Technologische Arbeitslosigkeit? lexikon

Georg Fülberth. Lunapark21 – Heft 21

Als technologische Arbeitslosigkeit bezeichnet man die Ersetzung von lohn- oder gehaltsabhängigen Menschen in Fertigung oder Verwaltung infolge gesteigerter Arbeitsproduktivität durch den Einsatz von Maschinen. Sie tritt dann ein, wenn die Nachfrage hinter dem dadurch möglichen erhöhten Angebot von Waren oder Dienstleistungen zurück bleibt. Seit einer Generation gilt die Computerisierung als die Hauptursache. Manchmal heißt das: „Der Gesellschaft geht die Arbeit aus“.

Nun ist die Ersetzung von lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte nichts Neues, sondern sie ist typisch für den Industriekapitalismus. Schon die Einführung von mechanischen Spinn- und Webmaschinen, die mit Wasser- oder Dampfkraft betrieben wurden, hat viele Heimarbeitskräfte brotlos gemacht. Das von Marx im ersten Band des Kapital formulierte „Allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ wurde durch diese Erfahrung angeregt, wenngleich es zugleich logisch aus den Erfordernissen der Mehrwertproduktion unter den Bedingungen der Konkurrenz abgeleitet ist:

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte[1] der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.“[2]

In der Wirtschaftspresse wird behauptet, ein Wachstum von mindestens 1,5 Prozent könne Arbeitslosigkeit – auch technologische – beheben. Damit wäre die Ursache zugleich eine Abhilfe gegen ihre Folgen: Steigerung der Arbeitsproduktivität führt ja zu zusätzlichem Output, also Wachstum. Allerdings: Das Mehr an Gütern und Dienstleistungen muss Absatz finden. Die Kaufkraft der Arbeitslosen dürfte dafür nicht ausreichen – vielleicht aber diejenige der Lohnabhängigen, die ihren Job nicht verloren haben? Dies würde bedeuten, dass Lohnerhöhungen für sie die Nachfrage nach dem durch Steigerung der Produktivität verursachten Überschuss absorbieren würden. Die Zunahme der Kaufkraft der Beschäftigten müsste den Ausfall infolge erzwungener Kaufzurückhaltung der Erwerbslosen ausgleichen – eine absurde Vorstellung. Dadurch würde die Spaltung des Arbeitsmarktes nicht behoben, sondern vertieft.

Eine Möglichkeit zur Behebung technologischer Arbeitslosigkeit wäre die Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität käme dann nicht nur den Gewinnen zugute. Diese Lösung ist nur möglich, wenn die Gewerkschaften kampfstark und kampfbereit sind.

Technischer Fortschritt kann nicht nur in der Verkürzung der Zeit, die zur Erstellung einer Ware nötig ist (so genannte Prozessinnovation), bestehen, sondern auch in Produktinnovation: Erfindung und Entwicklung bisher unbekannter Güter und deren Herstellung in völlig neuen Industriezweigen. Allerdings unterliegen diese Branchen, sind sie erst einmal etabliert, dann auch wieder dem Trend zur Prozessinnovation und damit zur „Freisetzung“ von Arbeitskraft.

Nicht alle menschlichen Tätigkeiten können durch Maschinen reduziert werden, zum Beispiel nicht Erziehung und Pflege. Der Aufwand für diese erhöht sich, unter anderem durch gestiegene Lebenserwartung. Hier werden zusätzliche Arbeitskräfte benötigt. Sie erzeugen keinen Mehrwert, deshalb gilt ihre Tätigkeit als unproduktiv. Werden Ressourcen in diesen Bereich gelenkt (etwa durch Steuern und Sozialabgaben), bedeutet dies wieder eine Schmälerung der Gewinne, die durch Prozessinnovation ja gesteigert werden sollen. So erklärt sich der Widerstand der Unternehmer gegen Ausgabesteigerung für diese Bereiche. Stattdessen wird versucht, auch diese der Mehrwerterzeugung zuzuführen: durch Privatisierungen. Ist dies erst einmal geschehen, werden Anläufe zur Gewinnsteigerung unternommen, hier allerdings in der Regel nicht durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität, sondern der Arbeitsintensität: Personalabbau bei unveränderter Anforderung. Arbeitskraft wird dann nicht produktiver, sondern sie wird nur schneller verschlissen.

Tatsächlich ist Einsatz von Technik nicht das einzige Mittel zur Steigerung des Mehrwerts bei gleichzeitiger Senkung des Personalstands. Eine wahrscheinlich größere Bedeutung hat die Verlagerung von Jobs in Niedriglohnländer. Dort wird Arbeitskraft, da wohlfeil, in geringerem Maße durch Maschinen ersetzt, sondern vor allem intensiver vernutzt. Eine weitere nicht-technologische Ursache von Massenarbeitslosigkeit ist Investitionszurückhaltung durch zumindest zeitweiliges Ausweichen von Kapital aus der Produktions- in die Spekulationssphäre: Lohnarbeit wird dadurch erpressbar.

So gesehen relativiert sich die Bedeutung der technologischen Arbeitslosigkeit. Sie erweist sich als ein untergeordneter Aspekt eines übergreifenden Phänomens: Erwerbslosigkeit ist Resultat eines Verteilungskampfes zwischen Kapital und Arbeit und verschiebt zugleich das Kräfteverhältnis zugunsten der Unternehmer. Ein Terminus „Verteilungsarbeitslosigkeit“ ist zwar völlig ungebräuchlich, wäre aber zutreffend.

Anmerkungen:

[1] Ein Synonym für Verelendete, Verarmte, heute eventuell auch zu übersetzen mit „working poor“. Der Begriff geht auf den biblischen Lazarus zurück, von dem in einem Gleichnis im Lukas-Evangelium die Rede ist: Vor der Tür des Reichen lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Nach seinem Tod wurde Lazarus von Engeln in Abrahams Schoß gebettet, der Reiche hingegen musste in der Hölle schmoren. Die LP21-Red.

[2] Marx-Engels Werke, Band 23, Seite 673f.

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