Interview mit Pia Eberhardt von Corporate Europe Observatory (CEO)
Lunapark21 – Heft 24
Wie kommt es, dass es jetzt einen neuen Anlauf für eine gigantische transatlantische Freihandelszone gibt? Schließlich waren die vergangenen Anläufe vergeblich.
Das EU-USA Freihandelsabkommen ist ein über zwei Jahrzehnte altes Elitenprojekt, getragen von weltmarktorientierten Kapitalfraktionen und Teilen der politischen Elite auf beiden Seiten des Atlantiks. Dass es jetzt tatsächlich auf den Weg gebracht wird, hat sicher mit der Krise zu tun, mit der Hoffnung auf Wachstum durch Freihandel und dem Ziel, die gesamte Weltwirtschaft durch ein Netz von Freihandelsabkommen zu liberalisieren. EU und USA reagieren mit dem Abkommen aber auch auf Verschiebungen im Weltsystem: Wenn es ihnen gelingt, sich auf gemeinsame Standards und Regeln zu einigen, wird das den riesigen transatlantischen Markt für ein paar Jahre vor Konzernen aus Ländern wie China zumindest tendenziell abschotten.
„Tendenziell abschotten“ – wie muss man sich das vorstellen? Welche Standards und Regeln würden verhindern, dass chinesische Solarpanele und Spielwaren in die EU und die USA exportiert werden?
Ein Beispiel wäre eine Einigung darauf, dass Bestandteile eines Autos wie Bremsen oder Scheinwerfer, die in den USA als sicher getestet wurden, ohne erneute Testverfahren auch in der EU einfach in Autos eingebaut werden könnten. Oder eine Einigung darauf, erlaubte Chemikalien in Kinderspielzeug auch jeweils auf der anderen Seite des Atlantiks zuzulassen. Für die Konkurrenz aus China oder Indien gilt das dann erstmal nicht – die muss die Testverfahren weiter durchlaufen. Tatsächlich erhoffen sich alle Branchen etwas von solchen Angleichungen bei Standards – allem voran die Auto-, Chemie-, Pharma- und IT-Industrie.
Spielt die Bundesregierung eine wichtige Rolle bei der Konzeption der Verhandlungen und der Entscheidung, die Gespräche nun zu beginnen?
Die Bundesregierung steht schon lange hinter den Plänen für ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Sie hat Think Tanks dafür bezahlt, den ideologischen Boden für das Projekt zu bereiten – zum Beispiel den Atlantic Council,…
…, eine konservative US-Denkfabrik, deren Vorsitzender bis vor kurzem der aktuelle republikanische Verteidigungsminister Chuck Hagel war. Womit genau hat die Bundesregierung diesen Think Tank beauftragt?
Im Jahr 2007 veröffentlichte der Transatlantic Council eine Studie mit dem Titel “Transatlantische Führerschaft für eine neue globale Ökonomie”. Damit bewarb er einen EU-USA-Handelsvertrag, um auf die aufziehenden ökonomischen Turbulenzen und den Aufstieg Chinas zu reagieren. Finanziert wurde das ganze vom Transatlantischen Programm des Bundeswirtschaftsministeriums, dem German Marshall Fund of the United States und der Vertretung der EU-Kommission in Washington.
…zurück zur unmittelbaren Rolle der Bundesregierung….
Merkel hat das TTIP mehrmals als Teil der europäischen Krisen-Exit-Strategie angepriesen. Und die Bundesregierung ist eines der mächtigsten Mitglieder im Ausschuss für Handelspolitik des Rats der Europäischen Union, über den sie eng in die Verhandlungen eingebunden ist. Sie spielt also eine wichtige Rolle. Ein mindestens ebenso wichtiger Akteur – wenn nicht sogar die treibende Kraft hinter dem Projekt TTIP auf offizieller europäischer Seite – ist die EU- Kommission.
Wie sieht die Mechanik der EU-Politik bei dem TTIP-Projekt aus? Welche Rolle spielt die Generaldirektion „Handel“ der EU-Kommission im Verhältnis zu Rat der Mitgliedstaaten und Europäischem Parlament? Welche Rolle spielen Konzerne mit ihrem Lobbyismus?
Das Kräfteverhältnis ist in der EU-Handelspolitik krass durch die Kommission geprägt. Sie hat die meiste Expertise, macht die Textentwürfe und führt die Verhandlungen. Im Parlament gibt es kaum Kapazitäten, die Stapel hoch technischer Papiere zu analysieren. Angeblich landen in den Büros der Abgeordneten im Ausschuss für internationalen Handel wöchentlich zwischen 500 und 1000 Seiten, die es zu verstehen und bewerten gilt. Außerdem beschränkt sich die Macht des Parlaments auf die „Kern-Option“, das Ergebnis der Verhandlungen am Ende ganz abzulehnen oder diesem voll zuzustimmen. Das Europäische Parlament hat daher kaum realen Einfluss. Die Mitgliedstaaten haben mehr Gewicht. Aber auch aus dem Rat ist immer wieder zu hören, dass die Kommission Informationen vorenthält, einzelne Mitgliedstaaten erpresst etc. Zudem können die Mitgliedstaaten nur in mehrheitsfähigen Koalitionen etwas gegen die Kommission durchsetzen – ein oder zwei einzelne Staaten allein haben keine Chance.
Mit Akteuren des transnationalen Kapitals arbeitet die Kommission eng zusammen. Über 90 Prozent der Treffen, die sie zur Vorbereitung der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen mit so genannten ‘stakeholdern’ organisiert hat, fanden mit Vertreterinnen und Vertretern großer Konzerne und ihren Lobbygruppen statt – und nur wenige mit Gewerkschaften und Verbraucherschutzverbänden. Einzelne Kapitel des geplanten Abkommens werden faktisch gänzlich entlang der Wunschlisten von Akteuren wie BusinessEurope und der American Chamber of Commerce gestrickt.
Lassen sich die Verhandlungsdynamiken als EU vs. US begreifen? Oder gibt es Deines Erachtens so etwas wie eine transatlatische Herrschaftsklasse, wie es der Politikwissenschaftler Kees Van der Pijl ausdrücken würde, die mit Hilfe des TTIP ihre Interessen gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt? Und würdest Du auch soweit gehen, von Ansätzen eines transatlantischen Staatsapparats zu sprechen, welcher in den Verhandlungen sichtbar wird? Bei Geheimdiensten und deren enger Kooperation könnte man ja durchaus darauf kommen, dass es bereits eine enge institutionelle Verschmelzung gibt.
Es gibt zweifellos auch Konflikte zwischen der europäischen und der amerikanischen Seite. Diese werden in den Verhandlungen noch eine Rolle spielen. Aber beim TTIP handelt es sich im Kern um das gemeinsame Projekt der herrschenden Klassen auf beiden Seiten des Atlantiks. Es geht um ein Regelwerk, das in den USA und der EU zugleich Kapitalinteressen absichert, Demokratie einhegt und neue Profitmöglichkeiten schafft. Entsprechend haben fast alle Industriesektoren gemeinsame Eingaben zu den öffentlichen Konsultationen zum TTIP gemacht, also z.B. der europäische Chemieverband gemeinsam mit dem amerikanischen usw. Der Grad der Abstimmung und das gemeinsame Agieren dieser „Transatlantic Ruling Class“ ist wirklich bemerkenswert. Von einer Verschmelzung zu einem transnationalen Staatsapparat würde ich allerdings nicht sprechen – so homogen und frei von kapitalistischer und Staatenkonkurrenz auf dem Weltmarkt ist das transatlantische Verhältnis dann doch nicht.
Wie sehen angesichts dessen die Strategien von sozialen Bewegungen, NGOs und Gewerkschaften aus?
Ein erfreulich großer Teil der sozialen Bewegungen und NGOs schätzt die Gefahren von TTIP richtig ein und will das Abkommen entsprechend verhindern. Die Gewerkschaften tun sich mit einer klaren Ablehnung von Handelsabkommen schon immer schwer – auch wenn sie oft fast alle Teile des Abkommens und die Geheimverhandlungen ablehnen. Ich hoffe wirklich, dass sie begreifen, dass sich das TTIP gegen die Interessen der Beschäftigten und der Mehrheit der Bevölkerung im nordatlantischen Raum richtet. Was die konkrete Organisierung von Gegendruck angeht, stehen wir aber noch am Anfang – zumindest wir in Europa. Ein erstes größeres europäisches Treffen, um unsere Strategien zu koordinieren, gibt es im Dezember. Anfang nächsten Jahres werden wir dann unsere transatlatische Vernetzung ausbauen. In der Vergangenheit konnten Abkommen wie das MAI, das Multilaterale Investitionsabkommen im Rahmen der OECD, und die gesamtamerikanische Freihandeslzone, FTAA, verhindert werden. Es ist also realistisch, dass wir das auch mit dem TTIP schaffen.
Dazu müssen wir aber auf allen Ebenen effektiven Protest entwickeln, d.h. Koalitionen bilden, die ihn tragen können – lokal, auf national-staatlicher Ebene, europäisch und nordatlatisch.
Für Lunapark21: Alexis J. Passadakis, Mitglied im Rat von Attac