Heft 46: Körper, Krankheit & Kapital

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Thema „Gesundheit“ oder dann „Krankheit“ steht in der Regel nicht oben auf der Liste linker oder gar marxistischer Positionen und Publikationen. Auch ist es in linken Parteien meist eher ein Thema für Spezialisten. Und Lunapark21 hat sich bislang nur einmal – und dies vor fünf Jahren – ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Damals – in Heft 22 vom Sommer 2013 – näherten wir uns dem Thema eher von „außen“: Es gab Beiträge zur Weltmacht der Pharmakonzerne, zur Lage der Kliniken, in diesem Zusammenhang zur „Ökonomisierung“ der Krankenhäuser (Stichwort: Fallpauschale), zum Aufstieg der privaten Krankenhauskonzerne und zur Sorgearbeit (und der Rolle der Frauen in dieser). In diesem Heft vor fünf Jahren fand sich auch ein – kurzer, einseitiger – Artikel von Wolfgang Hien.

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Frühgeschichte der Arbeitsmedizin

Die Manufaktur „verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von Trieben und Anlagen […] Die besonderen Teilarbeiten werden nicht nur unter verschiedene Individuen verteilt, sondern das Individuum selbst wird geteilt, in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt.“Karl Marx, Das Kapital I, S. 381 (MEW)

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„Die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen gefährdet Arbeitsplätze!“

[Märchen des Neoliberalismus Nr. 18]

Es war einmal ein ehrgeiziger bayerischer Finanzminister mit Namen Markus Söder, der genau wusste, wie man Karriere macht. In der parteieigenen CSU-Hauspostille Bayernkurier stellte er sich im September 2016 in Sachen Erbschafts- und Schenkungssteuer unmissverständlich auf die Seite des Kapitals: „Für uns ist klar: Wir wollen keine Steuererhöhung und keine Gefährdung von Arbeitsplätzen.“

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Der Frauenstreik: eine Machtdemonstration!

Ein besonderer Tag: der 14. Juni 2019 in der Schweiz

Deutlich mehr als eine halbe Million Frauen haben sich in der gesamten Schweiz den Frauenstreikaktionen angeschlossen. Die Beteiligung war grösser als vor 28 Jahren, beim Frauenstreik 1991. Es entwickelte sich eine Wucht, die man(n) nicht mehr ignorieren kann und der sich Wirtschaft und Politik nicht länger entziehen können. Besonders bemerkenswert war die enorme Zahl junger Frauen. Durch die monatelangen Vorbereitungen konnte die Vernetzung zwischen Frauenorganisationen und Gewerkschaften gestärkt werden. Der Druck auf die Entscheidungsträger wird anhalten; die Machtdemonstration ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich die gesellschaftliche Stellung der Frauen ohne Wenn und Aber ändern muss. Die vielen Aktivistinnen, die in unzähligen Stunden Vorbereitungs- und Vernetzungsarbeit geleistet haben, waren sich am Abend des 14. Juni 2019 einig: Mit diesem Tag wurde Geschichte geschrieben.

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Ein Subkontinent als Beute der Konzerne

Modi

Bild: Al Jazeera English (CC BY-SA 2.0)

Modis zweiter Wahlsieg in Indien

Indien liegt im internationalen Trend: Mit dem Wahlsieg der Indischen Volkspartei BJP vom Mai hat sich auch auf dem Subkontinent wieder eine Partei durchgesetzt, die klar im äußersten rechten Lager zu verorten ist. Gleichzeitig wird diese von nationalen und internationalen Konzernen und Wirtschaftsgrößen hofiert.

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Mini-Bots und Maxi-Gefahr

Kolumne Winfried Wolf

Il Bel Paese und das Schicksal des Euro

Natürlich ist der italienische Innenminister Matteo Salvini ein Rassist; erneut dokumentiert durch sein Verbot, ein Schiff mit im Mittelmehr aufgenommenen Flüchtlingen einen italienischen Hafen anlaufen zu lassen. Natürlich ist die zeitweilige Verhaftung von Carola Rackete, der Kapitänin der „Seach-Watch 3“, durch die italienischen Behörden im Hafen von Lampedusa und die gegen sie seitens Salvini erhobene Anklage wegen „Gewaltanwendung (!) gegen ein [italienisches] Kriegsschiff“ ein krimineller Akt; die mutige Frau tat lediglich das Menschliche, Naheliegende, um „40 erschöpfte, verzweifelte Menschen an Land zu bringen“. Und natürlich ist den Protesten des französischen Innenministers Christophe Castaner („Die Schließung der italienischen Seehäfen ist eine Verletzung des Seerechts“) und des deutschen Außenministers Heiko Maas („Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“) in dieser Sache zuzustimmen. Doch welches Elend der EU und welche Heuchelei der führenden EU-Politiker kommen in dieser Affäre zum Ausdruck! Es geht ja nicht um 40 Migrantinnen und Migranten. Fast tausendmal mehr, nach bislang bekannten Zahlen genau 35.597 Flüchtlinge fanden seit 1993 auf ihrem Fluchtweg nach Europa den Tod, die meisten von Ihnen ertranken im Mittelmeer. Die Namen aller toten Flüchtlinge wurden vor wenigen Wochen viele Stunden lang in der Heiliggeistkirche in Bern verlesen; dort wurden ebenso viele Stoffstreifen mit den Namen der toten Geflüchteten an den Kirchenmauern befestigt. Und warum fanden diese Menschen den Tod? Vordergründig durch ein brutales EU-Grenzregimes und die Einstellung einer zivilen Seenotrettung. Sodann durch die Weigerung der großen Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, Flüchtlinge nach einem Schlüssel aufzunehmen und damit die Mittelmeerländer, allen voran Italien und Griechenland, zu entlasten. Letzten Endes jedoch in Folge einer EU-Politik mit Freihandel, Ausweitung von Fischereizonen für EU-Schiffe und vor allem mit den Waffenexporten und der Kriegsführung bzw. der Unterstützung in Kriegen in Libyen, Syrien, Türkei, Irak, Afghanistan und anderswo, womit sich die Lebensverhältnisse in diesen Regionen dramatisch verschlechterten und Millionen Menschen schlicht in die Flucht getrieben wurden.

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Quartalslüge II/MMXIX „Jetzt kommt die Verkehrswende“

Die „Verkehrswende“ ist spätestens seit der Fridays for FutureBewegung in aller Munde. „Wende“ sollte eigentlich heißen, dass der Autoverkehr rückläufig ist. Vor allem müsste die Ölförderung rückläufig sein. Das letztere sollte zumindest in den letzten Jahren stattgefunden haben, da es doch die viel gefeierte „Wende“ zum E-Auto gibt.

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Belarus 2019: In geopolitischer Balance oder zwischen allen Stühlen


Die vierspurige Autobahn vom Flughafen in die 40 Kilometer entfernte Hauptstadt Minsk säumen die üblichen großen Werbetafeln, die kaufkräftiges und reisefreudiges Publikum ansprechen sollen. Auffällig sind Inhalte und Ausstattung. Jede dritte bewirbt Casinos und die meisten übrigen sind sowohl in kyrillischen wie in chinesischen Schriftzeichen verfasst. Die hohe Dichte an Casino-Werbung hängt mit dem 2009 erlassenen Glückspielverbot in Russland zusammen, das notorische Spieler aus Moskau oder Sankt Petersburg nach Minsk fliegen lässt. Und die allgegenwärtigen chinesischen Schriftzeichen, mit denen bereits am Flughafen Ankünfte und Abflüge angekündigt werden, reflektieren den Vormarsch chinesischer Investoren, ihrer Manager und Arbeiter in der weißrussischen Republik.

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„Grenzverletzungen“

Verletzungen sind schmerzhaft. Die, die man erleidet, aber auch häufig die, die man verursacht. Die Verletzung kann physischer Art sein als Verwundung, seelisch als Verletzung von Gefühlen. Menschen können verletzt werden. Im weiteren Sprachgebrauch können auch Normen verletzt werden. Sachen hingegen werden beschädigt oder zerstört.

Die Bezeichnung des militärischen Angriffs eines Staates auf den anderen als „Grenzverletzung“ sollte bereits in den sogenannten Befreiungskriegen gegen Napoleon und das revolutionäre Frankreich die Einwohner verführen, den eigenen Staat und die Nation zu verteidigen. Das stärkste und menschlichste Gefühl, das Einfühlen in die Leiden eines anderen, sollte auf den Staat übertragen werden. Dessen Grenze ist aber gar nicht so beschaffen wie die Haut eines Lebewesens, die verletzt werden könnte. Ein Staat empfindet keinen Schmerz, hat kein eigenes Leben und Gefühle wie ein Lebewesen, und wenn diese gesellschaftliche Organisationsform sich auflöst, stirbt da nichts, sondern es gibt nur eine andere gesellschaftliche Organisationsform, die einen (anderen) Teil der Erdoberfläche auf andere Weise für sich beansprucht.

Das Wort „Grenzverletzung“ sollte also eine Gefühlsverschiebung bewirken zu dem schlechten Zweck, einen Krieg mit „mehr Gefühl“ zu führen. Das so drastische Einfühlen in die Leiden von anderen, die Empathie, sollte sich nicht auf Lebewesen beziehen, sondern auf den „Staatskörper“, die „Nation“, die „natürlichen Grenzen“. Einer Organisationsform, die durch bewusst abgestimmte soziale Handlungen funktioniert, werden mit dem Ausdruck „Verletzung“ die gleichen Attribute zugeschrieben wie einem Lebewesen, das sich aus sich selbst heraus entwickelt, wächst, leidet und stirbt.

Dieser Gefühlsmissbrauch konnte vielleicht noch als zielgenau wahrgenommen werden, wenn es um Krieg geht, das heißt das staatlich organisierte Durchbrechen einer Grenze in einer militärischen Aktion mit dem Ziel der Eroberung, Wegnahme, Zerstörung des anderen Staatsgebietes.

Die Bezeichnung „Grenzverletzung durch Flüchtlinge“, durch Einzelpersonen mit einer anderen als kriegerischen Absicht, ist dann zu einer nochmals verdoppelten Irreführung geworden.

Was nicht als Staatsaktion stattfindet, nicht als gegen den anderen Staat gerichteter Akt von allen Beteiligten verstanden wird, nämlich die Bewegung von Menschen auf das Gebiet eines Staates mit der Absicht, dort zu bleiben oder mindestens den bisherigen unerträglichen Lebensverhältnissen zu entkommen, wird plötzlich als eine ebensolche Verletzung des fiktiven Staatskörpers verstanden – und mit militärischen Mitteln bekämpft, die nur beim staatlich organisierten Angriff vielleicht angemessen wären. In kriegsähnlicher Weise werden die Grenzen immer mehr erhöht, Zäune aus NATO-Draht meterhoch aufgetürmt nur zu dem Zweck, einzelne Menschen daran zu hindern, von einem Fleck der Erde auf einen anderen zu gelangen.

Jene „Grenzverletzung“, die die Sowjetunion und die DDR sehen wollten, wenn die Einwohner ihren Staat ohne Genehmigung verließen, hat die Verwirrung der Begriffe befördert. Das „widerrechtliche Passieren der Staatsgrenze“, zu welchem Zweck und in welcher Absicht auch immer, wurde in § 17 des Gesetzes über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik (Grenzgesetz) vom 25. März 1982 als eine unter vielen möglichen Grenzverletzungen gefasst und die Aktion der eigenen Bürger in einen Aggressionsakt gegen den „antifaschistischen Schutzwall“ von der Innenseite her umgedeutet, der durch Beschießen verhindert werden durfte.

Die unheilvolle Wendung gegen die eigenen Bürger und die darin liegende Staatsvergottung machen es schwieriger, die Aufführung des Gespenstes „Grenzverletzung durch Flüchtlinge“ zu bekämpfen.

Nennen wir Grenzverletzungen also fortan diejenigen Verletzungen, die Menschen erleiden, die Grenzen zu überwinden versuchen, die dort nicht sein sollten und aus niederen Beweggründen von Staaten errichtet worden sind.

Grenzen können nicht verletzt werden, nur Lebewesen.

Jürgen Bönig schreibt fortan Geisterbahn.

Geisterbahnfahrer sind froh, wenn das Fahrzeug vor dem Schreckgespenst abbiegt, auch wenn es jedes Mal die falsche Richtung ist.

Und nun ein chinesisches Jahrhundert?

Ein etwas skeptischerer Blick in die Zukunft

Die Wirtschaftspresse hierzulande klingt besorgt: Die Wachstumsrate des chinesischen Bruttosozialprodukts wird voraussichtlich das dritte Mal in Folge fallen – von 6,8 Prozent (2017) über 6,6 Prozent (2018) auf 6,4 Prozent (2019). Das sind zwar alles Zuwächse, von denen der Westen seit Jahrzehnten nur noch träumen kann, aber – man gibt sich beunruhigt. Nicht ganz zu Unrecht, denn China ist zu einem der wichtigsten Handelspartner des Westens geworden: Wenn die Konjunktur dort “schwächelt”, geht es den Exporteuren hier schlechter. Wurde früher gesagt: „Wenn die USA niesen, bekommt der Rest der Welt Schnupfen“, so gilt das heute offenbar für China. In der Tat, das amerikanische, präziser: das US-amerikanische Jahrhundert ist zu Ende.

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