Der Bock als Gärtner

Die Privatisierung der Rechtsprechung bei TTIP, CETA & Co

Thomas Fruth. Lunapark21 – Heft 28

Bestandteil der geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP ist die Einführung einer Schiedsgerichtsbarkeit zum Schutze privaten Eigentums. Damit wird eine zentrale Funktion jedes bürgerlichen Staates durch eine internationale Dimension unterhöhlt. Jedes der hier beteiligten Länder (die USA, Kanada, die Länder der EU) schützt sowohl seine Menschen als auch die Unternehmen mit Firmensitz im Land, also seine „natürlichen“ und „juristischen Personen“, vor Enteignungen. In Deutschland schützt Artikel 14 Grundgesetz das Eigentum, bestimmt die sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Enteignung für den Staat und schreibt zugleich das Verfahren der Entschädigung vor. Entsteht hier Streit, entscheiden die staatlichen Gerichte (Zivilgerichte) der Bundesrepublik. Es besteht dabei kein Unterschied zwischen deutschen und nicht deutschen Eigentümer-Rechten.

Investorenschutz
Obwohl TTIP und CETA Abkommen zwischen Staaten sind, enthalten sie zahlreiche Vorschriften, die Firmen der Staaten (Investor of a Party) schützen.* Zunächst ist die direkte Enteignung (Art. X.11 Ziff. 1) dieser Investoren verboten. Darüber hinaus sind jedoch auch indirekte Maßnahmen verboten, die einen vergleichbaren Effekt wie eine Enteignung haben („equivalent effect“, Art. X.11 Ziff. 1). Damit kann jede Maßnahme eines Staates, also auch jedes Gesetz, z.B. Steuergesetz zum Angriffspunkt eines Investors werden. Wird eine solche enteignende Maßnahme vom privaten Schiedsgericht festgestellt, steht dem Investor eine angemessene Entschädigung zu (Art. X.11 Ziff. 1(d)).

Da in anderen internationalen Verträgen (z.B. NAFTA, Energie-Charta-Vertrag) die private Schiedsgerichtsbarkeit („arbitration“) bereits vereinbart ist, liegen auch schon praktische Erfahrungen vor, was aus welchen Gründen in solchen sog. Investor-Staats-Klagen eingeklagt wird und wie die Urteile dann ausfallen.

Bekanntes Beispiel ist die Klage des schwedischen Konzerns Vattenfall bei dem Schiedsgericht der Weltbank, dem ICSID in Washington, wo der Konzern wegen der Schließung der zwei Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel Schadenersatz von 4,7 Milliarden Euro von der Bundesrepublik verlangt. Die Enteignung soll in der enttäuschten Erwartung liegen, dass die AKWs wie lange auch immer weiterlaufen könnten. Bereits 2009 hatte Vattenfall die Bundesrepublik verklagt, weil eine Umweltauflage die Entnahme von Kühlwasser aus der Elbe beschränkte. Daraufhin wurde die Umweltauflage wieder aufgehoben.

Bemerkenswert ist auch die Klage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen den Staat Uruguay wegen des Erlasses von Anti-Tabak-Gesetzen zum Schutz der Bevölkerung. Philip Morris verlangt allerdings nur die „bescheidene“ Summe von 25 Millionen US-Dollar. Auch dieser Prozess findet vor dem ICSID statt. Der Ausgang ist noch nicht bekannt.

Bös erwischt hat es schon Russland, das von einem Zusammenschluss von ehemaligen Aktionären des zerschlagenen Jukos-Konzerns auf Schadenersatz verklagt worden war. Ein Schiedsgericht, in diesem Fall in Den Haag, hat den Aktionären 50 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz zugesprochen.

Wer soll entscheiden?
Nun soll nicht in Abrede gestellt werden, dass rechtsstaatliche Grundsätze auch im internationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr gelten sollen. Hierfür sind allerdings private Gerichte (arbitration) ein völlig ungeeignetes Instrument. Dies liegt zunächst an den Personen, die Richter sind.

Beim ICSID, bei dem die meisten der Schiedsverfahren verhandelt werden (2012 z.B. 61% aller Klagen) besteht das Gericht aus drei Richtern (Richterinnen kommen hier praktisch nicht vor). Da es sich nicht um permanente Richter handelt, müssen diese für jedes Verfahren neu ausgewählt werden. Jede Partei (also der klagende Investor und der beklagte Staat) bestimmen je einen Richter, auf den Dritten einigen sich die Parteien. Das CETA (Art. X.23) nimmt ausdrücklich auf die ICSID-Regeln Bezug. Regelmäßig werden nun Rechtsanwälte aus den internationalen Großkanzleien zu Richtern für je ein konkretes Verfahren bestellt.

Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Bei den wenigen internationalen Großkanzleien, so gut wie alle in den USA und in Großbritannien beheimatet, ist es praktisch Einstellungsvoraussetzung, die Grundsätze der neoliberalen Wirtschaft anglo-amerikanischer Prägung ideologisch voll verinnerlicht zu haben. Hinzu kommt, dass die internationalen Großkonzerne die wichtigsten und damit einflussreichsten Auftraggeber dieser Kanzleien sind. Wer sonst soll Stundensätze zwischen 500 und 1000 US-Dolar (ja wirklich, je Anwaltsstunde) bezahlen können? Auch der Staat bezahlt in vergleichbarer Höhe seine Anwältinnen und Anwälte aus Steuergeldern. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszudenken, in welche Richtung die Entscheidungen fallen.

Angesichts der schwammigen Formulierungen in den Verträgen (das Recht, das auszulegen ist) fällt es nicht schwer, juristisch das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Da die Urteile den Prinzipien des englischen case-law folgen und die ersten Urteile (cases) bereits bestehen, fällt es von Mal zu Mal einfacher, dem Großkonzern (Investor) recht zu geben. Wie praktisch, dass Kolleginnen und Kollegen aus der gleichen Kanzlei diesen Konzern dann parallel z.B. noch bei einem großen Unternehmenszusammenschluss oder ähnlichem beraten.

Spielregeln für die Großen
Zur Personalauswahl kommen manche Erleichterungen dieser Art Rechtsprechung hinzu: nicht-öffentliche Verfahren; die Urteile werden nicht veröffentlicht; es gibt keine Rechtsmittel gegen eine Entscheidung. Demokratie und Gewaltenteilung werden mit solchen Schiedsverfahren ad absurdum geführt. Beschließt das gewählte Parlament ein Gesetz oder erlässt die Regierung eine Rechtsverordnung – etwa im Umweltbereich oder um die Rechte der Beschäftigten zu verbessern – so wird dies regelmäßig die Gewinnaussichten der Investoren und damit deren Eigentum beeinträchtigen.

Mit noch so guten Gründen für seine Gesetze wird ein Staat im Schiedsverfahren jedoch nicht durchdringen, da Beurteilungsmaßstab ausschließlich die Gewinneinbuße des multinationalen Konzerns ist, der indirekte Eingriff in sein Eigentum. Schon vorab werden viele Regelungen gar nicht mehr angestrebt werden, weil sie in das Eigentum der Investoren eingreifen würden.

Ein paar Beispiele: Venezuela wurde, auch vom ICSID, zu 1,6 Milliarden US-Dollar Schadenersatz zu Gunsten des US-Konzerns Exxon Mobil verurteilt, weil es Ölfelder verstaatlicht hat. Ägypten wurde in einem Prozess, den der französische Konzern Veolia angestrengt hatte, verurteilt, weil es den Mindestlohn angehoben hat. Der Staat Ecuador wurde zu 1,8 Milliarden US-Dollar Schadenersatz verurteilt, weil er eine bereits genehmigte Probebohrung nach Protesten der betroffenen Bevölkerung dann doch untersagte. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.

Von den 514 Investor-Staats-Klagen im Jahr 2012 haben die Investoren in 70 Prozent der Fälle gewonnen. Angesichts der Summen, um die es hier geht, handelt es sich selbst für wirtschaftlich starke Staaten, wie z.B. Deutschland, nicht um Kleinigkeiten.

Freiwillige Handlanger
Für vollstreckbar erklären müssen diese Privat-Urteile dann allerdings die staatlichen (Zivil-)gerichte. Und vollstrecken dürfen schließlich die staatlichen Gerichtsvollzieher. Nur angezweifelt werden können die Urteile in diesen Verfahren nicht mehr. Der Staat macht sich zum Handlanger der multinationalen Konzerne.

Selbst wenn jetzt bei TTIP zur Beruhigung des Protests festgelegt würde, dass die Verfahren öffentlich geführt werden und die Urteile veröffentlicht werden müssen, würde dies am skandalösen Ergebnis nichts ändern. Gleiches gilt für vorgeschaltete Mediations- und Wartefristen. Führen die vorgesehenen Verhandlungen nämlich zu keinem Ergebnis, kann der Konzern den beschriebenen Privat-Prozess beginnen.

Es kann nicht sein, dass Privatpersonen (sogenannte Richter, die im Hauptberuf als Anwälte im Dienst der Großkonzerne aktiv sind) staatliches Handeln zu Gunsten der Menschen und der Umwelt zum Anlass nehmen, um Milliarden schwere Schadenersatzleistungen zu Lasten der Staaten, also der Steuerzahlenden, zu „erwirtschaften“. Allerdings auf der Basis von Verträgen, die, mit schwammigen Enteignungsklauseln und der Eröffnung eines „Rechts“- Weges zu privaten Schiedsgerichtsverfahren dies erst ermöglicht haben, die wiederum von den Staaten, die später verurteilt werden, selbst abgeschlossen wurden.

Die Privatisierung der Rechtsprechung reiht sich ein in eine Tendenz, zentrale staatliche Aufgaben aufzugeben, die schon im Fall von Militär-Einsätzen („Blackwater“ bzw. „Academi“ & Co.) oder beim Betrieb privater Gefängnisse etc. bekannt ist. Dabei gibt der Staat einen Teil seiner Souveränität, ein zentrales völkerrechtliches Grundprinzip, zu Gunsten multinationaler Konzerne und Anwaltskanzleien auf.

Thomas Fruth ist Mitglied der LP21-Redaktion. Er arbeitet als Rechtsanwalt und Notar in Berlin.

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