spezial >> Kapitale Medienmacht & neoliberales Trommelfeuer

„Cashflow!“ Jüngst stieg der Milliardär Nicolas Berggruen, fälschlicherweise als „Karstadt-Retter“ gepriesen, bei dem führenden spanischen Medienkonzern Prisa ein. Prisa ist u.a. Herausgeber der führenden spanischen Tageszeitung El Pais. Auf das Anlagefeld Prisa wiederum kam dieser Investor, weil er zuvor in Portugal das Unternehmen Media Capital übernommen und dieses zum größten Medienkonzern dieses Landes aufgebaut hatte. In einem Interview, das die Süddeutsche Zeitung am 18. September 2010 mit Berggruen führte, antwortete dieser auf die Frage „Was fasziniert Sie an Medien?“ schlicht:

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Die erste Macht im Staate. Wie Massenmedien Regierungen einsetzen, Politik machen, die Bevölkerung unmündig halten und Kriege führen lassen.

Aus Lunapark21 – Heft 19

Nichts hat unsere Aussichten auf eine humane Gesellschaftsordnung stärker verdüstert, als die Verwandlung von Wissen und Informationen in Waren, die von gigantischen Medienkonzernen produziert und gehandelt werden.

Seine historischen Anfänge hat das Medienkapital im 19. Jahrhundert, als im Gefolge der industriellen Revolution die ersten Zeitungen mit größeren Auflagen aufkamen und sich eine „öffentliche Meinung“ im Bürgertum herausbildete. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten französische Zeitungskapitalisten die Geschäftsgrundlage, auf der Informationen bis zum heutigen Tage gehandelt werden – und die dafür sorgt, dass radikale Kritik im Medienbetrieb bestenfalls

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Das Schattenkabinett aus Gütersloh: Der Bertelsmann Verlag

Aus Lunapark21 – Heft 19

Aus einer Steindruckerei ging 1835 der Verlag C. Bertelsmann hervor, der seine ersten Gewinne mit dem Druck von Gesangbüchern und Notenblättern machte. Über hundert Jahre lang folgte die Publikationsstrategie des protestantisch ausgerichteten Verlags der Nachfrage nach volkstümlich-religiösen Erbauungsschriften, evangelischer Missionsliteratur und theologisch-wissenschaftlichen Abhandlungen. Schullese- und Gesangbücher kamen bald dazu. Die in hohen Auflagen vertrieben Bücher, Traktate und Sammlungen christlicher Lieder spendeten ihren Käufern Trost und sorgten bei Bertelsmann für einen ordentlichen Profit.

Zum Bertelsmann-Konzern, dem größten europäischen Medienkonzern, gehören heute der Gruner + Jahr Zeitschriftenverlag (u.a. stern) , die Verlagsgruppe Random House, die Direct Group Bertelsmann (unter anderem Bertelsmann Club) und die arvato AG. Dazu noch die Sender der RTL-Group. Der Mega-Konzern teilt sich zusammen mit einer Handvoll anderer Medienimperien (z.B. Rupert Murdochs News Corporation, TimeWarner Disney) das globale Mediengeschäft. Darüber stülpt sich die 1977 von Reinhard Mohn gegründete Bertelsmann-Stiftung.

Souffleur deutscher Politik

Bertelsmann ist in mannigfacher Art und Weise bei politischen Entscheidungen – zum Beispiel auch im Bildungsbereich – beteiligt. In den konservativ regierten Bundesländern hat der Konzern deren Hochschulpolitik geradezu bestimmt. Damit aber nicht genug. Mal richtete Bertelsmann dem Bundespräsidenten Köhler ein Forum Demographie aus, mal nimmt sie den abgehalfterten Politker Oswalt Metzger auf ihre Sponsorenliste, um unter anderem mit ihm in Sachen Demographie-Panikmache die Lufthoheit über den Stammtischen zu erringen.

Zu Beginn der Regierung Schröder bestimmte Bertelsmann beim Bündnis für Arbeit nicht unerheblich und an der Agenda 2010 entscheidend mit. Der Medienkonzern sponsert und unterstützt auch inhaltlich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Die Bertelsmann-Stiftung genießt weithin den guten Ruf als demokratische, mit viel Geld ausgestattete Einrichtung zur Förderung der Demokratie und der politischen „Modernisierung“ des Staates. Das aber ist Bertelsmann beileibe nicht. Zweifel an der demokratischen und sachlichen Qualität der Stiftung gibt es nicht ohne Grund: Die Bertelsmann-Stiftung gehört zu den größten Denkfabriken in diesem Land und ist wohl der wirkmächtigste Souffleur der deutschen Politik Sie „berät“ nicht nur die weitgehend orientierungslose Kaste, sie mischt sich auch aktiv auf allen Ebenen von Regierungspolitik bis zur Kommune und zu Netzwerken von Einzeleinrichtungen ein. Dabei versucht Bertelsmann, wesentliche Bereiche der Gesellschaft nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und mit Hilfe managerialer Motivationstechniken zu „optimieren“ und den privatwirtschaftlichen Profitinteressen unterzuordnen.

Stiftung ist gemeinnützig

Bertelsmann betätigt sich oft als Stichwortgeber der Politik und organisiert die zu deren Umsetzung notwendigen politischen Entscheidungsprozesse meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne echte Prüfung von Alternativen. Die Politik hat dann der von der Stiftung selbst produzierten und massenhaft publizierten „Sachzwanglogik“ scheinbar alternativlos zu folgen. Der Konzern verfolgt geschäftliche Eigeninteressen auf fast allen gesellschaftlichen Feldern (z.B. auch Medien, öffentliche Verwaltung etc.), auf denen die Stiftung politikberatend tätig ist. Kein Wunder also, wenn die Stiftung oft auch als Türöffner für neue lukrative Geschäfte des Konzerns fungiert, gehören ihr doch knapp 80 Prozent des Konzerns. So erklärt sich wahrscheinlich auch, dass seitens der Stiftung noch nie der Vorschlag an die Politik gemacht wurde, z.B. die Unternehmenssteuern zu erhöhen, um damit der immer größer werdenden sozialen Schieflage hierzulande Herr zu werden.

Beim Abriss der Sozialsysteme – siehe Hartz IV, die Legitimierung und Abwicklung von undemokratischen, destruktiven Privatisierungen öffentlichen Eigentums – , bei Entscheidungen zur Gesundheits- und Sicherheitspolitik, aber auch am European Table of Industrials bis hinauf in die Verhandlungen der Welthandelsorganisation hat die Stiftung die Strippen mit in der Hand.

Das Bertelsmann-Institut CAP seinerseits trägt mit seinen Vorschlägen zur weiteren, verstärkten Militarisierung bei und liefert mit kriegerischen Denkschablonen die Legitimation von außereuropäischen Einsätzen deutschen Militärs. Demokratisches Denken ist diesem Elite-Netzwerk fremd, seine Denkschablonen sind mit denen der Militärs voll kompatibel. Die Bertelsmann-Stiftung und das Centrum für angewandte Politikforschung mit nahezu 400 Mitarbeitern sind dem kleinen wissenschaftlichen Dienst des Bundestags und allen anderen öffentlichen Instituten weit überlegen

Die Finanzmittel für ihre überaus umtriebigen Aktivitäten ergattert sich die Stiftung durch den Status der Gemeinnützigkeit. Dies erlaubt es ihr, die Millionengewinne des Bertelsmann-Konzerns der Steuer zu entziehen. Daher ist es an der Zeit, dass öffentlich diskutiert wird, ob der Bertelsmann-Stiftung nicht der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt werden muss.

„Du bist Deutschland“

Mit diesem Slogan initiierte Gunter Thielen, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, die größte deutsche Social-Marketing-Kampagne. Sie lief deutschlandweit vom 26. September 2005 bis zum 31. Januar 2006. Damit sollten die von Depressionen und Zukunftsängsten geschüttelten Deutschen wieder auf gute Laune und Volksgemeinschaft gestimmt werden. Herzstück der Kampagne war ein zweiminütiger TV-Spot, der auf fast allen großen Fernsehsendern gezeigt wurde. Dazu kamen Großanzeigen in den Printmedien, Flugblätter usw.

Weniger bekannt ist die Verstrickung des größten europäischen Medienkonzerns in die Machenschaften des Nationalsozialismus. Der Bertelsmann Verlag unterhielt enge Beziehungen zur NSDAP und besonders zum Propaganda-Ministerium und nutzte diese Beziehungen, um mit den Nazis lukrative Geschäfte zu machen. Schon 1933 erschien im Verlag „Sterilisation und Euthanasie“ – eine Rechtfertigungsschrift für das spätere NS-Erbgesundheitsgesetz. Der Bertelsmann Verlag avancierte nach und nach zum Kriegsgewinnler, vor allem auch im Geschäft mit Kriegspropaganda. Mit 19 Millionen gedruckten Exemplaren wurde Bertelsmann zum größten Buchproduzenten für die Wehrmacht mit Titeln wie „Deutsche Tanks fahren in die Hölle“; „Wir knacken einen Geleitzug“; „Der Berg des Blutes“; „Sturm auf den Annaberg“; „Ein Stoßtrupp dringt in Warschau ein“. Sie waren Teil einer gut ausgebauten Produktlinie. 1940 erreichte z.B. „Mit Bomben und MGs über Polen“ eine Auflage von 10000 Exemplaren, „Wir funken für Franco“ gab es 1941 bereits in 8. Auflage. Der Verlag, stets um Aktualität bemüht, fuhr mit den Büchern exorbitant hohe Kriegsgewinne ein. Bertelsmann druckte darüber hinaus über ein Dutzend Romanschmöcker.

Der Verlag profitierte auch von der von der Deutschen Wehrmacht gemachten Okkupation. Er erkannte und nutzte die Möglichkeit zur Auftragsverlagerung ins Ausland, nach Belgien, Lettland, Litauen, Österreich, Rumänien und in die Tschechoslowakei. Dennoch hatte Bertelsmann im Dritten Reich noch nicht den politischen Einfluss, den der Konzern heute hat.

Manfred Dietenberger war knapp zwei Jahrzehnte lang DGB-Vorsitzender in Waldshut. Er lebt und arbeitet dort als freier Autor.

Wenn der Geist zum Eigentum wird. Internet und Urheberrecht

Aus Lunapark21 – Heft 19

„Mein Kopf gehört mir“: So dümmlich lautete die Parole eines Aufrufs im Handelsblatt im April dieses Jahres, unter den einige deutsche „Denker, Tüftler und Dichter“ aus der Heerschar der „1 Million Kreativen“ ihre Unterschrift setzten. Es war nur eines von vielen öffentlichen Pamphleten dieses ersten Halbjahres 2012 an die Adresse der „Raubkopierer“, mit denen ihrem Treiben Einhalt geboten worden sollte.

Die Anleihe des Spruchs aus der Bewegung für den legalen Schwangerschaftsabbruch passierte wohl nicht zufällig. Im Propagandakrieg zwischen den Piraten und ihren Anhängern aus der Netzgeneration und den Urhebern und ihren Rechteverwertern setzen letztere immer mehr darauf,

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Die bedrohten Alternativen. Gleichgeschaltete Medien in der Finanzkrise

Aus Lunapark21 – Heft 19

Mehr denn je erhält man den Eindruck gleichgeschalteter (bürgerlicher) Massenmedien. Gerade in der aktuellen (europäischen) Finanzkrise schallt uns – teilweise wortgleich – die Alternativlosigkeit ihrer Interpretation als Schuldenkrise sowie die der entsprechend auf Spardiktate eingestellten wirtschaftspolitischen Maßnahmen entgegen.

Da die Meinungsvielfalt dennoch als hohes Gut der Demokratiestaffage nicht aufgegeben werden soll, weil nicht zuletzt auch

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Österreichs Medien fest in deutscher Hand

Aus Lunapark21 – Heft 19

Ein durchschnittlicher österreichischer Zeitungskiosk unterscheidet sich kaum von seinem deutschen Pendant. Was die Auswahl der Medientitel anlangt, fällt einem gelernten Menschen mit österreichischem Pass gar nicht mehr auf, dass hierzulande die meisten Wochen- und Monatszeitschriften aus deutschen Häusern stammen. Diese machen sich nicht einmal die Mühe, Adaptionen für den österreichischen Markt vorzunehmen. Das hat den Vorteil, dass die interessierte Leserschaft über die deutsche Innenpolitik meistens gut informiert ist.

Dieser Zustand deutscher Medienmacht spiegelt die gesamtwirtschaftliche Lage des Landes wider.

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Vielfalt auch bei linken Blättern. Die Medienlandschaft in der Deutschschweiz

Aus Lunapark21 – Heft 19

Im Land der Nummernkonten, Briefkastenfirmen und Fluchtgelder, im Staat des Bankgeheimnisses, der Hochfinanz und Rohstoffhändler (siehe Lunapark 18), in der kleinbürgerlich-bäuerlich geprägten Gesellschaft mit ihrer Allparteienregierung, ihren Vorbehalten und der niedrigen Arbeitslosigkeit – in diesem Gebilde also, wo immer noch viel Milch, Schokolade, Honig und Käse zu fließen scheinen: Kann es da überhaupt eine Linke geben? Und mit ihr auch linke Publikationen?

Die Antwort mag Außenstehende verblüffen. Aber die Schweiz ist

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Schau mir in die Daten, Kleines!

Aus Lunapark21 – Heft 19

Wie immer das genau gemeint war, als Rick, alias Humphrey Bogart, in „Casablanca“ zu Ilsa, alias Ingrid Bergmann, „Schau mir in die Augen, Kleines“ nuschelte: Der Inhalt, der damit transportiert wird, erinnert an Facebook. Es erinnert daran, dass man in einem „Gesichtsbuch“ durchaus abgrundtief Gedanken lesen kann.

Eben: „Schau mir in die Augen, reich mir Deine Daten, Kleines!“ Jedenfalls wissen das

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Hellas-Solidarität – konkret. Interview mit Rolf Becker anlässlich einer Solidaritätsreise nach Griechenland

Aus Lunapark21 – Heft 19

LP21: Es gibt eine Debatte in der deutschen Linken darüber, ob man den Euro retten soll, ob nicht; wenn ja, wie; wenn nein, ob die Wiedereinführung der Drachme Sinn macht. Ihr geht einen anderen Weg: Den Weg direkt nach Griechenland, um praktische Solidarität zu organisieren.

Rolf Becker: Wir haben uns entschlossen, mit einer Reisegruppe aus betrieblichen und gewerkschaftlichen Zusammenhängen nach Griechenland zu fahren, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Die Gruppe setzt sich nicht nur aus Kolleginnen und Kollegen aus deutschen Betrieben und Gewerkschaften zusammen. Es sind Leute aus Spanien, aus der Schweiz, aus Österreich und zwei aus Serbien. Es ist damit eine international besetzte Gruppe. Was alle Mitglieder der Gruppe verbindet, ist: Wir haben uns darauf verständigt, ein Zeichen von unten gegen die Maßnahmen von oben zu setzen, gegen die aufgezwungenen Sparmaßnahmen in Griechenland, die Lohnsenkungen, die Kürzungen im Gesundheitssektor, die Aufhebung von Tarifverträgen.

LP21: Es gibt eine besondere deutsche Verantwortung gegenüber Griechenland, die in der aktuellen Debatte fast ganz in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Medien in Griechenland greifen das Thema zwar immer wieder auf. Doch hierzulande kommt das höchstens sehr platt an, wonach es mal wieder eine Karikatur mit der Kanzlerin Merkel in NSDAP-Uniform gegeben habe. In Wirklichkeit geht es nicht um irgendwelche Fehlgriffe, die es ja auch gibt, sondern um einen ernsten geschichtlichen Hintergrund.

R.B.: So ist es. Dieser Aspekt bewegt mich besonders, zumal ich in den letzten Jahrzehnten in Griechenland immer wieder mit diesem Thema konfrontiert wurde. Die Mainstream-Presse in Deutschland verschweigt die Geschichte des deutschen Überfalls auf Griechenland während des Zweiten Weltkrieges. Dieser resultierte in Opfern, von denen hier keiner etwas weiß. Rund 12 bis 13 Prozent der griechischen Bevölkerung starben als direkte Folge von Überfall und Besatzung. Hochgerechnet auf Deutschland käme man auf eine Opferzahl von deutlich mehr als 10 Millionen. Man muss nur lesen, was Goebbels in seinen Tagebüchern notierte. Da heißt es: „Leute sterben aus Erschöpfung zu Tausenden in den Straßen Athens.“ Das bedürfte heute zumindest der Berücksichtigung. Unsere erste Aktion wird deshalb sein: Wir gehen gleich am Beginn unseres Aufenthalts nach Kesariani, in einen Vorort von Athen*. Dort haben die Deutschen in der Zeit der Besatzung rund 600 Widerständler erschossen. Die Zahl der Toten, die es in Athen gab, übersteigt die Zahl von 100000, überwiegend Menschen, die verhungerten. Wir werden dort als Zeichen, dass wir diesen Zusammenhang sehen, Blumen niederlegen und eine öffentliche Erklärung abgeben.

[Aufruf] Nein zu Spardiktaten und Nationalismus! Solidaritätsreise nach Griechenland, 15. bis 22. September 2012

Ein in der Geschichte der Europäischen Union bisher einmaliges Sparprogramm hat Millionen Griechinnen und Griechen in bittere Armut gestoßen. Der Hunger ist zurückgekehrt, das Gesundheitswesen zusammengebrochen. Allein in Athen sind über 250000 Menschen auf die Suppenküchen der Kirche angewiesen, um zu überleben. (…) Zur Durchsetzung der Spardiktate wurden die griechische Verfassung gebrochen, die Rechte des Parlaments ausgehebelt und die Tarifautonomie beseitigt. Den Gewerkschaften wurde verboten, Lohnerhöhungen zu vereinbaren, solange die Arbeitslosigkeit nicht auf unter 10 Prozent gesunken ist. (…)

Griechenland wurde zum Experimentierfeld für die Umsetzung der kapitalistischen Krisenlösung, wie sie vor allem von der Bundesregierung mit dem „Europäischen Fiskalpakt“ vorangetrieben wird. (…) Das Krisenlösungsmodell lautet: Um Investoren, Kapitalanleger, große Vermögensbesitzer und deren Banken zu retten, werden die Krisenlasten der breiten Bevölkerungsmehrheit aufgebürdet. Die Propaganda von den „faulen Griechen“ und den „Südländern, die auf unsere Kosten leben“, soll davon ablenken. Dem wollen wir entgegentreten.

Wir haben beschlossen, als Zeichen der Solidarität nach Griechenland zu fahren. Wir wollen (…) denjenigen, die sich seit zwei Jahren gegen die von der Troika verordneten Spardiktate zur Wehr setzen (…) zeigen, dass es auch im relativ ruhigen Deutschland Kolleginnen und Kollegen gibt, die sie unterstützen. Nach unserer Rückkehr werden wir die gewonnenen Erfahrungen weitergeben – damit die Idee der grenzübergreifenden Solidarität stärker wird und sich ausbreitet.

Heute die griechische Bevölkerung, morgen wir – der Krisenlösung von Oben die Solidarität von Unten entgegensetzen.
Wir bitten um Spenden für griechische KollegInnen, die unsere Hilfe in ihrem Kampf benötigen. Über die Verwendung der gespendeten Gelder werden wir öffentlich berichten. Spendenkonto: Manfred Klingele-Pape · Konto-Nr: 1211478910 · Hamburger Sparkasse (BLZ 20050550) · Verwendungszweck: Griechenland-Soli. Bezug des vollständigen Aufrufs und Mitteilung der Unterstützung des Aufrufs per Mail an: Manfred.Klingele@t-online.de

LP21: Ihr schreibt in dem Aufruf zur Solidaritätsreise, dass Griechenland ein „Experimentierfeld für die Umsetzung der kapitalistischen Krisenlösung“ sein würde. Inwiefern hat das, was in Griechenland passiert, eine besondere Bedeutung für Menschen, die hier lohnabhängig arbeiten, die arbeitslos sind, die in Gewerkschaften aktiv sind?

R.B.: In Griechenland selbst hat sich die Zahl der Arbeitslosen als Folge der Maßnahmen der Troika vervielfacht. Die Jugendarbeitslosigkeit hat die 50-Prozent-Marke deutlich überschritten. Von den Erwachsenen sind offiziell bereits 23 Prozent arbeitslos. Die Verarmung nimmt in einem solchen Ausmaß zu, dass selbst Kinder in der Schule ohnmächtig werden und versorgt werden müssen. Die Armut ist so groß, dass ganz handfeste materielle Hilfsmaßnahmen erforderlich sind, um den Menschen das Überleben zu ermöglichen. Experimentierfeld meint: Der Kampf des Kapitals um die Sicherung der Profite, wie er in Griechenland zu beobachten ist, wird sich nicht auf Länder wie Griechenland beschränken. Früher oder später werden solche Maßnahmen auch hier angewandt werden. Wir müssen ein Signal in unserem Land, aber auch gegenüber den Menschen in Ländern wie Frankreich, Italien, Österreich usw. geben, dass dieser Weg nicht fortgesetzt werden darf, dass wir uns dem entgegenstellen und Solidarität praktisch werden lassen. Voraussetzung für all das ist, die Menschen hierzulande über all das zu informieren, was wirklich läuft.

LP21: Es gab – ja: ein paar Jährchen zurück – in Westdeutschland Finanz-Kampagnen der Linken wie „Waffen für El Salvador“ zur Unterstützung des damaligen Guerilla-Kampfs gegen die Diktatur oder es gingen hunderte Helferinnen und Helfer für die Kaffeeernte nach Nicaragua nach dem Sieg der Sandinisten. Griechenland liegt deutlich näher. Und die erforderliche Hilfe, und sei es zunächst die symbolische, ist eine höchst praktische. Das letzte Schuljahr in Griechenland begann in vielen Schulen, ohne dass die Kinder die erforderlichen Schulbücher hatten. Diabetes-Kranke bekommen die erforderliche Medizin nicht mehr.

R.B.: Wir werden bereits auf diese Reise Medikamente mitnehmen. Die Reise dient auch dem Ziel, diese praktische Hilfe zu organisieren. Dennoch wird dies, gemessen an dem realen Notstand, einem Tropfen auf dem heißen Stein gleichkommen. Wir haben Vergleichbares ja auch gemacht im Fall Serbien und Kosovo. Damals schafften wir es mit unserer kleinen Initiative, die „Dialog von unten statt Bomben von oben“ hieß, Hilfsgüter im Wert von 1,7 Millionen DM dorthin zu schaffen. Das war für unsere Verhältnisse sehr viel. Für die Notlage dort sehr wenig.

LP21: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündete vor wenigen Wochen ein Urteil, wonach die Bundeswehr auch im Inneren bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ eingesetzt werden kann. Mir wurde jüngst von Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) dargelegt, dass im EU-Vertrag rechtsgültig der Einsatz der Armeen anderer Mitgliedsländer in einem EU-Staat bei inneren Unruhen verankert wurde.

R.B.: Das Karlsruher Urteil heißt: Man bereitet sich auch für unser Land auf Derartiges vor. Im Fall Griechenland droht ohne Zweifel Vergleichbares. Das kann auf EU-Ebene stattfinden. Griechenland ist jedoch auch Nato-Staat. Ein Einmarsch wäre die letzte Option. Es kann auch zum Einsatz des griechischen Militärs kommen. Siehe das faschistische Obristen-Regime 1967 bis 1974, das von der deutschen Regierung zumindest gebilligt wurde.**

LP21: In Deutschland leben rund 300000 Griechinnen und Griechen. Habt ihr darüber nachgedacht, die nun erforderliche Hilfe für Griechenland auch vermittelt über Teile dieser griechischen Gemeinden stattfinden zu lassen?

R.B.: Ich wünsche mir, dass Lunapark21 dazu ein bisschen beitragen kann – indem das Projekt publiziert wird. Wir haben bisher Kontakt zu einer griechischen Gemeinde in Berlin, mit der wir bereits zusammenarbeiten. Natürlich müssen wir den griechischen Bevölkerungsteil in Deutschland einbeziehen. Und, nicht vergessen: In Griechenland lebt vermutlich mehr als eine Million Menschen, die früher in Deutschland als sogenannte Gastarbeiter arbeiteten. Das ist eine Basis dafür, dass Hilfsgüter fließen und dass Hilfsmaßnahmen konkret werden.

LP21: Welche Aufgaben stellen sich, wenn ihr von eurer Reise zurück seid?

R.B.: Das Wichtigste werden Veranstaltungen sein, auf denen wir informieren. Alles, was wir jetzt angesprochen haben, wird auf solchen Veranstaltungen gesagt werden müssen. Wichtig ist, dass wir uns gegen jeden Nationalismus – sei es gegen einen deutschen, sei es auch gegen einen griechischen – stellen. Dass wir dem den Internationalismus, die internationale Solidarität entgegensetzen.

Rolf Becker ist Schauspieler und aktiv in der Gewerkschaft verdi. In Heft 1 von Lunapark21 verfasste er den ersten „LunaLuna“-Beitrag. Das Interview führte für Lunapark21: Winfried Wolf

 

Rezension: Karl-Heinz Roth, „Griechenland – was tun?“

Aus Lunapark21 – Heft 19

Karl Heinz Roth hat erstmals im Mai ein 95 Seiten dünnes, inhaltlich umso stärkeres Büchlein zur Krise in Griechenland vorgelegt. Es erscheint bereits in zweiter Auflage, bei welcher die Ergebnisse der Wahlen vom Juni 2012 und die Bildung der neuen Regierung unter Antonis Samaras Berücksichtigung finden. Ausgaben in englischer und in griechischer Sprache befinden sich in Vorbereitung.

Roth analysiert die wirtschaftliche Krise in Griechenland zunächst „im Sog der Weltwirtschaftskrise“, ohne dabei

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