Griechenland vor einer autoritären Wende?

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Die Wahlen in Griechenland vom 6. Mai haben ein politisches Erdbeben ausgelöst, dessen Schockwellen bis nach Paris und Berlin spürbar geworden sind. Beide große Parteien, die konservative Nea Dimokratia (ND) und die ehemals sozialistische PASOK, wurden für ihre Unterstützung der Krisenpolitik der Troika (bestehend aus Vertretern der EZB, der EU-Kommission und des IWF) massiv abgestraft. Aber auch die rechtsradikale LAOS, die sich zeitweise an der Regierung der großen Koalition unter dem ehemaligen Zentralbanker Lukas Papadimou beteiligt hatte, musste Federn lassen und verpasste den Wiedereinzug in das griechische Parlament.

Die von den Gläubigern des Landes diktierte und von der Troika umgesetzte soziale und wirtschaftliche Zerrüttung des Landes, die Hunderttausende Menschen in teilweise bitterste Armut gestürzt hat, hat ihre politischen Stützen verloren. Angesichts langer Schlangen vor den Suppenküchen, Stromabschaltungen und Medikamentenmangel ist die nach dem Ende der Diktatur 1974 etablierte Vorherrschaft von PASOK und ND vollkommen zusammengebrochen.

Damit ist Griechenland in eine neue, dramatische Phase eingetreten. Der Ausgang dieser Phase ist völlig offen. Das durch die Wahlen entstanden Patt ist der Ausdruck eines fragilen Gleichgewichts der Klassenkräfte: Einerseits sind die Parteien, die sich bedingungslos den Vorgaben der maßgeblichen europäischen Kapitalgruppen unterworfen haben, nicht mehr in der Lage, eine Regierungsmehrheit zusammenzubringen. Gegen die sozialen Bewegungen kann in Athen nicht mehr regiert werden. Andererseits hat die politische Linke in Gestalt der Linkskoalition SYRIZA zwar erhebliche Zugewinne verbuchen können, und alle Zeichen deuten darauf hin, dass dieser wichtigste politische Exponent der sozialen Bewegungen weiter Zulauf erhält. Angesichts der Verweigerungshaltung der KKE, hinter der mit dem Gewerkschaftsbund PAME wichtige Kräfte stehen, ist die SYRIZA jedoch gesellschaftlich nicht mehrheitsfähig. Denn auch wenn die KKE, wie sich gegenwärtig abzeichnet, weiter an Einfluss bei Teilen der Wählerschaft verliert: Im Zweifelsfall wird es auch darauf ankommen, wie sich ihre erfahrenen und kampfstarken organisierten Kräfte verhalten.

Zudem haben sich zwar erhebliche Teile des rechten politischen Spektrums gegen die Politik der Troika positioniert. Diese sind aber von einer Kooperation mit der politischen Linken weit entfernt.

Viele von der ND enttäuschte Wähler zogen den Faschisten die im Februar 2012 gegründeten Anexartiti Ellines („Unabhängige Griechen“, AnEl) des ehemaligen ND-Abgeordneten und Staatssekretärs Panos Kammenos vor. Dieser war aus der Fraktion der ND ausgeschlossen worden, nachdem er in der Vertrauensabstimmung gegen die von der ND mitgetragene Regierung Papadimou gestimmt hatte. Im Kern repräsentieren die AnEL diejenigen sozialen Gruppen, welche – wie selbständige Taxi- und LKW-Fahrer – durch die Troika enteignet worden sind. Diese haben sich erbitterte Kämpfe mit der Regierung geliefert; sie beteiligten sich auch an den großen Protesten. Aus einer Ablehnung der Troika resultiert aber noch keine positive programmatische Einheit mit der politischen Linken. Kammenos trat im Wahlkampf vor allem mit Korruptionsvorwürfen gegen Politiker der ND und der PASOK hervor und stellte sich in einer Rede in Distomo – dort hatte eine SS-Einheit 1944 ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübt – in die Tradition des nationalen respektive nationalistischen Widerstands. Neben der Agitation gegen das Memorandum – Kammenos unterstützt die Forderung nach einem Schulden-Audit – hoben sich die AnEl von anderen Parteien un–ter anderem dadurch ab, dass sie die Frage der deutschen Reparationen zum Thema machten. Bereits an dieser Charakterisierung wird deutlich, dass das soziale Selbstbewußtsein der AnEl äußerst widersprüchlich ist und jede Menge Einfallstore für autoritäre Formen der Krisenbewältigung bietet.

Die faschistische Chrisi Avghi (Goldene Morgendämmerung) hat ebenfalls von der Krise der ND und vor allem von der schwankenden Linie der LAOS profitiert. Der wachsende Massenanhang dieser Partei ist vor allem auf ihre rassistische Agitation zurückzuführen. Das belegt der Umstand, dass die Chrisi Avghi, die sich explizit in die Tradition der Kollaboration während der deutschen Besatzung stellt, selbst in Orten, wo die Wehrmacht Kriegsverbrechen verübt hat, Stimmengewinne erzielt hat. Der Zustrom von Migranten aus Asien und Afrika stellt die griechische Gesellschaft vor eine Herausforderung, auf welche die bisherigen Regierungen fast ausschließlich mit polizeilicher Repression und populistischer Scheinaktivität geantwortet haben. Die Chrisi Avghi hat diese Linie nur weiter radikalisiert. Ihre Mitglieder organisieren bei jeder sich bietenden Gelegenheit rassistische Pogrome wie zuletzt im westgriechischen Patras.

Jenseits der treibsandartigen Dynamik im parteipolitischen Feld ist die Schwerkraft der institutionellen Sphäre nach wie vor zentral. Dies verdeutlicht ein Blick auf den Staatsapparat und die weitgehend regierungstreuen Medien. Die in der deutschen Öffentlichkeit vollkommen aus dem Blick geratene Übergangsregierung ist zwar, was ihre Möglichkeiten anbetrifft, den Vorgaben der Troika nachzukommen, in ihrem Aktionsspielraum eingeschränkt. Ihre personelle Besetzung ist jedoch durchaus programmatisch:

Mit dem General Frangos Frangoulis ist der ehemalige Stabschef der Armee zum Verteidigungsminister berufen worden. Frangoulis gehörte zu den Zeugen der Verteidigung von Mitgliedern der Armee-Sondereinheit OYK, die durch das Singen faschistischer Lieder in Erscheinung getreten ist. Er war auch einer der wenigen, die der Chef der Chrisi Avghi, Nikolaos Michaloliakos, im Parlament per Handschlag begrüßte.

Mit dem Diplomaten Pavlos Apostolidis ist ein ehemaliger Leiter des Nationalen Geheimdienstes EYP zum Minister für Verwaltungsreformen bestimmt worden, und als Innenminister fungiert der konservative Staatsrechtler Antonis Manitakis, dessen verfassungsrechtlichen Positionen im vollständigen Gegensatz zu denen der sozialen Bewegungen und der politischen Linken stehen.

Als Minister für Bürgerschutz wurde Eleftherios Ikonomou ernannt, ein ehemaliger Polizeichef mit einer langen Karriere bei den staatlichen Geheimdiensten. Er ist nicht nur oberster Dienstherr der griechischen Polizei, sondern auch des Amts für Zivilschutz, des nationalen Geheimdienstes, der Feuerwehr, der Küstenwache und der Landgendarmerie.

Über die politischen Einstellungen großer Teile der Polizei, insbesondere der MAT (Einheiten zur Bekämpfung von Unruhen), dürfte es wenig Zweifel geben. Die zum Teil unverhohlene Kooperation von Polizei und faschistischen Schlägerbanden der Chrisi Avghi ist mehr als gut dokumentiert. Auch Teile des Offizierskorps sind mehr als anfällig für rechtsradikales Gedankengut, wie die Affäre bei der bereits erwähnten Sondereinheit OYK belegt. Sondereinheiten der Armee haben zudem bereits wiederholt die Bekämpfung innerer Aufstände geprobt.

Mit dieser Besetzung von Schlüsselpositionen in der griechischen Regierung setzt sich ein Trend fort, der bisher die Entwicklung insgesamt charakterisiert hat: Zwar ist es den sozialen Bewegungen immer wieder gelungen, die Regierung zu erschüttern und der politischen Klasse die Legitimation zu entziehen. Im Resultat haben die bürgerlichen Kräfte jedoch mit der Rückendeckung der EU die Kontrolle über die staatlichen Apparate verteidigt und diese gegen jegliche demokratische Transformation abgeschottet.

Für die nächste Zukunft verheißt das wenig Gutes. Noch sind die Diskussionen innerhalb der bürgerlichen Kräfte im Gange. Es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, dass es gegenwärtig keine Mehrheit für eine autoritäre Lösung gibt. Aber nur eine Einheitsfront aller linken und demokratischen Kräfte kann den herrschenden Eliten deutlich machen, dass sie ein hohes Risiko eingehen, sollten sie es wagen, die Demokratie in Hellas endgültig und dann offen gewaltsam beseitigen zu wollen.

Gregor Kritidis, studierte Sozialwissenschaften in Hannover und Athen, Promotion zum Dr. Phil. über die sozialistische Opposition in der Ära Adenauer. Er ist Mitherausgeber des Online-Magazins Sozialistische Positionen (www.sopos.org) und Sekretär der Loccumer Initiatiative Kritischer WissenschaftlerInnen.

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