Mit Stahlhelm und Kampfanzug. Frauen und Militär

Aus: LunaPark21 – Heft 17

Im Jahre 1889 erschien Berta von Suttners Roman „Die Waffen nieder!“ In Wien gründete sie 1891 die „Gesellschaft der Friedensfreunde“ und in Berlin 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft DFG“. Am Rande der Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 versuchte sie auf verantwortliche Politiker einzuwirken, um den Appellen der Friedensbewegung Gewicht in der Öffentlichkeit zu verleihen. Eindringlich warnte Berta von Suttner zugleich vor den Folgen des Wettrüstens, machte Vorschläge für Abrüstung, internationale Verständigung und Schiedsgerichtsbarkeit. Den Frauen rief sie zu: „Das ist eine grausame Moral, wisst ihr das? Grausam und feig! Dieses Wegschauen – mit dem leiblichen und mit dem geistigen Auge – das ist an dem Beharren so vielen Elends und Unrechts schuld!“

Sozialistische Frauen – allen voran Clara Zetkin – warnten vor dem Ersten Weltkrieg und verfassten Aufrufe, in denen sie sich entschieden gegen den Krieg und für breite Friedensaktionen aussprachen. Die Rufe wurden nicht gehört. Der Erste Weltkrieg kostete 17 Millionen Menschen das Leben und hinterließ Witwen und Waisen. Da die Männer als Soldaten an den Fronten kämpften, waren es vor allem Frauen, die in den Rüstungsbetrieben die Bomben bauten.

Tausende Menschen aus der Zivilbevölkerung starben an den Folgen der Not; für die deutsche Rüstungsindustrie war der Krieg zum Riesengeschäft geworden. „Nie wieder Krieg!“ schrieben friedensbewegte Frauen am Ende des furchtbaren Krieges auf ihre Fahnen, traten für die Erziehung der Kinder zum Frieden ein und gründeten 1919 die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (IFFF). Doch schon wenige Jahre später arbeiteten Frauen wieder in den Rüstungsbetrieben und strickten Strümpfe für „ihre“ Frontsoldaten. Viel zu viele Frauen wurden (Mit)täterinnen. Etliche Friedensbewegte mussten 1933 Deutschland verlassen. Der Ausgang ist bekannt.

Proteste von Frauen

Das 1949 verabschiedete Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland sah nach dem Willen des Parlamentarischen Rates keinerlei Wehrverfassung, sondern einen waffenlosen Staat vor. Als 1950 die Pläne von Bundeskanzler Konrad Adenauer für die Wiederaufrüstung bekannt wurden, waren es Frauen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Zusammenhängen, die sich im Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) und in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) zusammenschlossen sowie verstärkt in der IFFF mitarbeiteten, um gegen die Forderungen nach Wiederbewaffnung und Wehrpflicht nachhaltig zu protestieren.

Im März 1956 wurde die Grundgesetzänderung, die zur Wiedereinführung der Wehrpflicht notwendig war, gegen 19 SPD-Stimmen, darunter drei Frauen, vom Bundestag beschlossen. Nach Art. 12 a, Abs. 1 des GG konnten Männer danach vom 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Frauen wurde nach Art. 12, Abs. 3 GG der Dienst mit der Waffe verboten. Eine Öffnung der Bundeswehr oder gar die Wehrpflicht für Frauen waren kein Gegenstand öffentlich geführter Diskussionen. Anfang 1960 legte die Bundesregierung dann erstmals Entwürfe der „Notstandsgesetze“ vor, die auch eine „Notdienstpflicht“ für Frauen zwischen 18 und 55 Jahren vorsahen. Der Protest, an dem viele Frauen aus den Frauenfriedensbewegungen beteiligt waren, half nichts: Seit 1968 können 18- bis 25-jährige Frauen nach Art. 12 a, Abs. 4 GG im Verteidigungsfall zu Dienstleistungen im zivilen Sanitätsdienst der Bundeswehr herangezogen werden. Damit wurde erstmals eine Zwangsrekrutierung von Frauen möglich. Ein Dienst mit der Waffe blieb weiterhin ausdrücklich ausgeschlossen.

Erste Soldatinnen

Nachdem in den 1970-er Jahren ein erheblicher Ärztemangel im Sanitätswesen der Bundeswehr festgestellt worden war, wurde im Juni 1975 eine Änderung des Soldatengesetzes beschlossen. Nach § 1 Abs. 3 konnten Frauen aufgrund freiwilliger Verpflichtung Berufssoldat oder Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes werden. Sanitätsoffiziere leisteten keinen Dienst mit der Waffe. Am 1. Oktober 1975 erschienen die ersten Soldatinnen auf den Kasernenhöfen. Überlegungen zur weiteren Einbeziehung von weiblichen Soldaten erfolgten mit Hinweis auf eine zu erwartende Personallücke in der Bundeswehr ab 1978 auf Anstoß des damaligen SPD-Verteidigungsministers Hans Apel. Die Debatte zeigte rasch, dass es weniger um Personalprobleme als vielmehr um (militär)politische Interessen ging: Durch die Einbeziehung von Frauen sollte eine Zivilisierung innerhalb des Militärs bewirkt werden, in Wirklichkeit gewann das Militärische zunehmend Einfluss in der Zivilbevölkerung.

„Natürlich ist es etwas ganz anderes als der Nebenjob im Supermarkt. Aber ich wollte schon immer zur Bundeswehr, auf alle Fälle habe ich mich verbessert“, erklärte die 20-jährige Abiturientin Silke Ihbe dem Osterholzer Kreisblatt im Februar 2001.

Alice Schwarzer und die EU-Klage

Seit der Klage von Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof können Frauen freiwillig in der Bundeswehr „dienen“. Denn das Urteil vom 11. Januar 2000 fordert unter Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz die Öffnung aller Dienste in den Streitkräften für Frauen. Die Idee für die EU-Klage hatten Alice Schwarzer und die damalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Michaela Geiger (CDU). Unterstützt wurde sie vom Bundeswehrverband.

Als emanzipatorischer Erfolg konnte das nicht gefeiert werden. Gleiche Teilhabe an militärischen Positionen bedeutet auch gleiche Teilhabe an kriegerischen Auseinandersetzungen, an Auslandseinsätzen und an der Tötungsindustrie. Gleichberechtigung hätte auch mit der Abschaffung aller Dienste beantwortet werden können. Auch viele Männer haben den Dienst bei der Bundeswehr verweigert. Ihnen hätte die Solidarität emanzipierter Frauen gelten sollen.

Silke Ihbe war eine von den ersten 244 Frauen, die seit dem 2. Januar 2001 „freiwilligen Dienst“ in der Bundeswehr absolvierten. Sie wollte sich nach bestandenem Abitur als „Panzergrenadier weiblich“ zur KfZ-Mechanikerin ausbilden lassen. Angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation waren es, einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom Januar 2000 zufolge, zunächst vor allem Frauen aus den neuen Bundesländern, die sich für den Dienst an der Waffe interessierten. Auch von vielen anderen Frauen wird das Streben nach einem sicheren Arbeitsplatz als Motiv genannt, sich bei der Bundeswehr zu bewerben.

Silke Ihbe ist nicht die einzige, die unter den prekären Arbeitsmarktbedingungen Zuflucht beim Militär sucht. Bei der Bundeswehr kann sie Kfz-Mechanikerin werden, das ist in der „freien Wirtschaft“ immer noch ein Lehrberuf, in dem junge Frauen nur schwer eine Lehrstelle finden, weil er als „typischer Männerberuf“ gilt. „Kleiner Unterschied abgeschafft“, titelte Emma 4/2000. Sie nannte es „eine Revolution“. Sie fragte nicht, ob Silke sich auch damit auseinandergesetzt hatte, dass diese Bundeswehr gerade mit einem Beschaffungsplan von 210 Milliarden DM für Kriegsgeräte in eine Angriffsarmee umgebaut worden war.

Frauen können (zumindest de jure) seit Januar 2001 nicht mehr nur in die Spitzen der ökonomischen und politischen Macht aufsteigen, sondern auch in die militärischen. Seitdem stehen ihnen alle militärischen Positionen offen. „Der Ton ist freundlicher geworden“, urteilen die männlichen Soldaten. Gelobt werden Engagement, Leistungswille und Anpassungsvermögen der Frauen. Mit Stahlhelm und Kampfanzug sind die Soldatinnen auch bei internationalen Einsätzen dabei. Bald wurde die sexuelle Belästigung durch die „Kameraden“ zum Problem. „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist auch in zivilen Berufen gang und gäbe“, tröstete Emma 3/2002.

Pro und contra Soldatinnen

Die Geschichte hat eine Vorgeschichte, für die ich mich bis zur „Wende“ 1990 hauptsächlich auf die BRD beziehen kann. Die „Neuen Frauenbewegungen“ waren im Hinblick auf die Beteiligung von Frauen am Militärdienst von Anbeginn an gespalten. Das schlug sich auch in den feministischen Zeitungen und Zeitschriften, z.B. in Emma und Courage nieder. Die Auseinandersetzungen drehten sich um unterschiedliche Auffassungen von Feminismus. Alice Schwarzer und die von ihr herausgegebene Emma plädierten im Juni 1978 für die Gleichstellung von Frauen in allen (Macht)Bereichen, dazu zählte sie auch das Militär. Andere Frauengruppen argumentierten für die Einbeziehung der Frauen in den Militärdienst, mit dem Argument, dass damit endlich „das letzte Berufsverbot“ für Frauen fallen müsse. Das Courage-Kollektiv hingegen hinterfragte den Wehrdienst generell und lehnte ihn ab. Die Frauen des Kollektivs wollten nicht, dass eine Institution für Frauen geöffnet wird, die generell der menschlichen Emanzipation entgegensteht.

Innerhalb verschiedener Frauengruppen war der politische Widerstand gegen die Pläne der Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr groß. Im Juni 1979 traten Gewerkschaftsfrauen und Frauen aus autonomen Zusammenhängen mit einem Aufruf „Frauen in die Bundeswehr? – Wir sagen nein!“ an die Öffentlichkeit. Sie bestanden auf ihrer Position, dass ein würdiges Leben für Frauen und Männer sich nur entfalten kann, wenn der Rüstungshaushalt entschieden gekürzt bzw. die Gesellschaft entmilitarisiert wird. Auch in der DDR organisierten sich in vielen Städten „Frauen für den Frieden“, nachdem die Volkskammer im März 1982 beschlossen hatte, dass künftig Frauen im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen in die Wehrpflicht mit einbezogen werden konnten.

Keine Verfassungsänderung

Nach der „Wende“ in den 1990er Jahren wurde der Mangel an Soldaten für die Bundeswehr nach Meinung der zuständigen Politiker akut. Um die angebliche Lücke zu füllen, wurde sowohl über eine Verlängerung des bestehenden Wehrdienstes als auch (wieder einmal) über die Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr nachgedacht. Seit 1991 stehen Frauen die Mannschafts- und Unteroffizierdienstlaufbahnen im Sanitäts- und Musikdienst offen. In der Öffentlichkeit wurden die Pläne zur Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr erneut als ein Beitrag zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und zur Friedenssicherung dargestellt. Nun wurde die Wehrdienstpflicht in den Zusammenhang mit einer „allgemeinen Dienstpflicht“ für junge Frauen und Männer gestellt. Das hätte bedeutet, dass alle jungen Frauen und Männer entweder bei der Bundeswehr oder bei einer sozialen Einrichtung einen Pflichtdienst hätten ableisten müssen. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erstellte im August 2003 ein Gutachten zur Zulässigkeit einer solchen Dienstpflicht und stellte fest, dass sie nur nach einer Verfassungsänderung möglich sei. Dem Grundsatz der Gleichberechtigung für Männer und Frauen könnte entsprochen werden, „durch Erstreckung der Dienstpflicht auf Frauen oder durch komplette Abschaffung der Dienstpflicht“. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) machte dennoch die „allgemeine Dienstpflicht“ 2005 zum Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Entschieden gegen den Vorschlag sprachen die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und die christdemokratische Frauen Union.

Der Anteil der Soldatinnen nahm seit 2001 ständig zu. Im Jahr 2010 dienten 17595 Frauen; 380 befanden sich in Auslandseinsätzen. Am 1. Juli 2011 wurde die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee; die Wehrpflicht ist ausgesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie viele Männer und Frauen sich freiwillig melden. Auch unter den veränderten Bedingungen ist die Bundeswehr kein Arbeitgeber wie jeder andere. Sie ist eine Institution, die täglich für den Ernstfall übt, auf absolutem Befehl und Gehorsam aufgebaut ist und kriegerischen Auseinandersetzungen dient. Sie schafft keine Arbeitsplätze, sondern „Todesplätze“ (Robert Jungk). „Eine Soldatin riskiert heute nicht weniger als der Soldat an den Fronten fern der Heimat ihr Leben – oder zumindest eine lebenslange Traumatisierung“, tröstet Barbara Sichtermann in Emma 1/2011. „Keiner darf mehr fallen“ schrieb Käthe Kollwitz im Oktober 1918 im Vorwärts – und das heißt heute auch keine.

Gisela Notz ist als Sozialwissenschaftlerin und Autorin freiberuflich tätig. Sie lebt in Berlin.

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