Die GDL hat ihre Versprechen erfüllt

Sieg bei scharfem Gegenwind

Der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) lieferte in den letzten Monaten den Stoff für zahlreiche Schlagzeilen. Der Tenor war meist gegen ihn gerichtet. Nun gibt es eine Einigung, bei der die GDL ihre Kernforderungen durchsetzen konnte. Über einen Arbeitskampf, der zeigt, dass sich zu kämpfen lohnt.

Neun Monate haben die Tarifverhandlungen zwischen GDL und Bahn AG gedauert. Jede Tarifverhandlung endet mit einem Kompromiss, selten kann eine Seite alle Forderungen durchsetzen. Immer geht es um einen Interessengegensatz zwischen den Forderungen des Unternehmens und denen der Beschäftigten. Bis vor wenigen Wochen war noch offen, wie dieser Konflikt ausgeht und alles andere als eine routinierte Tarifrunde, wie man sie aus anderen Branchen kennt. Besonders waren die mediale Begleitung und die notwendige Härte, mit der das Ergebnis vor dem Hintergrund des Tarifeinheitsgesetzes errungen wurde.

Der GDL ist es gelungen, keine Versprechen zu brechen. Drei hatte GDL-Vorsitzender Claus Weselsky formuliert: keine Nullrunde für die Beschäftigten, Ausweitung des Geltungsbereichs auf andere Beschäftigtengruppen und Sicherung der betrieblichen Altersvorsorge. In allen konnte die Gewerkschaft punkten. Wie ist es also dazu gekommen?

Neun Monate voller Spannung

Mit Spannung werden die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn erwartet. 2015 wurde im Bundestag das Tarifeinheitsgesetz beschlossen. Demzufolge soll in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung kommen. Die GDL hat in 16 der rund 300 Bahn-Betriebe die Mehrheit, in 71 Betrieben muss dies noch festgestellt werden. Bis Ende 2020 hatte ein Grundlagenvertrag zwischen GDL und Bahnkonzern abgesichert, dass auch die Verträge der kleineren Gewerkschaft zur Anwendung kommen. Für das Jahr 2021 bedeutet das die erstmalige Anwendung des Tarifeinheitsgesetz für die Gewerkschaften bei der Bahn. Für die GDL, die früher vor allem die Lokführer vertrat und erst 2014 ihren Geltungsbereich auf Zugbegleiter, Bordgastronomen, Ausbilder und Teamleiter ausdehnte, geht es diesmal darum, Tarifverträge für alle Beschäftigten in den Bahnbetrieben durchzusetzen.

Die Fronten sind daher klar. Das Interesse der Bahn besteht nicht nur darin, möglichst wenig zu bezahlen, sondern am liebsten würde sie sich der kämpferischen GDL gleich ganz entledigen, indem sie sie in die Bedeutungslosigkeit versinken ließe. Für die GDL geht es andersherum um ihr Bestehen und das Durchsetzen von realen Verbesserungen für ihre Mitglieder, die sich in der größeren Gewerkschaft Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) nicht vertreten sehen.

Die EVG hat vor ziemlich genau einem Jahr als Teil des „Bündnis für unsere Bahn“ vor dem Hintergrund der Pandemie eingewilligt, die Tarifverhandlungen vorzuziehen. Sie schließt einen Sanierungstarifvertrag bis Ende Februar 2023 ab, der im Wesentlichen betriebsbedingte Kündigungen ausschließt und eine Tariferhöhung von 1,5 Prozent zum 1. Januar 2022 vorsieht.

Der GDL ist das zu wenig. Schließlich waren die Eisenbahner das ganze Jahr über unterwegs – trotz Pandemie. Ein Abschluss von 1,5 Prozent gleicht nicht mal die Inflation aus und bedeutet eine Minusrunde für die Beschäftigten. Im Gegenteil kritisiert die GDL, dass die Beschäftigten ausbaden sollen, was Ergebnis von jahrelangem Missmanagement ist.

Dass die Einbußen durch den coronabedingten Rückgang der Fahrgastzahlen von der Bahn AG als Vorwand genommen wird, um den Beschäftigten möglichst wenig abzugeben, zeigt sich nochmal mehr im März. Während Verzicht gepredigt wird, werden 220 Millionen an Boni für das Jahr 2020 ausgezahlt – aber nicht an diejenigen im Bordbistro oder der Lokführerkabine, sondern an die 3500 Führungskräfte.

Im April und Mai beginnen die Verhandlungen. Der Ton wird zunehmend rauer, je näher die Streikmaßnahmen rücken. Eine Annäherung liegt in weiter Ferne. Angeheizt wird der Konflikt durch einseitige Darstellungen. Die DB AG wirft der GDL eine Blockadehaltung und eine verantwortungslose Geisterfahrt vor. DB-Personalvorstand Martin Seiler meint: „Mit immer neuen Drohungen und Ankündigungen verunsichert der GDL-Chef Millionen Bahnkunden, die sich nach der schweren Zeit der Pandemie endlich wieder aufs Reisen freuen, und macht mitten im Sommer das zarte Pflänzchen Aufbruch zunichte.“ Nicht gerade versöhnliche Worte.

Untermalt wird dies immer wieder mit Scheinangeboten. So hatte die GDL Ende Mai ihre Forderungen nach unten angepasst. Ursprünglich hatte sie insgesamt 4,8 Prozent mehr gefordert, eine Prämie von 1300 Euro und einen größeren Beitrag der Führungskräfte. Nun entsprechen die Forderungen dem Abschluss des öffentlichen Dienstes im Sinne der Gleichbehandlung der systemrelevanten Arbeiter:innen in der Daseinsfürsorge: Plus 1,4 Prozent im April 2021 (mindestens 50 Euro) und eine Corona-Beihilfe in Höhe von 600 Euro. Und zum April 2022 eine weitere Erhöhung um 1,8 Prozent, und das alles bei einer Laufzeit von 28 Monaten. Eine weitere Kernforderung ist die Sicherung der Betriebsrenten – die Bahn AG will die kleinen Betriebsrenten in Höhe von 150 Euro um 50 Euro kürzen.

Die Bahn AG behauptet, sie würde dieser Forderung entsprechen. Tatsächlich hat sie sich jedoch den speziellen Notlagen-Tarifvertrag für die Beschäftigten des Flughafens als Referenz herausgesucht. Laut dem gäbe es 2021 keine Erhöhung und eine Laufzeit von 40 Monaten, würde also weiterhin eine Minusrunde bedeuten. Zudem verlangt sie im Namen der Solidarität, dass jede Erhöhung über 1,5 Prozent durch andere Maßnahmen von den Arbeitenden wieder hereingeholt werden soll, etwa durch Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

Im Juni kündigt die GDL die Urabstimmung als erste Arbeitskampfmaßnahme an. Die mehrwöchige Abstimmung dient dazu, der Bahn die Zeit für ein neues Angebot einzuräumen und auf etwaige Klagen reagieren zu können. Die GDL kann es sich nicht leisten, Abenteuerfahrten zu machen. Immer wieder weist sie hin auf die drei Voraussetzungen Rechtmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit, um sich freizumachen von Vorwürfen, sie würde sich mit ihren Forderungen außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen. 95 Prozent votieren für Streik.

Der Streik beginnt

Von Dienstagabend, dem 10. August, bis Freitag frühmorgens findet schließlich die erste Streikrunde statt. Beim Besuch an den Streiklokalen vor den Bahnhöfen merkt man in den ersten Stunden noch die Anspannung. Bisher stand vor allem Weselsky im Zentrum der Öffentlichkeit, nun müssen die Streikenden ran. Einige berichten, dass die Unterstützung der Fahrgäste weitaus größer ist als gedacht.

Natürlich gibt es einzelne, die wiederholen, was sie am Zeitungsständer lesen: Bei dem Arbeitskampf ginge es doch nur um den Machtkampf von Weselsky, die GDL würde sich nur für die Lokführer stark machen, wie könne man streiken, wenn andere endlich Urlaub machen wollen. Viel öfter jedoch gibt es unterstützende Worte.

Beim Verteilen der Streikzeitung, die in Solidarität erstellt wurde und auch der taz beiliegt, geht es schnell nicht nur um den konkreten Arbeitskampf, sondern um grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen: „Die machen es richtig. Es könne nicht sein, dass immer bei den Arbeitenden gespart wird, während Boni ausgezahlt werden.“ Aktive der GDL-Jugend sagen, dass ihnen vor allem die Wertschätzung und die Altersabsicherung wichtig seien. Die Sturheit der Bahn bestärkt die Streikenden, weiterzumachen. Bei Wettbewerbsunternehmen der Deutschen Bahn wurden in den letzten Wochen schließlich auch vergleichbare Abschlüsse erzielt.

Solidarität und Spaltung

Am 21. August folgt die nächste Streikrunde, diesmal vier Tage. Solidaritätsaktivitäten nehmen in mehreren Städten zu, nachdem in der ersten Runde Kontakte geknüpft wurden. In Mannheim, Leipzig, Frankfurt/M., Berlin, Kassel und München solidarisieren sich Aktive aus verschiedenen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nicht nur für die konkreten Forderungen und das Streikrecht. Viele stellen den Arbeitskampf auch in den größeren Zusammenhang. Für die notwendige Verkehrswende ist ein Ausbau der Schiene dringend nötig. Das gelingt nur mit ausreichend Personal mit attraktiven Arbeitsbedingungen. Die Streikbeteiligung steigt spürbar an. Laut GDL sind es mehr als 10.000 Teilnehmer:innen bezogen auf die gesamte Streiklänge und es fallen an jedem Streiktag mehr als 1000 Züge im Personenverkehr aus.

Die Bahn reagiert und gibt ein weiteres Scheinangebot an die Presse. Weder rückt sie von 40 Monaten Laufzeit ab, noch nennt sie konkrete Summen für eine Corona-Prämie oder trifft eine Aussage zur Betriebsrente. Stattdessen enthüllt der Konzern, während er der GDL Spaltung vorwirft, sein eigentliches Interesse: Spaltung. Das Angebot soll für keine weitere Berufsgruppe gelten. DGB-Chef Reiner Hoffmann stimmt in den Chor mit ein und wirft der Gewerkschaft die Verteidigung von Partikularinteressen vor und ignoriert, dass sich längst nicht nur Lokführer in der GDL organisieren, sondern alle Berufsgruppen, wie Servicekräfte und Werkstattmitarbeiter. Er nimmt damit in Kauf, dass er sich auf die Seite derer schlägt, die eine Einschränkung des Streikrechts fordern.

Gut eine Woche später, vom 1. bis zum 7. September, folgt daher die dritte Streikrunde. In allen drei Streikwellen gelang es, rund 75 Prozent der Fernzüge, zwei Drittel der Nah- und Regionalzüge und S-Bahnen der Deutschen Bahn AG und einen großen Teil der Güterverkehrszüge von DB Cargo stillzulegen. Die Bahn versucht mit einer einstweiligen Verfügung den Streik zu stoppen. Doch das Gericht erklärt die Zulässigkeit.

Der Druck wächst – auf alle Seiten. Die einen rufen nach der Einschränkung des Streikrechts, die anderen nach dem Eingreifen der Politik. Die Bundestagswahl rückt näher. Nicht nur für Fahrgäste führt der Streik zu Einschränkungen, auch in der Industrie bedeutet jeder Tag mehr eine Störung der Logistik- und Lieferketten. Neue Meinungsumfragen zeigen darüber hinaus auch, dass die Unterstützung der Fahrgäste bröckelt.

Die GDL bleibt entschlossen bei ihren Kernforderungen. So kommt es schließlich zum Durchbruch. Mitte September wird das Ergebnis verkündet. Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Stephan Weil (SPD) und Daniel Günther (CDU), hatten bei den Verhandlungen vermittelt. Die Einigung sieht bei einer Laufzeit von 32 Monaten eine Erhöhung der Bezüge in Höhe von 3,3 Prozent vor. Im Dezember 2021 werden die Gehälter um 1,5 Prozent und im März 2023 noch einmal um 1,8 Prozent erhöht. Außerdem erhalten alle Beschäftigten zweimal eine Corona-Beihilfe. Im Dezember 2021 gibt es 300, 400 oder 600 Euro, je nach Einkommensgruppe. Im März 2022 dann 400 Euro für alle Beschäftigten. Die nun erzielte Einigung sieht vor, dass der Zusatzversorgungstarifvertrag wieder in Kraft gesetzt wird. Das bedeutet die Erhaltung der jetzigen Betriebsrente, allerdings nur für alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die bis zum 31. Dezember 2021 eingestellt werden. Gelungen ist ebenfalls die Ausweitung des Geltungsbereichs. So gelten die Tarifverträge neben dem Zugpersonal auch für Mitarbeitende in Werkstätten und in der Verwaltung, jedoch noch nicht für Beschäftigte in der Infrastruktur. Dort kommt es darauf an, wer 2023 die Mehrheit hat.

Die EVG steht abgeschlagen daneben. Sie kündigt zwar an, von ihrem Sonderkündigungsrecht des Tarifvertrags Gebrauch zu machen, dass sie für den Fall hat, dass eine andere Gewerkschaft mehr herausholt. Das scheint aber gar nicht nötig. Die Bahn hat bereits angekündigt, dass sie den Tarifvertrag der kleineren GDL vorerst zum Maßstab für alle macht. Im Ergebnis hat die GDL damit einmal mehr nicht nur für sich selbst gekämpft.

Violetta Bock lebt in Kassel. Sie ist aktiv bei der „Initiative Nahverkehr für alle“ und bei „Die Linke“ Kassel.

Mehr Infos zum GDK-Streik in der „Streik-zeitung“, zum Download unter:

https://streikzeitung-pro-gdl.de/

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