Der Tod des Fließbands? 40 Jahre „Gruppenarbeit“

Aus Lunapark21 – Heft 19

„Dies ist nicht nur neue Produktionstechnik. Es ist der Tod des Fließbands.“ So pries der Leiter des Volvo-Werks Uddevalla einst die Veränderungen in der schwedischen Automobilindustrie. Vor rund 40 Jahren begannen dort erste Experimente mit „Gruppenarbeit“. Statt monotoner Handgriffe im Minutentakt sollten die Arbeiter einen ganzen Fertigungsabschnitt – in Uddevalla gar die Montage ganzer Fahrzeuge – eigenverantwortlich in Teams durchführen.

Auch in Deutschland wurde ab 1974 im Rahmen des von der Bundesregierung getragenen Forschungsprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“ in mehreren Projekten eine Veränderung der Arbeitsbedingungen getestet. Doch die hehren Ansprüche blieben angesichts kapitalistischer Renditeerwartungen und Hierarchievorstellungen schnell auf der Strecke.

„Die Leute verlassen uns, weil sie keine Befriedigung in ihrer Arbeit finden“, begründete der damalige Volvo-Chef Pehr G. Gyllenhammar 1972 im Spiegel die angestrebten Veränderungen. Den Mitarbeitern müsse der Spaß an ihrer Tätigkeit zurückgegeben werden, betonte er. Spaß an der Arbeit? Jahrzehntelang waren die Produktioner darauf getrimmt worden, im Akkordverfahren maximalen Output zu schaffen. Doch jetzt wollte man an „das Gold in den Köpfen“, um bei immer komplexeren Produkten und Produktionsmethoden die Effizienz zu erhalten.

„Gruppenarbeit“ zielte also von Beginn an keineswegs auf die Aufhebung kapitalistischer Entfremdung, sondern lediglich auf deren humanere Gestaltung. Es gelte, „die Stellung des Menschen als vereinzeltes und entmündigtes Arbeitstier zu beenden und auch unter kapitalistischen Bedingungen menschenwürdige Arbeit durch erweiterte Handlungsspielräume und vermehrte Entscheidungsmöglichkeiten zu realisieren“, so Rainer Salm, IG-Metall-Sekretär in Baden-Württemberg. [1]

Die Erfahrungen mit den neuen Produktionsmethoden bei den schwedischen Herstellern Saab und Volvo waren teilweise beeindruckend – nicht nur aus Sicht der betroffenen Arbeiter, die beispielsweise keine Überkopfarbeit mehr ausführen mussten. So berichtete Volvo aus seinem Werk in Kalmar, dass sich die Fertigungsgeschwindigkeit binnen zwei Jahren um 30, die Qualität um 40 Prozent gesteigert habe. Dennoch wurde der Standort 1994 geschlossen, ebenso wie die Vorzeigefabrik in Uddevalla im Jahr zuvor.

Ähnlich die Entwicklung in Deutschland: Die ohnehin nicht sonderlich weit verbreiteten Ansätze selbst organisierter Gruppenarbeit wurden zumeist schnell beendet und durch „standardisierte Gruppenarbeit“ ersetzt. Letztere ist Teil japanischer Produktionskonzepte, deren vermeintliche Überlegenheit vor allem von der Studie „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“ des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) verbreitet wurde.

Ein zentraler Grund für den Rückgriff auf die japanische Variante der „Gruppenarbeit“ – die sich durch hierarchische Fremdbestimmung, geringe Beschäftigtenautonomie und hohe Taktbindung auszeichnet – liegt im Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsweise. So erklärten Hancké und Rubinstein von der London School of Economics 1995: „Ein selbstbestimmtes Produktionssystem wie in Uddevalla, das auf den individuellen und kollektiven Fähigkeiten der Arbeiter basiert, reduziert die Rolle von Ingenieuren und Managern bei der Kontrolle des Produktionsprozesses.“ Ähnlich argumentierte Ulrich Jürgens vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB): „Die japanischen Konzepte scheinen einen alternativen Weg aufzuzeigen, um einen gleichmäßigen und kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu erreichen, der vom Management einfacher kontrolliert werden kann. Anstelle eines sprunghaften, von der Belegschaft stark selbstbestimmten Prozesses, der bei einem Überleben des Uddevalla-Werks zu erwarten gewesen wäre.“ [2]

Anmerkungen:

[1] Rainer Salm: Abschied vom Leitbild humaner Gruppenarbeit? In: Klaus Dörre/Klaus Pickshaus/Rainer Salm: Re-Taylorisierung – Arbeitspolitik contra Marktsteuerung, Supplement zur Zeitschrift Sozialismus 9/2001

[2] Zitate aus Eberhard Ulich: Gruppenarbeit in der Autoindustrie. In: Klaus Jonas/Günther Keilhofer/Johannes Schaller (Hrsg.): Human Ressource Management im Automobilbau. Konzepte und Erfahrungen, Bern: Verlag Hans Huber 2005 (eigene Übersetzung)

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