Schuldenbremse in den Kommunen. Lukratives Geschäft für die Berater

Aus Lunapark21 – Heft 19

Die fast parteiübergreifende Mehrheit des Bundestages – ausgenommen Die Linke – hat eine „Schuldenbremse“ für alle öffentlichen Haushalte ins Grundgesetz aufgenommen. Es dürfen demnach ab 2019 keine neuen Schulden gemacht werden. Für den Bund gelten allerdings Ausnahmen bei bestimmten „Sonder- und Katastrophenfällen“. Zum Beispiel, wenn sich Banken in den Bankrott manövrieren. Der Bankrott von Städten und Gemeinden ist offensichtlich kein solcher Fall. Im Gegenteil: Ihr Bankrott ist eine Folge der Schuldenbremse.

Schon jetzt deuten sich in deutschen Kommunen griechische Verhältnisse an: Sie werden sich entfalten, wenn dieser Entwicklung nicht deutschland- und europaweit endlich nachhaltiger Widerstand entgegengesetzt wird.

Auch Fiskalpakt und EZB

Es kommen noch andere Instrumente dieser Art dazu: Der Europäische Fiskalpakt soll den Zwangsmechanismus der nationalen und kommunalen Schuldenbremsen verschärfen. Die Pflicht, die gesamtstaatliche Neuverschuldung auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken, würde bereits ab 2014 gelten.[1] Die Europäische Zentralbank fordert in ihrem 2. Quartalsbericht 2012 ebenfalls, dass Staaten, Kommunen, Lohn- und Rentenempfänger „sparen“.

Aber unabhängig davon, ob es eine gesetzliche Schuldenbremse und den Fiskalpakt gibt oder nicht und ab wann sie greifen, setzen die Bundesregierung und die Bundesländer bereits seit Jahren die Kommunen solchen Zwangs- und Kürzungsmechanismen aus. Sie bestehen aus den geringeren Steuerzuweisungen, aus den aufoktroyierten Zusatzaufgaben und aus Kürzungsauflagen.

Die Landesregierungen exekutieren dies im Auftrag des Zentralstaats. Mehrere haben Rettungsprogramme für die Kommunen aufgelegt. “Stärkungspakt Stadtfinanzen” heißt beispielsweise das Programm in Nordrhein-Westfalen. (Gemeindefinanzierungsgesetz 2011) Im Jahrzehnt bis 2021 sollen knapp 6 Milliarden Euro bereitstehen, um allen NRW-Kommunen einen „konsolidierten“ Haushalt zu ermöglichen. Ob dem Bundesland diese Gelder bis 2021 überhaupt zur Verfügung stehen – die Bundesländer müssen ja ebenfalls „sparen“ –, ist zweifelhaft. Und die Stärkungsgelder werden nur gezahlt, wenn die Kommunen gleichzeitig weitere Kürzungen durchziehen. „Stärkung“ bedeutet also das Gegenteil: Schwächung.

Kienbaum Management Consultants

Die Landesregierungen empfehlen den Städten, dafür private Berater zu beauftragen. Ein Beispiel aus Hessen kann die Einzelheiten illustrieren. So verfasste die Düsseldorfer Unternehmensberatung Kienbaum Management Consultants für die hessische Stadt Dreieich das Gutachten „Projekt Schuldenbremse in der Stadt Dreieich“.[2] Für das Gutachten zahlte die 40.000 Einwohner-Stadt 250.000 Euro.

Kienbaum schlägt einen auf zehn Jahre angelegten „Umstrukturierungsprozess“ vor – so werden die jährlichen Kürzungen von mindestens fünf Millionen Euro umschrieben. Kienbaum soll diesen Prozess weiter begleiten und dafür auch weiter honoriert werden. „Dabei kommt Kienbaum eine Motor- und Begleitfunktion zu“, merken die Berater selbstbewusst an. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit zu erwartenden „Widerständen“ aus der Bevölkerung. Die Politik auch auf dieser kommunalen Ebene gibt sich nicht nur ökonomisch und in demokratischer Hinsicht geschlagen. Die Berater übernehmen die Führung. Bisher gibt es in Stadtverwaltung und Stadtrat keinen grundsätzlichen Widerstand.

Die Honorare für Kienbaum sind sicher, alle anderen Ausgaben unterliegen der „tabulosen“ Prüfung. Die Berater haben also die starke Stellung eines Insolvenzverwalters.

Bei den Einsparungen, sprich Kürzungen, steht der Abbau von Arbeitsplätzen im Vordergrund. So soll der öffentliche Nahverkehr an private Dienstleister ausgelagert werden, die sich nicht an öffentliche Tarifverträge halten müssen. Übrig bleiben soll lediglich ein Geschäftsführer der Stadtwerke. Insgesamt sollen von den bisher 355 Stellen der Stadtverwaltung 58 wegfallen. Damit das möglichst problemlos läuft, sollen die verbleibenden Beschäftigten die Stadt Dreieich als „Konzern“ verstehen, Führungskräfte sollen besser geschult werden.

Zu den 99 „Konsolidierungsmaßnahmen“ gehören wesentliche Verschlechterungen der Infrastruktur. Dabei werden offensichtlich auch Gefährdungen für die Bevölkerung in Kauf genommen: Verzicht auf Brückensanierung, Schließung der drei Bäder, Schließung und Verkleinerung der Spiel- und Bolzplätze, Einschränkung der Straßenbeleuchtungszeiten, Prüfung der 24-Stunden-Einsatzbereitschaft der Feuerwehr, Stilllegung städtischer Brunnen, Reduzierung des Standards bei der Straßenreinigung, Verzicht auf öffentliche Toiletten und Minigolfanlagen, Reduzierung bei Unterhalt und Pflege der Sportanlagen.

„Sanierung“ aus dem Laptop-Speicher“

Auch die Demokratie soll beschnitten werden, sie ist irgendwie zu groß geraten für die heutigen Verhältnisse. Sie muss angepasst, ebenfalls gekürzt werden. Weil nämlich die gewählten Vertreter im Stadtrat bei diesem „objektiven“ Kürzungs- und Prüfungsprozess, geleitet von Kienbaum, weniger zu tun haben werden, schlagen die Berater folgende Kürzungen vor: Reduzierung der Zahl der gewählten Volksvertreter, Verzicht auf den Botendienst für Sitzungsunterlagen, Reduzierung des Aufwands für den Sitzungsdienst. Auch die Bürger brauchen nicht mehr so viel Kontakt zur Verwaltung, meinen die Berater, deshalb: Reduzierung der Öffnungszeiten im Rathaus, im Bürgerbüro und an der Infotheke.

Selbstverständlich ist die Stadt im Auge der Berater trotz aller schon bisher durchgezogenen Kürzungen immer noch zu sozial. Zum klischeehaften Berater-Muster, aufrufbar aus den Laptop-Speichern auch anderer Beraterfirmen, gehören noch folgende Ausgabenkürzungen (dabei hat es sich in der Beratersprache eingebürgert, lieber von „prüfen“ als von „kürzen“ zu sprechen): Kinder- und Jugendförderung prüfen, Wirtschaftlichkeit der Bibliothek prüfen. Vielfach wird aber auch ohne eine solche „Prüfung“ sozialer Kahlschlag vorgeschlagen: Reduzierung der Vereinsförderung um 50 Prozent; Reduzierung der rechtlichen Betreuung; Budgetdeckelung bei Seniorenberatung, Behindertenbetreuung und Integrationsmaßnahmen; Einstellung der Rentenberatung; Reduzierung der Zuschüsse für Hilfen in persönlichen Notlagen; keine kostenlosen Fahrpläne beim Nahverkehr.

Im „Sanierungs“ -Musterkoffer, der auch vom Internationalen Währungsfonds, von der Europäischen Kommission und von der Bundesregierung hätte ausgestattet werden können, sind auch Vorschläge enthalten, wie die Einnahmen erhöht werden können: Erhöhung der Hundesteuer, Erhöhung der Gebühren für Sondernutzungen städtischer Gebäude und Grundstücke, Anpassung der Kita-Gebühren, Verkauf des Stadtforstes, Verkauf des Bürgertreffs Götzenhain.

Beratung, Sanierung, Tod

Am Ende des Kürzungs-Jahrzehnts soll „die kommunale Handlungsfähigkeit auf Dauer“ gesichert sein. Das behaupten die Berater. Das heißt also: Es würden jährlich 5 Millionen Euro gekürzt und die Bürger durch zusätzliche Abgaben belastet. Der Haushalt wäre dann „saniert“, die Infrastruktur weiter verschlechtert, das kommunale Leben verarmt, die Bürger wären geschröpft, die Demokratie wäre weiter ausgehöhlt.

Und dieses perverse Sanierungs-Ziel, so gestehen die Berater im Nebensatz zu, kann wahrscheinlich sowieso nicht erreicht werden. Es könnte nämlich noch schlimmer kommen. Denn während des Sanierungsprozesses müsse weiter mit „rückläufigen Mitteln“ gerechnet werden. Das ist, wenn man die neueren Instrumente wie den europäischen Fiskalpakt dazu nimmt, gar nicht so unrealistisch. Aber dann könne, so ist zwischen den Zeilen zu lesen, die Stadt mit ihrem letzten Geld oder mit Hilfe eines Kredits oder eines großzügigen Sponsors nochmal einen Beratervertrag an Kienbaum Consultants vergeben.

Diese Art „Sanierung“ ist somit in Wirklichkeit ein zeitlich unbegrenzter, sozial einseitiger Verarmungsprozess. Die Berater sind honoriert, der Haushalt ist saniert – die Kommune ist tot. Eine andere Perspektive haben die Banken- und Euro- „Rettungs“-Parteien und die Regierungen nicht zu bieten.

 

Anmerkungen:

[1] DGB: Fiskalpakt trifft auch Städte und Gemeinden, klartext 20/1012, 31.5.2012

[2] Kienbaum Management Consultants GmbH: Bericht Projekt Schuldenbremse in der Stadt Dreieich, Düsseldorf 2.8.2011, veröffentlicht auf der website der Stadt Dreieich, gelesen 21.5.2012

Werner Rügemer, interventionistischer Philosoph, tätig als Publizist und Lehrbeauftragter an der Uni Köln. Jüngste Veröffentlichung: Ratingagenturen, Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, Bielefeld 2012l. W.R. schrieb in LP21, Heft 18 zur Freiheit der Arbeit.

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