Selbstverwaltete Austerität. Griechenland kann die Festung Europa nicht schleifen, aber es gibt ein Loch in der Mauer

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Nicht der Wahlerfolg von Syriza am 20. September 2015, sondern die Erklärung des Eurogipfels vom Morgen des 13. Juli bildete den Wendepunkt des Konfliktes um den Platz Griechenlands in der Eurozone. Mit der Androhung des Grexit hatte sich die deutsch geführte Eurogruppe durchgesetzt. Es folgte das 3. Memorandum. Alexis Tsipras zog mit dem Programm einer selbstverwalteten Austerität in den Wahlkampf und wurde dafür gewählt. Parallel zu den innergriechischen Verwerfungen wurden in den Gläubigerländern die bürgerlichen Kritiker der fortgesetzten Kreditfinanzierung Griechenlands marginalisiert. Nach acht Monaten mit Ankündigungen, Zuspitzungen und überraschenden Wendungen in letzter Minute haben sich alle beteiligten Seiten langfristig festgelegt.

Syriza weiß, wie Austerität geht: Von Januar bis Ende Juli betrug der offizielle Primärüberschuss des Staatshaushaltes 3,71 Milliarden Euro – obwohl die Einnahmen in der gleichen Zeit um 4 Milliarden unter dem Plan lagen. Nur eine straffe Ausgabekontrolle und die Anhäufung eines Berges unbezahlter Rechnungen haben dies ermöglicht. Im neuen Memorandum schlägt allein die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der öffentlichen Kassen mit 15 Milliarden zu Buche.

Mehr – bis zu 25 Milliarden Euro – sind für die Rekapitalisierung der griechischen Banken eingeplant. Dabei geht es nicht um die kurzfristigen Liquiditätsprobleme, die durch den massiven Abzug von Depositen seit Ende November 2014 entstanden sind: „Austrocknen statt Demonstrieren!“ ist die Protestpolitik der Oberklassen. Es geht vielmehr um die zweifelhaften Aktiva, die Forderungen der griechischen Banken. Der Anteil von faulen Krediten wird mit etwa 30 Prozent beziffert.

Der größte Posten des 3. Memorandums entfällt mit 54 Milliarden Euro auf die in den kommenden 3 Jahren fälligen Kredittilgungen (37 Milliarden) und Zinszahlungen (17 Milliarden). Dabei nahm die Eurogruppe eine Forderung der Syriza-Regierung auf: Bei Fälligkeit wandern die griechischen Schulden zum ESM. In den nächsten drei Jahren muss der griechische Staat daher weniger eigene Mittel für den Schuldendienst aufwenden, als im ersten Vierteljahr 2015. Eine Entlastung, die schwerer wiegt als die verbesserten Zugangsmöglichkeiten zu europäischen Fördergeldern im Umfang von 35 Milliarden Euro, die Griechenland ohnehin zustanden.

Der Preis für den Verbleib im Euro, den eine Mehrheit der Griechen und Griechinnen beständig befürwortet hat, ist hoch. Er besteht in Mehrwertsteuererhöhung, Rentenkürzungen, Liberalisierungen und Privatisierungen. Ja, in Teilen der griechischen wie europäischen Linken gab es die Idee, die Verschuldung des Südens der EU beim „Norden“ als symmetrisches, als gemeinsames Problem aufzufassen – und deshalb auf ein Entgegenkommen der Gläubiger zu hoffen. Tatsächlich gibt es hier schon buchhalterisch keine Symmetrie: die deutschen Erfolge auf den Weltmärkten sind nicht auf die Mittelmeerländer beschränkt. Und die sehr niedrigen Zinsen für Bundeswertpapiere seit 2008 sind nicht nur Ergebnis der Griechenlandkrise. Anders als normale Bürger, die nur von Zeit zu Zeit an die Urnen gerufen werden, können Kapitaleigner jeden Tag über die Regierungspolitik abstimmen: In diesem Handel hat sich die Bundesrepublik lange vor dem Euro als Marktführer durchgesetzt.

Karl W. Deutsch skizzierte den Unterschied zwischen „unten“ und „oben“ einst so: „Macht hat in gewissem Sinne derjenige, der es sich leisten kann, nichts lernen zu müssen.“ Das hätte als Motto über jeder Eurogruppensitzung stehen können. Wir anderen aber müssen lernen – und dabei genau sein: Anfang Juli hat Vijay Prashad zu Recht daran erinnert, dass nur im (west)europäischen Rahmen das Vorgehen der Troika besonders brutal und ungebührlich erscheint. Die Rede von einem „Kolonialismus in Athen“ ist Polemik – oder (Selbst)Täuschung. Ebenso falsch wäre es, in der „selbstverwalteten Austerität“ das „selbstverwaltet“ zu überlesen. Eine frühe Entscheidung der Syriza-Regierung hat ihre Konsequenzen inzwischen bis ins Herz von Euroland entfaltet: Die de facto Öffnung der griechisch-türkischen Grenze hat die Flüchtlingsströme in die Festung Europa nicht nur umgeleitet, sondern deutlich vergrößert. Jetzt müssen die Lösungen hier gefunden und durchgesetzt werden. Auch dafür braucht es eine sozial verankerte Linke mit einem realistischen Feindbild.

Siehe auch Vijay Prashad: www.alaraby.co.uk/ english/comment/2015/7/1/what-if-greece-were-in-the-third-world

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