Fachkräftemangel – sollen Frauen einmal mehr in die Bresche springen?

Therese Wüthrich. Lunapark21 – Heft 28

Nach dem desaströsen Ja in der Schweiz zur Zuwanderungsinitiative vom Februar 2014 hat die Diskussion um einen zukünftigen Fachkräftemangel neuen Aufwind bekommen. Das Potential der heimischen Arbeitskräfte solle besser ausgeschöpft und genutzt werden, so der Ruf von Bundesrat und Teilen der Wirtschaft. Vor allem sollen Frauen mit Kindern und Familie mehr Erwerbsarbeit leisten. Um das zu erreichen, sollen entsprechende Massnahmen eingerichtet werden. In der Tat, eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit ist seit Jahrzehnten eine Forderung der Frauenbewegung. Unweigerlich stellen sich kontroverse Fragen. Werden nun Postulate für Gleichstellung und Gleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern von Politik und Wirtschaft erst wahr genommen, wenn sie für die Wirtschaftlichkeit nutzbar gemacht werden können?

Die Debatte um den Facharbeitskräftemangel in der Schweiz ist nicht neu. Bereits 2011 wurde vom Bundesrat eine sogenannte Fachkräfteinitiative ins Leben gerufen mit der Aufforderung an Bund, Kantone und Gemeinden, entsprechende Massnahmen wie Weiterbildungsangebote für ältere Arbeitnehmende wie auch Arbeitnehmende mit migrantischem Hintergrund zu ergreifen. Nicht zuletzt ist aber der Fokus auf Frauen mit Kindern gerichtet, die neben ihrer Sorgearbeit für die Familie gezwungenermassen oft in Teilzeit erwerbstätig sind. Es lässt aufhorchen, dass jetzt plötzlich die Forderung nach besserer Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit medienwirksam aufgegriffen wird. Eine Forderung, die jahrzehntelang von verschiedenen Frauenbewegungen immer wieder aufgestellt wurde und kaum wirksames Gehör fand, ganz zu schweigen von der Auflage zielgerichteter Massnahmen. Im Aufruf des Bundesrates wird argumentiert, dass der Wiedereintritt in den bezahlten Arbeitsmarkt bei Frauen mit Kindern nicht an mangelnden Qualifikationen scheitert, sondern häufig an den fehlenden ausserfamiliären Kinderbetreuungseinrichtungen. Darum seien Massnahmen für die Förderung von externen Einrichtungen für Kinder im Vorschul- und Schulalter zu schaffen wie vermehrte Einführung von Blockzeitenbeziehungsweise Tagesstrukturen in den Schulen. Und Unternehmen können dazu beitragen, indem sie „familienfreundliche Arbeitsbedingungen“ sowie diskriminierungsfreie Entlöhnung, entsprechende Weiterbildung und berufliche Förderung anbieten. Die Debatte verlief damals jedoch eher lau.

Neue Trümmerfrauen?
Nun ist die Debatte um einen voraussichtlichen Fachkräftemangel nach dem überraschenden Ja zur Zuwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 wieder aktuell geworden. Bundesrat und Teile der Wirtschaft drängen nun auf konkrete Schritte. Das Potential der ansässigen Arbeitskräfte soll besser genutzt werden. Insbesondere sollen vor allem Frauen mit Kindern und Familie mehr Erwerbsarbeit leisten. Gefragt seien nun konkrete Massnahmen für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, so der Tenor. Sollen nun einmal mehr Frauen in die Bresche springen? Bekommen wir es nach der desaströsen Abstimmung mit dem Phänomen neuer Trümmerfrauen zu tun?

Erinnern wir uns, als Trümmerfrauen galten die Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an vielen Orten in Deutschland und Österreich mithalfen, die zerbombten Städte von den Trümmern zu befreien und nach Wiederverwertbarem zu suchen und auszusortieren. Oft war es kein freiwilliges Engagement, sondern angeordnet durch die Besatzungsmächte. In etlichen Regionen hatten sich alle Frauen zwischen 15 und 50 Jahren für diese Arbeit zu melden. Arbeitsschutzbestimmungen wurden teilweise aufgehoben.

Was haben nun diese Trümmerfrauen mit unserer Debatte mit der aktuellen Politik des Fachkräftemangels zu tun? Nun, das desaströse Abstimmungsergebnis hat einen bestimmten Trümmerhaufen hinterlassen, dessen Folgen noch nicht voll und ganz abzuschätzen sind. Demzufolge muss bedacht werden, dass der Fachkräftemangel nicht mehr einfach mit ausländischen Facharbeitskräften ausgeglichen werden kann. Folglich muss auf das inländische Arbeitskräftepotenzial zurück gegriffen werden, was auch von den Medien ausgeprägt rezipiert wird. In dieser Situation sollen nun vermehrt Teilzeit arbeitende Frauen in die Lücke springen. Wichtig wäre es, die Frage zu stellen, ob dieseneue Situation neue Perspektiven für Frauen eröffnen könnte, ob die aktuelle Situation genutzt werden soll, um neue Forderungen bezogen auf den Erwerbsarbeitsmarkt zu stellen, ob es überhaupt wünschenswert ist, dass Frauen noch mehr erwerbstätig sein sollen und zu welchen Bedingungen das geschehen müßte?

Was gilt es zu bedenken?
Ganz bestimmt ist es bedauerlich, dass es eine Zuwanderungsinitiative mit einem schwerwiegenden Abstimmungsresultat braucht, damit das Thema Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie die nötige öffentliche Aufmerksamkeit erlangt. Schließlich hat die Frauenbewegung dafür lange Jahre gearbeitet, ohne eine vergleichbare Öffentlichkeit zu erreichen. Nun wird mit diesem Thema eine für Krisenzeiten typische wirtschaftsorientierte Debatte geführt. Alles wird nur noch dem Wirtschaftsparadigma, unter anderem dem sich abzeichnenden sogenannten Fachkräftemangel, untergeordnet. Auch die Gleichstellungsbüros beugen sich durchwegs diesem Diskurs. Aktuell scheint die bestehende gesellschaftliche und soziale Benachteiligung von Frauen kein Thema zu sein. Es wäre aber dringend notwendig, Massnahmen zu ergreifen, um soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Gleichstellung wie Gleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern in einer reichen Gesellschaft herzustellen.

Ausser dem stellt sich die Frage, ob tatsächlich all die in Teilzeit erwerbstätigen Frauen den sogenannten Facharbeitskräftemangel auszugleichen vermögen. Der Diskurs bringt nicht zuletzt auch eine bestimmte Vorstellung der Sorgearbeit, die Frauen in unserer Gesellschaft immer noch zur Hauptsache verrichten, zu Tage, die bisher kaum als wichtiger Arbeitsbereich gesehen wurde. In vielen Denkmustern existiert die Vorstellung, dass es sich um eine Arbeit handelt, die sozusagen zusätzlich und nebenbei erledigt werden kann. Im Grunde hat die Debatte um den Fachkräftemangel nicht sehr viel mit dem Thema Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit zu tun hat. Es gilt zu bedenken und zu fragen, ob die Arbeitskraft der Frauen um das ganze Thema der Vereinbarkeit nicht einfach salonfähig hergerichtet wird.

Die Realität ist eine andere
Viele erwerbstätige Frauen mit Kindern und Familie, egal welcher Bildungsschichten sie angehören, fühlen sich in der Schweiz bezüglich ausserfamiliärer Kinderbetreuung immer wieder alleingelassen. Die Rahmenbedingungen weisen viele Lücken auf. Beispielsweise sind die Wegstrecken zwischen Wohnort, Kinderbetreuungseinrichtung und Arbeitsplatz oft zu gross und umständlich. Wenn diesen Wegstrecken pro Tag zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen, kann kaum von einer Entlastung die Rede sein. Kinderbetreuungseichrichtungen müssen vor Ort und flächendeckend konzipiert werden. Kaum eine Lösung gibt es, wenn ein Kind mit einer ansteckenden Krankheit über eine längere Zeit von der Kinderbetreuungseinrichtung fern bleiben muss.

Ganz grundsätzlich spielt der Zeitfaktor eine zentrale Rolle. In der Schweiz sind die Arbeitszeiten generell zu hoch. Lange Arbeitstage, unflexible Arbeitsorganisationen, Arbeitszeiten sind in den meisten Fällen klar fest gelegt und zu wenige Urlaubstage sind Sachverhalte, die die Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Kindererziehung sehr erschweren. Daraus speisen sich die Vorstellungen, dass viele Frauen gerne und freiwillig Teilzeit arbeiten würden. Befragungen ergeben da ein anderes Bild. Zwar sind Frauen oft gezwungen, auf Grund der zu leistenden Sorgearbeit Teilzeitarbeit anzunehmen, in vielen Fällen zu schlechteren Bedingungen. Jedoch würden sie ein höheres Erwerbsarbeitspensum bevorzugen, sei es auf Grund ihrer beruflichen Qualifikation oder sei es, weil sie dann finanziell besser über die Runden kommen.

Und wie steht es mit den Vätern? Beim Thema Arbeitszeit und Vereinbarkeit ginge es eigentlich auch um die Väter. In der ganzen Auseinandersetzung um Arbeitszeit und Vereinbarkeit besteht in der Realität immer noch eine Verhandlungssituation zwischen Mutter und Vater. Insofern wird die ganze Problematik, die strukturell bedingt ist, sozusagen an die Paarbeziehung delegiert, was, wie wir wissen, oft zu Überforderungen vor allem der Frauen führt. Vom Arbeitsvolumen her gesehen, arbeiten Frauen und Männer in der Regel pro Woche gleich viel, nämlich 70 Stunden (Bundesamt für Statistik), wobei die Frauen mehr unbezahlte und die Männer mehr bezahlte Arbeit leisten.

Antidiskriminierungsdiskurs
versus Fachkräftemangeldiskurs

Die Debatte um den Fachkräftemangel muss von der Abstimmung vom 9. Februar 2014 entkoppelt werden. Wie wir feststellen müssen, wird die aktuelle Debatte vor allem wirtschaftsorientiert geführt. Es kommt dazu, dass sich dieser Diskurs um die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit insbesondere auf beruflich gut qualifizierte Frauen fokussiert. An andere Frauen wird kaum gedacht. Zudem müssen wir realisieren, dass seit der Jahrhundertwende bei Regelungen des Gleichstellungsgesetzes von 1996 und Postulaten der Frauenbewegung verstärkt mit dem wirtschaftlichen Nutzen betrieblicher Gleichstellungsmassnahmen argumentiert wird. Forschungsarbeiten folgern daraus, dass der Wirtschaftsnutzendiskurs das Risiko in sich birgt, dass er in Interaktion mit in Betrieben vorherrschenden Vorstellungen zu einer Verfestigung bestehender Ungleichheiten führen kann, insbesondere auch zwischen Frauen und Männern.

Die Debatte, die unbedingt zu führen ist, muss sich mit gesellschaftlichen Problemfeldern auseinandersetzen, die sowohl die Hintergründe des Ja zur Abstimmung wie auch Gleichstellung und Gleichwertigkeit der Geschlechter beinhaltet. Zudem müssen entsprechende Rahmenbedingungen eingefordert werden. Es muss danach gefragt werden, warum es Zeitprobleme gibt? Warum Geldprobleme? Wie wir wissen, wird häusliche Familienarbeit kaum als Arbeit benannt und auch nicht respektiert. Von daher wird sie nicht sichtbar und auch nicht entsprechend wahr genommen. Berechnungen von Mascha Madörin belegen beispielsweise, sobald zu einem Haushalt ein Kind gehört, muss 40 Prozent mehr Hausarbeit geleistet werden. Dieser Sachverhalt muss nachhaltige Anerkennung finden. Darüber hinaus dürfen nicht weiter pflegerische und soziale Aufgaben, die auf Grund von Sparmassnahmen der öffentlichen Hand aus den Leistungen des öffentlichen Dienstes herausfallen, so ohne weiteres auf die die Privathaushalte abgewälzt werden.

In diesem Vereinbarkeitsdiskurs gilt es weiter, geschlechtergerechte Löhne und Arbeitszeitreduktion einzufordern. Lohngleichheit ist ein altes Postulat der Frauenbewegung und seit 1981 in der schweizerischen Bundesverfassung verankert – trotzdem existiert nach wie vor eine durchschnittliche Lohndifferenz von knapp 20 Prozent zwischen den Geschlechtern. Eine allgemeine Arbeitszeitreduktion war immer ein Kerngeschäft der Gewerkschaften. In den letzten Jahrzehnten ist dieser Anspruch bedauerlicherweise in den Hintergrund getreten, was nicht zuletzt mit dem hohen Anteil an Teilzeitarbeit zu tun hat. Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz (mit über 60 Prozent Frauen und gut 15 Prozent Männer, Bundesamt für Statistik, April 2014) nach Holland (gut 77 Prozent Frauen und knapp 28 Prozent Männer) an zweiter Stelle. In der Schweiz geben mehr als die Hälfte der Teilzeit arbeitenden Frauen an, dass sie aus familiären Gründen zu einem reduzierten Pensum erwerbstätig sind. Bei den Männern sind es gut sechs Prozent. Die Einforderung von allgemeiner Arbeitszeitreduktion ist neben allen anderen Forderungen eine der wichtigsten im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit. Mit kürzeren Arbeitszeiten liessen sich nicht nur die verschiedenen Lebensbereiche wie Erwerbsarbeit und Familienarbeit besser zu koordinieren, beide Arbeitsbereiche liessen sich auch besser auf beide Geschlechter aufteilen. Das würde vor allem dazu beitragen, die Lebensqualität der Frauen zu verbessern.

Therese Wüthrich lebt in Bern (Schweiz), Gewerkschafterin, arbeitet in verschiedenen frauen- und sozialpolitischer Projekten mit. Sie freut sich sehr über die deutlich Ablehnung der Ecopop-Initiative (Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Grundlagen) vom 30. November 2014, ein Zeichen gegen zunehmenden Nationalismus. Damit ist das Ja gegen die sogenannte Masseneinwanderung (Februar 2014) aber nicht aufgehoben – leider.