Schwache Regierung heißt nicht schwache Wirtschaft

Deutschland erlebt mit den AfD-und FDP-Wahlerfolgen einen Rechtsruck

Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Europäischen Union die mit Abstand stärkste Wirtschaftsmacht. Mehr als ein Fünftel des EU-BIP entfallen auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Das zweitwichtigste EU-Land, Frankreich bringt es auf 15 Prozent. In der Eurozone ist die deutsche Position nochmals deutlich stärker.

Wie die Basis, so der Überbau. Gleichgültig, ob der Top-Job im Kanzleramt von einem CDU-Mitglied (Adenauer, Erhard, Kiesinger, Kohl, Merkel) oder von einem SPD-Mann (Brandt, Schmidt, Schröder) ausgeübt wird, verfügt die deutsche Bundesregierung seit einem halben Jahrhundert in diesem Wirtschaftsblock über die wichtigste Stimme. Seit rund zwei Jahrzehnten dominiert Deutschland den Block. Die Eurogroup, der innere Eurozonen-Kern der EU, wurde in den letzten Jahren vom deutschen Finanzminister wie ehemals das Politbüro durch den Generalsekretär dirigiert. Yannis Varoufakis verschaffte uns diesbezüglich intime Einblicke.

Und dann das. In Deutschland gibt es seit der Bundestagswahl vom 24. September eine politisch labile Situation. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD wurde bei den Parlamentswahlen abgestraft. Der Versuch, ein Bündnis in den Farben des karibischen Inselstaats Jamaika zu schmieden, wird zwar von grünem Opportunismus und schwarz-gelber Machtgier befeuert; er könnte am Ende jedoch auch krachend scheitern. Von vornherein ist klar: Wolfgang Schäuble, langjähriger Finanzminister und Eurozonen-Zuchtmeister, geht noch im Oktober als Parlamentspräsident in den Vorruhestand. Schon kann man die kühne Mutmaßung lesen, damit würden sich in der EU auch die politischen Gewichte verschieben. „Europas Sonnenkönig“, so lautete am 30. September die Seite-1-Schlagzeile in Deutschlands auflagenstärkster Zeitung, der Süddeutschen; Unterzeile: „Kanzlerin Merkel macht eine neue Erfahrung: Nach der unerfreulichen Bundestagswahl droht jetzt ein anderer Richtung und Tempo in der EU vorzugeben – Frankreichs jugendlicher Präsident Macron.“ Ach ja?

Bevor wir darauf zurückkommen, eine knappe Analyse des Wahlergebnisses. AfD und FDP können wirtschaftspolitisch als Block gesehen werden. Beide Parteien stehen rechts; sie sind antigewerkschaftlich und unternehmernah. Die AfD ist inzwischen gut in der wirtschaftsliberalen Hayek-Gesellschaft verankert und hat diese unterwandert. Bei den anderen Parteien gab es faktisch keine relevanten Veränderungen (LINKE plus 0,6; Grüne plus 0,5 Prozentpunkte). Damit steht dem Verlust der Parteien der Großen Koalition (minus 13,3 Prozentpunkte) ein größerer Gewinn von AfD und FDP gegenüber (plus 13,9 Prozentpunkte). FDP und AfD bringen es zusammen auf fast ein Viertel der Wählerstimmen (23,3%). Bereits dies unterstreicht, dass es am 24. September einen deutlichen Rechtsruck gab.

Wobei dieser Rechtsruck natürlich vor allem mit dem 12,6 Prozent-Wahlerfolg der AfD – ein Plus von fast acht Prozentpunkten – zum Ausdruck kommt. Nach einem kurzen, künstlichen Erschrecken über den Einzug der Rechtsextremen in den Bundestag geht man im etablierten Politikbetrieb bereits zum Tagesgeschäft über. Zwei Gründe werden angeführt, um die Entwarnung zu rechtfertigen: Erstens gebe es Vergleichbares (Anstieg von extrem rechten und populistischen Positionen) in ganz Europa. Zweitens werde die AfD im konkreten politischen Geschäft entzaubert; vielleicht zerlege sie sich ja selbst (siehe Frauke Petrys Abgang).

Tatsächlich ist bereits aus geschichtlichen Gründen, aber auch vor dem Hintergrund der beschriebenen dominierenden Position Deutschlands in der EU, eine starke rechtsextreme Partei in Deutschland etwas anderes als eine solche in Polen oder Frankreich. Sodann gibt es die Erkenntnis, dass die AfD sich bislang anders entwickelt wie NPD und Republikaner in früheren Perioden. Trotz der Spaltung der Partei mit dem Weggang von Lucke im Jahr 2015 gab es danach dramatische AfD-Wahlerfolge. Trotz und wegen der jüngeren, massiven Rechtsentwicklung dieser Partei (siehe Gaulands Bewunderung für „die Leistungen“ der deutschen Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg) gab es den durchschlagenden Erfolg bei der Bundestagswahl. Obwohl es aktuell in Deutschland keine Krise gibt und es einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen gab, konnte die AfD verstärkt Krisenängste schüren. Ihre Chancen in einer kommenden Krise werden sich vergrößern. Im Übrigen hat der AfD-Wahlerfolg ab sofort höchst handfeste Folgen: Die 93 AfD-Bundestagsabgeordneten bedeuten in der Summe fünf Hundertschaften mit Hauptamtlichen-Stellen für rechte und rechtsextreme Politik, finanziert mit Steuergeldern in Höhe von gut drei Millionen Euro monatlich. Dabei agieren AfD & Co. in einem Land, in dem die Mitte nach rechts rückt, und in dem es, wie der NSU-Prozess zeigt, einen beängstigenden „tiefen Staat“ gibt. Man muss nicht nach Sachsen gehen (wo Lehrer bei Hakenkreuzen auf Schulheften nicht aktiv werden), um erschreckt festzustellen, dass amtliche Stellen längst dem faschistischen Druck nachgeben. Eine Woche vor der Bundestagswahl entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Düsseldorfer Oberbürgermeister nicht zu Protesten gegen die rassistische Gruppe „Dügida“ aufrufen durfte. Die damalige, vom OB initiierte Aktion, während eines rassistischen Aufmarsches als „Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus“ in den öffentlichen Gebäuden die Beleuchtung abzuschalten, habe „die Ebene des rationalen Diskurses verlassen.“ Es handelt sich wohlgemerkt um das Urteil eines obersten Gerichts, mit dem bundesweit die Handlungsmöglichkeiten von Bürgermeistern bei rassistischen Aktionen und faschistischen Aufmärschen massiv eingeschränkt werden.

Richtig ist: Die AfD kann gestoppt und entzaubert werden. Dies wird aber kaum durch ein Vorführen im Parlamentsbetrieb erfolgen, sondern in erster Linie durch eine offensive linke Politik auf der Straße und durch ein klares antirassistisches und antifaschistisches Programm, das Flüchtlinge willkommen heißt und eine Finanzierung der Integration durch die konsequente Besteuerung der Reichen und der Unternehmen fordert. Dort, wo es eine solche kombinierte Politik auf der Straße, mit einem entsprechenden Programm und mit engagierten Kandidatinnen und Kandidaten gab, hatte diese auch Erfolg. Auf diese Weise wurde die Partei DIE LINKE im Kölner Stadtteil Kalk zweitstärkste Partei (20,5 Prozent); in ganz Köln holte sie 11,8 Prozent. Die AfD-Erfolge waren dort deutlich unterproportional. Im Berliner Stadtteil Neukölln wurde die LINKE stärkste Partei; hier verlor die AfD sogar Neukölln-weit (im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2016). Generell war festzustellen: Die LINKE verlor überall dort massiv, wo sie gemäßigt und als Verwalterin der kapitalistischen Angelegenheiten agiert. Sie gewann dort, wo sie einen offensiven, linken Wahlkampf führte und als sozialistische oppositionelle Kraft wahrgenommen wurde. Einige Reaktionen an der Spitze dieser Partei gehen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. So wenn Sahra Wagenknecht „mit Blick auf das Flüchtlingsthema“ feststellt, man habe es der AfD überlassen „bestimmte Dinge anzusprechen, von denen die Menschen einfach erleben, dass sie so sind.“ Diese Aussage ähnelt fatal der Position von CSU-Chef Seehofer, der nun „die entstandene Lücke auf der Rechten“ mit abdecken will. Dabei haben insbesondere die beachtlichen AfD-Wahlerfolge in Bayern deutlich gemacht, dass bei dieser Art Schaulaufen am rechten Rand immer die äußerste Rechte gewinnt.

Zurück zur EU. Nur zwei Tage nach der Wahl wurde bekannt: TGV und ICE werden verkuppelt; Siemens und Alstom bilden ein gemeinsames Unternehmen. Die Beschwörungen von Siemens-Chefs Joe Kaeser, es handle sich um „einen Zusammenschluss unter Gleichen“ sind pure Phrase, gedacht für die Galerie. Tatsächlich wurde Alstom bereits vor zwei Jahren zerschlagen; der wertvolle Turbinenbau-Teil ging an den US-Konzern GE. Beim nun verkündeten Zusammenschluss der übrig gebliebenen Alstom-Bahnsparte mit der Siemens-Zugsparte wird Siemens eine Mehrheit bekommen. In beiden Fällen war Monsieur Emmanuel Macron zu Diensten. Er half 2014/15 als Wirtschaftsminister beim Ausverkauf in die USA. Er engagierte sich jetzt als französischer Präsident, um das verbliebene industrielle Tafelsilber dem deutschen Konzern anzudienen. Gleichgültig, wie ein Kabinett Merkel IV zusammengesetzt sein wird und wer in Berlin regiert: Macron wird auch in Zukunft seinen Job als Türöffner für die Konzern- und Finanzinteressen im Allgemeinen und für die Interessen der deutschen Konzerne und Banken im Besonderen wahrnehmen.

It´s the economy, stupid.