Meist Studienschluss beim Bachelor: Bologna-Prozess und Frauen

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Mit der Einführung der neuen Studienarchitektur im Zuge des Bologna-Prozesses waren viele Hoffnungen und Befürchtungen verbunden. Die Reform zur Einführung einer gestuften Studienstruktur war äußerst umstritten und umkämpft. Kritisiert wurde, die Reform des Hochschulwesens diene in erster Linie der Verkürzung der Studienzeiten. Indem der Bachelor zum „Regelabschluss“ erklärt wird, soll das Individuum dem Arbeitsmarkt kostengünstiger, früher und damit länger zur Verfügung stehen.

Der Begriff der „Employability“ steht exemplarisch für die Verkürzung der Reformdynamik, die auf eine reine Verwertungslogik abzielt. Auf der anderen Seite wurden die Chancen der übersichtlicheren Studienzeiten gesehen: Es bestand die Hoffnung, diese nutzen zu können, um mehr jungen Menschen die Option eines Studiums zu ermöglichen. Die Angst der Unplanbarkeit eines langen Studiums wurde reduziert, insbesondere bildungsferne Schichten sollten hiervon profitieren.

Bereits früh wurde auf mögliche Problemlagen wie eine Abnahme des Frauenanteils bei höheren Qualifikationsstufen hingewiesen. Konsequenzen für die Umsetzung ergaben sich kaum. Die bessere Studierbarkeit, die potentiell besseren Möglichkeiten eines Teilzeitstudiums, die Aufwertung der Lehre und die höhere Interdisziplinarität wurden gerne angeführt, um die Chancen auf ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis in den einzelnen Fachrichtungen zu benennen. Umgekehrt wurde auf die „Leaky Pipeline“ verwiesen: Mit jeder Stufe im Wissenschaftssystem verringert sich der Frauenanteil. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2010 zwar etwas über die Hälfte der Studienberechtigten (52,8 Prozent) weiblich, jedoch knapp unter der Hälfte der Studierenden (47,8 Prozent). Bei den Abschlüssen eines Erststudiums stellten die Frauen 52,0 Prozent, bei der Promotion dann lediglich noch 44,1 Prozent und bei der Habilitation nur noch 24,9 Prozent.

Ähnlich dramatisch sieht es bei den Beschäftigten aus: 39,6 Prozent der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren 2010 weiblich, jedoch lediglich 19,2 Prozent der Professuren. Bei der höchsten Besoldungsstufe der Professorinnen und Professoren (c4/W3) lag der Frauenanteil bei 14,6 Prozent! Es gab daher die Befürchtung, dass die Einführung eines weiteren Übergangs – vom Bachelor- in ein Masterstudium – das Problem der „Leaky Pipeline“ verschärft.

Die soziale Dimension ist im Bologna-Prozess an vielen Stellen nicht ausreichend berücksichtigt worden, von wenigen Ausnahmen abgesehen ist die soziale Selektion des Bildungssystems in allen Staaten des Bologna-Raums noch immer ein Problem, wenngleich Deutschland hier besonders negativ heraussticht. Daher haben die Wissenschaftsministerinnen und –minister aus den Bologna-Staaten in den Kommuniqués zum Bologna-Prozess dieses Thema wiederholt aufgegriffen. Auf einer Konferenz 2003 in Berlin wurde dabei auch explizit das Thema Geschlecht mit aufgenommen: „Die Ministerinnen und Minister bekräftigen erneut die Bedeutung der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses. Die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss mit dem Ziel, der sozialen Dimension des Europäischen Hochschulraumes größere Bedeutung zu geben, in Einklang gebracht werden; dabei geht es um die Stärkung des sozialen Zusammenhalts sowie den Abbau sozialer und geschlechtsspezifischer Ungleichheit auf nationaler und europäischer Ebene.“

Angesichts der Tatsache, dass selbst den Ministerinnen und Ministern das Problem bekannt ist, muss es als verwunderlich gelten, dass führende Forschungseinrichtungen diese Problematik in ihren Veröffentlichungen nicht berücksichtigen. Entsprechend weist weder die Absolventinnen- und Absolventenstudie des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung noch die Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes die Daten zu Übergängen in ein Masterstudium nach Geschlecht aus. Lediglich die HIS Hochschul-Informations-System GmbH gibt in der Veröffentlichung “Hochschulabschlüsse im Umbruch” Hinweise. Mit Hilfe der amtlichen Statistik sind ferner Indizien zu erhalten, dass der Übergang von einem Bachelor- in ein Masterstudium nicht geschlechtsneutral verläuft.

Datenlage mangelhaft

Zunächst soll ein Blick auf die Segregation nach Fachrichtungen gelegt werden, da die Weiterstudierendenquote der Bachelorabsolventinnen und -absolventen erheblich nach Fachrichtung und Hochschultyp variiert. Nach einer Untersuchung der HIS GmbH haben 73 Prozent der Absolventinnen und Absolventen des Jahres 2009 an Universitäten ein Masterstudium aufgenommen, bei den Fachhochschulen waren es 50 Prozent. Insgesamt zeigen sich große Differenzen im Übergangsverhalten zwischen männlich dominierten Studienrichtungen (vor allem den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und den weiblich dominierten Studienrichtungen (wie Sozialwesen, Pädagogik, Sprachwissenschaften): Je höher der Frauenanteil ist, desto geringer ist in der Tendenz der Anteil der Bachelorabsolventinnen, die ein Masterstudium aufnehmen. Ausnahmen stellen hier etwa Architektur und Raumplanung an Fachhochschulen dar. Im Zusammenhang mit der horizontalen wie vertikalen Segregation können die Ergebnisse insgesamt jedoch als Indiz interpretiert werden, dass durch solche Verwerfungen eine weitere Dequalifizierung und Abwertung der „traditionell weiblichen Fächer“ und dadurch eine Aufwertung und Höherqualifikation der „klassisch männlichen Fächer“ stattfindet.

Insgesamt kommt die HIS GmbH zu dem Ergebnis, dass „Männer tendenziell etwas häufiger einen weiteren Abschluss anstreben als Frauen.“ So nehmen 64 Prozent der Bachelorabsolventen ein Masterstudium auf, jedoch nur 60 Prozent Absolventinnen. Das Geschlecht ist nach HIS dennoch nicht die primäre Erklärung für das Übergangsverhalten. Diesem Ergebnis von HIS lässt sich die Auswertung der amtlichen Statistik zur Seite legen, wie dies in einer Studie von Ulf Banscherus, Annerose Gulbins, Klemens Himpele und Sonja Staack gemacht wurde (http://www.gew.de/Binaries/Binary52190/090903_Bologna-Endfassung_ final-WEB.pdf). Der Prüfungsstatistik des Statistischen Bundesamtes kann man entnehmen, dass 51,1 Prozent der Bachelorabsolventinnen und -absolventen des Jahres 2010 weiblich waren, jedoch lediglich 45,7 Prozent der Masterabsolventinnen und -absolventen. Die Entwicklungen weisen jedoch Unterschiede in den Studienrichtungen auf. Der Frauenanteil bei den Masterabschlüssen gegenüber den Bachelorabschlüssen steigt in den Sport- und Kunstwissenschaften sowie – auf sehr niedrigem Niveau – in den Ingenieurwissenschaften. In allen anderen Fachdisziplinen nimmt er ab.

Das Problem an den Daten der Prüfungsstatistik ist: Sie erklären nicht alles. So kann es sein, dass Frauen zwischen dem Bachelorabschluss und dem Beginn eines Masterstudiums eher eine Pause einlegen, den Master aber dennoch zu einem späteren Zeitpunkt machen. Es ist denkbar, dass Frauen für einen Masterabschluss mehr Zeit benötigen und daher noch nicht in der Statistik der Abschlüsse auftauchen. Das allerdings sind Spekulation und es wäre zwingend geboten, der Frage des Übergangsverhaltens nachzugehen und die Veröffentlichungen zu diesem Thema – die in der Regel mit öffentlichen Mitteln zumindest kofinanziert werden – grundsätzlich nach Geschlecht auszuweisen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Gründe unerforscht

Die Analyse ergibt also – bei aller Vorsicht –, dass der zusätzliche Übergang ein weiteres Loch in der „Leaky Pipeline“ ist. Dies wird auch durch eine Untersuchung von Statistik Austria für Österreich gestützt, was insofern interessant ist, als die Bildungssysteme einige Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Frage stellt sich nun: Warum sind die positiven Aspekte, die ja auch mit der Bologna-Reform verbunden waren, nicht umgesetzt worden?

Zunächst ist festzustellen, dass eine inhaltliche Studienreform nach wie vor aussteht. Die Umsetzung der Reformen erfolgte nicht unter den Gesichtspunkten einer qualitativen Verbesserung der Studiengänge, sondern vor dem Primat der Studienzeitverkürzung und der Einsparung von Geldern. So ist bis heute nicht entwickelt, was ein Praxisbezug eines Studiums sinnvoller Weise sein kann; verkürzt wurde auf „Employability“ abgestellt. Was die Berufsqualifizierung eines Bachelorabschlusses ist, ist häufig weiter offen. Spezielle Karrierewege und attraktive Möglichkeiten, nach einigen Jahren Berufserfahrung an die Hochschule zurückzukehren, stehen weitgehend aus. Die Stufung der Studiengänge und ihre Modularisierung wurde nicht genutzt, um eine größere Kombinierbarkeit der Studienangebote zu ermöglichen, sondern die Hochschulen schotteten sich durch die Entwicklung unterschiedlichster Zugangsvoraussetzungen voneinander ab. Nicht Vielfalt und Durchlässigkeit standen bei der Umsetzung der Reform Pate, sondern Abschottung und Wettbewerb. Schließlich wurden die Studiengänge überladen und mit einer Prüfungsdichte und einer Vielzahl von Anwesenheitspflichten überzogen, die eher einen Kontrollwahn als eine Lehrmotivation vermuten lassen.

Die Ursachen für diese Umsetzung sind vielfältig – und nicht zuletzt den fehlenden Mitteln geschuldet – klar ist aber, dass die Chancen von Bologna nicht genutzt wurden. Daher konnte es an dieser Stelle auch keine Verbesserung bei der Zusammensetzung der Studiengänge nach den Geschlechtern geben. Dennoch stellt sich die Frage, warum Frauen eher nach dem Bachelorabschluss auszusteigen scheinen als Männer. Hierzu lassen sich einige Vermutungen anstellen:

Erstens wissen wir aus Untersuchungen von HIS, dass sich Frauen beim Zugang zum Erststudium eher durch einen Numerus Clausus abschrecken lassen als Männer. Nun sind nach eigenen Berechnungen mit Informationen aus dem Hochschulkompass 33 Prozent (Universitäten) bzw. 45 Prozent (Fachhochschulen) aller Masterstudiengänge mit einem NC belegt. Zusätzlich kommen Zugangsvoraussetzungen wie Sprachkenntnisse, bestimmte Fächerkombinationen und spezifische Leistungsnachweise im Bachelor hinzu. Es ist denkbar, dass sich Frauen hiervon ebenfalls eher abschrecken lassen. Auch die Frage der Verschuldungsbereitschaft und der Kosteneinschätzung eines Masters könnte hier eine Rolle spielen.

Zweitens spielt die bereits oben genannte Fächersegregation eine Rolle, da in bestimmten männlich dominierten Fächern der Übergang in ein Masterstudium „normaler“ ist als in „Frauenfächern“. Drittens schließlich wird die Erziehungs- und Betreuungsarbeit in Deutschland überwiegend durch Frauen geleistet; auch das kann ein Grund sein, warum ein Masterabschluss nicht gemacht oder aufgeschoben wird. Viertens schließlich ist es denkbar, dass das Verhalten der Frauen ökonomisch völlig rational ist. Zwar ist die Motivation für ein Studium selten nur extrinsisch über Verdienstmöglichkeiten geprägt, aber dieses Motiv spielt dennoch eine Rolle. Angesichts der erheblichen Gehaltsschere könnte es demnach rational sein, kein Masterstudium an den Bachelor anzuschließen, da sich die weitere „Investition“ für Frauen schlicht ökonomisch nicht lohnt. Die bereits erwähnte HIS-Untersuchung „Hochschulabschlüsse im Umbruch“ kommt zu dem Ergebnis, dass es erhebliche Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt: So verdienen Frauen in Vollzeit 1,5 Jahre nach dem Abschluss 13 Prozent (traditioneller FH-Abschluss) bzw. 12 Prozent (traditioneller Universitätsabschluss) weniger als Männer. Für die Bachelor- und Masterstudiengänge sind die Fallzahlen für verlässliche Aussagen noch zu gering.

Insgesamt ist also festzuhalten: Die Chancen von „Bologna“ wurden weitgehend nicht genutzt, bestehende Probleme sogar verschärft. Dabei ist das Thema der Geschlechtergerechtigkeit fast vollständig ignoriert worden, was sich etwa in den fehlenden Auswertungen nach Geschlecht bei den bereits vorhandenen Untersuchungen zeigt. Es ist daher zwingend geboten, die Auswirkungen der Studienstrukturreform auf die Geschlechter endlich zu untersuchen – und Fehlentwicklungen aktiv entgegenzusteuern.

Klemens Himpele ist Referent im Vorstandsbereich Hochschule und Forschung beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Mitglied im Beirat vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.