Rückkehr an den Herd. Neues aus dem Sektor der Care-Ökonomie

Aus Lunapark21 – Heft 19

„Der Begriff Care-Ökonomie bezieht sich auf alle bezahlt und unbezahlt geleisteten Tätigkeiten, bei denen Menschen für andere sorgen oder für die alltägliche Versorgung anderer Menschen zuständig sind. Diese Tätigkeiten beziehen sich auf die Umwandlung von standardisierten und industrialisierten Gütern und Dienstleistungen für einen den unterschiedlichsten Bedürfnissen angepassten täglichen Verbrauch innerhalb und außerhalb des Haushalts, auf das Aufziehen von Kindern, auf die Pflege von Menschen und andere Formen von Beziehungsarbeit. All diese Tätigkeiten und die Art und Weise, wie sie getan werden, machen einen wesentlichen Teil des Lebensstandards einer Gesellschaft aus.“ (Mascha Madörin)

Die Care-Arbeiten können marktvermittelt, auf staatlicher oder gemeinwirtschaftlicher Ebene oder im privaten Haushalt erbracht werden. Care-Arbeit wird sowohl als Lohnarbeit als auch als selbständige Arbeit, als „ehrenamtliche“ Gratisarbeit oder als bezahlte oder unbezahlte Hausarbeit verrichtet. Für das unbezahlte Arbeitsvolumen wird mit dem Ruf nach Gemeinsinn oder Familiensinn geworben, das bezahlte fällt mehr und mehr dem Sozialabbau zum Opfer oder wird mit Niedrigstlöhnen entwertet. Die Übergänge sind oft fließend. Die weitaus meisten Care-Arbeiten werden durch Frauen geleistet. Man kann diese Arbeiten dennoch nicht einfach in einen Topf werfen. Deutlich wird das am Beispiel der Kindererziehung. „Mütter sind die wichtigsten Bezugspersonen“, heißt es (nicht nur) immer noch oft innerhalb der BRD. Damit soll die unbezahlte Arbeit der Mütter im Rahmen der Hausversorgung von Kindern aufgewertet und die bezahlt geleistete Arbeit im Rahmen der öffentlichen Kindererziehung abgewertet werden.

Fehlende Kindertagesstätten

Bis 2013 sollen in der BRD für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren entsprechende Betreuungsangebote zur Verfügung stehen. Damit soll Müttern und Vätern nicht nur „Care“ abgenommen werden, sondern den Kindern ein pädagogisches Angebot zugute kommen, das ihnen kaum ein Elternhaus zur Verfügung stellen kann. Während aktuell Mütter und Väter ab dem dritten Lebensjahr ihres Kindes einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben, wird dieser Anspruch ab 2013 auf alle Kinder über einem Jahr ausgedehnt. Der tatsächliche Ausbau einer öffentlichen Care-Infrastruktur bleibt jedoch aus und ist weiterhin Gegenstand einer emotional geführten Diskussion zwischen verschiedenen (familien)politischen und kirchlichen Zusammenschlüssen. Alleine in Berlin fehlen rund 19000 Kitaplätze und jährlich müssten zwischen 500 und 800 neue Kita-Pädagoginnen und -pädagogen gefunden werden.

Dass der Ausbau frühkindlicher Infrastruktur durchaus einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat, arbeitete eine im Auftrag der Bertelmann-Stiftung erstellte Studie heraus, in der die Bildungseffekte bei Krippenkindern langfristig bewertet wurden. Untersucht wurde der Einfluss der Nutzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote auf den späteren Schulbesuch der Kinder sowie deren Auswirkung auf die zu erwartenden Lebenseinkommen der zwischen 1990 und 1995 geborenen Kinder. Die Wissenschaftler betrachteten ein Szenario, in welchem 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine Krippe besucht hätten. Für diese Kinder „erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, wenn sie eine Krippe besucht haben“ um rund zwei Drittel. Die Ergebnisse zeigen auch, dass der bekannte Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad der Eltern und dem besuchten Schultyp der Kinder durch den Krippenbesuch relativiert werden kann. Besonders sozial benachteiligte Kinder profitieren durch die professionelle Care-Arbeit. Aber auch die „nicht benachteiligten Kinder“ haben einen Vorteil, denn nach einem Krippenbesuch gehen auch von ihnen fast zwei Fünftel mehr aufs Gymnasium, als wenn sie zu Hause betreut worden wären. Die Studie stellt fest, dass der deutschen Volkswirtschaft ab 2009 für die sechs untersuchten Jahrgänge insgesamt ein Nettonutzen in Höhe von 12,6 Milliarden Euro entgeht, weil die Care-Arbeit bis jetzt nicht in breitem Maße vergesellschaftet wurde. Dabei wurden die Kosten für den notwendigen Ausbau der Krippen einberechnet.

Ministerin im Mutterschutz

Über den Sinn von Kosten-Nutzen-Analysen in diesem Bereich mag man sich streiten. Eine Studie vom Mai 2012, die in Österreich erstellt wurde, zeigt ähnliche Ergebnisse: Kindertagesstätten ermöglichen den Kindern Erfahrungen, die sie für die Entwicklung benötigen, vor allem für die Entwicklung sozialer Kompetenzen, aber auch für die Motorik und die musischen Fähigkeiten. Ganz besonders wichtig waren nach dieser Forschungsarbeit die täglichen Erfahrungen, die Kinder mit anderen Kindern machen. „Täglich mehrstündige Spielgelegenheiten mit anderen Kindern können die wenigsten Familien ihrem Kind noch bieten. Es klingt hart, ist deshalb aber nicht weniger wahr: Auch die beste Mutter kann kein Kinderersatz sein“. Das ist eine Binsenweisheit. Bei der Bundesfamilienministerin ist sie noch nicht angekommen. Sie schreibt in ihrem Buch „Danke, emanzipiert sind wir selber!“, das im Sommer 2011 „dank Mutterschutz“ geschrieben worden ist, dass „die Zukunft der Familie (…) von zu wenig Gestaltungsfreiheit bei der Verteidigung des familiären Schutzraums gegen die (…) Logik unserer Arbeitswelt“ bedroht ist. Indem sie die Journalistin und Fernsehmoderatorin Iris Radisch zitiert, schwärmt Schröder von „der Familie“, die sich „nach dem Prinzip der Solidarität, nicht nach dem der Konkurrenz“ organisiert und deren „Kapital der glücklich erlebte Augenblick, nicht das irgendwann erreichte Ziel, der abgearbeitete Dienstplan (ist). Sie gehorcht dem Herzens-, nicht dem Effiziensprinzip“. Dafür, dass das so bleibt, sollen die Frauen sorgen und das können sie am besten, wenn sie die „Wahlfreiheit“ haben, ob sie (zumindest vorübergehend) aus dem Beruf aussteigen wollen oder „Karriere“ machen wollen. An den Frauen liege es schließlich, „aus den grundsätzlich möglichen Optionen die beste zu wählen“, wenn sie sich „als emanzipierte Gestalterinnen ihres eigenen Lebens begreifen“. Für so viel individualisierte Verantwortung bräuchte es gar keine Gesetze, offensichtlich aber monitäre Anreize.

Herdprämie für Home-Care

Ministerin Schröder und die Spitze der Unionsfraktion wollen das auch koalitionsintern umstrittene Betreuungsgeld durchboxen. Danach sollen Eltern eine finanzielle Leistung erhalten, wenn sie für ihre Kinder zwischen dem 13. und 36. Lebensmonat kein staatlich gefördertes Angebot in einer Krippe in Anspruch nehmen. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf bereits verabschiedet. Zur ersten Lesung am Freitag, 15. Juni 2012, waren die meisten Bundestagsabgeordneten nicht erschienen; die Sitzung wurde wegen Beschlussunfähigkeit beendet und auf Donnerstag, 28. Juni verlegt – diesmal war das Bundeshaus voll besetzt und es ging alles glatt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat das Gesetz erfolgreich eingebracht. Verabschiedet werden kann es erst nach der Sommerpause. Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin und eine der wenigen Befürworterin unter den Unionsfrauen, eröffnete die Sitzung: Eltern sollen sich nicht rechtfertigen müssen, wenn sie ihr Kind nicht in die Krippe geben. Auch wenn noch so viele Wissenschaftler gegen das Betreuungsgeld seien, die „wahren Experten“ seien die Eltern. Das Land brauche verschiedene Betreuungsmodelle nebeneinander.

Es gelte, die „echte Wahlfreiheit“ für die Familien bei der Betreuung der Kinder zu erhalten, schreibt auch der CDU-MdB Matthias Heider dem blog „abgeordnetenwatch“. Er schreibt, dass die Erziehungsleistungen besser anerkannt werden müssen, natürlich die zu Hause und dass die Tagesmütter, die mit dem Betreuungsgeld mitfinanziert werden sollen, sowie die vielen Familien, die sich im „ländlichen Raum dafür entscheiden“, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, „oft durch nahe Verwandte oder Nachbarn“, von dem Betreuungsgeld profitieren.

Dienstbotinnen kehren zurück

Die Botschaft wie auch die Absicht ist klar, im ländlichen Raum gibt es kaum Kitas, aber den Rechtsanspruch darauf und der kann leicht umgangen werden, wenn sich immer mehr Familien entscheiden, dass die Mutter zu Hause bleibt. Zudem haben konservative Kräfte immer noch und immer wieder ein Interesse daran, die „alte Ordnung“ mit dem „Haupternährer“ und der die Care-Arbeit leistenden Mutter herzustellen. Wird das Betreuungsgeld durchgesetzt, braucht die Republik nicht nur weniger öffentliche Einrichtungen; auch der Schritt hin zur „alten Ordnung“ ist getan. Diskriminiert werden Menschen, die ihre Kinder in Einrichtungen betreuen lassen, weil sie es als notwendig und richtig erachten, dass Kinder von ausgebildeten Bezugspersonen profitieren und im Miteinander soziale Kompetenzen erwerben können.

Das Betreuungsgeld soll ab 2013 zunächst für Kinder im zweiten Lebensjahr 100 Euro monatlich betragen. Von 2014 an sollen auch die Kinder im dritten Lebensjahr einbezogen werden, die Prämie auf 150 Euro monatlich erhöht und für bis zu 24 Monate ausgezahlt werden. Eltern, die ihr Kind privat betreuen lassen und eine Nanny einstellen, können die Prämie beantragen. Für Hartz-IV- und Sozialgeldempfängerinnen und –empfänger wird die Prämie mit den Sozialleistungen verrechnet, sie gehen also leer aus. Man geht davon aus, dass sie keinen Kita-Platz brauchen, weil sie ohnehin zu Hause sind.

Die Prämie gilt auch für Eltern, die ihr Kind privat betreuen lassen, nach dem Vorbild von begüterten Großeltern. Die „alte Frauenbewegung“ hat solche Dienstbotinnenmodelle kritisiert. Heute kommen sie durch die Hintertür zu neuen Ehren. Weiße deutsche Frauen werden so auf Kosten von Frauen, die illegalisiert leben oder/und aus den armen Ländern der Welt kommen, begünstigt. Das ist eine schlechte Lösung des Problems, denn so werden auch diese Arbeiten weiter privatisiert. Care-Arbeit wird kommerzialisiert und individualisiert und verwandelt sich zu einer äußerst schlecht bezahlten Ware, die man auf dem Dienstleistungsmarkt „einkaufen“ kann. Das führt nicht nur zur Beibehaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sondern auch zu neuen Unterschichtungen (auch) unter Frauen.

Care als prekäre Arbeit

Das gilt auch für den von Bundesministerin Schröder erfundenen Bundesfreiwilligendienst/BFD (siehe LP21 Heft 15/2011). Ein Schwerpunkt des BFD, an dem sich Menschen jeden Alters beteiligen können, ist die Kinderbetreuung. Weil die Suche nach neuen ehrenamtlichen Gratisarbeiterinnen bisher nur wenig Erfolg hatte, sollen die „Freiwilligen“ jetzt mit ein bisschen Niedrigstlohn (336 Euro monatlich) ausgestattet werden und sich dafür für 40 Stunden (über 27-Jährige 20 Stunden) verpflichten. Hartz IV-Bezieher dürfen 175 Euro zusätzlich zu ihren Bezügen behalten. Das ist für viele Langzeiterwerbslose und arme Rentnerinnen viel zusätzliches Geld. Bufdis arbeiten unter anderen in Kindertagesstätten und Schulen, das spart tariflich bezahlte Arbeitsplätze für Erzieherinnen und Erzieher und wertet die ohnehin schon geringschätzig behandelten Care-Berufe weiter ab. Die Freiwilligen sollen lediglich „unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten verrichten.“ Die Beschränkung auf „unterstützende Tätigkeiten“ ist problematisch und schwer zu definieren. Denn, wenn damit zwischenmenschliche emotionale Zuwendung für die Kinder gemeint ist, so sind das Tätigkeiten, die integraler Bestandteil der Berufe der Erziehenden sind.

Für das Kapital ist die Verlagerung der Care-Arbeit in die Familien und in prekäre Arbeit einschließlich der „Freiwilligenarbeit“ äußerst nützlich, weil sie Kosten spart; vor allem Personalkosten. Es geht um die Beendigung der Re-familisierung und der Deregulierung, die Beseitigung der prekären Arbeitsbedingungen. Es geht um die Aufwertung von Erziehungsberufen, auch im Tarifrecht. Auch Orte, in denen Care-Arbeit geleistet wird, müssen als Orte der Kommunikation und Kooperation und der gesellschaftlichen Partizipation verstanden werden; als Orte, wo politisch-kritische Potentiale gefördert werden und wo sie sich auch entfalten können und wo solidarisches Handeln sowohl von Erziehenden als auch von Kindern möglich wird.

Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin. Demnächst erscheint ihr Kalender Wegbereiterinnen 2013 mit 12 Frauenporträs aus der linken Geschichte zum elften Mal