Wanderoper Brandenburg: Ein Modell für Kultur in der Provinz?

Aus: LunaPark21 – Heft 17

„Die Zauberflöte“ ist eine der weltweit bekanntesten und am meisten gespielten Opern von Wolfgang Amadeus Mozart. Bereits Kinder fiebern mit, ob Papageno seine Papagena bekommen wird und Tamino seine Pamina. Auch die Musik Mozarts zieht Jung wie Alt in ihren Bann. Vor allem Streicher und Klavier, Flöte und Glockenspiel sind die vertrauten Begleiter des Geschehens auf der Bühne. Eher ungewöhnlich sind da Akkordeon- und Saxophon-Töne und der Klang einer Hammond-Orgel in einer „Zauberflöten“-Inszenierung.

Nicht so in der musikalischen Fassung dieser Mozart-Oper durch die Wanderoper Brandenburg. Ihr Gründer, Intendant und Regisseur Arnold Schrem hat dies gewollt, denn auch seine dramaturgische Fassung ist auf die Möglichkeiten einer Oper auf Wanderschaft abgestimmt. Sie hat keinen festen Aufführungsort, kein festes künstlerisches und technisches Ensemble, nicht einmal eine eigene technische Grundausstattung. Und doch ist „Die Zauberflöte“ bereits das zweite Stück der Wanderoper Brandenburg – Premiere Ende März im ostbrandenburgischen Bad Freienwalde.

„Kulturland“ – damit wirbt das Land Brandenburg für sich. Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, Schlössernacht im Park von Sanssouci, Kammeroper Rheinsberg sind Highlights im Sommer-Kulturkalender. Für Arnold Schrem sind es „von Brandenburg finanzierte Events mit Partycharakter für Berlin-Touristen“. Jenseits dieser Ereignisse und erst recht weit weg von der Landeshauptstadt in der Fläche sieht es eher düster aus: Bereits Anfang der 90er Jahre machte die SPD-Regierung tabula rasa in der Kulturlandschaft – von ehemals fünf Drei-Sparten-Theatern ist nur noch das in Cottbus geblieben, wo gelegentlich eine Oper auf dem Spielplan steht. Brandenburg hält damit den traurigen Rekord in Deutschland: Es ist das einzige Land mit nur einem Drei-Sparten-Theater. Kleine Schauspieltruppen gibt es noch in Potsdam, Senftenberg und Schwedt; in Brandenburg/ Havel und Frankfurt/Oder stehen Mehrzweckbauten ohne ein Ensemble. Abgewickelt wurden auch die Kreiskulturhäuser und damit Kultur-Treffpunkte in den Landkreisen.

Arnold Schrem, SPD-Mitglied, macht diese Entwicklung wütend und entschlossen zugleich: „Musiktheater verschwindet zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Vor allem Kinder wissen nicht mehr, was eine Oper, ein Musical oder ein Ballett ist. Diese kulturelle Errungenschaft der Menschheit darf man nicht ohne einen triftigen Grund aussterben lassen.“ Schrem weiß, wovon er spricht. Der 61-Jährige hat nach einem Studium der Theaterwissenschaft und der Opernregie bei Operngrößen wie Harry Kupfer und Walter Felsenstein gelernt. Er war Oberspielleiter an Theatern in Greifswald/Stralsund, Freiberg, hatte Lehraufträge an Universitäten unter anderem in Leipzig, Rostock, Dresden, Helsinki und Graz. Er ist in der Szene gut vernetzt, kennt den Musiktheatermarkt – und er mischt sich ein.

Für Schrem ist ein Leben ohne die Oper nicht vorstellbar: „Das Theater ist etwas, was man zum Leben braucht. Und Musiktheater weitet und sensibilisiert die Sinne und die Seele. Wer damit aufwächst, kommt nicht auf die schiefe Bahn.“ Schrem will die Oper vor allem jungen Menschen nahe bringen: „Kinder brauchen früh diese Berührung, damit sie später keine Scheu davor haben. Die pädagogische Wissenschaft sagt, dies muss vor dem 14. Lebensjahr passieren, sonst bleiben die verschlüsselten Formen fremd und man will es nicht kennenlernen.“ Doch wie die Oper entdecken, wenn der Weg nach Berlin im Flächenland Brandenburg weit ist? Und die Opernhäuser in der Region dichtgemacht wurden?

Dann muss eine „kulturelle Grundversorgung“ helfen, wie Schrem es nennt. Die Idee von einer „Wanderoper Brandenburg“ war geboren, die möglichst flächendeckend durch das Land zieht und Gastspiele gibt, vor allem für Schüler. Nach seinen Vorstellungen soll es in jedem der 14 Landkreise viermal im Jahr eine Oper, ein Musical, ein Ballett oder ein Konzert geben. Als Doppelvorstellung – am Vormittag für die Schüler, am Abend für die Erwachsenen. Die Lehrer will er für Projekttage begeistern, um den Opernbesuch vor- und nachzubereiten: „Auch das Bedürfnis der Lehrer nach Kultur muss wieder geweckt werden. Sonst wird es schwierig, von etwas zu erzählen, was man nicht hat“, sagt Schrem.

Anderthalb Jahre hat der gebürtige Berliner für sein Projekt gekämpft, einen Verein gegründet, Klinken geputzt im Kultur- und im Bildungsministerium von Brandenburg – und bei den Arbeitsagenturen. Denn der Kulturkahlschlag hat bittere Folgen auch für Künstler. Werden keine Opern mehr aufgeführt, sind die Darsteller ohne Job. Jedes Jahr verlassen 2500 Absolventen die Musikhochschulen, sagt Schrem. Die wenigsten bekommen ein festes Engagement. Die Wanderoper will wenigstens einigen helfen, in den Job überhaupt oder wieder hineinzukommen – mit einer Opernwerkstatt. Arbeitslose Sängerinnen und Sänger entwickeln die jeweilige Aufführung mit und sammeln auch Bühnenerfahrung. So verbindet die Wanderoper Brandenburg die kulturelle Unterversorgung in Brandenburg mit der Überversorgung an Künstlern in Berlin.

Beim Start der Wanderoper mit „Hänsel und Gretel“ Ende vergangenen Jahres war die Arbeitsvermittlung noch skeptisch. Bei der „Zauberflöte“ sind die Berliner Arbeitsagenturen mit im Boot. Schrem ließ sich nicht abweisen und wandte sich direkt an den Chef der Bundesagentur in Nürnberg, Frank-Jürgen Weise: „Ich bin ein hartnäckiger Hund“, sagt Schrem über sich. „Es müssen neue Strukturen in der Kultur aufgebaut werden. Dass wir jetzt auch von den Ministerien in Brandenburg unterstützt werden, ist ein Zeichen für das Begreifen der Situation. Die gleichen Leute, die zu Beginn der 90er Jahre die Kulturlandschaft kaputt gemacht haben, bewegen sich jetzt, weil sie das Defizit endlich erkannt haben.“

Die Wanderoper Brandenburg ist nun ein dreijähriges Pilotprojekt, gefördert aus verschiedenen Töpfen bis hin zum Europäischen Sozialfonds. Für die Eigenanteile – notwendig zur Kofinanzierung der Förderung – braucht der Verein weiter große Unterstützung. Er bekommt sie laut Schrem vor allem von der Stadt Bad Freienwalde, in der der Opernregisseur lebt: „10000 Euro waren es für ‘Hänsel und Gretel’, der Bürgermeister hat dafür sogar die Stadt verschuldet. Das war wichtig für alle, denen klarzumachen war, das Vorhaben ist keine Spinnerei. Hier will sich auch keiner profilieren.“ 5000 Euro steuert die Stadt diesmal an Eigenmitteln bei, damit das Land die entsprechende Summe locker macht. Denn ohne öffentliche Förderung ist solch ein Kulturprojekt nicht zu bewerkstelligen, zumal eine Oper aufwendiger als ein Schauspiel ist.

Doch eines steht für den gestandenen Opernregisseur auch fest: „Für die Aufführungen zählt nur ein professionelles Niveau.“ Bei „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperndick kam Schremp mit sechs Darstellern und neun Musikern aus. Bei der „Zauberflöte“ ist das Ensemble viel größer, und es sind große Chöre zu bewältigen: „Ich habe eine eigene Fassung geschrieben, die dem Anspruch folgt, das gesamte Stück zu vermitteln. Ich musste richtig eingreifen, aber die Streichungen sind so, dass sie die Substanz des Stückes nicht angreifen und verletzen.“ Schrem sieht die Wanderoper auch für sich als schwierige Herausforderung: „Das ist die schönste, dankbarste und spannendste Aufgabe, die ich mir vorstellen kann.“

„Hänsel und Gretel“ war vom Publikum begeistert aufgenommen worden, Rezensenten lobten das hohe künstlerische Niveau. Gretel-Darstellerin Nora Lentner, Absolventin der Berliner Universität der Künste, wird auch bei der „Zauberflöte“ dabei sein und die Pamina singen. Sie bringt frischen Ruhm mit – im internationalen Wettbewerb „Schubert und die Musik der Moderne“ in Graz belegte sie unter mehr als 300 Teilnehmern aus 38 Ländern den zweiten Platz. Und auch die Wanderoper ist auf dem besten Weg, sich einen Namen zu machen. Im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „365 Orte im Land der Ideen“ wird sie Anfang April ausgezeichnet.

Andrea Marczinski, freiberufliche Journalistin, ist Mitglied der Redaktion von LP21.