Echt Cool: Don Q in Landstuhl

Don Quichotes Kampf gegen die Windmühlen der Globalisierung
M. Lupinsky. Lunapark21 – Heft 24

1. November im Essener Grillo-Theater. Uraufführung von Tariq Alis „Die neuen Abenteuer des Don Quichote“ – ein höchst lustvolles, originelles, hervorragend inszeniertes und vom Publikum begeistert gefeiertes Antiglobalisierungsstück. Die Eröffnungsszene, in der eine Roma, die als Krankenschwester arbeitet, einer Gebärdenden bei der Niederkunft hilft, dann jedoch von einem rassistischem Mob „durch diesen ganzen blutdürstigen Kontinent“ gejagt wird, spinnt den roten Faden des Stücks: Die Brutalität im globalisierten Kapitalismus und Gutmenschentum.

Die Roma trifft auf Don Q und Sancho, beide in mittelalterlichem Outfit kostümiert (Don Quichote hervorragend gespielt von Silvia Weiskopf). „DON Q Die Gegenwart zerrt die Verbrechen der Vergangenheit ans Tageslicht, um sie für die eigenen Zwecke zu missbrauchen.“ Derselbe, die Heilige Inquisition mit den modernen Verhörpraktiken vergleichend: „Wenn die Folter zu einem Geständnis führt, steht sie im Dienst der höheren Wahrheit. So sprachen sie, als ich vor vielen, vielen Jahrhunderten geboren wurde. Und sie tun es noch heute. Die Zeiten ändern sich, doch die Fähigkeit der Menschen, sich gegenseitig Leid zuzufügen, ist die gleiche geblieben.“

Die darauf folgenden zwei Sätze des Don Q („Nur ich kann diese Welt verändern. Nur ich kann für Gerechtigkeit sorgen“), könnte man als programmatisch für das gesamte Stück (miss)verstehen, wenn sie nicht im Verlauf des laut Original-Manuskript „abendfüllenden Stücks“ (das aber leider stark – auf knapp zwei Stunden – gekürzt zur Aufführung gelangte) immer wieder ironisch gebrochen würden einerseits durch das höchst spezielle Verhältnis, das Don Q und Sancho zu Rosinante und dem Maultier haben („DON Q Sancho, du musst dieses Maultier unter Kontrolle bekommen. Wenn er meine Rosinante mehr als einmal am Tag besteigt, ist sie zu erschöpft, um mich zu tragen.“). Und andererseits durch die Dialoge von Rosinante und Maultier selbst, hier nach der Verbrennung von Büchern mit Globalisierungsapologie: „ROSINANTE Manchmal überrascht er mich. Drei Bücher hat Don Q. behalten. Ich habe sie gelesen. Gar nicht schlecht. Aber warum nicht das hier? Hegels Rechtsphilosophie. MAULTIER Dieser alte Idealist! Ich lese Rosa Luxemburg. ROSINANTE Bist du wirklich erschöpft? MAULTIER Ja, Schlaf jetzt.“

Don Q. sagt bei einem Zusammentreffen mit Bankern und Finanzminister: „Ich war immer auf den falschen Partys“. Eine dieser falschen Partys des Don Q wird in einem US-Militärkrankenhaus in Rheinland-Pfalz gegeben. Ein Dutzend im Afghanistankrieg traumatisierte GIs, Don Quichote, der zuvor einen irakischen Dichter im deutschen Exil mit dem Schwert verteidigen wollte und nun, von Rassisten schwer verletzt, im US-Krankenhaus landete. „ROSINANTE Landstuhl? Sehr gute Ärzte. Da sind sie gut aufgehoben. Oh nein. Hoffentlich sind sie krankenversichert. Aber sie können so tun, als wären sie Soldaten. Unsere zwei Glücksritter. (…) SOLDATIN Don Quichote! Cool! Ein langer Weg von der Mancha nach Landstuhl. Mein Gott, wie schlank Sie sind! Befolgen Sie eine bestimmte Diät?“

Auf der Rückfahrt im ICE bemängelt ein Freund, das kapitale Böse im Stück sei allzu sehr auf die USA und eine allgemeine Finanzwelt reduziert. Die EU tauche nicht mal auf.[*] Und vor allem: Dem Stück fehle ein revolutionäres Subjekt: Keine Arbeiterklasse. Keine sozialen Kämpfe. Kein Held Snowden-Assange-Sonstwer. Und die implizite Hoffnung auf China ganz am Ende des Stücks – genauer: das Verströsten auf zukünftige China-Abenteuer des Don Q., der von einer US-Drohne tödlich verletzt scheint, dann wunderlich wieder aufersteht – sei ebenso vage wie gewagt.

Der Autor demonstriert derweil mit jedem seiner Auftritte in Istanbul, New York oder direkt im Anschluss an die Uraufführung in Witten-Herdecke, dass er alles andere als ein Zyniker ist. Und das Duo Maultier-Esel hat ja recht mit seiner Betrachtung über Tierwelt und menschliche Spezie: „MAULTIER Haben wir die Atombombe geworfen? ROSINANTE Oder Dresden bombardiert? Oder in Vietnam chemische Waffen eingesetzt. Oder Urangranaten im Irak? Ich bestreite ja nicht, dass wir manchmal Dummes tun, wie beispielsweise über den Felsrand springen oder kollektiven Selbstmord begehen. MAULTIER Aber das ist etwas gänzlich anderes wie kollektiver Mord.“

Regie: Jean-Claude Berutti.
Nächste Aufführungen: 16.1., 7.2. & 22.3. 2014.
Website: www.schauspiel-essen.de


[*] Im Original-Skript heißt es in Szene 5: „Dann treten wie aufs Stichwort auf: ein General in Uniform, der unter dem Gewicht seiner Orden fast zusammenbricht, ein hochgestellter Politiker in einer Jacke mit EU-Fahne drauf, sowie eine offenbar prominente Dame in kurzem Kleid…“ Das konnte ich in Essen nicht sehen – oder ich habe es übersehen.