Finanzkrise. An deren Ausgangspunkt stand eine gewaltige Immobilienblase. Diese wiederum wurde zuerst in den USA ausgemacht; Stichwort: Subprime-Kreditgeschäfte: Hypothekendarlehen, oftmals faule, wurden „verbrieft“, in neue Wertpapiere verpackt und diese dann auf den Weltfinanzmärkten weitergereicht. Worauf die Banken, die diese Kredite ursprünglich ausgereicht hatten, flugs neue Kredite vergeben konnten. Irgendwann platzte das Schneeballsystem. Ab 2008 platzten dann vergleichbare Immobilienblasen in Irland, Spanien, Portugal und anderswo. Im Verlauf der gesamten Krise 2007-2009 stellte heraus: Der gesamte Finanzsektor war von Spekulation bestimmt: zu große und leichtsinnig vergebene Kredite, ein absurdes Milliarden-Geschäft der Firmenübernahmen (M&A), immer größere Finanzmassen, die in zunehmend dubioseren Bereichen angelegt wurden. Und dazu ein Saus-und-Braus-Leben der Bosse & Banker auf dem Boni-Hof.

Und heute? Die Anlage suchenden Finanzströme sind zwar 2008/2009 zurückgeflutet. Sie stabilisierten sich 2010/11. Seit 2012 schwellen sie wieder an und drohen zu reißenden Sturzbächen zu werden. Allein das Gesamtvolumen der Staatsfonds[1] ist seit dem letzten Höhepunkt 2008 von 4 auf 6,5 Billionen US-Dollar oder um knapp 60 Prozent gewachsen. Wobei „Staatsfonds“ ja solide klingt. Nehmen wir die privaten Vermögensverwalter. Allein die fünf weltweit größten unter ihnen (Black Rock, Vanguard Group, State Street Global Advisors, Fidelity Investments und Pacific Investment) verwalten ein Vermögen in Höhe von 12 Billionen US-Dollar, fast doppelt so viel wie alle Staatsfonds.

Wie war das 2007 mit den „Übertreibungen“ bei Dividenden, Boni und Gehältern? 2014 war das Jahr mit den größten Dividendenzahlen überhaupt. Weltweit wurden 1,24 Billionen US-Dollar ausgeschüttet. Hedgefondsmanager wie David Trepper (Appaloosa), Steven Cohen (SAC Capital Advisors) und John Paulson (Paulson & Co) bekommen 3,5, 2,4 bzw. 2,3 jährlich. Ach ja, die Einheit? Nun: Milliarden US-Dollar.

Acht Jahre nach Beginn der Finanzkrise dreht sich das Rad der Immobilienspekulation wieder im höheren Touren-Bereich. Beispiel Großbritannien: Im Londoner Nobelstadtteil Kensington wurde Mitte 2014 ein Luxusappartement für umgerechnet 170 Millionen Euro verkauft. Gut, das war eine neue Höchstmarke auf der Insel. Nach Berechnungen der Bausparkasse Nationwide stiegen im vergangenen Jahr 2014 in der britischen Hauptstadt die Immobilienpreise um 18 Prozent – gegenüber dem Vorjahr. Noch schneller stiegen die ausgereichten Immobilienkredite – um 35 Prozent im Jahr. Das extrem billige Baugeld, das auch noch durch staatliche Programme gefördert wird, beflügelt die Menschen. Der fortgesetzte Anstieg der Immobilienpreise nährt die Erwartung, dass das so ewig weiter gehen werde … Was ganz sicher nicht der Fall ist. Die britischen Privathaushalte sind inzwischen mit 1,6 Billionen Pfund verschuldet – auch dies ein historischer Rekord. Der überwiegende Teil dieser Privatschuld sind Immobilienkredite. Zunehmend fließt ausländisches Kapital in den spekulativen Immobilienmarkt. Aus einem Bericht: „Kommunalbeamte in Nobelvierteln wie Chelsea, Kensington und Mayfair berichten von ganzen Straßenzügen, in denen abends kaum irgendwo ein Licht angeht. Die Häuserzeilen sind unbewohnt, sind Spekulationsobjekte.“ Schließlich hat sich der Wert jeder „Investition“ binnen Jahresfrist um ein Fünftel erhöht. Gut, abzüglich einer Grundsteuer, die aber lächerlich niedrig ist, da die Listen, an denen sich diese Steuer bemisst, seit 1991 nicht mehr angepasst wurden.

Beispiel Irland: Die Menschen auf dieser wunderbaren grünen Insel müssten ein Näschen dafür haben, was eine Immobilienblase ist. Schließlich kollabierten die Häuserpreise von ihren Spitzenwerten 2007 bis 2011/2012 um 60 Prozent. Und heute? In Dublin lag der Anstieg der Häuserpreis 2014 bei 22 Prozent. Allerdings liegen die Immobilienpreise immer noch deutlich unter dem Höchststand von 2007.

Beispiel Australien: In der australischen Hauptstadt Sydney steigen die Häuserpreise so rasant wie noch nie: im Durchschnitt um 12 Prozent jährlich; in Toplagen um 25 bis 35 Prozent. Der Durchschnittspreis für ein Haus liegt in Australien mit umgerechnet 327000 US-Dollar auf Allzeit-Rekordhoch; in den USA liegt er (in durchaus vergleichbarerer Qualität) „nur“ bei 147000 US-Dollar. Der Grad der Verschuldung gemessen am verfügbaren Jahreseinkommen ist auf 151 Prozent gestiegen – in den USA waren es vor dem Immobiliencrash 133 Prozent.

Die erwähnte Luxuswohnung in Kensington, London, brachte es auf einen Quadratmeterpreis von 80000 Euro. In München und Berlin sind die Quadratmeterpreise von Luxusheimen „erst“ bei 10000 Euro angelangt – was aber eben auch 10 Prozent mehr ist als vor zwei Jahren.

Oder nehmen wir den Sektor Merger & Acqusition (M&A). Man weiß ja nicht, wohin mit dem Geld – also werden Firmen als Ware gehandelt: gekauft, umgebaut, verkauft, die Belegschaft ausgequetscht. Wir erinnern an die Herren Middelhoff (siehe auch S.42), Bergruen und Benko und den Warenhauskonzern Karstadt, der binnen sechs Jahren drei Mal den Besitzer wechselte. Auf dem Höhepunkt des vorletzten Zyklus, im Jahr 2000, hatte das weltweite M&A-Business einen ersten Rekord von 3167 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt (= Volumen der abgeschlossenen Transaktionen). Dann war das M&A-Business auf ein Drittel zusammengebrochen. 2007 dann ein neuer Rekord mit 4191 Milliarden US-Dollar. Und erneut ein Einbruch auf unter 2000 Milliarden. 2014 gab es dann wieder ein M&A-Boomjahr; der vorletzte Rekord von 2000 wurde erneut erreicht, wenn nicht übertroffen, und mehr als 3000 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Insbesondere die Pharmabranche wurde mit M&A umgepflügt. Da zahlte mal der kanadische Pharmariese Valeant 33 Milliarden Euro, um die Botox-Sparte aus dem US-Pharmakonzern Allergan abzuspalten. Bayer (Deutschland) erwarb für 10,4 Milliarden Euro von Merck dessen Sparte freiverkäufliche Medikamente. Sabine Wadewitz kommentierte dies in der Börsen-Zeitung vom 7. Mai 2014 flott & richtig mit: „Es wird fusioniert bis der Arzt kommt.“ Könnte es sein, dass all diese Blasenbildungen unter den Augen von Öffentlichkeit und Kontrollbehörden groß und größer werden, dass es jedoch die innere Logik des Kapitals verbietet, darauf rechtzeitig und wirksam zu reagieren? In diesem Sinn versandte das führende französische Bankhaus Société Générale im Mai 2014 einen Brief an ihre Kundschaft (hier zitiert nach Welt am Sonntag vom 11. Mai 2014). In diesem werden alle Gefahren aufgelistet, die im gegenwärtigen Finanzsektor lauern, um dann zu konstatieren: „Selbst wenn wir mit Sicherheit von einer drohenden Überraschung wüssten, würden wir als Investoren dann anders handeln?“ Die Banker geben eine klare Antwort: „Nein“. Denn: Wer zu früh aussteige, der sei „als Investor tot oder er wird zumindest gefeuert. Daher werden wir weiter auf eine perfekte Welt spekulieren, aber mit einem nervösen Auge auf den Ausgang blicken, in der Hoffnung, unter den ersten zu sein, die den Absprung schaffen, wenn die Zeit dafür da ist.“

Anmerkungen:

[1] Es handelt sich um Vermögen, das meist aus dem Öl-Gas-Geschäft, aber auch aus Handelsbilanzüberschüssen generiert wurde und das bei staatlichen Fonds angelegt ist. Die größten dieser Art sind die Fonds der Vereinigten Arabischen Emirate (mit einem Vermögen von 733 Mrd. US-Dollar), Saudi-Arabiens (676 Mrd), von Norwegen (838 Mrd.), China (1,8 Billionen), Kuweit (450 Mrd. US-Dollar). Diese Vermögen werden dann in Wertpapieren der unterschiedlichsten Art und global gestreut angelegt. Nach: Handelsblatt vom 20. Mai 2014.

Einige zusätzliche Quellen: SZ 18.12.1014 (Weltweite Dividenden) · FAZ 7.5.2014 (Hedgefonds-Topgehälter) · Financial Times 8.7.2014 (Häusermarkt Irland), FAZ 6.6.2014 (britischer Immobilienmarkt) · Financial Times 2.4. und 7.11.2014 (M&A-Business)

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