Die Neusprechvokabel
Gender-Gaga als Bestandteil der neurechten Diskursstrategie gegen den Feminismus
Birgit Kelle ist eine rechtskatholische Medienunternehmerin und mit ihren Büchern „Dann mach doch die Bluse zu“, „Gender-Gaga“, „Muttertier“ oder dem gerade erschienenen „Noch normal? Das lässt sich gendern!“ die inzwischen vielleicht bekannteste Antifeministin in Deutschland. „Antifeministin“? Die politische Aktivistin Birgit Kelle stellt sich gerne als moderne Feministin dar. In Zeitungen vom Focus bis zur taz wurde ihr Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ als unterhaltsam und provozierend bzw. als „belebend“ bezeichnet.
Der Antifeminismus tritt heute anders auf als in den 1950er Jahren. Natürlich gibt es auch heute noch die mit Herrenwitz oder auch deutlich hasserfüllter Frauenfeindlichkeit einhergehende Ablehnung von Frauenrechten. Es gibt noch die belehrend und mit Bibelzitaten unterfütterte Ermahnung, mühsam hervorgebracht vom adeligen Podcaster, die Frau habe sich dem Manne unterzuordnen. Oder die Beiträge in Männerforen wie „Wieviel Gleichberechtigung verträgt der Mann“ die einander an Frauenfeindlichkeit zu überbieten trachten. Und mit dem Erstarken neofaschistischer Strömungen fühlen sich auch bestimmte Männer wieder ermächtigt.
Birgit Kelle hingegen wirkt allein schon vom Auftreten anders, sie vereinbart Familie und Beruf, in ihren Büchern findet sich rebellisch-jugendlicher Wortwitz und es liegt nicht nur am fehlenden „von“ in ihrem Namen, dass sie weniger adelig-miefig wirkt als ihre antifeministischen Kolleginnen Beatrix von Storch von der AfD oder Hedwig von Beverfoerde von der Organisation „Demo für alle“.
Medienunternehmerin
Birgit Kelle ist Vorsitzende eines nicht besonders in Erscheinung tretenden Vereins Frau2000plus und Board-Mitglied des europäischen Dachverbandes New Women for Europe, der nach eigenen Angaben einhundert Frauengruppen und über eine halbe Millionen Frauen vertritt. Das klingt nach Frauenrechtsorganisation. Merkwürdigerweise findet man auch nach tagelanger Recherche so gut wie nichts über diesen Dachverband. Auch der Link, der auf die Website verweist, führt inzwischen ins Leere.
Wichtiger erscheint daher Kelles Engagement als Medienunternehmerin. Die GmbHs, für die sie und ihr Ehemann Klaus Kelle verantwortlich zeichneten, wechselten ständig Namen und Sitz. So findet man die nach ihrem Geburtsnamen benannte Götsch Direkt GmbH (später: NRW.jetzt Verlag GmbH) oder die 2005 in Bad Salzuflen gegründete Camerlengo Medien GmbH, in der Birgit Kelle das rechtskatholische Magazin „Vers1“ in einer Startauflage von über 100.000 Exemplaren und 24 bis 32 durchgehend vierfarbigen Seiten verbreitete. Ein Großteil dieser ersten Auflage wurde 2005 beim katholischen Weltjugendtag verteilt. Die Online-Ausgabe von Vers1 warb noch für die inzwischen verbotene und aufgelöste rechtskatholische Organisation Kreuznet. Vers1 steht heute für eine Verkaufs-Website der BMS Admin GmbH, verantwortlich: Klaus Kelle, Krefeld, gegründet 2004 von Birgit Kelle in Bergheim. Zu nennen wären noch die Vers1 Medien GmbH, die KelleCOM GmbH, die Fabian Medien GmbH & Co KG, The GermanZ Medien GmbH. Ein wirres Geflecht von GmbHs mit Sitzen quer durch NRW.
Interessant war die Sitzverlegung der Götsch Direkt GmbH von Bergheim zum Kieshecker Weg 240 in Düsseldorf. Denn dies ist sowohl die Adresse des katholischen Unternehmers Michael Bommers als auch des Ordens Legionäre Christi.
Legionäre Christi und Tempelritterorden
Birgit Kelle wirkt auf den ersten Blick nicht wie eine spießig-katholische Reaktionärin – zumindest dann nicht, wenn man sich nicht intensiv mit ihren politischen Statements befasst. Tatsächlich scheint sie mit einer fanatischen katholischen Bewegung zusammenzuarbeiten, deren Gründer, Marcial Maciel, selbst in katholischen Kreisen als Psychopath bezeichnet wird, weil er jahrelang sexualisierte Gewalt an Kindern aus Knabenseminaren verübte. Die Rede ist vom Orden „Legionäre Christi“ und der apostolischen Bewegung „Regnum Christi“.
Inzwischen distanzieren sich die Legionäre Christi / Regnum Christi von ihrem Gründer, doch die Pädagogik dieses Ordens, in dem vorwiegend gerne der Adel (u.a. Habsburg, Heeremann, Ballestrem) seinen Nachwuchs zu Priestern heranziehen lassen möchte, zielt noch immer darauf ab, die Kinder zu lehren, sich zu „Geschenken“ für Erwachsene zu machen.
Zur Verfügung gestellt wurden die Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Düsseldorfer Löwensenf-Gelände von Michael Bommers. Bommers hielt dann auch in Düsseldorf eine Rede zur Einweihung des ersten deutschen Kindergartens von Regnum Christi. Im Kieshecker Weg 240 ist die Organisiation KidsNet von Regnum Christi gemeldet und mit der Adresse wurde die Götsch Direkt GmbH in NRW.jetzt Verlag GmbH umgewandelt. Klaus Kelle ergriff in einem NRW.jetzt-Artikel in einer privaten Auseinandersetzung Partei für Bommers.
Michael Bommers leitet den AK Christliche Spiritualität des Bundes Katholischer Unternehmer. Exkursionen dieses AK wurden von Birgit Kelle und von Priestern der Legionäre Christi begleitet. Organisiert wurden diese Exkursionen von einer Büroangestellten von Herrn Bommers, die zugleich stellvertretende Vorsitzende im Verein Frau2000plus von Birgit Kelle war. Birgit Kelle führte zahlreiche Lesungen bei Apostolaten der Legionäre Christi durch.
Wenig modern wirkt auch die Mitgliedschaft von Klaus Kelle beim Tempelritter-Orden. Birgit Kelle, die als Frau natürlich nicht Mitglied werden kann, ist mit zahlreichen Artikeln in der Zeitschrift vertreten. Chefredakteur der Tempelritter-Zeitschrift ist Stefan Winckler, ehemaliges Präsidiumsmitglied des rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim. Auch der religionspolitische Sprecher der AfD, Volker Münz, ist Mitglied dieser mit weißen Roben mit rotem Kreuz recht rückschrittlich wirkenden Männerorganisation. Und was Birgit Kelle von sich gibt, ist nicht neu und belebend. Ihr Antifeminismus ist alt und erstickend wie der missionarische Eifer der Legionäre Christi und der Tempelritter.
Zusammenarbeit mit Moon-Sekte und Falun Gong
Während Birgit und Klaus Kelle dem Islam sehr kritisch gegenüberstehen, gilt dies anscheinend weniger für ihr Verhältnis zur Moon-Sekte oder zu Falun-Gong. Letztere betreibt in Deutschland die größte rechtspopulistische Internet-Seite. So nahm Birgit Kelle im Mai 2014 an der Universal-Peace-Federation-Tagung „Die Familie und die Gesellschaft“ als Rednerin teil. Die UPF ist die Fortführung der für Massenhochzeiten bekannten und nach ihrem Führer Moon benannten Sekte. Moon hatte in zahlreichen Staaten Einreiseverbot, u.a. auch in Deutschland zwischen 1995 und 2007. Auch 2017 nahm Birgit Kelle an einer weiteren der UPF nahe stehenden Konferenz teil.
Falun-Gong ist eine Organisation, die in China verfolgt wird und die u.a. in Deutschland die Internetseite Epoch Times betreibt. Vor kurzem wurde von Epoch Times ein dreibändiges Traktakt herausgegeben mit dem Titel „Wie der Teufel die Welt beherrscht“, in dem mit einer Vielzahl typisch rechtspopulistischer Schlagworte vor der Manipulation durch den Leibhaftigen gewarnt wird. Klaus Kelle ist Gastautor bei Epoch Times, und Epoch Times wiederum war dieses Jahr Medienpartner der Schwarmintelligenz-Tagungen von Klaus Kelle. Mit diesen Tagungen, die politisch der WerteUnion – einem CDU-AfD-Übergangsfeld – nahestehen, schweben Klaus Kelle immer umfassendere rechtskonservative Konferenzen vor.
Gender-Gaga
Welche Inhalte vertritt Birgit Kelle? In dem von uns herausgegebenen Diskursatlas Antifeminismus werden seit ein paar Jahren antifeministische Statements dokumentiert und analysiert.1 In diesen Zitaten konnten zentrale Schlagworte, die immer wieder genannt werden, herausgearbeitet werden. Diese Schlagworte – oder korrekter ausgedrückt: Narrative – haben zumeist eine hundertjährige Geschichte und sind miteinander verkettet, stützen sich gegenseitig und plausibilisieren so vermeintliche Wahrheiten über Feminismus und Feminist*innen.
In Birgit Kelles Äußerungen sind uns zentrale und eng miteinander verkettete antifeministische Narrative aufgefallen, die mit den Schlagworten Genderwahn, Gender-Ideologie, Homolobby, Neusprech, Totalitarismus und traditionelle Familie einhergehen.
Mit ihrem Buch Gender-Gaga, der Titel „Gender-Gaga“ fand in der antifeministischen Szene als Schlagwort Verbreitung, bediente sie zentral das Narrativ des Genderwahns. Dieses Narrativ ist besonders perfide, weil emanzipatorische Frauen oftmals als wahnsinnig galten (siehe Luise F. Pusch und Sybille Duda: „WahnsinnsFrauen“). Entsprechend fokussierten sich die Leugnerinnen und Leugner des gesellschaftlich verursachten Klimawandels mit dem Narrativ „Klimawahn“ auf Greta Thunberg und zum Teil auch auf ihr Asperger-Syndrom.
In einem Interview mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit antwortete Birgit Kelle auf die Frage: „Wenn wir zurückblicken auf den Streit gegen die Gender-Ideologie und jetzt kommt die Klima-Ideologie, ist da was, wo man sagen kann, da nehmen wir Strategien, die das schon erprobt haben?“ mit den Worten: „Jetzt sagen wir mal so: Was ich spannend finde, ist bei diesen beiden Themen, die eigentlich erst mal völlig getrennt voneinander da sind, dass die politische Auseinandersetzung nach ähnlichen Schemata abläuft. Also dass es auch in beiden Themenkomplexen so ist, dass es ja […] eben eine Ersatzreligion geworden ist, die sich vor allen Dingen darüber definiert, ob man daran glaubt oder ob man nicht daran glaubt. […]dass die Fakten sozusagen zweitrangig sind und dass die Haltung zum Thema erst mal das Entscheidende ist, und die Frage, hinterfragt man das, was als gesetzt gilt. Also es wird sozusagen eine Wahrheit verkündet und nun kann ich mich en tscheiden, folge ich den Hohepriestern, die die Wahrheit verkünden oder falle ich vom Glauben ab und bin sozusagen Klimaleugner, ja weil ich nicht an die große Klimasache glaube.“
Vor dem Hintergrund ihrer Zusammenarbeit mit den Legionären Christi und der Moon-Sekte, dass ihr Ehemann mit einer Tempelritter-Kutte herumläuft und mit einer Organisation kooperiert die ernsthaft vor dem Wirken des Teufels warnt, kann davon ausgegangen werden, dass Wissenschaftlichkeit und Glauben bei Birgit Kelle nicht auseinander gehalten werden. Sie stellt die internationale Forschung zum Klimawandel und die Gender-Studies an Hochschulen gleichzeitig als ideologische Hohepriesterei dar – Trifft die Zuschreibung der Hohepriesterei nicht zuallererst auf Legionäre Christi, Tempelritterei oder Warnung vor der geheimen Wirkmacht Satans zu?
Die Ideologie oder den vermeintlichen Wahn der anderen zu markieren, ist eine Strategie zur Normalisierung der eigenen Weltsicht – wie rückschrittlich und überholt diese auch immer sein mag. Sehr deutlich wird dieses Bedürfnis der eigenen Normalisierung und der Verrückterklärung der anderen in ihrem aktuellen Buch: „Noch normal? Das lässt sich gendern!“. Bereits der Buchtitel ist hier aussagekräftig genug.
Entsprechend ist das Narrativ der traditionellen Familie oder auch der natürlichen Familie einzuschätzen. In der Gesellschaftsforschung wird betont, dass das Konzept der sogenannten traditionellen Familie mit „Vater, Mutter und zwei bis vier Kindern“ in Deutschland nur in den 1960er Jahren der sogenannten Wirtschaftswunderjahre dominierte. Es gab immer parallel dazu andere Konzeptionen des Zusammenlebens und zumeist war die sogenannte traditionelle Familie ein Randphänomen.
In der antifeministischen Ideologie, wie sie von Birgit Kelle in immer neuen Variationen verbreitet wird, ist jedoch eine übermächtige „Homolobby“ am Werk, die mit ihrem „Totalitarismus“ die „traditionelle Familie“ und damit die Gesellschaft zerstören wolle. Hierfür verwendeten sie ein „Gender-Gaga“ und „Neusprech“: Neben der „natürlichen Familie“ solle auch die „natürliche Sprache“ zerstört werden.
Tatsächlich warnte George Orwell mit der Vokabel Newspeak (Neusprech) in seinem Roman „1984“ vor der Etablierung einer Sprache, mit der Unterdrückung und Emanzipation nicht mehr formuliert und damit auch nicht mehr gedacht werden könne. Er warnte vor „Duck-Speek“, einer „Geschnatter-Sprache“, und genau dieses gedankenlose Geschnatter findet sich in der endlosen Aneinanderreihung der nur leicht variierenden Vokabeln im Antifeminismus, bei den Klima- (und aktuell auch bei den Corona-) Leugnern – nicht nur, vor allem aber auch bei Birgit Kelle.
Andreas Kemper lebt in Münster. Er ist Soziologe und befasst sich u.a. kritisch mit Diskriminierungsformen (insbesondere Klassismus) und rückschrittlich-reaktionären Strömungen im Umfeld der AfD. Weitere Informationen: http://andreaskemper.org
Anmerkung:
1 Diskursatlas Antifeminismus (redaktionelle Verantwortung: Andreas Kemper), URL: http://diskursatlas.de