Roter Koffer – braune Vergangenheit

Das Fürstentum Liechtenstein und der Bohrhammer-Spezialist Hilti

Bei Bauprofis genießen die Bohrhämmer der Marke Hilti einen legendären Ruf. Die charakteristischen roten Kunststoff-Koffer haben Kultstatus. Dass das Weltunternehmen aus Liechtenstein stammt, wissen nur Insider. Dass das Unternehmen braune Wurzeln hat, dürfte völlig unbekannt sein. Wobei dann auch noch über dem Fürstentum Lichtenstein ein brauner Schatten liegt.

Das nur 160 Quadratkilometer große Fürstentum Liechtenstein – gerademal so groß wie die Stadt Aachen und eingezwängt zwischen Österreich und der Schweiz ist das viertkleinste Land Europas. Nur der Vatikan, Monaco und San Marino sind kleiner. Die Hälfte der Landesfläche bildet das Rheintal, das in die Gebirgswelt der Alpen übergeht. Aber Liechtenstein zählt zu den weltweit reichsten und am stärksten industrialisierten Ländern. Das Fürstentum ist „eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage“, so steht es zumindest in der Verfassung. „Die Staatsgewalt“ sei „im Fürsten und im Volke verankert.“ Der Liechtensteiner ist also in einer latent gespaltenen Person Bürger und Untertan. Parlamentarisch regiert wird Liechtenstein von einer Großen Koalition. Die Macht von Fürst Hans-Adam II, dessen Familie über ein Privatvermögen von acht Milliarden Euro verfügen soll, ist fast grenzenlos. Zum Beispiel kontrolliert der Fürst durch sein Vetorecht die Gesetzgebung. Er kann sich über Volksentscheide hinwegsetzen und rechtskräftige Urteile rückgängig machen. Am Rande erwähnt sei, dass Fürst und Erbprinz keine Steuern zahlen müssen. Kein Monarch in Europa hat heute noch so viel Macht wie Seine Durchlaucht Johannes Adam Ferdinand Alois Josef Maria Marko d’Aviano Pius von und zu Liechtenstein, kurz Fürst Hans-Adam II., geboren 1945 (wobei er seinen Sohn, Seine Durchlaucht Erbprinz Alois, schon 2004 mit der Ausübung der fürstlichen Hoheitsrechte betraut hat).
Liechtensteins Banken kollaborierten jahrzehntelang in großem Stil mit Steuerhinterziehern und Betrügern. Sie stifteten zum systematischen Steuerbetrug an. Wer das macht, der muss sich gefallen lassen, dass seinen Nachbarn der Begriff „Schurkenstaat” einfällt“, so zum Beispiel im Februar 2008 auch dem damalige SPD-Fraktionsvize Poß. Und er hatte Recht. Nur dank Liechtenstein schafften es die Schweizer Banken beim Verstecken von Schwarzgeld an die Weltspitze. Sie und ihre Klientel nutzen eine ganz besondere liechtensteinische Spezialität: die Stiftung. Jahrzehntelang gab es kein besseres Versteck für hinterzogene Gelder. Das war gestern, diese Zeiten seien vorbei, behauptet zumindest der Regierungschef. Dennoch wächst der Finanzsektor.
Kilometerlanger Industriepark
Heute ist Liechtenstein ein sich auf der rechten Rheinseite knapp 25 Kilometer lang hinziehender Industriepark. Das Fürstentum zählt derzeit rund 38.000 Einwohner – und ebenso viele Arbeitsplätze. Die Erklärung: Die Wohnrechte im Fürstentum sind streng limitiert. Die Hälfte der Beschäftigten wohnt in Österreich, der Schweiz und in Deutschland und pendelt täglich nach Liechtenstein zur Arbeit ein. Die Mehrzahl der Pendlerinnen und Pendler arbeitet in der Industrie, die 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Größter Arbeitgeber ist der Autozulieferer Thyssen-Krupp Presta, der hier seinen Firmensitz hat und im „Ländle“ 2200 Mitarbeiter beschäftigt.
Hilti, der weltweit bekannte, global operierende Spezialist für „Befestigungstechnik“ beschäftigt weltweit 26.900 Angestellte, davon 1700 am Firmensitz in Schaan, Lichtenstein. 2017 war für Hilti ein Rekord-Jahr, der Umsatz stieg um 10,8 Prozent auf 5,1 Milliarden Schweizer Franken (CHF). Ohne Störungen durch die Weltpolitik rechnet Hilti für 2018 mit ähnlich hohen Wachstumsraten. Vor einem Jahrzehnt, also 2008, war Hilti mit 4,7 Milliarden CHF fast schon einmal so Umsatzstark. Die dann einsetzende weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sowie mehrere Aufwertungsrunden des Schweizer Frankens bremsten den weiteren Höhenflug aus. „Inzwischen ist der globale Baumarkt so stark gewachsen wie schon lange nicht mehr “, sagt Hilti-Chef Christoph Loos. “Ein Highlight war sicherlich das 20-prozentige Wachstum in der Region Osteuropa, Mittlerer Osten und Afrika”. Und: „Nordamerika lief vor Trump gut und läuft seit seiner Wahl unverändert gut“. So Loos.
Um den Konzern für die Zukunft fit zu machen, sucht Hilti seit geraumer Zeit neue Geschäftsfelder. Der Konzern übernahm 2017 die im Bereich Trägersysteme für Offshore-Anlagen operierende norwegische Oglaend-Systeme-Gruppe. Damit verfolgt Hilti das strategische Ziel, künftig auch im Öl- und Gasbereich sowie im Schiffsbau als Unterbereich des Energiesektors mitspielen zu können.
In diesem Hochtechnologie Segment spielt der Preis weniger eine Rolle als die Qualität. Das passt perfekt zum Firmenimage von Hilti. Anbieter von Billiglösungen, so das Kalkül, sind daher keine echte Konkurrenz, verursacht der Ausfall einer Offshore-Anlage einen Umsatzausfall von über einer Million täglich. So aufgestellt braucht sich die Familie Hilti, weder um die Private Zukunft noch die des Industriekonzern sorgen machen. Um den Fortbestand des Konzerns zu sichern, haben die Erben des Firmengründers einen Erbverzicht geleistet und alle Aktien in den Martin Hilti Familientrust eingebracht. Dessen Wert wird auf 4,5 bis 6 Milliarden CFH geschätzt. Der Trust ist auch mit 11,2 Prozent bedeutender Minderheitsaktionär der VP Bank in Liechtenstein.

Hiltis braune Wurzeln

Auf der Website der Hilti-Foundation lesen wir: „Wir bei Hilti sind davon überzeugt, dass unternehmerisches Handeln und Denken fest mit einer gesellschaftlichen Verantwortung verbunden ist. An diesem Grundsatz halten wir seit Beginn unserer Firmengeschichte fest, inspiriert durch das persönliche Engagement unseres Gründers Martin Hilti und der Hilti Familie“. Verschwiegen wird die tiefbraune Vergangenheit des Fürstentum Lichtenstein und diejenige von Martin Hilti, des Liechtensteiner Maschinenbaumagnaten und Begründers der Maschinenbau Hilti, der heutigen Hilti AG in Schaan.
Das Anfang des 20. Jahrhunderts noch stark von Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägte Fürstentum mit seinen damals nur 11.000 Einwohnern hat wenig mit dem heutigen Liechtenstein gemein. Der damalige „Finanzplatz“ bestand aus der Liechtensteinischen Landesbank und der Bank in Liechtenstein, die 1945 je 10 Angestellte hatten. Während des Krieges entstanden aber drei metallverarbeitende Fabriken, die als Zulieferfirmen Kriegsmaterial bzw. kriegswichtige Güter herstellten. Während es sich bei der Press- und Stanzwerk AG (Presta) und bei der Präzisions-Apparatebau AG (PAV) um Niederlassungen von schweizerischen Unternehmen handelte, war die Hilti OHG eine liechtensteinische Gründung. Liechtenstein wurde als Produktionsstandort für Industriebetriebe interessant, bot doch die (durch den 1923 abgeschlossenen Zollanschlussvertrag etablierte) Zugehörigkeit des Fürstentums zum schweizerischen Wirtschaftsraum Liechtenstein einen gewissen eigenen Handlungsspielraum. Die liechtensteinischen Exportbetriebe profitierten von den schweizerischen Clearingkrediten an Deutschland. Für neue Produktionsunternehmen hielt die Regierung Steuerpauschalen bereit; die eine großzügige Abschreibungspraxis gestatteten und sich der schweizerischen Kriegsgewinnsteuer entzogen. Im Vergleich zu den schweizerischen sind die liechtensteinischen Industriebetriebe eher als klein zu bezeichnen. Selbst auf den Höhepunkt der Produktion, 1943, arbeiteten bei Presta 304 Mitarbeiter, Hilti zählte 66 und die PAV 16 Beschäftigte. Presta fungierte als verlängerte Werkbank der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle, die 20-mm- Munitionshülsen für die Oerlikoner Fliegerabwehrkanone produzierte. Die Hilti OHG produzierte funktional kriegswichtige Güter wie Bestandteile für Panzermotoren und Kriegsmaterial wie Elemente von Geschosszündern. Auftraggeber und Abnehmer waren vor allem die Rüstungsfirmen Maybach Motorenbau in Friedrichshafen und Robert Bosch in Stuttgart. Dass das, was von Presta produziert wurde, für die deutsche Wehrmacht bestimmt war, störte weder Regierung noch das Parlament des Fürstentums. Gegenüber den Alliierten rechtfertigte die Regierung ihre Haltung mit der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens.
Liechtensteins NS-Hetzer Martin Hilti
Bevor Martin Hilti 1945 erfolgreich vom radikalen Nationalsozialisten zum Vorzeigeunternehmer mutierte, war der Industriemagnat Kopf und Promotor der NS-Bewegung in Lichtenstein. Der Reihe nach: Martin Hilti kam am 8. Mai 1915 als neuntes von elf Kindern des Schaaner Metzgermeisters Joseph Hilti und dessen Ehefrau Walburga zur Welt. Nach der Matura (dem Abitur) studierte er an der Technischen Hochschule in Graz (Abschluss mit Mathematik-Diplom) und der Ingenieursschule Wismar (Ingenieursabschluss). Ab 1939 arbeitete Martin Hilti in der Autowerkstatt seines Bruders Eugen und gründete mit ihm zusammen 1941 die Maschinenbau Hilti oHG in Schaan. Zusammen mit fünf Beschäftigten produzierte diese kleine Garagen-Firma als Zulieferer für die deutsche Rüstungs- und Kfz-Industrie. Hilti war leidenschaftlicher Nazi. Seine politische Heimat fand er im Lichtensteiner „Heimatdienst“ und in der „Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL)“. Die VDBL strebte die Umgestaltung Liechtensteins in nationalsozialistischem Geist und den Anschluss an Deutschland an. Darüber hinaus wollte die Partei mit der Parole „Liechtenstein den Liechtensteinern!“ die Loyalität der Liechtensteiner zum regierenden Fürsten unterminieren. Auf ihrem Höhepunkt 1940 hatte die radikale „Bewegung“ rund 300 Mitglieder (immerhin etwa zehn Prozent der Stimmberechtigten) und viele Sympathisanten. Die VDBL-Führungsriege unterhielt ein weitverzweigtes Kontaktnetz ins Nazi -Reich, insbesondere zur „Volksdeutschen Mittelstelle“, dem „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ (beide Sitz in Berlin), zu NS-Funktionären in Stuttgart und zu Gestapo-Stellen in Vorarlberg und Tirol. VDBL- Mitglieder dienten dem ND-Regime als Informanten, Denunzianten, Spione und Waffen-SS-Freiwillige. Martin Hilti absolvierte im Sommer 1941 eine Waffen-SS-Ausbildung in Prag. Seine Spionagetätigkeit für den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers der SS ist amtlich: Hilti wurde im Oktober 1945 in St. Gallen in Abwesenheit wegen „Verletzung militärischer Geheimnisse, Gehilfenschaft hierzu und Ungehorsam gegen allgemeine Anordnungen“ zu sieben Jahren Haft und 15 Jahren Landesverweis verurteilt. Um der Verhaftung zu entgehen, betrat Hilti die Schweiz bis 1968 nicht mehr.
Martin Hilti war in der NS-Zeit „Schriftleiter“ des erstmals am 5. Oktober 1940 erschienen VDBL-„Kampfblattes“ „Der Umbruch“, einem am Stil des „Stürmer“ aufgerichteten Nazi-Propaganda-Organ. „Der Umbruch“ und Schriftleiter Hilti griffen häufig die zahlreichen jüdischen Emigranten, denen die Flucht aus Deutschland ins neutrale Liechtenstein gelungen war, an. Unter den so Angegriffenen waren auch die beiden Brüder Fritz und Heinz Baum sowie der aus Heilbronn stammende Flüchtling Paul Wollenberger, der ab 1939 zusammen mit seiner Familie in Liechtenstein lebte. In der Ausgabe des „Umbruch“ vom 13. Juni 1942 las man über ihn: „Jud Wollenberger ist ein Parasit und ein Zwietrachtstifter in der Gemeinde. Die Schaaner fordern eindeutig die Ausweisung des Juden Wollenberger.“ Ähnlich wie in Julius Streichers „Stürmer“ hetzte auch der „Umbruch“ zum Thema „Rassenschande“: „Die Juden werden neuerdings gewarnt, sich an liechtensteinische Mädchen heranzumachen.“ Noch im Mai 1943 forderte der „Umbruch“ „die Ausmerzung des Judentums als Volk und Rasse“. Auf Grund mehrerer Verbal-Angriffe auf die Schweiz wurde das Blatt im Juli 1943 verboten.
Mit Kriegsende endete auch Martin Hiltis Nazilaufbahn. Es folgte die wundersame Umwandlung von Nazis in aufrechte Demokraten, wie wir sie aus Westdeutschland kennen. Ab 1945 fertigte Hilti Maschinen, Vorrichtungen, Spezialwerkzeuge. 1948 befasste sich Hilti erstmals mit Befestigungstechnik. Während des Sechstagekriegs, im Juni 1967, spendete Martin Hilti für mit den Worten „Mir gefallen wehrhafte Staaten“ dem Staat Israel rund 15.000 Franken. 1956 feierte Liechtenstein den 150. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Im Rahmen der Feierlichkeiten sollten auch „verdienstvolle Persönlichkeiten“ mit Ritterkreuzen geehrt werden, eigentlich auch Martin Hilti. Dagegen gab es mehrere Einsprüche und Proteste. Es sei nicht zu akzeptieren, dass jemand, der in der NS-Zeit politische dafür eintrat, dass sein Land sich „Großdeutschland“ anschließt und damit seine Unabhängigkeit verlieren sollte, derart auszeichne. Martin Hilti sagte daraufhin mit den Worten: „Nur Schwache suchen an den Starken Fehler“ seine Teilnahme an der Feier ab.

Manfred Dietenberger schrieb zuletzt in Lunapark21 Heft 36 über deutsche Profiteure der Trump-Politik