Müttererwerbstätigkeit: Zwei Schritte vor, einer zurück

Aus: LunaPark21 – Heft 31

„Das Recht der Frauen auf Erwerb“ forderte Louise Otto-Peters vor rund 150 Jahren. Schnee von gestern, sollte man meinen. Dem Recht der Frauen auf „Erwerb“ steht kein Gesetz mehr entgegen. Zwar war in der alten Bundesrepublik bis in die späten 1970er Jahre die Hausfrauenehe auch juristisch das „naturgegebene“ Leitbild, und bis zur Familienrechts-Reform im Jahr 1977 war Frauen eine Berufstätigkeit nur erlaubt, soweit dies mit ihren „Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbar war (§ 1356 BGB). Aber seit der Abschaffung dieses sogenannten „Haushaltsparagrafen“ finden sich derlei Einschränkungen im Gesetz nicht mehr.

So lässt sich fragen: Warum dann noch Frauenförderpläne und Quoten? Tatsächlich wirkt die Vergangenheit nach. Wohl in keinem anderen Industrieland wurde die Berufstätigkeit von Müttern derart erbittert bekämpft wie in Westdeutschland. Jahrzehntelang sahen sich Mütter einer Phalanx aus Wissenschaft und Politik gegenüber: Von wissenschaftlicher Seite wurden sie geradezu bombardiert mit der „Erkenntnis“, dass ihre Berufstätigkeit den Kindern unwiderruflichen Schaden zufügen würde. Vor allem bis zum dritten Lebensjahr, so das Credo von Kinderärzten, Psychoanalytikern und Pädagogen, müsse eine Mutter zu Hause bleiben, anderenfalls sei das Kind lebenslang unrettbar geschädigt. Da nützte es wenig, dass Ursula Lehr, Erziehungswissenschaftlerin und Sozialisationsforscherin, bereits im Jahr 1974 mit ihrer Schrift „Die Rolle der Mutter in der Sozialisation des Kindes“ aus wissenschaftlicher Sicht nachwies, dass weder mütterliche Berufstätigkeit noch zeitweise Kita-Betreuung dem Kind schaden und seiner Entwicklung sogar zuträglich sein können. Die „normale“ Mutter erreichte diese Botschaft nicht. Gebetsmühlenartig beschwor der Zeitgeist ihre unersetzliche Rolle. Dazu kam eine Politik, die Fakten schuf: Westdeutsche Länder und Kommunen weigerten sich, für ein ausreichendes Angebot an Kleinkindbetreuung, Ganztagsplätzen, Hortbetreuung zu sorgen. Schließlich schadeten diese Einrichtungen; sie seien „nur für Notfälle“ gedacht – also für Alleinerziehende. Zusätzlich kam das scheinbar unschlagbare Argument der Kosten: Es war kein Geld da. Als spätestens Ende der 1970er Jahre trotz dieser Widerstände immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt „drängten“, wurde bald klar, dass der herbeigeführte Mangel an Ganztagsbetreuung diese nicht von der Aufnahme einer Erwerbsarbeit abhalten würde.

In dieser Phase wurde 1986 unter Familienministerin Rita Süssmuth (CDU) mit dem Bundeserziehungsgeld-Gesetz das Erziehungsgeld eingeführt – von Anfang an kritisiert von Frauenverbänden und Feministinnen. Aber: „Das Erziehungsgeld schafft Arbeitsplätze“, jubelte der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm. Er hatte damit nicht einmal Unrecht. Im Kern sah das Gesetz (nach diversen Änderungen) einen dreijährigen Erziehungsurlaub vor. In dieser Zeit gab es zwei Jahre lang (einkommensabhängig) 300 Euro monatlich. Beim Erziehungsgeld konnte man nahtlos an den Mainstream anknüpfen: Die ersten Jahre des Kindes gehört eine Mutter ins Haus. Dieses Gesetz hatte in den rund 20 Jahre seiner Gültigkeit Männern enorme Vorteile beschert: Frauen waren auch bei gleicher Qualifikation als Konkurrenz für Jahre ausgeschaltet. Da sie in dieser Zeit die Hausarbeit für Mann und Kind übernehmen, hatte der Mann im Beruf den Rücken frei, wurde zum „Familienernährer“ – und galt fortan als verlässlicher Arbeitnehmer. Väter konnten ebenfalls Erziehungsurlaub nehmen, haben aber in aller Regel dankend abgelehnt: Ihr Anteil überschritt nie die Drei-Prozent-Grenze, wohingegen Mütter fast ausnahmslos in Erziehungsurlaub gingen.

Die Diskussion um Müttererwerbstätigkeit flammte erst wieder auf, als Anfang 1989 die damalige Bundesfamilienministerin Ursula Lehr (CDU) einen für damalige Verhältnisse sensationellen Vorschlag machte: Wegen des Geburtenrückgangs könne man doch die frei werdenden Kapazitäten der Kindergärten dazu nutzen, schon Zweijährige aufzunehmen. Die öffentliche Empörung hätte nicht größer sein können, wenn sie dazu aufgefordert hätte, die Kinderarbeit wieder einzuführen. Ein Sturm der Entrüstung mit Rücktrittsforderungen beherrschten wochenlang die Medien. Das war kurz vor dem Fall der Mauer. Für Frauen in der DDR war die Berufstätigkeit selbstverständlich – sehr zum Missfallen westdeutscher Sprecher für das „Kindeswohl“. Eine der ersten Schriften, die die Abgeordneten der Volkskammer damals 1990 aus Westdeutschland erhielten, war eine Publikation der Deutschen LIGA für das Kind mit dem Titel „Elternnähe oder Krippen“. Zugleich sandten Kinderärzte an die Abgeordneten den dringenden Appell, in der DDR Krippen und Ganztagsbetreuung abzuschaffen. Nach dem Betritt der DDR zur BRD schlugen dann allerdings alle Versuche fehl, den Arbeitsmarkt für Frauen nach westdeutschem Vorbild durch den Abbau von Kitas zu regulieren. Die Frauen ließen sich ihre Berufstätigkeit – trotz hoher Arbeitslosigkeit – nicht ausreden.

Als 1998 die SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung stellte, blieb für derlei Themen nur Verachtung. Familie, so Kanzler Schröder, sei „Gedöns“. Weder Christine Bergmann noch Renate Schmidt, beide SPD-Familienministerinnen, konnten sich mit Neuerungen durchsetzen. Eine vorsichtige Verbesserung hatte es jedoch schon unter der Koalition von CDU/CSU und FDP im Jahr 1996 gegeben: der Rechtsanspruch auf einen halbtägigen Kindergartenplatz wurde gesetzlich verankert. Dieser trug zwar endlich der Forderung nach vorschulischer Bildung Rechnung, war aber für die Berufstätigkeit der Mütter irrelevant.

Letzten Endes blieb es der CDU-CSU-FDP-Regierung überlassen, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub wieder abzuschaffen. Ursula von der Leyen (CDU) führte 2007 als Familienministerin statt dessen das Elterngeld ein, das als Lohnersatzleistung für 12 Monate einkommensabhängig gezahlt wird. Und ausgerechnet die CDU, bis dato Protagonist konservativer Familienpolitik, räumte zusätzlich noch zwei Vatermonate ein und erfüllte damit, wenn auch nur in kleinem Umfang, langjährige frauenpolitische Forderungen nach nicht übertragbarer Auszeit für Väter. Diese Vatermonate werden inzwischen von rund einem Viertel der Väter genutzt. Eine weitere Neuerung ist der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz seit 2013. Knapp 14 Jahre, nachdem die CDU-Ministerin Lehr unter den zitierten Protesten vorgeschlagen hatte, Kindergärten schon für Kinder ab zwei Jahren zu öffnen, sind viele Kindergärten längst stillschweigend dazu übergegangen, schon Ein- oder Zweijährige aufzunehmen.

Der mediale Aufschrei blieb aus. Im Gegenteil: Als auf Druck konservativer CSU-Politiker ein Betreuungsgeld eingeführt wurde, nannte man es spöttisch „Herdprämie“. Dabei handelte es sich nur um eine modifizierte Fortsetzung des erst vor sechs Jahren abgeschafften Erziehungsgeldes. Das Betreuungsgeld wird Müttern gezahlt, die ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr zu Hause betreuen. Dafür bekommen sie 150 Euro monatlich. (Inzwischen wurde es vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen gestoppt und wird zurzeit nur noch in Bayern gezahlt.)

150 Jahre nach Louise Otto-Peters und fast 40 Jahre nach Aufhebung des „Hausarbeitsparagrafen“ bleibt die viel beschworene „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ Frauensache. Im Westen hat sich die Hausfrauen-Ehe plus Teilzeit-Arbeit oder Mini-Job für die Mütter etabliert, im Osten ist nach wie vor die Vollzeit-Arbeit normal. Dass auch im Westen die Kitas als Bildungseinrichtungen akzeptiert sind, ist nicht zuletzt den berufstätigen Müttern im Osten zu verdanken. Gemeinsam ist Frauen im Westen und im Osten, dass Kinderlosigkeit für viele offenbar der einzige Ausweg aus ihrem Dilemma ist. Die Geburtenrate in Deutschland gehört zu den niedrigsten der Welt.

Solange die Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern innerhalb der Familie nicht Halbe-Halbe ist, müssen Frauenfördermaßnahmen und Quoten wirkungslos bleiben. Würde dagegen Haus- und Erziehungsarbeit gleichmäßig geteilt, wären diese „Hilfen“ für Frauen irgendwann überflüssig.

Gunhild Gutschmidt ist promovierte Soziologin mit dem Schwerpunkt Familienpolitik. Sie lebt und arbeitet in Marburg/L.

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